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Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Politik und Gesellschaft => Thema gestartet von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 05:55:46

Titel: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 05:55:46
Zitat von: Bratmaxe am 11. Oktober 2022, 22:34:07
Zitat
ZitatIt is no longer the economy, it is the identity.

Glaube ich nicht.

Weißt Du, warum der Marxismus untergegangen ist? Weil er schon alles wusste.
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: Max P am 12. Oktober 2022, 08:38:32
Zitat von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 05:55:46
Zitat von: Bratmaxe am 11. Oktober 2022, 22:34:07
Zitat
ZitatIt is no longer the economy, it is the identity.

Glaube ich nicht.
Weißt Du, warum der Marxismus untergegangen ist? Weil er schon alles wusste.
Dass Geschichte deine Stärke ist, glaube ich auch nicht.  ;)
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 08:45:59
Zitat von: Bratmaxe am 12. Oktober 2022, 08:38:32Dass Geschichte deine Stärke ist, glaube ich auch nicht.  ;)
Verlangt auch keiner.

Kommen wir zur jüngsten Zeitgeschichte:
ZitatBoris N. Moellers:
#Wagenknecht, kurz vor Kriegsausbruch: "Können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird! Nämlich als ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Wenn das so wäre, dann wäre Diplomatie hoffnungslos verloren!"
https://twitter.com/BorisNMoellers/status/1580065107039526913
(mit Videoclip). Was meinst Du, Max, sieht sie sich als Marxistin?
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: Max P am 12. Oktober 2022, 09:30:38
Zitat von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 08:45:59Kommen wir zur jüngsten Zeitgeschichte:
ZitatBoris N. Moellers:
#Wagenknecht, kurz vor Kriegsausbruch: "Können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird! Nämlich als ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Wenn das so wäre, dann wäre Diplomatie hoffnungslos verloren!"
https://twitter.com/BorisNMoellers/status/1580065107039526913
(mit Videoclip). Was meinst Du, Max, sieht sie sich als Marxistin?
Ich fürchte ja. Und weiter?
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: sailor am 12. Oktober 2022, 13:14:32
@Bratmaxe: Ich sage es mal so: Wenn die Ökonomie nicht das macht, was sie einigen Menschen zufolge tun soll, nämlich end-, investitions- und wahllos Wohlstand in irgendwelche Gruppen zu pumpen, dann greifen diese Menschen auf Identität zurück. Für mich sind "die Ostdeutschen" ein Paradebeispiel: Ökonomisch im Sinne von allgemeinem Lebensstandard ging es seit 1990 steil bergauf; Transferleistungen und Investitionen flossen, jene, die sich nicht so "ostdeutsch" fühlten, sind abgewandert. Nun stehen gerade dort Menschen auf/an der Straße, die meinen, sie bekommen nicht genug und ihnen stünde als "Ostdeutschen" doch viel mehr zu. Andere Ausprägung bei den russen, dort wurde die Ökonomie nur zum Nutzen bestimmter Gruppen genutzt, der Rest des Volkes wurde mit billiger Identitätspropaganda "ruhig" gestellt. China ist auch ein großartiges Beispiel, dort wird gerade mit Han-Nationalismus, Chauvinismus und paternalistisch-rückwärtsgewandtem Menschenbild von den selbstverursachten ökonomischen Problemen der KOMMUNISTISCHEN Partei Chinas abgelenkt. Identitätspolitik ist ein Fakt und diese Identitäten werden von Regimes dazu benutzt, die jeweiligen Völker und Gruppen abzuschotten. Gleichzeitig sind diese Politiken so wirksam, weil sie auf existierende kulturelle Normen und Werte zurückgreifen, die der "Westen" gern als irrational und überkommen abtut. Borrell sieht es in so fern richtig, als dass europäische Diplomatie dort anknüpfen muss: Beim Begreifen des Gegenüber und Bauen einer Brücke zwischen unseren Werten und deren Werten... das ist leichter als man denkt, wenn man einmal grundlegend ähnliche Werte erkannt hat, die es ohne Frage mit den meisten Kulturen gibt. Dazu gehört auch das Verstehen der Sprache und der Begriffe.
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: Max P am 12. Oktober 2022, 18:45:13
Zitat von: sailor am 12. Oktober 2022, 13:14:32Für mich sind "die Ostdeutschen" ein Paradebeispiel: Ökonomisch im Sinne von allgemeinem Lebensstandard ging es seit 1990 steil bergauf; Transferleistungen und Investitionen flossen, jene, die sich nicht so "ostdeutsch" fühlten, sind abgewandert.
Na ja, für Viele ging es auch bergab (und nein, ich meine nicht ehem. SED-Chefkader). Die Geschichte der Treuhand muss noch geschrieben werden -als Kriminalgeschichte. Aber das ist ein anderes Thema.

ZitatAndere Ausprägung bei den russen, dort wurde die Ökonomie nur zum Nutzen bestimmter Gruppen genutzt, der Rest des Volkes wurde mit billiger Identitätspropaganda "ruhig" gestellt.
Wenn mit Identitätspolitik Ablenkungspolitik gemeint ist, sehe ich das auch so. Ich hatte Borrells Satz so verstanden, dass er meint, ökonomische Interessen seien gegenüber Identitätspolitik nachrangig geworden. Das ist natürlich nicht der Fall, zumal mit Nationalchauvinismus seit 200 Jahren Politik gemacht wird. 

ZitatChina ist auch ein großartiges Beispiel, dort wird gerade mit Han-Nationalismus, Chauvinismus und paternalistisch-rückwärtsgewandtem Menschenbild von den selbstverursachten ökonomischen Problemen der KOMMUNISTISCHEN Partei Chinas abgelenkt.
Da du KOMMUNISMUS wieder so betonst: Bekanntlich ist nach Marx eine entwickelte bürgerliche Gesellschaft notwendige Voraussetzung für Sozialismus und dieser wiederum für Kommunismus. Insofern waren u.a. China und Russland in keiner Weise Kandidaten für Sozialismus, von Kommunismus ganz zu schweigen. Aber auch das hier nur nebenbei.

ZitatIdentitätspolitik ist ein Fakt und diese Identitäten werden von Regimes dazu benutzt, die jeweiligen Völker und Gruppen abzuschotten. Gleichzeitig sind diese Politiken so wirksam, weil sie auf existierende kulturelle Normen und Werte zurückgreifen, die der "Westen" gern als irrational und überkommen abtut. Borrell sieht es in so fern richtig, als dass europäische Diplomatie dort anknüpfen muss: Beim Begreifen des Gegenüber und Bauen einer Brücke zwischen unseren Werten und deren Werten... das ist leichter als man denkt, wenn man einmal grundlegend ähnliche Werte erkannt hat, die es ohne Frage mit den meisten Kulturen gibt. Dazu gehört auch das Verstehen der Sprache und der Begriffe.
Ja, Zustimmung.
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 19:43:11
Zitat von: Bratmaxe am 12. Oktober 2022, 18:45:13Bekanntlich ist nach Marx eine entwickelte bürgerliche Gesellschaft notwendige Voraussetzung für Sozialismus
Das ist eine insuffizient begründete theoretische Überlegung aus dem 19. Jhd., durch keinerlei Empirie belegt und durch zahlreiche Umstände falsifiziert. Ich hätte kein Problem damit, weiter ins Detail zu gehen (dafür reichen meine Geschichtskenntnisse), möchte aber diesen Faden nicht sprengen. Mach bitte einen neuen für Deine Antwort auf; am besten fängst Du mit der Definition für "Proletariat" an. 
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: Max P am 12. Oktober 2022, 20:01:51
Zitat von: Bratmaxe am 12. Oktober 2022, 20:00:31
Zitat von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 19:43:11
Zitat von: Bratmaxe am 12. Oktober 2022, 18:45:13Bekanntlich ist nach Marx eine entwickelte bürgerliche Gesellschaft notwendige Voraussetzung für Sozialismus
Das ist eine insuffizient begründete theoretische Überlegung aus dem 19. Jhd., durch keinerlei Empirie belegt und durch zahlreiche Umstände falsifiziert.
Ersters stimmt leider, letzteres nicht.

