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Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"

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Begonnen von G5, 25. August 2012, 17:51:08

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G5

Hallo alle zusammen

Was hat es mit folgendem Artikel bei Welt Online aufsich ( http://www.welt.de/kultur/history/article108335884/Die-grossen-Aufklaerer-waren-oft-Judenhasser.html )?

Hier wird davon gesprochen, dass Leute, wie H.G. Wells, Voltaire und auch Kant mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen sind. Dabei werden auch einige Zitate von diesen Leuten gebracht.

Was haltet ihr von diesem Artikel? Was hat es mit den Aussagen dieses Artikels aufsich?

Onkel Heinz

Hintergrund scheint wohl die Beschneidungsdebatte zu sein, nach bewährter Springer-Manier...
ZitatSolange die Aufklärer sich über ihren eigenen Antisemitismus nicht aufklären lassen wollen, sind sie als Gesprächspartner in der öffentlichen Debatte kaum ernst zu nehmen.

Dr. Ici Wenn

Große Weltaufklärer waren auch sehr oft Juden. Es ist völlig dämlich. Menschen sind Menschen. Unterscheiden mögen sie sich durch Intelligenz und Fähgkeiten, und wenn sie etwas weniger wie erwartet von beidem haben, sind sie immer noch Menschen, die man lieb haben oder zum Teufel jagen kann.

Das Problem ist doch dieses bescheuerte Kategorisieren an Stellen, wo es völlig idiotisch wird. Ist ein anatolischer Eselskarrenführer intelligenter als ein Kaptitän auf dem Great Lake, dessen Schiff in einem Sturm untergeht?

Schubladen zu benutzen ist eine denkökönomische Wirklichkeit, aber sie falsch zu nutzen, das zeichnet den echten Idioten aus.


Onkel Heinz

Zitat von: Dr. Ici Wenn am 25. August 2012, 18:45:35
Schubladen zu benutzen ist eine denkökönomische Wirklichkeit, aber sie falsch zu nutzen, das zeichnet den echten Idioten aus.
Schön gesagt.

Dieser ganze Welt-Artikel ist ein einziges ad-hominem gegen die Aufklärung (dort vs. Religion) ... die Stoßrichtung ist klar.

Volvox

Ich habe schon einen Vorschlag für einen neuen Artikel:
"Die großen Gegner der Aufklärung waren Judenhasser
Die Tradition des Antisemitismus reicht bis in die Anfänge des Christentums zurück.
"
;)

Abgesehen von einem polemischen argumentum ad absurdum, lässt sich auch noch der Vorwurf des "cherry picking" ins Feld führen. David Hume war beispielsweise auch für die Aufklärung wichtig, wird aber in dem Artikel nicht erwähnt (er hatte ja auch nichts gegen Juden). Erwähnt wird auch nicht Jean-Jacques Rousseau (er hatte ebenfalls nichts gegen Juden).
Aber auch Hitler in diesem Artikel zu erwähnen, impliziert, dass er als Aufklärer bezeichnet werden könne. Dies scheint allerdings im Angesicht der Bücherverbrennungen etc. etwas abwegig zu sein.

Onkel Heinz

Ja, das ist wirklich eine krude Mischung: Wells, Voltaire, Kant, Hitchens, Stalin, Hitler... und am Schluss noch Reich-Ranicki über den Holocaust.

Vielleicht haben seine Experimente damit zu tun:
Zitat"Ich habe mehrere Wochen so verzeifelte wie vergebliche Versuche unternommen, mit dem Denken aufzuhören. Einmal habe ich geschlagene neun Wochen lang nichts gedacht - und ich ging, bildlich gesprochen, immer noch die Wände hoch."
http://de.wikiquote.org/wiki/Hannes_Stein

bayle

Ich meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen. Auch Spinoza und Moses Mendelssohn und Lessing gehören zu ihr. Wenn man ,,den Aufklärern" Antisemitismus unterstellt, dann kann man das auch bei Shakespeare tun. Der große Pierre Bayle  ;) hat nachgewiesen, dass König David, dieser heilige Monarch, nach allen menschlichen Begriffen zutiefst unmoralisch gehandelt hat; war Bayle also Antisemit?

