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Deutsch => Unzufrieden mit einem Psiram-Artikel? => Thema gestartet von: psyanthro am 12. Oktober 2021, 14:35:57

Titel: Psychoanalyse
Beitrag von: psyanthro am 12. Oktober 2021, 14:35:57
Liebe Psirams!

Der Psychoanalyse Artikel ist- zugespitzt gesagt- grober Unfug! Der oder die AutorInnen scheinen sich mit dem Thema nur oberflächlich beschäftigt zu haben, da hier teilweise wirklich von grundauf falsche Aussagen getätigt werden und bei anderen Themen NUR eine Argumentationslinie beachtet wird, was bei einer geisteswissenschaftlichen Disziplin sowieso unmöglich ist. Argumente die v.a. von Gegnern und Nicht-Kennern der Psychoanalyse formuliert werden werden hier polemisch aufgefädelt.

Ich habe keine Lust und Zeit mich hier groß damit aufzuhalten und halte mich deswegen nur an die Einleitung- wobei es hier schon viele und gewaltige Falschaussagen zu finden gilt:

Vorneweg- die Psychoanalyse in ihren modernen Zügen ist wird auf sehr vielen (staatlichen) Universitäten neben den statistisch-quantitativ orientierten Stundenpläne, als Erweiterungscurriculum oder Wahlfach angeboten. (z.B. Universität Wien, Universität Klagenfurt.. an mehreren deutschen Unis) und erfreut sich an Privatuniversitäten m Zuge ihres scientific turns zunehmender Belebtheit (Sigmund Freud Uni in Mailand, Paris, Wien und Berlin, International Psychoanalytic University etc)

Warum ist die trotzdem nach wie vor ein Randphänomen im akademischen Betrieb? Sie passt schwer in ein behaviouristisch ausgerichtetes Paradigma in welchem man mit naturwissenschaftlichen Methoden forscht, sondern ist vielmehr eine Geisteswissenschaft. Deswegen findet man ihre Theorien verstärkt in Pädagogik, Soziologie, Philosophie und deren Fakultäten.
Ist sie deswegen unwissenschaftlich? Nein, sie ist nur nicht naturwissenscchaftlich. Um Prof. Frank Matakas (siehe Anhang) zu zitieren: "[...]Erkenntnisse einer psychodynamischen Betrachtungsweise als unwissenschaftlich abzutun, ist nicht korrekt. Sie ist wissenschaftlich, sofern sie sich der LOgik und Empirie bedient. Und sie hat ein Kriterium, mit dessen Hilfe sich entscheiden lässt, ob eine Erkenntnis einen Sachverhalt trifft. Dieses Kriterium ist die Vorhersehbarkeit. Eine Aussage über einen psychichen Sachverhalt ist korrekt, wenn sie Rückschlüsse auf ein zukünftiges Verhalten erlaubt, die öfter als zufällig zutreffen" (vgl. Matakas 2020: S 11)

In dem Psiram Artikel werden nun sehr absolute und leider auch falsche Aussagen getätigt. Die Psychoanalyse sei z.B. historisch-obsolet. Dies trifft auf Teile der konservativ-freudianischen Schule zu. Viele Konzepte und Methoden wie die Mentalisierungsbasierte Psychotherapie, Arbeit mit dem Übertragungsgeschehen, Deutung, Abwehrmechanismen etc etc etc sind nach wie vor sehr aktuell und vielfach auch durch eine experimentelle Psychologie bestätigt worden
Zunehmend wird auch versucht Psychoanalyse durch neurowissenschaftliche Forschung zu untermauern und mit dieser zusammenzubringen: Lesen Sie hierfür das Buch des renommierten Neurowissenschaftlers und Psychoanalytiker Mark Solms "Neuropsychoanalyse"

Zur nächsten gewaltigen Falschaussage: "Selbst fachfremde Personen können ohne nachweisliche Kenntnisse der Psychologie, der Psychopathologie, der Neurowissenschaften oder Medizin Analytiker werden." --> Das ist ebenso falsch. In Deutschland können nur PsychologInnen und MedizinerInnen approbierte PsychoanaltikerInnen werden. Im Zuge einer mehrjährigen intensiven Ausbildung. Im Heilpraktikerwesen gibt es natürlich wie auch für "Verhaltenstherapie" auch tiefenpsychologische "Ausbildungen".

Next: "Deutschland ist das einzige Land der Welt, in dem die Psychoanalyse - im Rahmen einer Psychotherapie - eine Regelleistung der Krankenkassen ist." Ich komme selbst aus Österreich und weiß, dass die Psychoanalyse wie viele andere Verfahren per Kasse abgerechnet werden können. Wie für jedes andere Verfahren gibt es jedoch nicht grenzenlos Plätze. Auch in der Schweiz kann die Psychoanalyse teils per Kasse abgerechnet werden. Wie es sonst aussieht, kann ich aus dem Kopf nicht sagen. Allerdings sei gesagt, dass in vielen Ländern wie den USA Psychotherapie im engeren Sinne sowieso nur privat in Anspruch genommen werden kann und Gruppentherapie, Sozialberatung wie und v.a. Pharmakotherapie groß im Spiel sind. Eine Psychoanalyse dauert viel zu lange ergo kostet zu viel.

!Für die Wirksamkeit gibt es jedoch wie für die Verhaltenstherapie eindeutige und empirische Beweise! Die Effektstärke liegt dabei für die Behandlung von Depressionen zunächst etwas niedriger als bei der VT, allerdings wirkt sie signifikant nachhaltiger!

Ich selbst habe Psychotherapiewissenschaft studiert, bin der Psychoanalyse jedoch nicht treu ergeben. Im Gegenteil, finde ich besonders die alteingesessenen TheoretikerInnen teils sehr verrostet. Dies gilt hier möglicherweise noch mehr als für andere Disziplinen. Jedoch kann man keine Pauschalbehauptung aufstellen à la "die Psychoanalyse ist historisch obsolet". Das ist schlicht und einfach nicht richtig. Bei Interesse an den wissenschaftlichen Annäherungen zwischen "Mainstream" Psychologie und Psychoanalyse googelt gern auch "Entwicklungspsychologie und Psychoanalyse". Viele Theorien der PA speziell die Kindesentwicklung konnten bestätigt werden, viele auch nicht. Aber ist das nicht immer so? Es geht rein um die wissenschaftliche Haltung.