ZitatIch hätte kein Problem damit, weiter ins Detail zu gehen (dafür reichen meine Geschichtskenntnisse), möchte aber diesen Faden nicht sprengen. Mach bitte einen neuen für Deine Antwort auf; am besten fängst Du mit der Definition für "Proletariat" an. 
Danke für die Anregung, aber im Moment mag ich sie nicht aufgreifen. Am Ende brennen wieder fruchtlos die Büsche und die Hasen verschlucken sich.  ;D Ein andermal.
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 20:02:08
Zitat von: Bratmaxe am 12. Oktober 2022, 20:00:31Am Ende brennen wieder fruchtlos die Büsche und die Hasen verschlucken sich.  ;D
In der Tat. Der Sozialismus/Kommunismus leidet an Parusieverzögerung.  8)
Titel: Aw: Re: Krise in der Ukraine
Beitrag von: Max P am 12. Oktober 2022, 20:05:41
Zitat von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 20:02:08Parusieverzögerung.  8)
Da, du fängst ja schon wieder an.  :grins
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 20:15:18
Zitat von: Bratmaxe am 12. Oktober 2022, 20:05:41
Zitat von: Peiresc am 12. Oktober 2022, 20:02:08Parusieverzögerung.  8)

Da, du fängst ja schon wieder an.  :grins

Wieso ich? Der erste, dem diese Parallele aufgefallen ist, war ... Friedrich Engels (oder genauer, einer der ersten).
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 12. Oktober 2022, 22:07:27
Parusieverzögerung im Zusammenhang mit Marxismus ist richtig gut^^ :D

Erste Regel des Kommunismus: Es KANN nicht sein, was nicht sein DARF! Das versuchen mir immer wieder "Linke" beizubringen, SU, DDR, China, NK, Kuba, alles keine richtigen Sozialisten und schon gar keine Kommunisten, was die sich einbilden, sich so zu nennen... die Sessel-Linken in der durchkapitalisierten BRD wissen es immer besser und ohne Regierungsverantwortung theoretisiert es sich immer noch am besten ;)

Da ich mich aber gern auf theoretisierende Diskussionen einlasse: Warum hats dann in der DDR nicht geklappt? Bürgerliche Gesellschaft gabs hier doch?
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 14. Oktober 2022, 11:05:14
Zitat von: Bratmaxe am 13. Oktober 2022, 23:04:06
Zitat von: Peiresc am 13. Oktober 2022, 22:31:06
Zitat von: Bratmaxe am 13. Oktober 2022, 22:05:30Sehr vereinfacht könnte man sagen, "der Westen" besteht aus zwei Hauptströmungen: Zum einen "pragmatisch" verfolgte, grenzenlose Gier, die die hochgelobten Werte nur noch als Makulatur und zynische Fassade erscheinen lassen.
Das ist doch, so allgemein gesprochen, Unfug, in dem man nur sich selber voller moralischer Überlegenheit sonnen kann. Ein solcher Durchblick ist eimerweise zum Rabatt zu haben. Vor dem Weltändern kommt der Durchblick - warum sind die Verhältnisse wie sie sind? Dafür reicht es nicht, im Kapital zu blättern, denn da stehts nicht drin. Mit ein paar Floskeln hat man da nichts gerissen, die deuten eher auf Faulheit.
:taetschel:

ZitatWenn es (berechtigte) Kritik an Pharmakonzernen wie Novartis etc. gibt, sind dann Medikamente abzulehnen? Wenn es Kritik an der Deutschen Bank gibt, sind dann Kredite Teufelszeug? Wenn es Kritik am VW-Konzern gibt, wirst Du dann Deinen Audi abfackeln? Nein, höchstens den von anderen Leuten.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 23. Dezember 2022, 23:52:43
Zitat von: Max P am 23. Dezember 2022, 20:50:29Ja, nach der Oktoberrevolution hat man den Gemeinsinn und das politische Engagement im Zarenreich schmerzlich vermisst.
Ich vermute, das sollte eine Ironie sein, aber sicher bin ich nicht. Weil wenn es ironisch war, dann wären Bürgerkrieg (von beiden Seiten mit äußerster Härte geführt) und Kriegskommunismus "Gemeinsinn und politisches Engagement".

Zitat von: Max P am 23. Dezember 2022, 20:50:29Nein, Sowjetunion und linke Gesellschaftspolitik waren sich so ähnlich wie die Bergpredigt und ein Autodafé.
Für beide Fälle gilt: was Du für eine Perversion hältst, ist in Wirklichkeit eine Konsequenz.


Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 24. Dezember 2022, 07:32:58
Du hättest bitte auch das Zitat von sailor, auf das ich geantwortet hatte, mit zitieren sollen: #3972 (Krise in der Ukraine)  (https://forum.psiram.com/index.php?topic=17890.msg266078#msg266078). Ja, es war eine ironische Antwort auf sailors Ansicht, das sowjetische Modell sei die Ursache der heutigen politischen Apathie in Russland. Damit hat er einerseits recht, ignoriert aber andererseits, dass Russland noch nie eine Bürgergesellschaft war, schon gar nicht unter dem Zaren. Und wie irgendwo schon gesagt, die russ. Revolution krankte u.a. daran, dass es keine wirklich entwickelte bürgerliche Gesellschaft gab. Es lebten in Russland 1917 mehr Adlige als Industrierarbeiter.
Sowie: #3969 (Krise in der Ukraine)  (https://forum.psiram.com/index.php?topic=17890.msg266072#msg266072).
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 24. Dezember 2022, 12:20:34
Eine schöne ex-post-Analyse. Aus heutiger "Wahrer Linker Perspektive" ist der Bolschewismus genauso bähbäh wie die Sozialdemokratie :D Der Punkt ist, dass keine Nation, die 1917 auch nur annähernd in die Gefahr einer Revolution geriet, eine intakte bürgerliche Gesellschaft hatte, welche die Krise des Feudalismus auffangen konnte. Selbst in D war die Wahrscheinlichkeit einer linken Revolution immer gegeben. Gleichzeitig hat der Sieg der Bolschewiken in der Oktoberrevolution und im Bürgerkrieg das Tor zu einer Verwirklichung der linken Träume aufgestoßen... wobei schon die Realität des Bürgerkrieges für Verwässerungen der reinen Lehre (NEP) gesorgt hat. Spätestens mit Stalin ist die Linke an der Realität gescheitert: Die Bodenreform, eine der Maßnahmen, die den Bolschewiken die Unterstützung der Bauern brachte, wurde durch die Kollektivierung wieder rückgängig gemacht. Die Bevorzugung urbaner Zentren bei der Versorgung mit Gütern führte zusammen mit der Kollektivierung und der Industrialisierung zu massiven Migrationsbewegungen, welche die sozialen Ideen und Konzepte ad absurdum führten. Hier war es vor allem die mangelnde Integration der ruralen Bevölkerung in eine sozialistische Arbeiterklasse, welche die Linke nie vorgesehen hatte. Natürlich war die Arbeiterklasse immer die Speerspitze, aber die war in russland klein. Die Linke hat dabei nie begriffen, dass sie nur ine dünne Schicht war/ist, die sich im Falle russlands subtil und allmählich einer Mehrheit aus ruralen Aufsteigern angepasst hat. Realität ist der größte Feind der Illusion.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 24. Dezember 2022, 13:04:16
Zitat von: Max P am 23. Dezember 2022, 19:22:11Links bedeutet für mich im Kern die Emanzipation des Individuums von vermeidbaren oder reduzierbaren - eben auch ökonmischen - Zwängen bei gleichzeitiger Verantwortung für andere und die Gesellschaft.
Klingt toll, aber was bedeutet das im Einzelnen? BGE? Oder bleibt es da bei wolkigen, zu nichts verpflichtenden Statements?