Hitchens ist antireligiös, aber definitiv nicht antisemitisch. Das Schema ist nicht neu: der katholische Publizist Alexander Kissler hat 2008 Richard Dawkins als ,,antisemitisch" denunziert, wofür er von kamenin in dessem blog elegant zerlegt worden ist (leider heute nicht mehr online). Auch bei Schmidt-Salomon's atheistischen "Drei kleinen Ferkelchen" hat man den absurden, unehrlichen Versuch unternommen, sie mit dem Antisemitismus-Vorwurf juristisch zu erledigen.

Wirklicher Antisemitismus ist in der Gegenaufklärung viel verbreiteter, gar nicht zu reden von Papst Paul IV (Erfinder des Römischen Ghettos) oder Martin Luther.

P.Stibbons

Ich denke, wir sind alle angehalten, unsere Stereotypien kritisch zu hinterfragen.

Luther auf seinen antisemitischen "Sündenfall" zu reduzieren und alles unter den Tisch fallen zu lassen, was er innerhalb des allgegenwärtig dominanten starren religiösen Systems seiner Zeit an elementaren Neuerungen gebracht hat

- nicht zuletzt den Primat der eigenen Gewissensentscheidung gegenüber dem kirchlichen Dogma und die Möglichkeit für jeden Interessierten, die biblischen Texte endlich ohne Bevormundung durch Geistliche selbst lesen zu können, um sich ein eigenes Urteil zu bilden -

ist genau so einseitig und falsch wie der Grundtenor dieses Zeitungsartikels.

BTW:

Zitat
Der große Pierre Bayle  ;) hat nachgewiesen, dass König David, dieser heilige Monarch, nach allen menschlichen Begriffen zutiefst unmoralisch gehandelt hat; war Bayle also Antisemit?

Das zeugt von unzureichender Kenntnis biblischer Texte, die keineswegs über "heilige" Menschen berichten bzw diese gar mit einem Nimbus umgeben wollen, sondern im Gegenteil die Irrungen und Wirrungen sterblicher und fehlbarer Menschen oft sehr schonungslos beschreiben, allen voran David (der einem seiner zuverlässigsten Offiziere nicht nur die Frau ausspannte, sondern diesen selbst in vorderster Reihe an die Front schickte, um ihn loszuwerden...), was ihm dann von seinem  "Persönlichen Berater" Samuel auch ohne Beschönigung ins Gesicht gesagt wird.

ZitatIch meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen.

Entnimmst du das diesem Artikel?

Ich finde ihn zwar unpassend, weil er unnötig polarisiert, insbesondere die Headline, habe den Autor aber eher so verstanden, dass er einer allzu enthusiastischen undifferenzierten Sicht auf Protagonisten der Aufklärung mal etwas Kritisches entgegen setzen wollte und sich dabei total vergaloppiert hat.

Es ist völlig deplaziert und unseriös, geradezu konfus, hier ausgerechnet Stalin und Hitler einzureihen.  :o

Zu Jean-Jaques Rousseau: ob ich den a priori unter "Protagonist der Aufklärung" verbuchen würde? - Eher nein.
Gerade er ist  (unabhängig von dieser Antisemitismus-Frage) ein Beispiel dafür, dass humane, fortschrittliche Ideen (Naturrecht; Gleichheit der Menschen) oft leider gemeinsam mit tendenziell problematischen Ansätzen oder Charakterzügen vorliegen können:

sein "Zurück zur Natur" ist letztlich fortschritts-und entwicklungsfeindlich und wirkt im Rückblick doch recht verstiegen - heutzutage würden sich "schulmedizin"- und  technikfeindliche Alternative aller Couleur, Schamanen, Urköstler etc gut auf ihn beziehen können. Sabine Pauls PaläoPower zum Beispiel geht auch in diese Richtung.

http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Jacques_Rousseau

Um den kritisierten oder auch geschätzten Protagonisten tatsächlich gerecht zu werden, sollte man sich daher umfassend über ihr Leben und Werk informieren, statt ungeprüft Stereotypien zu übernehmen - das ist mein Fazit, auch für mich selbst, aus einem solchen grottigen Artikel.