(neuere) Literatur:
Mentalisierungsbasierte Psychotherapie- Prof. Fonagy
Psychodynamik der Schizophrenie- Prof. Frank Matakas
Neuropsychoanalyse- Prof- Mark Solms
etc etc etc


LG
btw sitze ich gerade in einem Cafè in Nähe der Psychoanalytischen Universität Berlin- habe gesehen, dass die Uni sogar über ein EEG verfügt.. es tut sich was auch was die naturwissenschaftliche Ankoppelung betrifft ;)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: celsus am 12. Oktober 2021, 15:38:20
@psyanthro Danke für Kritik und Quellen!

Der Artikel wird schon länger diskutiert und ich muss sagen, als Fachfremden verwirrt es mich.

https://forum.psiram.com/index.php?topic=16945.0
https://forum.psiram.com/index.php?topic=15080.0
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: psyanthro am 12. Oktober 2021, 18:50:21
Danke für den Hinweis, hätte wohl vorher Suchfunktion nützen sollen   ::)

Nun wollte ich noch hinzufügen, dass die im Artikel zitierte Webseite "www.verhaltenswissenschaft.de" die Psychoanalyse aus ihrem experimentell-empirisch geprägten Paradigma aus analyisert. Das wäre ein wenig so wie wenn ein Ethnologe die Biomedizin als pseudowissenschaftlich verurteilt, da diese einen eurozentrischen Standpunkt einnimmt, Gesundheitsparameter (Gewicht, Blutwerte, Enzymwerte etc) an einer im westlichen Raum normierten Vergleichsstichprobe einseitig festmacht und diese dewegen als unwissenschaftlich verurteilt. Da diese ja nicht der in der heutigen Ethnologie diversen Repräsentativität Sorge trägt.

Sie sehen vielleicht, dass die Normen für gute Wissenschaft nicht ohne Vorsicht auf andere Disziplinen übertragen werden können.
Trotzdem möchte ich nochmal auf Falsifizierung à la Karl Popper eingehen und auf ähnliche Argumentationen die im Artikel herangezogen werden, wonach psychoanalytische Erkenntnisse nicht getestet wurden.
Es stimmt, dass es zu der Zeit von Karl Popper, Kuhn u.a. die hier (einseitig und aus dem Kontext gerissen) zitiert wurden, sehr wenige empirische Studien zur Überprüfung der psychoanalytischen Theorien gab. Nun sieht es aber heute- 50 Jahre später- ganz anders aus und die Psychoanalyse sucht sehr wohl Anschluss an die (empirischen) Verhaltenswissenschaften, z.B. Psychologie, Kognitionswissenschaften, Anthropologie etc. Mögen Erkenntnisse aus der Traumdeutung nur schwer falsifizierbar sein, so hat man in Bereichen der Bindungsforschung, Persönlichkeitsstörungen (das ICD-10 dieses Bereichs fußt auf den Annahmen der Psychoanalyse), Selbstpsychologie (eine psychoanalytische Richtung!), Abhängigkeit und Beziehungen vieles gefunden, das sich durch die Experimentalpsychologie bestätigen ließ.
Wer sucht, der findet auch diese Studien, Artikel etc. Mindestens so viele.

Zum Abschluss noch- die Psychiatrie/klinische Psychologie und Psychotherapiewissenschaft ist und bleibt ein besonderes wissenschaftliches Feld, das (wenn gut betrieben), im Spannungsfeld von Medizin/Biowissenschaften, Verhaltenswissenschaft und Geisteswissenschaft angesiedelt ist. Hier lässt sich einiges nicht ohne weiteres falsifizieren. Man denke nur an die Homosexualität, die in der (medizinischen) Psychiatrie und Psychologie bis vor wenigen Jahren als psychische Störung gewertet wurde. Wie will man das experimentell falsifizieren? Ich denke nicht, dass der Neurologe im Gehirn des Homosexuellen "falsch verschaltete" Neuronen fndet (oder nicht findet)- und wenn- dann wären sie ja nur in Kontrast zu einer Normstichprobe "falsch" bzw. unterrepräsentiert vorhanden.
Apropos Homosexualität und Psychoanalyse- Freud hat diese immerhin nie als pathologisch angesehen, sondern im Gegenteil, homoerotische Fantasien als Teil einer jeden sexuellen Entwicklung angesehen. "Normal" als solche war sie in seinem Denkschema trotzdem nicht. [Wichtig ist hier einfach die gesellschaftliche Perspektive und der Blick auf den Leidensdruck bzw. die dahinterstehenden Gründe, wie der Fakt, dass Homsexualität nicht heilbar ist oder sein muss. Ein Themenkomplex zu dem eine psychodynamische Perspektive viel beitragen kann à la was sind das für Kräfte die da unbewusst wirken und beim homosexuellen Patienten einen Schulddruck auslösen, der wiederum z.B. zu psychosomatischen Beschwerden wie Übelkeit führt? Aus welchen Komponenten sind diese Kräfte aufgebaut, wohin wirken sie? (Beeinflussung der exekutiven Ich-Funtionen) Inwiefern hindern sie den Patienten an der Teilhabe an der Gesellschaft? etc etc

LG

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 12. Oktober 2021, 19:41:39
Hi psyanthro,

mein Problem mit der Psychoanalyse ist: es ist aussichtslos einen Artikel verfassen zu wollen, der unstrittig sein wird. Sicherlich sollten nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen aus ihm verschwinden, klar.

Zu deinen Posts hätte ich eine Reihe von Nachfragen, aber ich fürchte mich zu verzetteln, nicht das Wesentliche zu treffen und als krümelkackerisch zu imponieren  8). Außerdem fehlt mir im Moment die Zeit, mich zu Details zu belesen.

Also nur als Streiflicht, Eindruck:
ZitatArbeit mit dem Übertragungsgeschehen, Deutung, Abwehrmechanismen etc etc etc sind nach wie vor sehr aktuell und vielfach auch durch eine experimentelle Psychologie bestätigt worden
Ich hätte gedacht, dafür müssten Konzepte wie Übertragung, Abwehr usw. operationalisiert werden können. Gibt es das? Das wäre für mich ein Gradmesser der Verwissenschaftlichung.

Wenn Du schreibst:
ZitatPsychoanalytischen Universität Berlin- habe gesehen, dass die Uni sogar über ein EEG verfügt.. es tut sich was auch was die naturwissenschaftliche Ankoppelung betrifft
Dann wäre das für mich kein Kennzeichen der Wissenschaft. Das EEG gibt es jetzt seit knapp 100 Jahren, und ich sage mal ganz frech: was man damit machen kann, das ist gemacht worden. Da kommt nix mehr bei rüber, wenn man das mit Psychoanalyse koppelt.

