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Infrastruktur, Energieversorgung in Deutschland

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Begonnen von Dr. Ici Wenn, 17. Februar 2013, 18:50:17

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Dr. Ici Wenn

Falls jemandem bei diesem Text Analogien auffallen, darf er sie gerne behalten:

Zitat     "...den Prozeß rund um den Selbstmord des Ingenieurs Oldenborger (Oberstes Tribunal, Februar 1922), einen von allen vergessenen, unbedeutenden und gänzlich aus der Reihe fallenden Prozeß. Darum nämlich fällt er aus der Reihe, weil er ein einziges menschlichesLeben betraf und dieses Leben -- bereits zu Ende war. Denn so er nicht gestorben wäre, säße eben jener Ingenieur, und obendrein zehn Mann mit ihm, als personifiziertes Zentrum, auf der Anklagebank des Obtrib, wodurch sich der Prozeß denn auch in selbige Reihe bestens eingefügt hätte. (...)

W. W. Oldenborger hatte dreißig Jahre bei den Moskauer Wasserwerken gearbeitet und war offenbar bereits um die Jahrhundertwende zum dortigen Chefingenieur avanciert. Das Silberne Zeitalter der Kunst, vier Staatsdumas, drei Kriege, drei Revolutionen waren ins Land gegangen -- aber Moskau trank unentwegt Oldenborgers Wasser. Die Symbolisten und die Futuristen, die Reaktionäre und die Revolutionäre, die Junker und die Rotgardisten, die SNK, Tscheka und RKI -- alles trank Oldenborgers klares kaltes Wasser. Er war unverheiratet, kinderlos und hatte nichts anderes im Leben als diese seine Wasserleitung. 1905 versperrte er den Soldaten eines Wachtrupps den Zugang zum Werk -- »denn es könnten von den Soldaten aus Ungeschicklichkeit Rohre oder Maschinen beschädigt werden«. Am zweiten Tag der Februarrevolution sagte er seinen Arbeitern, die Revolution sei vorbei, Schluß und genug und alles auf die Plätze und Wasser braucht's zu jeder Zeit. Auch in den Moskauer Oktobertagen war eine intakte Wasserleitung seine einzige Sorge. (...)

    »Ausschließlich Arbeiter haben bei uns an derSpitze zu stehen, ausschließlich Kommunisten die volleFührungsgewalt auszuüben! (...) im Namen dieses selben Widerwillenswerden wir keinen einzigen verantwortungsvollen Posten einem uns nicht klassenverwandten Menschen überlassen, ohne ihm einen...Kommissar zur Seite gestellt zu haben.
    « Auf Anhieb begann jedermann den Chefingenieur zu korrigieren, dirigieren, instruierenund ohne sein Wissen das technische Personal zu versetzen (»dasNest der Geschäftemacher wurde aufgelöst«). Die Wasserwerkserrettung mißlang trotz alledem. Nicht aufwärts ging es mit der Arbeit, sondern bergab! So schlau war der Ingenieursklüngel bei der hinterlistigen Durchführung seines bösen Plans. Mehr noch: unter Hintanstellung seiner »zwischenschichtigen Intelligenzlernatur«, welche ihm bislang verbot, starke Ausdrücke zuverwenden, erdreistete sich Oldenborger, die Handlungsweise des neuen Wasserwerkchefs Zenjuk (Krylenko: »... eine wegen ihrer inneren Struktur zutiefst sympathische Persönlichkeit«) als verbohrten Despotismus zu bezeichnen! Da trat es mit einem Mal zutage, daß »Ingenieur Oldenborger bewußt die Interessen der Arbeiter verrate und ein direkter und offener Gegner der Diktatur der Arbeiterklasse ist«. Daraufhin wurden, einenach der anderen, Kontrollkommissionen ins Wasserwerk beordert, die allerdings an der Wasserleitung wie am Wasser nichts auszusetzen fanden. Die Rabkrin-Leute gaben sich damit mitnichten zufrieden; Meldung um Meldung schwirrte in die RKI. Oldenborger setzte einfach alles dran, um »die Wasserleitung aus politischen Beweggründen zu zerstören, zu verderben, zu zertrümmern«, und brachte es lediglich nicht zustande. Na, wo's immer ging, fiel man ihm in den Arm, ob bei der verschwenderisch geplanten Kesselreparatur, ob beim Umbau der Holzbehälter auf Beton. Bei denWerksversammlungen sprachen nun die Arbeiterführer unverhohlen davon, daß der Chefingenieur »die Seele einer organisiertentechnischen Sabotage« sei, weswegen man seine Weisungen nichtbefolgen dürfe. Und trotz alledem kam die Sache nicht ins Lot, wurde schlimmer mit jedem Tag!

    (...) Der Chefingenieurwurde aus dem Verwaltungskollegium der Wasserwerkeausgeschlossen, dann in eine Atmosphäre permanenter Untersuchungen versetzt, ununterbrochen vor zahlreiche Kommissionen und Subkommissionen zitiert, verhört und mitdringlichst auszuführenden Aufträgen überhäuft. Jedes Nichterscheinen wird im Protokoll vermerkt, »für den Fall einerkünftigen Gerichtsverhandlung«. Über den Arbeits- und Verteidigungsrat (Vorsitzender -- Genosse Lenin) setzen sie die Ernennung einer »Außerordentlichen Troika« für das Wasserwerk ein (Rabkrin, Gewerkschaftsrat und Gen. Kuibyschew).Doch das Wasser floß schon das vierte Jahr unverdrossen durch die Rohre, die Moskauer tranken es und merkten nichts...Da schrieb Gen. Sedelnikow einen Artikel für das Wirtschaftsblatt Ekonomitscheskaja Schisn:
    »Angesichts der die Öffentlichkeit beunruhigenden Gerüchte über den katastrophalen Zustand der Wasserleitung« teilte er viele neue beängstigende Gerüchte mit und sogar: daß das Wasserwerk das Wasser unter die Erde pumpt und »bewußt die Fundamente von Moskau unterschwemmt« (welche nochvon Iwan Kalita herstammten). Eine Mossowjetkommission wurde auf den Plan gerufen und befand »den Zustand der Wasserleitung für zufriedenstellend, die technische Leitung für rationell«. (..).
    «Was blieb nun den Arbeiterführern? Welches letzte, doch sichere Mittel? Eine Anzeige bei der Tscheka! Gesagt, getan. Sedelnikow zeichnet »das Bild einer bewußten Zerstörung der Wasserleitungdurch Oldenborger«, er zweifelt nicht am »Bestand einerkonterrevolutionären Organisation bei den Wasserwerken, im Herzen des Roten Moskau«. Und außerdem: der katastrophale Zustand des Rubljowsker Wasserturms!

    An diesem Punkt aber leistet sich Oldenborger einen taktlosen Fehltritt, einen rückgratlosen und zwischenschichtigen,intelligenzlerischen Ausfall: Eine Bestellung von neuen ausländischen Kesseln (die alten können im Augenblick in Rußland nicht repariert werden) wird ihm »gestrichen« -- und er bringt sich um.(..)" 

Aus: "Der Archipel Gulag", Alexander Solschenizyn