Ratiomania


ZitatSelbstverständlich tut Harris mit dem nächsten Atemzug just das, was er gerade eben noch für "beinahe unmöglich" erklärt hatte: Er macht die Juden für ihr Unglück selbst verantwortlich. Der Grund ihres Leidens sei nämlich "ihre Weigerung, sich zu assimilieren, ihre Insularität und das Bekenntnis zur Überlegenheit ihrer religiösen Kultur — also der Inhalt ihres eigenen sektiererischen Glaubens".

Blaming the victim. Toll Sam Harris!  >:(

Vorallem weil das alles ihr gutes Recht als was auch imer für verstandene Gemeinschaft war und ist.

Zitat
Und gerade Gläubige haben eigentlich jeden Grund, für die Existenz von gottlosen Menschen dankbar zu sein. Schließlich hilft der Atheismus ihnen, im freundschaftlichen Streit ihre Argumente zu schärfen.

Genau. Schade nur, dass es keine Religionsparodien geben kann. Schärfer als die Argumente für Pastafarianismus können die nämlich nicht werden.  ::)

ZitatSolange die Aufklärer sich über ihren eigenen Antisemitismus nicht aufklären lassen wollen, sind sie als Gesprächspartner in der öffentlichen Debatte kaum ernst zu nehmen.

Aber gerne, her damit! Bisher hält man sich ja mim aufklären über meinen versteckten Antisemitismus sehr zurück!

ZitatDie Tradition der Aufklärung dagegen gilt immer noch als weitgehend unschuldig — wie zuletzt etwa in der deutschen "Beschneidungsdebatte" deutlich wurde (in der schrille judenfeindliche Töne gar nicht zu überhören waren).

Mit Sätzen wie diesen OHNE konkretes Beispiel? Soll ich Ratemal-mit-Rosenthal spielen?

bayle

@P. Stibbons

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16
Luther auf seinen antisemitischen "Sündenfall" zu reduzieren und alles unter den Tisch fallen zu lassen, was er innerhalb des allgegenwärtig dominanten starren religiösen Systems seiner Zeit an elementaren Neuerungen gebracht hat

Mir geht es nicht um Luther, sondern darum, dass der Antisemitismus-Vorwurf instrumentalisiert wird. Natürlich, ohne Luther hätte es wohl keine Aufklärung gegeben.

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16

Zitat
Der große Pierre Bayle  ;) hat nachgewiesen, dass König David, dieser heilige Monarch, nach allen menschlichen Begriffen zutiefst unmoralisch gehandelt hat; war Bayle also Antisemit?

Das zeugt von unzureichender Kenntnis biblischer Texte, die keineswegs über "heilige" Menschen berichten bzw diese gar mit einem Nimbus umgeben wollen, sondern im Gegenteil die Irrungen und Wirrungen sterblicher und fehlbarer Menschen oft sehr schonungslos beschreiben, allen voran David (der einem seiner zuverlässigsten Offiziere nicht nur die Frau ausspannte, sondern diesen selbst in vorderster Reihe an die Front schickte, um ihn loszuwerden...), was ihm dann von seinem  "Persönlichen Berater" Samuel auch ohne Beschönigung ins Gesicht gesagt wird.

Nein, das ist eine heutige Reformtheologie, die erst durch und nach Bayle möglich geworden ist. David ist natürlich in höchstem Maße gottgefällig; der "heilige Monarch" ist ein Zitat aus Bayle. Er ist der allerletzte, dem man böswillige Verzerrung kritisierter Ansichten oder Unkenntnis von Quellen vorwerfen könnte: "his erudition was second to none in his, or perhaps any, period", sagt die Stanford Encyclopedia of Philosophy.