Zitat von: psyanthro am 12. Oktober 2021, 18:50:21
Nun wollte ich noch hinzufügen, dass die im Artikel zitierte Webseite "www.verhaltenswissenschaft.de" die Psychoanalyse aus ihrem experimentell-empirisch geprägten Paradigma aus analyisert. Das wäre ein wenig so wie wenn ein Ethnologe die Biomedizin als pseudowissenschaftlich verurteilt, da diese einen eurozentrischen Standpunkt einnimmt, Gesundheitsparameter (Gewicht, Blutwerte, Enzymwerte etc) an einer im westlichen Raum normierten Vergleichsstichprobe einseitig festmacht und diese dewegen als unwissenschaftlich verurteilt. Da diese ja nicht der in der heutigen Ethnologie diversen Repräsentativität Sorge trägt.
Ich glaube nicht, dass das ein treffender Vergleich ist. Was soll Psychoanalyse sein: eine Welterklärung oder eine therapeutische Methode? Wenn letzteres, dann muss sie sich einer Evaluierung des Therapie-Erfolgs stellen, wenn sie der Solidargemeinschaft auf der Tasche liegen will. Davor hat sie sich im Nebel der Geisteswissenschaft über ihre ersten hundert Jahre gedrückt.
Zitat!Für die Wirksamkeit gibt es jedoch wie für die Verhaltenstherapie eindeutige und empirische Beweise! Die Effektstärke liegt dabei für die Behandlung von Depressionen zunächst etwas niedriger als bei der VT, allerdings wirkt sie signifikant nachhaltiger!
Meinst Du diese eine (in Worten: eine) kontrollierte Studie, die es dazu gibt? [oder sagen wir mal vorsichtiger, die ich dazu kenne  :grins2:]. Hast Du mal recherchiert, wieviele kontrollierte Studien es zu anderen Verfahren gibt?

Zitat von: psyanthro am 12. Oktober 2021, 14:35:57
Ich habe keine Lust und Zeit mich hier groß damit aufzuhalten
Schade.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: psyanthro am 12. Oktober 2021, 20:22:58
ZitatIch hätte gedacht, dafür müssten Konzepte wie Übertragung, Abwehr usw. operationalisiert werden können. Gibt es das? Das wäre für mich ein Gradmesser der Verwissenschaftlichung.


Jain das ist ein Modell, die z.B. der "Übertragung" zugrundeliegenden Faktoren wie affective empathy bzw. Affektübertragung im Allgemeinen können experimentell getestet werden. Ich habe dazu nur eine große Studie im Kopf in der hunderte Psychiater/Psychotherapeuten gefilmt wurden, wie sie verschiedenen Patientengruppen und Kontrollgruppen gegenüber gesessen sind. Man hat die Videos Psychologiestudierenden gezeigt und diese sollten angeben, wann die Psychiaterin/der Psychotherapeut einem depressiven Patienten gegenüber gesessen ist- zu 85% lagen die Studenten richtig, ohne den Patienten gesehen zu haben.
Ich denke vieles wird sich hier mit Studien aus der affective Neuroscience und Kognitionswissenschaft in den nächsten Jahren (auch jetzt schon!) untermauern lassen.

ZitatDann wäre das für mich kein Kennzeichen der Wissenschaft. Das EEG gibt es jetzt seit knapp 100 Jahren, und ich sage mal ganz frech: was man damit machen kann, das ist gemacht worden. Da kommt nix mehr bei rüber, wenn man das mit Psychoanalyse koppelt.

Das sehen Mark Solms (Buch Neuropsychoanalyse) wie der Radio-Neurologe und Psychoanalytiker dem ich gestern gelauscht habe, aber sehr, sehr anders. Lies das Buch, du wirst überrascht sein. Und es gibt auch einige sehr aktuelle Forschungen dazu. Dabei geht es eben viel um Fragen des Selbst, der Ich-Organisation, Persönlichkeit, Abwehr,... all das sind wichtige psychologische Faktoren unseres Lebens, die eben durch EEG Forschung der behaviouristischen Schule nicht oder wenig beforscht wurden. Auch interessant- die Neurodynamik des Traums (Solms)

ZitatIch glaube nicht, dass das ein treffender Vergleich ist. Was soll Psychoanalyse sein: eine Welterklärung oder eine therapeutische Methode? Wenn letzteres, dann muss sie sich einer Evaluierung des Therapie-Erfolgs stellen, wenn sie der Solidargemeinschaft auf der Tasche liegen will. Davor hat sie sich im Nebel der Geisteswissenschaft über ihre ersten hundert Jahre gedrückt.
"im Nebel der Geisteswissenschaft" -> Damit diskreditierst du nun mit einem Schlag die ganze Geisteswissenschaft. Jeder fragt sich immer wo wir ohne die Naturwissenschaft wären, ich frag mich das wenn es um Philosophie und Gesellschaftswissenschaften geht ebenso.
"Welterklärung" macht die Sozial- und Geisteswissenschaft - wenn sie gut ist- sowieso nicht. Sie beschreibt und interpretiert. Dass die Psychoanalyse auch ihre Irrwege gegangen ist und es fundamentalistische Paradigmen gab und gibt- das streite ich nicht ab. Doch gibt es die nicht auch bei der Neurowissenschaft, die da teilweise behauptet der Mensch entbehre jeglichem freien Willen?
Zurück zum Thema- die Psychoanalyse kann heute inbesondere im Felde der Gesellschaftsforschung guten Dienst tun, ihre Erben wie z.B. die Tiefenpsychologische Psychotherapie tun dies aber auch recht effizient und mit guter Evidenz auf therapeutischer Ebene. Auch die Psychoanalyse scheint laut meinem Kenntnisstand auf lange Sicht, also was den nachhaltigen Effekt betrifft, sehr gut abzuschneiden. Am Ende ist es für mich eine Frage der Indikation- einen Angstpatienten würde ich nicht auf die Couch schicken sondern mit CBT bzw. Reizkonrontation therapieren, eine Anorexiepatientin würde ich auf jeden Fall mit Tiefenpsychologischer PT behandeln und diverse Formen der Depression und Persölichkeitsstörung/Narzissmus sind sicher auch in der Psychoanalyse gut aufgehoben.

ZitatFür die Wirksamkeit gibt es jedoch wie für die Verhaltenstherapie eindeutige und empirische Beweise! Die Effektstärke liegt dabei für die Behandlung von Depressionen zunächst etwas niedriger als bei der VT, allerdings wirkt sie signifikant nachhaltiger!