Zitat von: Max P am 23. Dezember 2022, 19:22:11Das beinhaltet natürlich auch die Frage nach der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel.
Und wie vermeidest Du Stagnation, Entwicklung eines Funktionärsadels etc?
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 26. Dezember 2022, 18:24:41
Zitat von: Peiresc am 24. Dezember 2022, 13:04:16Entwicklung eines Funktionärsadels

Mal ein Beispiel. Es ist zwar aus einer völlig anderen Ecke, aber dafür ist es aktuell. Es soll nicht mutlos machen, aber es soll zeigen: Fortschritt ist kein Gesetz, sondern allenfalls eine Tendenz (Bunge); Geschichte ist offen (Popper). Ernest Gellner (Pflug. Schwert und Buch) hat gezeigt, dass man die Entwicklung der Naturwissenschaften in Europa durchaus auch als Zufall auffassen kann.

ZitatTaliban
,,Wir werden Mädchen auf keinen Fall Bildung ermöglichen und wir werden nicht nachgeben,selbst wenn Atom bei der Umsetzung von Gottes Dekreten gegen uns benutzt wird.Wenn wir Zivilisation,Fortschritt und Gleichberechtigung wollten, hätten wir nicht all die Jahre gekämpft."
https://twitter.com/ArezaoNaiby/status/1607303739479556097
----
Nachrichtensprecher zu #Taliban|Sprecher:
"Ihre Tochter studiert in Doha/Qatar nicht wahr ?"
Taliban-Sprecher:
"Hmmm..ja"
https://twitter.com/Anonymous9775/status/1607051439725068294
(jeweils mit Videoclips).

Ich bin sicher, dass selbst die Steinzeitkommunisten unausweichlich eine Hierarchie hatten; keine Art von Gewaltmaßnahme wird das dauerhaft verhindern. Sie ist Kennzeichnen einer jeden menschlichen Gesellschaft – der Grad der Ideologisierung ist nur proportional zum Grad der Heuchelei und zum Zynismus.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Scipio 2.0 am 26. Dezember 2022, 18:45:44
Zitatder Grad der Ideologisierung ist nur proportional zum Grad der Heuchelei und zum Zynismus.

Ich befürchte das musst du nochmal erläutern.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: HAL9000 am 26. Dezember 2022, 18:57:01
Zitat von: Scipio 2.0 am 26. Dezember 2022, 18:45:44... Ich befürchte das musst du nochmal erläutern.
Ich verstehe das so: Je radikaler eine Ideologie, desto weniger wird sie gerade von den Verkündern befolgt.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Habra am 26. Dezember 2022, 19:08:06
Zitat von: HAL9000 am 26. Dezember 2022, 18:57:01
Zitat von: Scipio 2.0 am 26. Dezember 2022, 18:45:44... Ich befürchte das musst du nochmal erläutern.
Ich verstehe das so: Je radikaler eine Ideologie, desto weniger wird sie gerade von den Verkündern befolgt.

Vielleicht nach George Orwell:

Alle (hier Verkünderideologie einsetzen) sind gleich, manche sind gleicher.

Gilt in jeder Glaubensgemeinschaft.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 26. Dezember 2022, 21:07:10
War doch bei den Taliban 1.0 genauso: Westfernsehen verbieten und selbst die größten Sat-Schüsseln auf dem Dach... oder eben Dosenbier nach Wandlitz liefern lassen^^
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 27. Dezember 2022, 01:09:54
Zitat von: sailor am 24. Dezember 2022, 12:20:34Der Punkt ist, dass keine Nation, die 1917 auch nur annähernd in die Gefahr einer Revolution geriet, eine intakte bürgerliche Gesellschaft hatte, welche die Krise des Feudalismus auffangen konnte.
Ähm, Anfang 20 Jhd. gab es in Europa schon lange keinen Feudalismus mehr, mithin auch keine Krise desselben. 

ZitatSelbst in D war die Wahrscheinlichkeit einer linken Revolution immer gegeben.
Gerade in Deutschland war 1918 eine Revolution zum Greifen nah.

ZitatGleichzeitig hat der Sieg der Bolschewiken in der Oktoberrevolution und im Bürgerkrieg das Tor zu einer Verwirklichung der linken Träume aufgestoßen.
Nein. Es wurde ein Tor linker Träume aufgestoßen, das stimmt, aber in Russland konnten sie eben nicht verwirklicht werden.

ZitatSpätestens mit Stalin ist die Linke an der Realität gescheitert: ...
Vermutlich meinst du, dass Stalin und seine Politik unvermeidlich war, aber das wär natürlich Unsinn.

ZitatHier war es vor allem die mangelnde Integration der ruralen Bevölkerung in eine sozialistische Arbeiterklasse, welche die Linke nie vorgesehen hatte. Natürlich war die Arbeiterklasse immer die Speerspitze, aber die war in russland klein.
Nichts anderes habe ich geschrieben (sofern du auf mich antworten wolltest).
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 27. Dezember 2022, 01:12:06
Zitat von: sailor am 26. Dezember 2022, 21:07:10War doch bei den Taliban 1.0 genauso: Westfernsehen verbieten und selbst die größten Sat-Schüsseln auf dem Dach... oder eben Dosenbier nach Wandlitz liefern lassen^^
Die SED konnt vieles verbieten, West-TV aber nicht.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 27. Dezember 2022, 08:35:19
Zitat von: Max P am 27. Dezember 2022, 01:09:54Ähm, Anfang 20 Jhd. gab es in Europa schon lange keinen Feudalismus mehr, mithin auch keine Krise desselben. 

Das stimmt nicht. Und schon gar nicht in Russland, Deutschland und Österreich. Selbst danach hatten die Herren von und zu deutlich bessere Karrierechancen im Militär und Wirtschaft als das gemeine Fußvolk.

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs hatten Kaiser und deren ergebenen Fürsten das sagen. Und das Bürgertum versuchte ihnen im Habitus, Protz und Prunk nachzueifern. Diese gebildete, reiche aber nichtadelige Oberschicht hatte kein Interesse am Kommunismus, da dieser den eigenen Wohlstand gefährden würde.

Russland hinkte aber mit der industriellen Revolution sehr weit hinterher und war deshalb im Wesentlichen ein Agrarstaat mit einer Bevölkerung, die mental kaum der Leibeigenschaft entwachsen war.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 27. Dezember 2022, 09:13:45
Zitat von: Max P am 27. Dezember 2022, 01:12:06
Zitat von: sailor am 26. Dezember 2022, 21:07:10War doch bei den Taliban 1.0 genauso: Westfernsehen verbieten und selbst die größten Sat-Schüsseln auf dem Dach... oder eben Dosenbier nach Wandlitz liefern lassen^^

Die SED konnt vieles verbieten, West-TV aber nicht.

Dein Vertrauen wäre erschütternd, wenn es nicht um ein solch nebensächliches Thema ginge.  ;)  Zwischen "verboten" und "erlaubt" ist ein Spektrum, mit regionalen und zeitlichen Schattierungen. Auch dies ist eine Facette der Heuchelei.