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16

ZitatIch meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen.

Entnimmst du das diesem Artikel?

Nein, natürlich nicht, das ist meine Interpretation, die sich auf analoge Debatten und auch auf die vermutete Zielrichtung (Beschneidungsproblem) stützt. Die Erwähnung von Hitler und Stalin ist doch nicht zufällig oder aus Achtlosigkeit geschehen. Im Übrigen bin ich weitgehend mit Deinem Posting einverstanden, außer dass ich die Berufung auf das Naturrecht nicht für einen Fortschritt halte.

Dr. Ici Wenn

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16

Zu Jean-Jaques Rousseau: ob ich den a priori unter "Protagonist der Aufklärung" verbuchen würde? - Eher nein.

Gewiss nicht. Man gucke die Auseinandersetzung mit Voltaire an. An Russeau leiden wir gerade aktuell mit seiner Bambifizierung der Natur.

P.Stibbons

ZitatNein, das ist eine heutige Reformtheologie,

Nein, sondern die von dir beschriebene Auffassung ist eine klassische , von wem auch immer überlieferte Fehlinterpretation.
Dazu müsstest du dir aber die Mühe machen, die AT-Texte selbst zu lesen, um zu erkennen, dass dort alles sehr drastisch und schonungslos beschrieben wird.
Zitat
Nein, das ist eine heutige Reformtheologie, die erst durch und nach Bayle möglich geworden ist. David ist natürlich in höchstem Maße gottgefällig; der "heilige Monarch" ist ein Zitat aus Bayle. Er ist der allerletzte, dem man böswillige Verzerrung kritisierter Ansichten oder Unkenntnis von Quellen vorwerfen könnte: "his erudition was second to none in his, or perhaps any, period", sagt die Stanford Encyclopedia of Philosophy.

Bayle ist bestenfalls Sekundärliteratur - er sollte wenigstens angegeben haben, auf welche Quelle er sich beruft...

Nach AT-Überlieferung geht der 51. Psalm auf den Vorfall zurück:

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/psalm/51/

1 Ein Psalm Davids, vorzusingen; 2 da der Prophet Nathan zu ihm kam, als er war zu Bath-Seba eingegangen. (2. Samuel 12.1)

Die angegebene Referenz ist

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/2_samuel/12/#1

Ich muss mich in diesem Punkt korrigieren: der Berater war nicht Samuel, sondern der Prophet Nathan.

So viel vielleicht noch:

"heilig" bedeutete nach ursprünglichen jüdisch-christlichen Verständnis nicht "sündlos", sondern eher so etwas wie "für Gott ausgesondert"; eine Sprachwurzel im germanischen Sprachraum ist hier: "heil gemacht"; whole = "ganz"  -> also eher "gerechtfertigt" als "von sich aus gerecht"


Ratiomania

Zitat von: Ratiomania am 26. August 2012, 11:31:09


ZitatSolange die Aufklärer sich über ihren eigenen Antisemitismus nicht aufklären lassen wollen, sind sie als Gesprächspartner in der öffentlichen Debatte kaum ernst zu nehmen.

Aber gerne, her damit! Bisher hält man sich ja mim aufklären über meinen versteckten Antisemitismus sehr zurück!


Meine Suche, nach Google-Treffern:

ZitatSolche Mahnungen zur Versachlichung erscheinen dringend geboten, denn es wird immer deutlicher, welch gefährliche Gräben die Kontroverse um die Beschneidung aufreißt. Der Hofer Rabbiner Goldberg bezeichnete die Vorgänge in Deutschland in Interviews mit mehreren israelischen Medien als "klar antisemitisch". Er berichtet von Anrufen und E-Mails, in denen die Beschneidung als primitiv geschmäht werde und man ihn auffordere, das Land zu verlassen. Die Anklage gegen ihn "versetze Deutschland zurück in die dunklen Tage", glaubt er.