Es gibt auf jeden Fall immer mehr Studien dazu - ja soviel ich weiß laufen gerade auch in D welche, letztes Jahr auf jeden Fall auf der KuJ Psy in Leipzig.



Fazit: Ich sehe hier einen Großteil der (ja vielleicht ontologischen) Differenzen in der Spannung bzw. den unterschiedlichen Ansätzen von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft begründet. Gemeinsam sollten sie auf jeden Fall die Logik und den Willen zur Selbstkritik und Paradigmenschau haben. Dennoch kann man die Maßstäbe der quantitativen Naturwissenschaft nicht einfach auf die Geisteswissenschaft übertragen, wie auch umgekehrt nicht. Ich komme ja ursprünglich aus der Kulturanthropologie- hier sprechen wir zumindest seit der Postmoderne sowieso von keinem ANspruch auf Objektivität, sondern von einer intersubjektiven Wahrheit. Durch die Zusammenschau vieler Stimmen nähert man sich dieser Form der Erkenntnis an, umso diverser desto besser. Dabei können natürlich auch Zellen "Stimmen haben", wobei diese wie halt eh alle, einer Übersetzung bedürfen. Einer Beobachtung durch den fehlbaren Homo Sapiens, gel :)

Wer weiß vielleicht hab ich ja doch nochmal Lust und Laune da biserl ein geisteswissenschaftlich gefärbtes Licht auf die Psiram Seite zu bringen, prinzipiell feiere ich den Haufen ja schon, auch wenn die Artikel schon teilweise recht tendenziös geschrieben sind.

LG
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 12. Oktober 2021, 21:33:19
Also ich kann wieder nur rausgreifen.

ZitatDas sehen Mark Solms (Buch Neuropsychoanalyse) wie der Radio-Neurologe und Psychoanalytiker dem ich gestern gelauscht habe, aber sehr, sehr anders. Lies das Buch, du wirst überrascht sein. Und es gibt auch einige sehr aktuelle Forschungen dazu. Dabei geht es eben viel um Fragen des Selbst, der Ich-Organisation, Persönlichkeit, Abwehr,... all das sind wichtige psychologische Faktoren unseres Lebens, die eben durch EEG Forschung der behaviouristischen Schule nicht oder wenig beforscht wurden. Auch interessant- die Neurodynamik des Traums (Solms)
Das EEG kann die Vigilanz ganz gut abbilden, das Aktivitätsniveau des Gehirns, mit einer exzellenten Zeitauflösung und einer sehr sehr schlechten Raumauflösung. Ein Oberflächen-EEG bildet Potentialschwankungen in der Hirnrinde ab und kann mindestens 1/3 der Hirnrinde nicht erfassen (die Hirnbasis). Indirekte Schlüsse auf subkortikale Prozesse sind nicht unmöglich, müssen sich aber auf ganze Theoriengebäude stützen und werden prinzipbedingt immer mit einer großen Unsicherheit belastet sein (zumindest im physiologischen Fall, um den es hier geht). Was das EEG nicht kann, ist Gedankenlesen. Zu Bewusstseins-Inhalten verhält es sich wie das Klappern der Schreibmaschine zum Text.

Zitat
ZitatIch glaube nicht, dass das ein treffender Vergleich ist. Was soll Psychoanalyse sein: eine Welterklärung oder eine therapeutische Methode? Wenn letzteres, dann muss sie sich einer Evaluierung des Therapie-Erfolgs stellen, wenn sie der Solidargemeinschaft auf der Tasche liegen will. Davor hat sie sich im Nebel der Geisteswissenschaft über ihre ersten hundert Jahre gedrückt.
"im Nebel der Geisteswissenschaft" -> Damit diskreditierst du nun mit einem Schlag die ganze Geisteswissenschaft. [...]
Fahr' mal nicht auf Reizworte ab, sondern geh' auf den Inhalt ein. Die Psychoanalytiker waren sich hundert Jahre zu fein, in die Niederungen der vergleichenden Therapieforschung hinabzusteigen.

ZitatDass die Psychoanalyse auch ihre Irrwege gegangen ist und es fundamentalistische Paradigmen gab und gibt- das streite ich nicht ab. Doch gibt es die nicht auch bei der Neurowissenschaft, die da teilweise behauptet der Mensch entbehre jeglichem freien Willen?

Ich zitiere mal Mark Solms lt. WP:
ZitatDie Psychoanalyse macht mit Sicherheit mehr Annahmen über seelische Vorgänge, als man aus der Verhaltensbeobachtung allein ableiten kann. Schlimmer noch: Sie bietet keinerlei Möglichkeiten, zwischen unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Theorien zu entscheiden. Ihre Methode, die in der Deutung klinischer Symptome besteht, hat mit wissenschaftlicher Hypothesentestung nicht viel gemein. Ich weiß, dass Freud und die meisten seiner Nachfolger genau das Gegenteil behaupteten. Aber sehen Sie sich nur die Vielzahl verschiedener psychoanalytischer Schulen an – da wird einem schnell klar, dass die empirische Forschung hier nur wenig ausrichten kann.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mark_Solms
Das mit dem fehlenden ,,Freien Willen" ist eine neurophysiologisch begründete Hypothese, die inzwischen nach meinem Eindruck verlassen ist. Jedenfalls ist sie einer wissenschaftlichen Diskussion zugänglich.

ZitatAm Ende ist es für mich eine Frage der Indikation- einen Angstpatienten würde ich nicht auf die Couch schicken sondern mit CBT bzw. Reizkonrontation therapieren, eine Anorexiepatientin würde ich auf jeden Fall mit Tiefenpsychologischer PT behandeln und diverse Formen der Depression und Persölichkeitsstörung/Narzissmus sind sicher auch in der Psychoanalyse gut aufgehoben.
Was davon ist empirisch gesichert?

Zitathier sprechen wir zumindest seit der Postmoderne sowieso von keinem ANspruch auf Objektivität, sondern von einer intersubjektiven Wahrheit.
Sie tun mir leid, die Kulturanthropologen. Keine realistische Philosophie wird Diskurstheorien der Wahrheit ernstnehmen. Sagt Dir der Name Alan Sokal was?

