Neuigkeiten:

Wiki * German blog * Problems? Please contact info at psiram dot com

Main Menu

Das Märchen vom "edlen Wilden"

Postings reflect the private opinion of posters and are not official positions of Psiram - Foreneinträge sind private Meinungen der Forenmitglieder und entsprechen nicht unbedingt der Auffassung von Psiram

Begonnen von cohen, 20. April 2011, 07:56:10

« vorheriges - nächstes »

cohen

http://www.sueddeutsche.de/wissen/umwelt-und-naturschutz-das-maerchen-vom-edlen-wilden-1.1087377-2

Zitat"Wenn es irgendwo keine Umweltzerstörung gegeben hat, liegt das daran, dass dort nur wenige Menschen gelebt haben, die nur über eine primitive Technik verfügt haben", ergänzt Hames. "Diese Menschen hatten grundsätzlich die Fähigkeiten, ihre Umwelt  zu zerstören, aber verfügten nicht über ausreichend Kraft." Deshalb habe sich die These vom wilden Naturschützer in der Wissenschaft bis in die 1980er-Jahre halten können: Die Auswirkungen kleiner Jäger-Sammler-Gesellschaften auf Ökosysteme seien schlicht nicht aufgefallen.

Doch jede Kultur verändert die Natur, in der sie lebt - manchmal bis zu einem Punkt, an dem Zivilisationen zusammenbrechen. Der Evolutionsbiologe Jared Diamond von der University of California in Los Angeles beschreibt in seinem Bestseller "Kollaps" die Geschichte von Gesellschaften, die durch Umweltzerstörung ihren Untergang besiegeln, zum Beispiel die Anasazi-Kulturen im Südwesten der USA.

Da stehen noch mehr interessante Sachen drin, der Artikel taugt bestimmt auch fürs Wiki (Ökologismus oder so).

de Bunker

Nur wird die Debatte leider unter Einbeziehen - vielfach unausgesprochener - ideologischer Prinzipien geführt, so daß es für den durchschnittlichen Leser nicht einfach ist, Dichtung und Fakten auseinanderzuhalten.

Es gab ja zunächst mal die Darstellung, alle indigenen Völker in Amerika hätten keine Spuren in der Umwelt hinterlassen, sie hätten "das Land nicht genutzt", wodurch es geradezu die Pflicht der Weißen wurde, sich das Land anzueignen. Vorhandene Hochkulturen wie Azteken, Maya, Inka wurden dabei auf das Niveau bloßer Betriebsunfälle gedrückt und die Namen anderer Völker mit vergleichbaren Kulturen schamhaft verschwiegen. Daß z.B. auch in Nordamerika die meisten Völker eine Form von Feldbau betrieben und damit nicht die ewig umherschweifenden Nomaden waren, wurde ebensowenig zur Kenntnis genommen.

Die rassistisch geprägte Darstellung der Indianer als "in der Umwelt nicht feststellbar" erfuhr dann eine Umwidmung, die dies als Ideal hinstellte. Daß Ethnologen, Archäologen etc. seit einiger Zeit an realitätsnäheren Darstellungen arbeiten, wird teilweise wiederum ideologisch ausgenutzt. In diesen Themenbereich mit hinein gehört z.B. auch die anhaltende Kontroverse über die Einwohnerzahlen vor Kolumbus, die zwischen 10 Millionen und 150 Millionen für den Doppelkontinent liegen und je nach ideologischen Standpunkten und Prämissen entsprechend eingesetzt werden.

Mittlerweile hat sich jedoch mehr herumgesprochen, daß indigene Kulturen nicht dem Bild der täglich mühsam nomadisierenden Horde entsprechen, sondern sehr diversifiziert waren, und auch dies läßt sich natürlich entsprechend verwerten: Aus den angeblich nicht landschaftsprägenden ständig nomadisierenden Kleinhorden werden flugs die umweltzerstörenden Brutalos, die sich einen Teufel darum scherten, ob sie ihren Kindern eine bewohnbare Umwelt hinterließen. Und schon sind "wir" wieder aus dem Schneider, weil "die" ja um nix besser waren.