Q: http://www.sueddeutsche.de/politik/beschneidungsdebatte-in-israel-streit-um-ein-goettliches-gebot-1.1449976

Ja, genau, wenn Antisemiten Hass-Mails an den Rabbi schicken, dann müssen alle anderen die gegen Beschneidung sind auch antisemitisch sein >.<#. Genial.

(Ja ich weiß, dass es keine eindeutige Begründung für seine Aussage)

Danach die Reaktion auf den Ethikrat, dem ich murrend zustimme, da besser als nix:

ZitatRabbi Lau erklärte dazu bereits: "Wir brauchen von ihnen keine Lizenz, um wie Juden zu leben". Vielleicht aber, so folgert er, habe all das auch sein Gutes, "wenn die Juden dort verstehen, dass sie dort nicht hingehören".
Q: http://www.sueddeutsche.de/politik/beschneidungsdebatte-in-israel-streit-um-ein-goettliches-gebot-1.1449976


ZitatAm Ende zeigte sich Yona Metzger sichtlich zufrieden. ,,Sie haben der jüdischen Religion Respekt gezollt", sagte der israelische Oberrabbiner am Dienstag in der Bundespressekonferenz. Auch könne er in der hiesigen Diskussion ,,keinen Antisemitismus" erkennen. Metzger ist nicht irgendwer, sondern die höchste Autorität der ashkenasischen, also der aus Mittel- und Osteuropa stammenden Juden.
Q: http://www.fr-online.de/politik/debatte-um-beschneidung-oberrabbiner-sieht--keinen-antisemitismus-,1472596,16935222.html

Tja. Sagt nichts auch, schließlich spricht er nicht für alle Juden und wie man weiß, sind Juden ja auch manchmal Antisemiten. Verdammte Wurst!

ZitatSie werde aber inzwischen "doch ein bisschen hässlich", denn "da und dort wird sie auch missbraucht von einigen, um wieder alte antisemitische Klischees und Vorurteile zu transportieren".
Es gebe punktuell einen antisemitischen Akzent in der Debatte, sagte Graumann und verwies auf entsprechende Kommentare und "ekelhafte Ergüsse" im Internet verwies.
Q: http://www.derwesten.de/nachrichten/graumann-entdeckt-in-debatte-um-beschneidung-antisemitische-toene-id6911498.html

Toll. War wohl auch nix.

ZitatNicht zuletzt weist ja auch Goldschmidt darauf hin, dass es sich ganz bestimmt um Antisemitismus handele, der da unter dem Mäntelchen der Menschenrechte durchscheine. So beiläufig wie er die Menschenrechtsbedenken wegwischt, scheint er weder viel von Menschenrechten zu halten noch scheint er je auf die Idee gekommen zu sein, dass religiöse (zumal jüdische) Praktiken jemals gegen sie verstoßen könnten. Jedenfalls ist es all das für ihn nicht wert, sich auf die Ebene von Argumenten herabzulassen.

Q: http://www.heise.de/tp/artikel/37/37292/1.html

Lol. Ja man muss das nur oft genung wiederholen, dass es antisemitisch sei, Begründungen und die geforderte Aufklärung der Aufklärer bleibt allem anschein nach aus  >:(


Hier wird sich mehr bemüht:

ZitatWorauf führen Sie das Urteil zurück?

Brenner: ,,Was im Hintergrund mitspielt, sind völlig falsche Vorstellungen eines barbarischen Aktes der Beschneidung. Die Beschneidung erscheint in der deutschen Gesellschaft als kulturell fremd. Dabei wird sie von der Weltgesundheitsbehörde empfohlen, in Amerika sind die meisten christlichen Männer beschnitten, die Nachkommen des englischen Königshauses auch. Auch Jesus wurde beschnitten. Die Beschneidung ist aber im Laufe des 19. Jahrhunderts aus dem deutschen kulturellen Kontext verschwunden.