PS. Wenn wir uns jetzt noch ein bisschen ineinander verwickeln, sollten wir unsere Zitierkunst kultivieren. Hier ein kleiner Leitfaden:
https://forum.psiram.com/index.php?topic=1831.msg244736#msg244736
:grins2:
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 12. Oktober 2021, 21:48:55
PS. Das wollte ich noch erwähnen, obwohl es ein bisschen schlechter Stil ist, nochmal nachzuhaken:
Zitat von: psyanthro am 12. Oktober 2021, 20:22:58
Jain das ist ein Modell, die z.B. der "Übertragung" zugrundeliegenden Faktoren wie affective empathy bzw. Affektübertragung im Allgemeinen können experimentell getestet werden. Ich habe dazu nur eine große Studie im Kopf in der hunderte Psychiater/Psychotherapeuten gefilmt wurden, wie sie verschiedenen Patientengruppen und Kontrollgruppen gegenüber gesessen sind. Man hat die Videos Psychologiestudierenden gezeigt und diese sollten angeben, wann die Psychiaterin/der Psychotherapeut einem depressiven Patienten gegenüber gesessen ist- zu 85% lagen die Studenten richtig, ohne den Patienten gesehen zu haben.
Von dieser schlichten affektiven Resonanz, die sich sicher auch bei höheren Tieren finden lässt, bis zu dem, was die Analytiker unter ,,Übertragung" verstehen, scheint es nach meinem Eindruck so weit zu sein wie vom Urknall zu Jesus Christus.

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: psyanthro am 13. Oktober 2021, 16:00:21
ZitatDas EEG kann die Vigilanz ganz gut abbilden, das Aktivitätsniveau des Gehirns, mit einer exzellenten Zeitauflösung und einer sehr sehr schlechten Raumauflösung. Ein Oberflächen-EEG bildet Potentialschwankungen in der Hirnrinde ab und kann mindestens 1/3 der Hirnrinde nicht erfassen (die Hirnbasis). Indirekte Schlüsse auf subkortikale Prozesse sind nicht unmöglich, müssen sich aber auf ganze Theoriengebäude stützen und werden prinzipbedingt immer mit einer großen Unsicherheit belastet sein (zumindest im physiologischen Fall, um den es hier geht). Was das EEG nicht kann, ist Gedankenlesen. Zu Bewusstseins-Inhalten verhält es sich wie das Klappern der Schreibmaschine zum Text.

Es geht nicht darum, Bewusstseinsinhalte direkt vom EEG abzulesen. Vielmehr soll anhand von verschiedenen Krankheitsbildern herausgearbeitet werden, inwiefern psychische Instanzen, die von der PA konzeptualisiert wurden, durch einen spezifischen neurologischen Status beeinflusst werden.

Mark Solms hat in dem Buch mit Patienten gearbeitet, die unterschiedliche neurologische Befunde aufweisen, wie eie Broca oder Wernicke Läsion. Es geht z.B. darum zu eruieren, welche Bereiche der Rinde geschädigt sein müssen, dass es beispielsweise zu einem Zusammenbruch des kohärenten Selbst bzw. dem Erleben einer (Dis-)Kontinuität des Selbst kommt. Und letztere Konstrukte können eben nur mit qualitativen Verfahren/Interviews und den Vergleich mit den qualitativen Daten einer Normgruppe bewerkstelligt werden.

Wie Mark Solms meint kann die Psychoanalyse als Verfahren eben psychische Landschaften beschreiben und Dynamiken offenlegen, die eine reine Neurowissenschaft nicht fassen kann, da eine Persönlichkeitsdisposition, ein Abwehrmechanismus oder eine Persönlichkeitsstörung eben nicht durch rein bildgebende Verfahren gefunden werden kann. Es benötigt beide Zugänge.

Solms im Buch Neuropsychoanalyse: über die Natur der Psychoanalyse "[...]dass Freud eine grundlegende Methode aus der Neurologie in die Psychologie übertrug, und zwar die klinisch-deskriptive Methode Charcots die später als Syndromanalyse bekannt wurde, sowie eine grundlegende Konzeption zwischen Gehirn und Geist- nämlich die anti-lokalisationistische oder dynamische Konzeption-, die den psychologischen Methoden der Analyse psychischer Syndrome den Vorrang einräumte, ungeachtet der Frage, ob diese eine organische Ursacche aufwiesen oder nicht. Die Grundlagen dieser Methoden bestimmten den Untersuchungsgegenstand der Psychoanalyse und folglich auch die Art des Wissens, das mit ihrer Hilfe gewonnen werden konnte.
Da wir dieses Wissen mit unseren Kenntnissen über das Gehirn verbinden wollen, haltlen wir für selbstverständlich, Kontakt zu jenem Teilgebiet der Neurowissenschaft zu suchen, das unsere Grundannahmen teilt und aus dem die Psychoanalyse herorgegangen ist- also zur dynamischen Schule der klinischen Verhaltensneurologie, aus der kurz nach Freuds Tod die neue Wissenschaft der dynamischen Neuropsychologie hervorging." (Solms 2000: 32f)


Zum Mark Solms Zitat:
ZitatDie Psychoanalyse macht mit Sicherheit mehr Annahmen über seelische Vorgänge, als man aus der Verhaltensbeobachtung allein ableiten kann. Schlimmer noch: Sie bietet keinerlei Möglichkeiten, zwischen unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Theorien zu entscheiden. Ihre Methode, die in der Deutung klinischer Symptome besteht, hat mit wissenschaftlicher Hypothesentestung nicht viel gemein. Ich weiß, dass Freud und die meisten seiner Nachfolger genau das Gegenteil behaupteten. Aber sehen Sie sich nur die Vielzahl verschiedener psychoanalytischer Schulen an – da wird einem schnell klar, dass die empirische Forschung hier nur wenig ausrichten kann.

Genau deswegen betreibt er ja - wie immer mehr andere- Forschung, um psychodynamische Theorien zu untersuchen und einer Hypothesentestung zugänglich zu machen. Dass hier ein einziges kritisches Zitat herausgegriffen wird, macht auch überhaupt keinen Sinn. Er wird wohl kaum Psychoanalyse betreiben und sich als Psychoanalytiker bezeichnen, wenn er dieser nicht auch was abgewinnen könnte. Er sieht in ihr eben ein geeignetes Werkzeug um auf qualitative Weise und mit Hilfe der Technik der freien Assoziation, Dynamik und Beziehungen zwischen psychischen Instanzen darzustellen. Durch neurowisseschaftliche Verfahren, die an der Herausarbeitung von Funktionssystemen arbeiten und sich von psychologischen Hypothesen leiten lassen, können eben diese Hypothesen und Annahmen über die Psychodynamik auch naturwissenschaftlich getestet werden.