Nicht jeder kann eigene Erfahrungen mit Diktaturen haben, insofern hat es definitiv einen Fortschritt gegeben. Das entbindet nicht von der Pflicht, sich über Dinge zu informieren, über die man mitreden will. Ich empfehle deshalb eine tiefergehende Lektüre. Leider habe ich da keine Literaturhinweise parat.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Typee am 27. Dezember 2022, 11:29:13
Zitat von: Schwuppdiwupp am 27. Dezember 2022, 08:35:19
Zitat von: Max P am 27. Dezember 2022, 01:09:54Ähm, Anfang 20 Jhd. gab es in Europa schon lange keinen Feudalismus mehr, mithin auch keine Krise desselben. 

Das stimmt nicht. Und schon gar nicht in Russland, Deutschland und Österreich. Selbst danach hatten die Herren von und zu deutlich bessere Karrierechancen im Militär und Wirtschaft als das gemeine Fußvolk.

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs hatten Kaiser und deren ergebenen Fürsten das sagen. Und das Bürgertum versuchte ihnen im Habitus, Protz und Prunk nachzueifern. Diese gebildete, reiche aber nichtadelige Oberschicht hatte kein Interesse am Kommunismus, da dieser den eigenen Wohlstand gefährden würde.

Russland hinkte aber mit der industriellen Revolution sehr weit hinterher und war deshalb im Wesentlichen ein Agrarstaat mit einer Bevölkerung, die mental kaum der Leibeigenschaft entwachsen war.

Das stimmt seinerseits nicht. Es gab wohl Monarchien, aber kein Feudalsystem mehr. Feudalismus beruht auf einem Lehenssystem,  in dem alle Herrschaftsfunktionen von der über den Grundbesitz verfügenden aristokratischen Oberschicht ausgeübt werden. Das lässt sich jedenfalls nicht von Deutschland und Österreich behaupten.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 27. Dezember 2022, 11:42:34
Okay, wenn du sooo pingelig sein möchtest, dann ...

... dann ist trotzdem wurscht. Denn ich gehe mal davon aus, dass es durchaus legitim ist anzunehmen, dass die faktischen Machthaber vor dem 1. WK hierarchisch strukturierte Adelige waren - auch ohne Lehenssystem.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 27. Dezember 2022, 12:24:15
Zitat von: Schwuppdiwupp am 27. Dezember 2022, 08:35:19
Zitat von: Max P am 27. Dezember 2022, 01:09:54Ähm, Anfang 20 Jhd. gab es in Europa schon lange keinen Feudalismus mehr, mithin auch keine Krise desselben. 

Das stimmt nicht. Und schon gar nicht in Russland, Deutschland und Österreich. Selbst danach hatten die Herren von und zu deutlich bessere Karrierechancen im Militär und Wirtschaft als das gemeine Fußvolk.
Ja, es gab den Adel noch als Stand, und er hatte noch seine Besitztümer (die hat er bis heute), aber die herrschende Klasse war er in Europa (zumindest westlich Russlands) schon lange nicht mehr. Es gab keinen Feudalismus mehr, wie Typee richtig geschrieben hat. Somit auch keine "Krise des Feudalismus".

ZitatRussland hinkte aber mit der industriellen Revolution sehr weit hinterher und war deshalb im Wesentlichen ein Agrarstaat mit einer Bevölkerung, die mental kaum der Leibeigenschaft entwachsen war.
Richtig.

---

Zitat von: Peiresc am 27. Dezember 2022, 09:13:45
Zitat von: Max P am 27. Dezember 2022, 01:12:06
Zitat von: sailor am 26. Dezember 2022, 21:07:10War doch bei den Taliban 1.0 genauso: Westfernsehen verbieten und selbst die größten Sat-Schüsseln auf dem Dach... oder eben Dosenbier nach Wandlitz liefern lassen^^
Die SED konnt vieles verbieten, West-TV aber nicht.
Dein Vertrauen wäre erschütternd, wenn es nicht um ein solch nebensächliches Thema ginge.  ;)  Zwischen "verboten" und "erlaubt" ist ein Spektrum, mit regionalen und zeitlichen Schattierungen. Auch dies ist eine Facette der Heuchelei.

Nicht jeder kann eigene Erfahrungen mit Diktaturen haben, insofern hat es definitiv einen Fortschritt gegeben. Das entbindet nicht von der Pflicht, sich über Dinge zu informieren, über die man mitreden will.
Mit der DDR habe ich mich bei Kleinem durchaus befasst und hatte darüber hinaus außer Verwandschaft und einen kommunistischen (aber sehr lieben) Opa in Halle eine Reihe langjähriger (oppositioneller) Freunde in Ostberlin. Von daher erdreiste ich mich, bei diesem Thema etwas mitzureden. Was das Westfernsehen in der DDR anging, hätten seinen Empfang die Machthaber sicher gerne verboten oder verhindert, waren dazu aber praktisch nicht in der Lage.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Nogro am 27. Dezember 2022, 13:28:16
Aus https://de.wikipedia.org/wiki/Westfernsehen :
ZitatAnfang der 1960er Jahre wurde in der ,,Aktion Ochsenkopf" die Bevölkerung aufgefordert, Vorrichtungen in den Fernsehgeräten, die Westempfang ermöglichten, zu entfernen und Antennen, die nach Westen gerichtet waren, zu beseitigen. FDJ-Trupps entfernten mitunter eigenmächtig Antennen von Häuserdächern, vereinzelt kam es zu Rangeleien. Die Aktion war nach der westdeutschen Sendeanlage Ochsenkopf nahe der innerdeutschen Grenze benannt, die gezielt in die DDR sendete.[4] Die Kampagne war von einer großen, staatlich gelenkten Presseberichterstattung und von Denunziationsversuchen seitens der FDJ begleitet. Dennoch scheiterte die Kampagne schon nach wenigen Wochen, weil sich zu viele Bürger in ihren Privatwohnungen der Überwachung entziehen konnten – notfalls durch sogenannte Nachtantennen, die nur zum Fernsehempfang in der Dunkelheit aufgestellt wurden.
Kenne ich auch vom Hohen Meißner (Kanal10?) aus dem Raum Leipzig. Damals wünschte man sich "ein atomwaffenfreies Wochenende und gutes Westbild" (z.T. wieder aktuell)
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Typee am 27. Dezember 2022, 17:07:26
Zitat von: Schwuppdiwupp am 27. Dezember 2022, 11:42:34Okay, wenn du sooo pingelig sein möchtest, dann ...

... dann ist trotzdem wurscht. Denn ich gehe mal davon aus, dass es durchaus legitim ist anzunehmen, dass die faktischen Machthaber vor dem 1. WK hierarchisch strukturierte Adelige waren - auch ohne Lehenssystem.

Das ist nicht pingelig, sondern ein entscheidender Faktor. Jedenfalls in Westeuropa herrschte zu dieser Zeit nicht Vasallentum und Leibeigenschaft, sondern Kapitalismus reinsten Wassers. Der Begriff des "Manchester-Kapitalismus" war zu dieser Zeit bereits geprägt, und er stammte genau aus einer Monarchie mit ausgeprägten Adelsständen als Unterbau, und er, nicht aber Landbesitz bestimmten, wo es langging.

An Marxens Kritik der Arbeitsverhältnisse seiner Zeit war ja vieles richtig, nicht aber an seiner Ignoranz gegenüber der Fähigkeit der politischen Klasse, gegenzusteuern und damit das System auf lange Zeit überlebensfähig zu halten. Der Druck auf den Ballon stieg dadurch eben nicht, er wurde unter der kritischen Schwelle gehalten. Ob es jemals zu einer erfolgreichen (pseudo-) proletarischen Revolution in Russland gekommen wäre, wenn nicht das Chaos der Kriegs- und Bürgerkriegsverhältnisse die Monarchie restlos ausgehöhlt hätte, ist längst nicht ausgemacht.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 27. Dezember 2022, 18:43:20
Ähm mit westfernsehen meinte ich tatsächlich die Taliban, welche das Konsumieren von "Feindsendern" verfolgten... da war meinerseits die Trennung zwischen den Heuchlern/Bigotten/Fanatikern wohl nicht deutlich genug.