Gerade in den USA wird diese Diskussion nicht neutral geführt (jedenfalls längst nicht von allen), sondern vor allem auf dem Hintergrund indigener Rechte sowie dem Status der Ureinwohner. Da muß man erheblich aufpassen, nicht auf ein Konglomerat aus wenig Fakten und viel Schwurbelei hereinzufallen, das aus einer Ecke propagiert wird, in der man seit Jahrzehnten den Kampf gegen angebliche indianische Sonderrechte führt.


Der SZ-Artikel ist jedenfalls nicht frei davon: er geht ausführlich auf das Beispiel der Lenape ein, auf deren Gebiet es einen Bereich mit mehr Überschwemmungen gegeben haben soll/gegeben hat. Nun die Interpretation: die Ursache ist Abholzung wg Feldbau. Was nicht erwähnt wird: im Bereich der Ostküste gibt es zwei Kulturareale (Nordöstliches Waldland und Südöstliches Waldland), in denen im Regelfall Feldbau betrieben wurde, der zusätzlich durch Jagen und Sammeln ergänzt wurde. Der Anbau von Mais, Bohnen und Kürbis fand in beiden Kulturarealen statt; mehrere Maissorten waren durch Zucht an kurze Wachstumsphasen (3 Monate) angepaßt, so daß bis ins südliche Kanada hinein Mais angebaut wurde. Der Artikel erwähnt dies nicht, sondern läßt die Lenape in ihrer Umgebung als Ausnahmen erscheinen, die natürlich letztlich nicht übersehen konnten, was sie da tun und prompt ging die Sache schief. Bevor jedoch nicht nachgewiesen ist, daß sich im gesamten Bereich beider Kulturareale wg Abholzung die Überschwemmungen häuften, ist dies ein Einzelfall. Es wird ja auch in keiner Weise thematisiert, ob die Lenape hieraus nicht lernten, dies wird ihnen ganz einfach abgesprochen.

Die zugehörige Fotostrecke greift die Thematik auch eher vom Standpunkt "die Indianer waren ja doch schlimm" auf. So richtig klasse recherchiert ist das Foto, das einen Indianer aus dem Bereich der Plains in Nordamerika zeigt, bei dem der Text sich mit den Mayastädten Tikmal und Calakmul befaßt. Daß die SZ jedoch auch Fotos von Maya finden kann, wenn sie denn angestrengt genug suchen, zeigt ein weiteres Foto von indigenen Personen aus Guatemala, die einem Gott opfern, der Alkohol, Tabak und Prostituierte bevorzuge. So ganz ohne Hinweis darauf, daß dies eine Entwicklung aus den letzten vierhundert Jahren ist und offenbar auch mehr oder weniger in Unkenntnis darüber, woher denn der Tabak ursprünglich kommt. Oder das Foto dieses harmlosen kleinen Lederballs - der Text belehrt, die Indianer hätten mit bis zu 1000 Teilnehmern (ja, da haben die ja ordentlich das Gras plattgetrampelt, nicht?) und mit harten Bandagen gespielt. Die 1000 Teilnehmer sind schon Ausnahmen - teilweise wurden Streitfälle zwischen Völkern auch mal friedlich per Ballspiel geregelt -, üblicherweise waren es weit weniger Teilnehmer. Und härter als beim American Football ging es auch nicht zur Sache, aber das lassen wir doch lieber außen vor und auf den vier Zeilen unter dem Foto kann man ja auch nicht alles sagen, nicht? (Und Stickball heißt das Spiel auch nicht.)

heterodyne

Warum sollte gerade dieses Thema ohne ideologische Verwurstung stattfinden  :-\
Den Streit bekommt man hierzulande natürlich nicht so mit  ;)
Hast du vielleicht linktipps?

Adromir

Die Osterinseln sind ein schönes Beispiel, wie "Naturverbunden" die edlen wilden sind. Die haben die komplette Flora und Fauna für ihre Götzenstatuen hingerichtet. Wahrscheinlich durch die Abholzung des Regenwaldes um die Steinblöcke an die Küste zu transportieren.

In Amerika und Australien kann man sehr schön das Aussterben vieler Großwildrassen in einen zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten der ersten Menschen dort bringen...