Und trotzdem ist es auch möglich, dass man eben wie in der Kulturanthropologie, allein durch qualitative Verfahren Hypothesen testet. Wie oben mit Matakas zitiert: "Eine Aussage ist wahr, wenn die Rückschlüsse aus zukünftiges Verhalten erlaubt". Dass die Psychoanalyse das im Gegensatz zu Verhaltenswissenschaften zu wenig systematisch und transparent gemacht hat, streite ich nicht ab. Das liegt wohl auch daran, dass Psychoanalytiker eben in erster Linie Heilkundler und man sich mit einer Besserung der Symptomatik zufriedengegeben hatte. Und nochmal Matakas: "So wie wir die Physik Newtons längst hinter uns gelassen haben, ist auch z.B. die Psychoanalyse Freud überholt.


ZitatFahr' mal nicht auf Reizworte ab, sondern geh' auf den Inhalt ein. Die Psychoanalytiker waren sich hundert Jahre zu fein, in die Niederungen der vergleichenden Therapieforschung hinabzusteigen.
Genau- sie waren sich zu fein. Und trotzdem sollte dies in dem Psychoanalyse Artikel genau so gefasst werden, wenn es denn um eine realistische, kritische Darstellung geht. HEUTE sieht es anders aus.

ZitatAm Ende ist es für mich eine Frage der Indikation- einen Angstpatienten würde ich nicht auf die Couch schicken sondern mit CBT bzw. Reizkonrontation therapieren, eine Anorexiepatientin würde ich auf jeden Fall mit Tiefenpsychologischer PT behandeln und diverse Formen der Depression und Persölichkeitsstörung/Narzissmus sind sicher auch in der Psychoanalyse gut aufgehoben.

Was davon ist empirisch gesichert?

Es gibt auch dazu Studien, die du dir bitte selbst raussuchst. Ich habe auf der Uni diverse aktuelle Indikationstudien serviert bekommen, die Folien habe ich nicht mehr. Ich kann dir nur Klinik-Erfahrungen präsentieren: Auf den zwei Kliniken an denen ich Praktika absolviert habe, bekamen Anorexie PatientInnen stets eine TP, mit systemischen Elementen. Dabei sind die meisten Kliniken zwecks Kostenfaktor ja verhaltenstherapeutisch orientiert (Psychoedukation und Anti-Depressions-Programme können super in Gruppen "unterrichtet" werden)- und trotzdem wissen erfahrene Kliniker, dass psychodynamischen Verfahren bei Anorexie PatientInnen super fruchten. Das kommt ja nicht von irgendwo.

ZitatSie tun mir leid, die Kulturanthropologen. Keine realistische Philosophie wird Diskurstheorien der Wahrheit ernstnehmen. Sagt Dir der Name Alan Sokal was?
I know, du meintest du willst beim Inhalt bleiben. Ich finde deine Art mit dir fremden, wissenschaftlichen Ansätzen umzugehen trotzdem ungut. Und ich frage mich, warum du so abwertend agieren musst, wo es doch nur um den Inhalt geht?
V.a. wo eine diskursive Kulturanthropologie ja eh nicht behauptet eine Wahrheit gepachtet zu haben, objektiv etwas erklären zu wollen. Ich habe von der von dir erwähnten Debatte nur am Rande etwas mitbekommen und kann mich dazu nur wiederholen: Jeder Wissenschaft ihre Perspektive, natürlich kann ein Anthropologie die normativen Bio-Parameter der Biomedizin hinterfragen und die "Kultur" der Arzt-Patienten-Kommunikation in westlichen Krankenhäusern transparent machen. Das trifft eben eine andere Ebene als die der Naturwissenschaft. Erstere bleibt in ihrer Argumentationsführung und Beweisführung ihrer Natur nach immer diskursiv, eine stumpfe radikale Ablehnung à la "die tut mir leid" finde ich deshalb umso weniger angebracht.
Man führe sich nur vor Augen, wie ein psychiatrischen Krankenhaus ohne einen Foucault heute noch funktioneren würde.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 13. Oktober 2021, 17:16:58
Ich breche das mal auf mein laienhaftes Verständnis herunter: Solms müht sich, das Über-Ich in bestimmten Arealen der Hirnrinde zu verorten? Es ist mir unbegreiflich, wie man so etwas versuchen kann, ohne sich vorher festzulegen: Das und das ist das Über-Ich, ich erkenne es an den und den Merkmalen und Ausschlusskriterien, die zeitstabil über x d/Wo/Monate vorhanden sein müssen, und es muss von einem sonst nicht an der Studie beteiligten Beobachter diagnostiziert werden. Gibt es in seinen Experimenten eine Null-Hypothese? Bloße Beschreibungen sind keine Experimente. Der unwiderlegbare Standardeinwand wäre immer: das kann so sein, es kann aber auch alles ganz anders sein.

Die Alternative ist die Hermeneutik, welche ein Synonym dafür ist, dass man nachträglich sieht, was man sehen möchte. So etwas kann Hypothesen generieren, aber kein Wissen erzeugen.

Ich glaube auch nicht, dass die Untersuchungsmethoden, die wir zur Verfügung haben, dazu taugen, eine Neuropsychologie der Persönlichkeit zu erfassen. Die Neuropsychologie der einfachen ,,Werkzeugstörungen" ist schon verzweifelt komplex. Vergl. W R Uttal, Mind and Brain. A Critical Appraisal of Cognitive Neuroscience, 2011

Mal ein Beispiel.
Zitat von: psyanthro am 13. Oktober 2021, 16:00:21
Es geht z.B. darum zu eruieren, welche Bereiche der Rinde geschädigt sein müssen, dass es beispielsweise zu einem Zusammenbruch des kohärenten Selbst bzw. dem Erleben einer (Dis-)Kontinuität des Selbst kommt. Und letztere Konstrukte können eben nur mit qualitativen Verfahren/Interviews und den Vergleich mit den qualitativen Daten einer Normgruppe bewerkstelligt werden.
Eine Frage zum Verständnis: Ist ein ,,Zusammenbruch des kohärenten Selbst" infolge Schädigung der Hirnrinde etwas anderes als ein akutes Delir oder eine akute Psychose? Wenn ja, inwiefern, und wie ist es definiert? Wenn ich es nicht klinisch definiert habe, kann ich es dann mittels einer nicht validierten paraklinischen Methode (EEG) definieren?