Ich sage nicht, dass jeder, der die Beschneidung ablehnt, Antisemit ist. Aber viele antisemitische Stereotype spielen im Hintergrund bei dieser Ablehnung der Beschneidung eine Rolle."
Q: http://www.nordbayern.de/ressorts/schlagzeilenseite/interview-beschneidungsverbot-immer-antisemitisch-motiviert-1.2205168

Gut und welche "antisemtischen Stereotypen" sind das nun?


ZitatInwiefern?

Brenner: ,,In anderen Staaten wie in den USA oder England ist die Beschneidung viel eher als gängigere kulturelle Praxis akzeptiert. In Deutschland aber scheint sie mit dem Makel des Fremden und Barbarischen behaftet zu sein.Das hat mit kulturellen Praktiken zu tun, die sich seit langer Zeit herausgebildet haben. Und da würde ich schon sagen, dass in diesem Prozess auch die Ablehnung der eben von Juden praktizierten Praxis eine gewisse Rolle spielt.[...]

Achja: Kinderschutz z.B. Prügel und Demütigung zum Wohle des Kindes hat in Deutschland eine tiefgreifen kulturelle Tradition. Sie war und ist eine kulturell weit verbretiete Praxis...

Und die ist mitnichten aus irgendwelchem Kontext verschwunden, als die entsprechenden Gesetze "plötzlich" beachtet wurden...



ZitatIn der Vorstellung der Juden ist mit dem Verbot der Beschneidung immer eine antisemitische Gesetzgebung verbunden. Das geht zurück in das zweite vorchristliche Jahrhundert unter griechischer Fremdherrschaft über die römische Zeit und bis hin zur Sowjetunion. Es waren immer totalitäre Regime, mit denen antijüdische Verfolgung verbunden war, die die Bescheidung verboten haben. Und es wäre schon traurig, wenn die Bundesrepublik Deutschland jetzt der erste demokratische Staat wäre, der ähnlich handelt."

Ja genau. Weil antisemiten u.a. auch diese jüdische Praxis verboten hatten, MUSS ja wohl auch jeder Befürworter des beschneidungsverbots antisemtisch motiviert sein!

Aus der Geschichte lernen, heißt siegen lernen. Oder den größten Quatsch aller Zeiten (GQAZ) sich zusammenzuschustern.

Hitler hat Brot gegessen, also sind alle Brotesser...  :P ??? :P




bayle

@P. Stibbons

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 11:45:59
ZitatNein, das ist eine heutige Reformtheologie,

Nein, sondern die von dir beschriebene Auffassung ist eine klassische , von wem auch immer überlieferte Fehlinterpretation.
Dazu müsstest du dir aber die Mühe machen, die AT-Texte selbst zu lesen, um zu erkennen, dass dort alles sehr drastisch und schonungslos beschrieben wird.
Zitat
Nein, das ist eine heutige Reformtheologie, die erst durch und nach Bayle möglich geworden ist. David ist natürlich in höchstem Maße gottgefällig; der "heilige Monarch" ist ein Zitat aus Bayle. Er ist der allerletzte, dem man böswillige Verzerrung kritisierter Ansichten oder Unkenntnis von Quellen vorwerfen könnte: "his erudition was second to none in his, or perhaps any, period", sagt die Stanford Encyclopedia of Philosophy.

Bayle ist bestenfalls Sekundärliteratur - er sollte wenigstens angegeben haben, auf welche Quelle er sich beruft...

Ich verstehe nicht ganz, worum es Dir geht. Es geht nicht um den Wortlaut der Bibel, sondern darum, wie er bewertet wird, und da ist Bayle Primärliteratur allerersten Ranges. Im Übrigen ist auch der Wortlaut der Bibel nicht völlig konstant, sondern gewissen Veränderungen unterworfen, was sich gerade hier zeigen lässt:

2. Samuel 12, 31.
"Aber das Volck drinnen füret er eraus / vnd legt sie vnter eisern segen vnd zacken / vnd eisern keile / vnd verbrand sie in Zigelöfen / So thet er allen Stedten der kinder Ammon." [Luther-Bibel 1545]
"Aber das Volk drinnen führte er heraus und legte sie unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile und verbrannte sie in Ziegelöfen. So tat er allen Städten der Kinder Ammon." [Luther-Bibel 1912]
"Aber das Volk darin führte er heraus und stellte sie als Fronarbeiter an die Sägen, die eisernen Pickel und an die eisernen Äxte und ließ sie an den Ziegelöfen arbeiten. So tat er mit allen Städten der Ammoniter." [Revidierten Test der Ev. Haupt-Bibelgesellschaft zu Berlin, AT 1964]

Diese Entschärfung des Textes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ebenso in anderen deutschsprachigen, in den englischen Versionen und auch in der Vulgata. Deschner liegt also falsch, wenn er den Opportunismus der Kirche Deutschlands dafür verantwortlich macht. Aber: es bleibt Reformtheologie.

Ich finde aber, das führt uns weit vom Ausgangspunkt weg: Ist der Antisemitismus-Vorwurf an die Aufklärung berechtigt, oder wird er instrumentalisiert, um andere Aspekte der Aufklärung zu diskreditieren?

P.Stibbons

@ bayle:

ZitatIch verstehe nicht ganz, worum es Dir geht. Es geht nicht um den Wortlaut der Bibel, sondern darum, wie er bewertet wird, und da ist Bayle Primärliteratur allerersten Ranges. Im Übrigen ist auch der Wortlaut der Bibel nicht völlig konstant, sondern gewissen Veränderungen unterworfen, was sich gerade hier zeigen lässt:

Dein Argument war ursprünglich - aber das ist ohnehin ja nicht der Kernpunkt des Fadens - dass man Bayle dann fälschlich auch als Antisemit bezeichnen könne, da er den "Heiligen Monarchen David" quasi entmystifiziert habe.

Mein Gegenargument war: es ist in den Urtexten (von denen hier ja auch nur die ehrwürdige Luther-Übersetzung vorliegt - Quelle: Vulgata - auch kein "Urtext", sondern lateinische Übersetzung...) nie vorgesehen gewesen, David auf einen heiligen Sockel zu stellen.

http://www.mechon-mamre.org/p/pt/pt08b11.htm
http://www.mechon-mamre.org/p/pt/pt08b12.htm

Insofern trifft auf Bayle zu, dass er ein im Nachhinein verzerrtes (katholisches oder anglikanisches) theologisches Bild von David wieder zurecht gerückt hat - dies richtete sich aber dann primär gegen die christliche Übermalung und Überhöhung (ähnlich wie bei Maria, der Mutter Jesu)

(Eine Quelle, in der "über" biblische Texte geschrieben wird, ist aus theologisch-literaturwissenschaftlicher Sicht nie "Primärliteratur", sondern Rezeption - das nur am Rande)

Und ja: natürlich ist jede Übersetzung aus den Urtexten immer auch eine Übertragung, und diese muss sich auch immer neuen Überarbeitungen gemäß den aktuellen Forschungsergebnissen unterziehen.

Das ändert aber in diesem Fall nichts daran, dass die Urtexte ein sehr realistisches Bild von David malen.
Ich weiß nicht mal, ob er nach heutigen jüdischen Maßstäben als Jude reiner Abstammung gilt; denn eine seiner Ahninnen war definitiv keine Jüdin ;-)
Zitat
Boas heiratet Rut, die Stammmutter Davids

Und Boas sprach zu den Ältesten und zu allem Volk: Ihr seid heute Zeugen, daß ich alles gekauft habe, was dem Elimelech, und alles, was Chiljon und Mahlon gehört hat, von der Hand Naemis; 10 dazu auch Ruth, die Moabitin, Mahlons Weib, habe ich mir erworben zum Weibe, daß ich dem Verstorbenen einen Namen erwecke auf sein Erbteil und sein Name nicht ausgerottet werde unter seinen Brüdern und aus dem Tor seines Orts; Zeugen seid ihr des heute. 11 Und alles Volk, das im Tor war, samt den Ältesten sprachen: Wir sind Zeugen. Der HERR mache das Weib, das in dein Haus kommt, wie Rahel und Leah, die beide das Haus Israels gebaut haben; und wachse sehr in Ephratha und werde gepriesen zu Bethlehem. 12 Und dein Haus werde wie das Haus des Perez, den Thamar dem Juda gebar, von dem Samen, den dir der HERR geben wird von dieser Dirne. (1. Mose 38.29)