Krise des Feudalismus: Typee hat recht, was die reine Lehre angeht... aber auch nicht ganz. Gerade in D und Ö war der Status des Adels auch für Kapitalisten erstrebenswert, auch wenn die "Macht" nicht mehr in Hektar und Scheffel gemessen wurde. Aber auch in D/Preußen waren die "Agrarier", die ostelbischen Gutsadeligen eine Macht, mit der man rechnen musste. Diese führte auch nach dem 1. WK die Rückzugsschlacht des reinen Feudalismus weiter. Was ich mit "Krise des Feudalismus" meinte war die Krise der adelsbasierten Systeme in D/Preußen, ÖU, Russland... und zum Teil auch übertragbar auf die Türkei. Die rein auf ererbten Titeln basierende Verteilung von Entscheiderposten hat den Krieg zu dem Disaster gemacht... und letztendlich die letzten Reste feudaler/adliger Legitimation zerstört. Gleichzeitig gabs bisher nur ein Bürgertum, was dem Adel nachgeeifert hat, das musste sich auch neu finden... glücklicherweise war dieses Bürgertum aber in Mitteleuropa stark genug, um zumindest formal die Revolution zu vereiteln. In russland war die Situation anders, das Bürgertum war deutlich kleiner, überhaupt stand die urbane Arbeitsteilung und Spezialisierung ganz am Anfang... und nicht ohne Grund starteten die Bolschewiken in St. Petersburg... nach der bereits erfolgten Februarrevolution^^ Die wird als Katalysator sehr gern vergessen.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 27. Dezember 2022, 18:53:49
@Sailor: Genau das wollte ich zum Ausdruck bringen.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 27. Dezember 2022, 19:35:47
Zitat von: sailor am 27. Dezember 2022, 18:43:20glücklicherweise war dieses Bürgertum aber in Mitteleuropa stark genug, um zumindest formal die Revolution zu vereiteln.

Informell hat die Revolution stattgefunden? Das verstehe ich nicht.  :gruebel 
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 27. Dezember 2022, 20:59:45
Zitat von: Max P am 27. Dezember 2022, 19:35:47Informell hat die Revolution stattgefunden? Das verstehe ich nicht.  :gruebel 

Das Antonym zu formal ist inhaltlich, dachte ich.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 27. Dezember 2022, 22:56:42
Das Bürgertum in D hat nach dem 1.WK eben keine Revolution zugelassen... gleichzeitig aber auch keinen dauerhaften eigenen Gegenentwurf hinbekommen. Die Sozialdemokratie war eine Möglichkeit, die jedoch zwischen rechts und links zerrieben wurde... Wobei man dort nach links auch immer versuchte, die Arbeiterschaft weiter für sich zu gewinnen (womit das inhaltliche von Peiresc erklärt wäre).

Die Rechten konnten sich auf Fragmente des Adels, des adelsaffinen Kapitals und Bürgertum stützen. Mit der Spielart "Nationalsozialismus" hat auch die Rechte linke Inhalte umgesetzt... und zwar auf Kosten des Kapitals. Es ist nicht alles so einfach, wie es bei der Agitprop-Sitzung im Rotlicht scheint ;)
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 27. Dezember 2022, 23:13:12
@Max P

Bei der Gelegenheit fällt mir dann doch ein Literaturtipp ein: lies mal Sebastian Haffner, "Die verratene Revolution. Die deutsche Revolution 1918/19"
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 28. Dezember 2022, 01:35:57
Zitat von: sailor am 27. Dezember 2022, 22:56:42Mit der Spielart "Nationalsozialismus" hat auch die Rechte linke Inhalte umgesetzt... und zwar auf Kosten des Kapitals. Es ist nicht alles so einfach, wie es bei der Agitprop-Sitzung im Rotlicht scheint ;)

Die Nazis haben nirgendwo linke Inhalte umgesetzt. Dafür wurden sie auch nicht finanziert (https://sfmoma-media-dev.s3.us-west-1.amazonaws.com/www-media/2022/05/18091004/91.139_01_b02-Large-TIFF_4000-pixels-long.jpg). Sie sollten die linken Parteien und Gewerkschaften zerschlagen sowie Streikrecht und Demokratie abschaffen. Das haben sie dann ja auch gründlich getan, wobei die Dinge dem Kapital danach zugegeben etwas entglitten sind. Seine Repräsentanten konnten sich allerdings bruchlos in die Bundesrepublik hinüberretten.
Ach ja, das gute alte Agitpropmaterial lag gar nicht mal so sehr daneben.  8)
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 28. Dezember 2022, 22:28:10
Mieterschutz/Vermietermelken? Einführung/Ausweitung von Arbeitsschutz und Ergonomie am Arbeitsplatz? Urlaubsreisen? Übernahme aller Rentner in die KV? 1. Mai als Feiertag( tuts sehr weh?) :D

Und längst widerlegte Lehrmeinungen braucht auch nicht mehr zu kommen: Seit den 1970ern ist klar, dass das Großkapital keine Rolle bei der Finanzierung der NSDAP spielte... vielmehr war das Kapital abgeschreckt durch die linke Rhetorik und das sehr linke Stimmverhalten der NSDAP in den Ländern... oder auchdurch gemeinsame Aktionen von lechts und rinks wie dem Berliner Straßenbahnerstreik.

Mal ne Lektüre (https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Findustrie_und_Aufstieg_der_NSDAP)
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 29. Dezember 2022, 01:03:35
Zitat von: sailor am 28. Dezember 2022, 22:28:10Mieterschutz/Vermietermelken? Einführung/Ausweitung von Arbeitsschutz und Ergonomie am Arbeitsplatz? Urlaubsreisen? Übernahme aller Rentner in die KV? 1. Mai als Feiertag( tuts sehr weh?) :D
Stimmt, da gab es ja das Amt Schönheit der Arbeit (https://de.wikipedia.org/wiki/Amt_Sch%C3%B6nheit_der_Arbeit) und zum Vorzeigen ein paar KdF-Schiffe. Und die Vermieter wurden auch noch gemolken (was mir nun völlig neu war)! Ich mag mich aber trotzdem nicht dazu durchringen, diese angeblichen Wohltaten "Umsetzung linker Inhalte" zu nennen. 

ZitatUnd längst widerlegte Lehrmeinungen braucht auch nicht mehr zu kommen: Seit den 1970ern ist klar, dass das Großkapital keine Rolle bei der Finanzierung der NSDAP spielte... vielmehr war das Kapital abgeschreckt durch die linke Rhetorik und das sehr linke Stimmverhalten der NSDAP in den Ländern... oder auchdurch gemeinsame Aktionen von lechts und rinks wie dem Berliner Straßenbahnerstreik.
Letzteres war eine einmalige Aktion. Und allerspätestens nach dem "Röhmputsch" wurde endgültig klar, dass etwaige linke Rhetorik der Nazis eben nur Rhetorik war.

ZitatMal ne Lektüre (https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Findustrie_und_Aufstieg_der_NSDAP)
Eben dort steht auch, dass die genauen Finanzquellen der NSDAP aufgrund von "Archivsäuberungen" kaum noch zu rekonstruieren sind. Wie man dann den Schluss ziehen kann, es hätte keine nennenswerte Finanzierung durch interessierte Wirtschaftskreise gegeben, ist mir schleierhaft. Andererseits, angesichts des Drecks, den die nazi- und dann bruchlos bundesdeutschen "Leistungsträger" am Stecken hatten. verwundert es dann wieder auch nicht so sehr...
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 29. Dezember 2022, 12:44:25
In dubio pro reo, ohne Beweise kein Schuldspruch. Gilt auch für Nazis und Kapitalisten^^ Im Übrigen ist dort beschrieben, dass eben nicht alles verschütt gegangen ist... und dass die Großindustrie es lieber mit den rechtskonservativen Parteien trieb als mit den populistischen und sich durchaus sozialistisch gebenden Nazis. Diese Parteien wie die DNVP waren deutlich kapitalfreundlicher als die NSDAP, welche über ihren Antisemitismus auch einen latenten Antikapitalismus mit sich brachte (Juden als gierige Banker/Wucherer). Die Rolle dieser Kreise und ihr ambivalentes Verhältnis zu Hitler (siehe Harzburger Front, mit der man "hitler an die Wand drücken wollte, bis er quietscht") ist gerade ein Gegenbeweis für die These vom Aufbau Hitlers durch das Kapitel.