Zitat von: psyanthro am 13. Oktober 2021, 16:00:21Wie oben mit Matakas zitiert: "Eine Aussage ist wahr, wenn die Rückschlüsse aus zukünftiges Verhalten erlaubt".
Nein, das ist falsch, denn auch falsche Theorien könnten einen heuristischen Wert haben. Ich habe mal einen Vortrag eines Arztes gehört, der in nuce sagte: seine Behandlungsmethode ist erfolgreich, weil seine Patienten nicht wieder aufgetaucht sind (das Beispiel ist nicht erfunden). Andere behandeln Störungen mit guter Spontanprognose und klopfen sich auf die Schulter, dass sie's weggekriegt haben. Mit denen kannst Du auch nicht argumentieren. Gegen solche Fehlschlüsse, die jedem naheliegen, hat man sich abzusichern. Erst dann kann man von Wissenschaft sprechen.

Zitat von: psyanthro am 13. Oktober 2021, 16:00:21Es gibt auch dazu Studien, die du dir bitte selbst raussuchst.
Zitat von: Peiresc am 15. Januar 2019, 20:52:51
:rofl

ZitatEin Mönch behauptet, der Hl. Hieronymus sei in Rom geboren (tatsächlich sagt Hieronymus selbst, er sei in Dalmatien geboren), und Lorenzo Valla fragt ihn, wo er das her habe:
ZitatSeveral affirm it, replied he, but who denies it? Valla laughed at this incongruity, for it is he that affirms, who ought to produce his evidence, and especially when required; and others are not to name those who deny it.

Zitat von: psyanthro am 13. Oktober 2021, 16:00:21trotzdem wissen erfahrene Kliniker, dass psychodynamischen Verfahren bei Anorexie PatientInnen super fruchten.

Die aktuellen S3-Leitlinien lesen sich da irgendwie verhaltener.
ZitatAufgrund der zum Teil sehr niedrigen methodischen Qualität vor allem der älteren Studien wurde eine eigene Meta-Analyse gerechnet, bei welcher Studien von sehr niedriger Qualität ausgeschlossen wurden (Zeeck et al. 2018). Diese ergab keine Überlegenheit eines Verfahrens gegenüber einem anderen (Ergebniskriterium: Gewichtszunahme) [...]

Im Erwachsenenbereich sind vier manualisierte Behandlungsansätze zu nennen, für die eine moderate Evidenz vorliegt und die deutliche Verbesserungen in den relevanten Störungsbereichen (Gewicht, Essstörungspathologie) zeigen konnten (mindestens ein RCT) von methodisch guter Qualität mit ausreichender Fallzahl: Erweiterte Kognitive Verhaltenstherapie (CBT-E), Fokale psychodynamische Psychotherapie (FPT), Maudsley Model of Anorexia Nervosa Treatment for Adults (MANTRA) und Specialist Supportive Clinical Management (SSCM) (siehe auch (Zipfel et al. 2015)), ohne dass bislang die Überlegenheit eines Verfahrens gegenüber einem anderen gezeigt werden konnte (Hay et al. 2015; Zeeck et al. 2018; Zipfel et al. 2015).

[S. 96, S. 97]
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-026.html
(meine Hervorhebung)

Zitat von: psyanthro am 13. Oktober 2021, 16:00:21Man führe sich nur vor Augen, wie ein psychiatrischen Krankenhaus ohne einen Foucault heute noch funktioneren würde.
Unsinn. Foucault hat nicht den blassesten Schimmer von Psychiatrie, jedenfalls nach Wahnsinn und Gesellschaft zu urteilen. Mit den wirklichen Problemen der Psychiatrie (von denen gibt es reichlich) hat er nichts zu tun.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 13. Oktober 2021, 19:14:12
Zitat von: psyanthro am 13. Oktober 2021, 16:00:21Dass hier ein einziges kritisches Zitat herausgegriffen wird, macht auch überhaupt keinen Sinn. Er wird wohl kaum Psychoanalyse betreiben und sich als Psychoanalytiker bezeichnen, wenn er dieser nicht auch was abgewinnen könnte.

Oh, das macht durchaus Sinn. A) bitte noch mal den Originalzusammenhang in meinem Post #5 (https://forum.psiram.com/index.php?topic=17774.msg252358#msg252358) beachten. Es ging darum, dass eine sozusagen inner-psychoanalytische Kritik kaum wissenschaftlich geführt werden kann, in einem gewissen Kontrast zur sonstigen Neuropsychologie, womit das tu-quoque-Argument, der Whataboutism, wegfällt.  B) ist jeder Wissenschaftler frei, in einem Satz etwas Wahres und im nächsten Satz Unsinn zu verkünden – was seine Wahrheit nicht notwendig beschädigt, und C) und vor allem, prinzipiell:
ZitatSätze von Systemen hängen aneinander wie Mitglieder von Verbrecherbanden. Einzeln überwältigt man sie leichter. Man muß sie also voneinander trennen. Man muß sie einzeln der Wirklichkeit gegenüberstellen, damit sie erkannt werden. Alle zusammen hat man vielleicht nur bei einem Verbrechen gesehen, jeden einzelnen aber schon bei verschiedenen. Ein anderes Beispiel: Der Satz »Der Regen fällt von unten nach oben« paßt zu vielen Sätzen (etwa zu dem Satz »Die Frucht kommt vor der Blüte«), aber nicht zum Regen.

Brecht
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 12:28:14
Bevor ich mich nun nochmal in die Detaildiskussionen stürze, inwiefern eine Psychoanalyse noch von EEG Scans profitieren kann, was ein Über-Ich meint und warum es nicht in Zahlen gemessen werden muss und kann etc. würde ich gerne daran erinnern, dass es ursprünglich darum ging, dass die Psychoanalyse laut dem Psiram-Artikel komplett von der Wissenschaft und speziell der (Neuro-)psychologie entkoppelt ist. Ich denke das dürfte auch dir mittlerweile klar sein, dass dem nicht so ist.

Zweitens ging es im Aritkel um die therapeutische Relevanz des Verfahrens. Nun hast du selbst aus den S3 Leitlinien zitiert, die keinem Verfahren eine Überlegenheit zusprechen. Ergo impliziert das outcome dieser Studie, dass psychodynamische Verfahren, wie die Verhaltenstherapie über den Placebo-Effekt hinaus wirksam sind. Es lassen sich dazu auch viele weitere Studien finden, speziell auch was die Nachaltigkeit des Effekts von psychodynamischen Verfahren betrifft.

Ich denke ich muss dich nicht davon überzeugen, dass der Artikel dringend einer Überarbeitung bedarf und die Psychoanalyse bzw. all deren (aktuelle) Schulen und Richtungen nicht zusammen mit Wünschelrutengehen und Aufstellungsarbeit nach Hellinger pauschal als Pseudowissenschaft in der Schublade landen sollten.