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/rut/4/
-

Also: alles nicht so wirklich schmeichelhaft, und wenn man sich die Geschichten der Urväter anschaut, menschelt es auch eher.
Sagen wir mal so:

Wenn das aufgeschrieben wurde mit dem Ziel, verklärende Mythen zu schaffen, war der Chefredakteur besoffen.... 

ZitatDiese Entschärfung des Textes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ebenso in anderen deutschsprachigen, in den englischen Versionen und auch in der Vulgata. Deschner liegt also falsch, wenn er den Opportunismus der Kirche Deutschlands dafür verantwortlich macht. Aber: es bleibt Reformtheologie.

Man nennt das "historisch-kritische Forschung".

Na ja - mein Tip: selbst nachlesen statt ungeprüft zu übernehmen, was einem jemand erzählt.
Dank Luther und dessen ersten Übersetzungsbemühungen  (und allen, die daran anknüpften) ist das ja zum Glück möglich. Dafür gibt es übrigens akademische Theologie, dass sich die rein subjektiven Interpretationen nicht allzu sehr verselbständigen...

Zitat
Ich finde aber, das führt uns weit vom Ausgangspunkt weg: Ist der Antisemitismus-Vorwurf an die Aufklärung berechtigt, oder wird er instrumentalisiert, um andere Aspekte der Aufklärung zu diskreditieren?

Der Zeitungsartikel regt mich jedenfalls an, das Oevre einzelner Aufklärer genauer nachzuprüfen.
Ehrlich gesagt: ich kenne keinen Menschen, mit noch so löblichen Ansichten, der nicht irgendwo auch schwer geirrt hätte.

Mein ganz persönlicher Eindruck momentan ist, dass im Zuge der postmodernen Säkularisierung viel wirklich wirres Zeug über Judentum und Christentum verbreitet wird, was einfach ungeprüft übernommen wird. Siehe oben.

An dieser Stelle finde ich mittlerweile manche selbst ernannten Vorreiter für Humanismus und Aufklärung wirklich unglaubwürdig.
Und dann kann schnell antisemitisches oder anti-christliches Gedankengut mit reinrutschen - weil man sich nicht die Mühe gemacht hat, selbst nachzuprüfen.
Wenn das Sam Harris - Zitat so stimmt, fände ich das katastrophal.
Genau so katastrophal, weil tatsächlich völlig verdreht, fände ich (falls es denn zutreffend wiedergegeben wurde) die Passage über Hitchens.

Es sind im Namen Gottes und der Kirche von den Mächtigen viele sehr schlimme Dinge verübt worden, daran besteht kein Zweifel.
Allerdings stellt man sich diesem himmelschreienden Unrecht heutzutage in selbstkritischer Reflektion (zumindest die Theologen, die ich schätze - allen voran Hans Küng).

An dieser Stelle gebe ich dem Verfasser Recht:
ZitatEs geht mir hier um etwas Anderes: um so etwas wie Gerechtigkeit. Nach dem Völkermord an den europäischen Juden haben die christlichen Kirchen zumindest angefangen, ernsthaft in sich zu gehen. Mittlerweile wird eine tiefgründige Diskussion über judenfeindliche Stellen in den Evangelien geführt; viele gläubige Christen haben begriffen, dass sie die Bibel ohne jüdische Hilfe gar nicht recht lesen können.

Und natürlich hat auch die atheistische Bewegung ihren "Schatten", mit dem sie sich auseinandersetzen muss -  die Redewendung "Die Revolution frisst ihre Kinder" hat ja leider eine historische Wurzel.