Die linken Elemente wurden abgesetzt, nachdem Hitler klar wurde, dass er für seine Pläne die Kapitalisten brauchte... und die rechts-konservativen Koalitionspartner nur eine Last waren. Er verfolgte also zwei Ziele: Sicherung der alleinigen Macht und Sicherung der Zusammenarbeit mit der Industrie. Gleichzeitig war seine Innenpolitik für die Industrie attraktiv, weil er die Arbeitnehmerschaft deutlich besser "beruhigte" als alle Regierungen vor ihm, Zuckernbrot und Peitsche, sehr offensichtlich angewendet. Aber Zuckerbrot bleibt Zuckerbrot, egal ob von linken oder rechten Machthabern. Du kannst ja sehr gern auf den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag verzichten, weil er von den Nazis kommt ;)

Noch ein Punkt: Hitler hat im Krieg ständig daran gedacht, die innenpolitischen Fehler des 1. WK nicht zu wiederholen, die Versorgungssicherheit der heimischen Bevölkerung hatte immer oberste Prio... daher kamen die Hungerwinter in D erst nach 45... in "Resteuropa" war jeder winter zwischen 39 und 45 ein Hungerwinter.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 29. Dezember 2022, 13:36:40
Zitat von: sailor am 29. Dezember 2022, 12:44:25Aber Zuckerbrot bleibt Zuckerbrot, egal ob von linken oder rechten Machthabern. Du kannst ja sehr gern auf den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag verzichten, weil er von den Nazis kommt ;)

Es hieß ja dann auch, dass "nicht alles schlecht war unter Hitler!" Außerdem, die Autobahn! Und überhaupt. 8)
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 29. Dezember 2022, 17:55:17
Das sagst du jetzt. Ausserdem fehlt noch "Mutterkreuz!... aber davon abgesehen, es ist ist nicht alles Gold was glänzt im Sozialismus. Man kann die Theorie mittlerweile nicht mehr ohne die Praxis sehen und letztere ist... naja, mehr als nur durchwachsen. Zumal die heftigsten Exzesse dann kamen, wenn die Ideologie besonders stark hervorgehoben wurde (Kulturrevolution in China, (Zwangs-)Kollektivierungen, interne Säuberungen der Kader gegen "Linke"/"Rechte").
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Yadgar am 04. Januar 2023, 20:36:51
Hi(gh)!

Zitat von: Max P am 29. Dezember 2022, 13:36:40Es hieß ja dann auch, dass "nicht alles schlecht war unter Hitler!" Außerdem, die Autobahn! Und überhaupt. 8)

Auschwobahn! Ich hätte große Lust, mal die Autobahn Köln-Frankfurt (erbaut 1934-1943) zu rendern, wie sie unter dem "Tor zum Westerwald" hindurch geradewegs in die Höllenglut der Vernichtungslager führt, flankiert von Spruchbändern wie "Deutscher Wille, deutsche Kraft - die Autobahn, die Fortschritt schafft" und Ähnlichem... um zum hundertsiebenundfünfzigtausendachthundertvierundzwanzigsten Mal zu zeigen, was der Nationalsozialismus für ein wahnsinniger Todeskult war!

Bis bald im Khyberspace!

Yadgar
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 04. Januar 2023, 23:49:12
Zitat von: Yadgar am 04. Januar 2023, 20:36:51"Deutscher Wille, deutsche Kraft - die Autobahn, die Fortschritt schafft"

Zumindest der letzte Teil könnte auch O-Ton FDP sein. Ansonsten haben die Nazis ihre Lager und Gaskammern aber auf der Schiene beschickt. Überhaupt ist die wesentliche Beteiligung der Reichsbahn am Holocaust zwar bekannt, aber nach wie vor nur ungenügend aufgearbeitet.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Yadgar am 05. Januar 2023, 14:04:23
Hi(gh)!

Zitat von: Max P am 04. Januar 2023, 23:49:12
Zitat von: Yadgar am 04. Januar 2023, 20:36:51"Deutscher Wille, deutsche Kraft - die Autobahn, die Fortschritt schafft"

Zumindest der letzte Teil könnte auch O-Ton FDP sein.

Diesen Spruch habe ich mir vor rund 35 Jahren ausgedacht, noch vor meinem Abitur... und ich war seinerzeit geradezu erschrocken vor mir selbst, dass ich einen derart authentischen Nazi-Sound hinbekam!

Zitat von: Max P am 04. Januar 2023, 23:49:12Ansonsten haben die Nazis ihre Lager und Gaskammern aber auf der Schiene beschickt.

Klar, das gehört zur historischen Allgemeinbildung... aber mit "Auschwobahn" wollte ich verdeutlichen, dass, auf jeden Fall in der Endphase ab März 1945, die Vernichtung des deutschen Volkes ebenfalls Hitlers Programm war:

,,Wenn der Krieg verloren geht, wird auch das Volk verloren sein. [...] Es sei nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil sei es besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das Volk hätte sich als das schwächere erwiesen und dem stärkeren Ostvolk gehöre dann ausschliesslich die Zukunft. Was nach dem Kampf übrigbliebe, seien ohnehin nur die Minderwertigen; denn die Guten seien gefallen." (O-Ton Hitler vom 19. März 1945)

Er dachte ja laut Haffner, Anmerkungen zu Hitler, z. B. auch daran, nach der gescheiterten Ardennenoffensive die Bevölkerung des Rheinlandes in Todesmärschen ohne Verpflegung nach Osten zu "evakuieren"...

...und ich habe manchmal den Verdacht, dass A. H. den Zweiten Weltkrieg nie gewinnen wollte, sondern diesen von vornherein als monströsesten erweiterten Selbstmord aller Zeiten geplant hatte, als Rache an der Menschheit für seinen gescheiterten Traum von der Künstlerkarriere!

Gedanken und Gefühle, die ich übrigens durchaus nachvollziehen kann, mir geht es manchmal ähnlich...

Bis bald im Khyberspace!

Yadgar
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 05. Januar 2023, 14:50:04
Zitat von: Yadgar am 05. Januar 2023, 14:04:23...und ich habe manchmal den Verdacht, dass A. H. den Zweiten Weltkrieg nie gewinnen wollte, sondern diesen von vornherein als monströsesten erweiterten Selbstmord aller Zeiten geplant hatte, als Rache an der Menschheit für seinen gescheiterten Traum von der Künstlerkarriere!
Dabei wollte er das Reich doch in "eine Schatzkammer von Kunst und Kultur" (Szene aus "Der Untergang") verwandeln. Immerhin, der Ruinenwert einiger von Speers Bauwerken wurde schon vor Ablauf der veranschlagten 1000 Jahre realisiert.

Erich Fromm attestierte in seiner nach wie vor sehr lesenswerten "Anatomie der menschlichen Destruktivität" u.a. Hitler eine tiefe (nichtsexuelle) Nekrophilie. Im tiefsten Unterbewusstsein habe Hitler, ohnehin fasziniert von Tod und Zerstörung, den Krieg gar nicht gewinnen wollen, sondern die totale Niederlage angestrebt.

ZitatGedanken und Gefühle, die ich übrigens durchaus nachvollziehen kann, mir geht es manchmal ähnlich...
Na ja, sieh's halt so: Die Welt ist deiner nicht wert, nicht einmal, dass du dich mit ihrer Zerstörung plagst...
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 05. Januar 2023, 20:00:45
Zitat von: Max P am 05. Januar 2023, 14:50:04Erich Fromm attestierte in seiner nach wie vor sehr lesenswerten "Anatomie der menschlichen Destruktivität" u.a. Hitler eine tiefe (nichtsexuelle) Nekrophilie. Im tiefsten Unterbewusstsein habe Hitler, ohnehin fasziniert von Tod und Zerstörung, den Krieg gar nicht gewinnen wollen, sondern die totale Niederlage angestrebt.

Der Todestrieb lässt grüßen. Wie ist Fromm denn an das tiefste Unterbewusstsein von Adolf Hitler herangekommen? Irgendwie traue ich es einem Psychoanalytiker nicht zu, dass er irgendwelche dokumentarischen Nachweise für solche Thesen hat - warum auch, und wie sollten die aussehen.

NB. Ihr seit reichlich OT, oder ist es Absicht, Hitler unter "Marxismus" abzuheften?  8)
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 05. Januar 2023, 21:01:36
Zitat von: Peiresc am 05. Januar 2023, 20:00:45Wie ist Fromm denn an das tiefste Unterbewusstsein von Adolf Hitler herangekommen?

https://de.wikipedia.org/wiki/Anatomie_der_menschlichen_Destruktivit%C3%A4t

P.S:
Fromm war übrigens Marxist. Genau so unorthodox wie als Psychoanalytiker, aber ja, er war Marxist. Imsofern ist er gar nicht so offtopic.  ;D
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: kosh am 06. Januar 2023, 15:12:04
Zitat von: Max P am 04. Januar 2023, 23:49:12
Zitat von: Yadgar am 04. Januar 2023, 20:36:51"Deutscher Wille, deutsche Kraft - die Autobahn, die Fortschritt schafft"

Zumindest der letzte Teil könnte auch O-Ton FDP sein. Ansonsten haben die Nazis ihre Lager und Gaskammern aber auf der Schiene beschickt. Überhaupt ist die wesentliche Beteiligung der Reichsbahn am Holocaust zwar bekannt, aber nach wie vor nur ungenügend aufgearbeitet.

Es gab im Verkehrsmuseum in Nbg eine Ausstellung dazu, aber nur kurz: Abgebrannt, wahrscheinlich ein Anschlag, nie aufgeklärt.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 06. Januar 2023, 15:47:39
Zitat von: Max P am 05. Januar 2023, 21:01:36Fromm war übrigens Marxist. Genau so unorthodox wie als Psychoanalytiker, aber ja, er war Marxist. Imsofern ist er gar nicht so offtopic.  ;D

Ja, Marxismus und Psychoanalyse passen schon irgendwie zusammen, nur passen sie eben nicht zur Wirklichkeit oder als Welterklärung. 8)

Ich habe mal eben begonnen, in Fromm zu lesen (aber ich werde wohl nicht durchhalten). Das Hitler-Kapitel geht in meiner Ausgabe (rororo, 1977) auf S. 415 los. Auf S. 444 schreibt er dann:
Zitat,,Der Sieg der Revolutionäre [gemeint: Novemberrevolution] gab Hitlers Zerstörungsdrang die endgültige, unausrottbare Form."

Das kommt aus dem Nichts. Auf allen vorherigen Seiten hat er die Kindheits- und Jugendentwicklung von Hitler skizziert, aber von Zerstörungsdrang war bisher mit keiner Silbe die Rede. Einzig hatte er beiläufig Wutanfälle erwähnt, die Hitler als Kind hatte (was daran spezifisch oder ominös gewesen sein soll, hat er aber für sich behalten). Mir scheint, er zäumt das Pferd von hinten auf.

Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 06. Januar 2023, 18:44:11
Eine Psychoanalyse bei Toten ex post ist irgendwie... komisch. Wenn Hitler destruktiv und von Zerstörungsdrang durchdrungen war, was war dann mit Stalin, Mao und Pol Pot?
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 06. Januar 2023, 18:48:43
Zitat von: sailor am 06. Januar 2023, 18:44:11Eine Psychoanalyse bei Toten ex post ist irgendwie... komisch.
Bei Lebenden auch.  ;)
https://forum.psiram.com/index.php?topic=17774.0
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 06. Januar 2023, 19:18:01
Zitat von: sailor am 06. Januar 2023, 18:44:11Wenn Hitler destruktiv und von Zerstörungsdrang durchdrungen war, was war dann mit Stalin, Mao und Pol Pot?
Mit Stalin und Himmler hat sich Fromm im gleichen Werk auch befasst. Pol Pot war noch nicht aktuell und Mao... Ok, er hat sich nicht mit Mao beschäftigt, das macht seine Hitler-Analyse natürlich völlig zunichte und als Marxist wird er natürlich sowieso mit Mao sympathisiert haben. Ähm,...nein.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 07. Januar 2023, 13:11:09
Ich habe mich gar nicht auf Fromm im Speziellen, sondern auf doktrinäre Diktatoren im allgemeinen bezogen. Denn was diese Menschen gemeinsam haben ist doch klar: Nihilismus gegenüber willkürlich ausgewählten Bevölkerungsgruppen im eigenen Land sowie völlige Missachtung von Menschenrechten.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 07. Januar 2023, 13:37:09
Ja gut, nur hatte Fromm weder im Speziellen noch im Allgemeinen auch nur den leisesten Hauch von Sympathie für doktrinäre oder sonstige Diktatoren. Ganz im Gegenteil. 
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 07. Januar 2023, 21:03:04
Gut, dann kann er kein Kommie gewesen sein ;)
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 07. Januar 2023, 21:14:12
Aber Marxist. Und Psychoanalytiker. Marxistischer Psychanalytiker! Freudomarxistischer Sozialphilosoph! Frankfurter Schule. Im Grunde viel schlimmer als ein unbedarfter Kommie
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 08. Januar 2023, 13:09:47
Also im Grunde jemand, der die inhärenten Probleme des übersimplifizierenden Marxismus hätte erkennen müssen... das ist in meinen Augen ein schlimmeres intellektuelles Versagen als reines "Dran-Glauben!".
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 08. Januar 2023, 15:51:57
Zitat von: sailor am 08. Januar 2023, 13:09:47Also im Grunde jemand, der die inhärenten Probleme des übersimplifizierenden Marxismus hätte erkennen müssen...
Hat er ja auch.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 08. Januar 2023, 17:01:55
Also Ex-Marxist? :D
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 08. Januar 2023, 17:16:04
Zitat von: sailor am 08. Januar 2023, 17:01:55Also Ex-Marxist? :D

Naa. Wie es der Brauch ist mit vielen anderen Ideologien, insbesondere mit dem christlichen Glauben: man lässt sich auf keinen spezifischen Inhalt mehr festnageln, aber man benutzt das Etikett weiter. Der Kern dieser, äh, Weltanschauungen ist opak aber unverzichtbar.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: sailor am 08. Januar 2023, 18:30:10
Ah, verstehe: "Die Theorie ist unfehlbar, die Umsetzungsversuche in der Praxis waren falsch!" :D
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 08. Januar 2023, 18:42:27
(https://i.imgflip.com/3pp1sp.jpg)
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 08. Januar 2023, 22:07:09
Sollte sich jemand beiläufig für Fromm interessieren, ohne sich gleich mit Schriften von ihm belasten zu wollen, hier gibt es ein paar Streiflichter seines Denkens:


Über Marxismus geht es ab Min. 9:27.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 08. Januar 2023, 22:56:08
Zitat von: Max P am 08. Januar 2023, 22:07:09es ein paar Streiflichter seines Denkens

Brr, da schüttelt's einen. Such' Dir eine Kernaussage raus, und ich bin bereit, sie zu diskutieren.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 09. Januar 2023, 07:51:03
Zitat von: Peiresc am 08. Januar 2023, 22:56:08
Zitat von: Max P am 08. Januar 2023, 22:07:09es ein paar Streiflichter seines Denkens

Brr, da schüttelt's einen. Such' Dir eine Kernaussage raus, und ich bin bereit, sie zu diskutieren.

Na gut, wenn Du Dir keine aussuchst, dann such ich mir eine. Fromms Vorstellung von Religion ist nicht von irgendeinem tieferen Verständnis getrübt. ,,Marx ist nicht anders als Maimonides", sagt er, und wenn er Recht hat, dann sollte einen das nicht beruhigen:
ZitatMaimonides bezeichnete die Bestrafung des verabscheuungswürdigen Nazarener Ketzers als eine der größten Leistungen seiner jüdischen Vorfahren, er forderte, den Namen Jesu nur noch in Begleitung eines Fluchs auszusprechen, und verkündete, Jesus werde bestraft, indem er auf alle Ewigkeit in Exkrementen schmore. Was für einen guten Katholiken hätte Maimonides doch abgegeben!

Hitchens, Der Herr ist kein Hirte

Ausführlicher mit der Religionsphilosophie Fromms hat sich Walter Kaufmann befasst. In seiner Critique of Religion and Philosophy widmet er Fromm einen ganzen Abschnitt. Das Buch gibt's auch auf deutsch, aber das habe ich grad nicht parat. Ich lasse es bei einer griffigen Formulierung:
ZitatAt first, many a reader may merely feel that Fromm has cleverly spirited Jesus and the prophets across the border into his own camp — a brilliant feat which assures his victory over Luther, Calvin, and Catholicism, who suddenly find themselves alone with Hitler and Stalin, deserted by their own leaders.

Die Idee, die Fromm von Jesus und vom Urchristentum hat, ist, wie er beide gerne hätte – kindlich naiv –, aber sie würde keine Überprüfung vertragen. Nochmal Kaufmann:
ZitatThe Jesus of all four Gospels stresses obedience and not the development of reason, and he relies on dire threats rather than arguments.
Und vgl. #40 (https://forum.psiram.com/index.php?topic=17848.msg254348#msg254348).

Die Idee, die er von Marx hat, beschränkt sich auf ein paar Phrasen, die sich nicht auf realistische Handlungsempfehlungen herunterbrechen lassen würden. Bezeichnend auch seine Antwort auf die Frage, ob Wissenschaft für irgendwas gut ist. Er stutzt erst, und dann fällt ihm ein, dass sie gut ist als Warner vor dem Untergang, aber sie werde ohnehin nicht gehört.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Typee am 09. Januar 2023, 09:21:56
Zitat von: sailor am 08. Januar 2023, 18:30:10Ah, verstehe: "Die Theorie ist unfehlbar, die Umsetzungsversuche in der Praxis waren falsch!" :D

Gegenüber Hegel ist das schon ein Fortschritt: für stimmte, wenn Theorie und Realität nicht zusammenpassten, an der Realität etwas nicht.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 10. Januar 2023, 11:51:49
Ich habe noch eine abschließende Bemerkung zu Fromm. Sie stammt vom Ende des 17. Jhd.:

ZitatDas sind fraglos gut christliche Gedanken, aber in dem Zustand der Verderbtheit, in dem wir leben, sind es lediglich platonische Ideen.

Pierre Bayle, DHC, Art. Bunel, Anm. [C].
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 10. Januar 2023, 13:46:15
Ein treffender Abschluss, denn er illustriert exakt den nur vermeintlich realistischen Pessimismus und das wohlfeile Prinzip Hoffnungslosigkeit, denen Fromm stets widersprochen hat.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 10. Januar 2023, 20:28:35
Zitat von: Max P am 10. Januar 2023, 13:46:15Ein treffender Abschluss, denn er illustriert exakt den nur vermeintlich realistischen Pessimismus und das wohlfeile Prinzip Hoffnungslosigkeit, denen Fromm stets widersprochen hat.

Es ist eine Hoffnungsfroheit a posteriori. Sie stützt sich einfach darauf, ,,dass es so nicht weitergehen kann", und ihr positiver Gehalt ist definitiv und eingestandenermaßen mythisch - das Gegenteil von Realismus. In logisch gleicher Weise denken die Russen, dass sie den Krieg gewinnen werden, weil Russland nicht untergehen kann. Tertium non datur, ein Drittes gibt es nicht, eine der Grundformeln von Ideologien.

Latour war auch so einer, der sich standhaft geweigert hat, jemals den Nebel um seine Begriffe zu lüften, und da war er stolz drauf. Letzteres ist es, was mir immer unbegreiflich bleiben wird.

Aber um nicht immer nur negativ zu sein, vgl. noch #4000 (https://forum.psiram.com/index.php?topic=8988.msg248736#msg248736).
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Max P am 10. Januar 2023, 21:11:59
Zitat von: Peiresc am 10. Januar 2023, 20:28:35
Zitat von: Max P am 10. Januar 2023, 13:46:15Ein treffender Abschluss, denn er illustriert exakt den nur vermeintlich realistischen Pessimismus und das wohlfeile Prinzip Hoffnungslosigkeit, denen Fromm stets widersprochen hat.

In logisch gleicher Weise denken die Russen, dass sie den Krieg gewinnen werden,

Sorry, aber  :stirn
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 10. Januar 2023, 21:14:16
Zitat von: Max P am 10. Januar 2023, 21:11:59Sorry, aber  :stirn

Wieso :stirn ? Es geht um die Logik, nicht um den Inhalt. Sie denken vom (hypostasierten) Ende her, a posteriori. Oder, schlichter: es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Peiresc am 07. März 2024, 07:30:36
Mal ein scheinbar abgelegenes, historisches Beispiel, wohin antiimperialistische, antiamerikanische oder antizionistische Verbohrtheit führen kann: in den Verrat an den progressiven Idealen und in den kollektiven Selbstmord. Die Rolle der Linken in der iranischen Revolution.

https://www.queermajority.com/essays-all/by-any-means-necessary

Es ist kein geisteswissenschaftlicher Essay, sondern eine konkrete Geschichte.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: Juliette am 07. März 2024, 17:41:08
Danke für den Link, Peiresc. Diese Informationen hatte ich so detailliert noch nicht. Es ist deprimierend.

Es gab auch andere:
https://de.wikipedia.org/wiki/Parviz_Nikkhah

Auch deprimierend.
Titel: Re: Das Licht des Marxismus (war: Re: Krise in der Ukraine)
Beitrag von: eLender am 09. März 2024, 21:59:55
Zitat von: Peiresc am 07. März 2024, 07:30:36Die Rolle der Linken in der iranischen Revolution.
Habe ich erst heute gelesen und muß sagen: das ist zum einen echt heftig (die ganzen Hinrichtungen) und zeigt in der Tat, wohin so eine Verbrüderung führen kann. Es ist so dermaßen dumm von vielen Linken (ggf. Teilmenge "woke"), sich so mit einem anderen Extrem zu solidarisieren. Da steckt viel Selbsthass drin, eine tiefe Ablehnung "westlicher" Werte wie etwa Rationalität und auch universeller Menschenrechte (aka "die Moderne"). Das hat mit "Kapitalismuskritik" eigentlich gar nichts mehr zu tun. Ich bin geneigt zu sagen: das sind alles Querulanten und Spinner, die entweder nur provozieren wollen, oder die einfach nur verblödet sind. Es ist die Illusion, moralisch besser zu sein.