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 14. Oktober 2021, 18:25:10
Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 12:28:14
Bevor ich mich nun nochmal in die Detaildiskussionen stürze, inwiefern eine Psychoanalyse noch von EEG Scans profitieren kann, was ein Über-Ich meint und warum es nicht in Zahlen gemessen werden muss und kann etc. würde ich gerne daran erinnern, dass es ursprünglich darum ging, dass die Psychoanalyse laut dem Psiram-Artikel komplett von der Wissenschaft und speziell der (Neuro-)psychologie entkoppelt ist. Ich denke das dürfte auch dir mittlerweile klar sein, dass dem nicht so ist.
Ich verstehe das, was Solms tut, als Versuch, Konzepte der Psychoanalyse zu validieren. Löblich daran ist, dass er immerhin das Problem sieht, wie auch immer man die Erfolgsaussichten beurteilt.

Petr Skrabanek, ein Kritiker der Paramedizin, hat in einem Leserbrief an Lancet, 1984, mal gesagt:
ZitatWhat purpose is served by combining "traditional Oriental methods" with radioimmunoassay? Would you consider publishing a paper studying the effects of traditional western methods (say, prayer) on the composition of body fluids? If not, Sir, why not?
Inzwischen hat sich die Welt weitergedreht, und es sind einige Studien zu den Effekten des Betens erschienen. Beten ist davon nicht wissenschaftlicher geworden.

Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 12:28:14
Zweitens ging es im Aritkel um die therapeutische Relevanz des Verfahrens. Nun hast du selbst aus den S3 Leitlinien zitiert, die keinem Verfahren eine Überlegenheit zusprechen. Ergo impliziert das outcome dieser Studie, dass psychodynamische Verfahren, wie die Verhaltenstherapie über den Placebo-Effekt hinaus wirksam sind. Es lassen sich dazu auch viele weitere Studien finden, speziell auch was die Nachaltigkeit des Effekts von psychodynamischen Verfahren betrifft.

Das Problem ist hier, dass ,,Psychoanalyse" ein Begriff wie ,,Christentum" ist. Es gibt ein heiliges Buch, aber jeder kann alles darunter verstehen, so wie Du jetzt alle psychodynamischen Verfahren eingemeindest. Freud hätte sich im Grabe umgedreht. Ich greife völlig wahllos nach der letzten Nummer des ,,Forums der Psychoanalyse" und finde nach 3 Sekunden:
ZitatWas mag Jesus in seiner Zeit mit seiner Forderung nach einer kindlichen Haltung gemeint haben, und was kann das heute für uns bedeuten? In der Exegese ist es die Frage nach dem ,,Sitz im (jetzigen) Leben". In unserer psychoanalytischen Arbeit gilt es, den Kontext zu beachten und die Technik der Deutung anzuwenden. Ich erinnere daran, dass Sigmund Freud diese Methode übernommen hat von der rabbinisch-talmudischen Textauslegung.
https://link.springer.com/article/10.1007/s00451-020-00413-6

Hier ein Kontrastprogramm:
Zitat,,State  of  the  Art"  der  ambulaten  Behandlung der  Anorexia  nervosa  unter Berücksichtigung  der  ANTOP  Studie
https://www.lups.ch/fileadmin/files/pdfs/Downloads_Referate_WB/2016-04-14_Referat_Zipfel_Stephan.pdf
Die fokale dynamische Psychotherapie ist ein manualisiertes Behandlungsregime (das dürfte doch der Gottseibeiuns der Analyse sein). Folie 22 listet die Inhalte auf. Das klingt durchaus vernünftig. Ich lese da nix von Instanzenmodell, freischwebender Aufmerksamkeit, Abstinenzregel, Deutung, Widerstand, Abwehr und was nicht alles.

Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 12:28:14Ich denke ich muss dich nicht davon überzeugen, dass der Artikel dringend einer Überarbeitung bedarf und die Psychoanalyse bzw. all deren (aktuelle) Schulen und Richtungen nicht zusammen mit Wünschelrutengehen und Aufstellungsarbeit nach Hellinger pauschal als Pseudowissenschaft in der Schublade landen sollten.

Naja, doch, ein bisschen schon.
Harriet Hall rezensiert Frederick Crews: Freud: The Making of an Illusion (2017)
ZitatFreud Was a Fraud: A Triumph of Pseudoscience
https://sciencebasedmedicine.org/freud-was-a-fraud-a-triumph-of-pseudoscience/
Wer mit solchen Geburtsfehlern zur Welt kommt, kann auch nicht mit dem EEG geheilt werden.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57
Du hängst dich halt mit Freud auf, wie der Artikel auch. Newton hätte sich wohl auch ein oder zweimal umgedreht, als seine Konzepte auf den Kopf gestellt wurden, bevor er die Sinnhaftigkeit der neuen Ansätze erkannt hätte. Wir sind eben alle Menschen und deswegen sind auch 50% der Forschung aus der empirischen Psychologie nicht replizierbar. Wie auch- wenn auch hier ein Mensch dazwischengeschaltet ist, der einen Fragebogen ausfüllt. Nur weil der Fragebogen dann per SPSS ausgewertet wird, macht es die Sache noch lange nicht zu einer objektiven Wissenschaft. Der Mensch steckt hinter der Wissenschaft, hab ich gehört.

Und dann noch zusammen mit einer ausgewählten Liste von Studien zu psychodynamischen Therapieverfahren Max Weber als Gute Nacht Zitat: "Wir fühlen, dass selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind." Ich wünsche schöne Träume ;)


Wirksamkeitsstudien psychodynamischer Verfahren — eine Auswahl:
Abbass, A. A., Rabung, S., Leichsenring, F., Refseth, J. S. & Midgley, N.
(2O i 3). Psychodynamic psychotherapy for children and adolescents: a me- ta-analysis of short-term psychodynamic models. J Am Acad  Child  Ado- lesc Psychiatry 2, 8*3-8/3.
Ablon, J. S. & Jones, E. E. (zooh). Validity of controlled clinical trials of psychotherapy: findings from the NIMH Treatment of Depression Col- laborative Research Program. Am J Psychiatry i 39, yy3 -y83.
Benecke, C., Huber, D., Staats, H.,  Zimmermann, J., Henkel, M.,  Deserno,
H., Wiegand-Grefe, S. & Schauenburg, H. (zo i 6). A Comparison of Psychoanalytic Therapy and Cognitive Behavioral Therapy for Anxiety (Panic/Agoraphobia) and Personality Disorders (APD Study): Presenta- tion of the RCT  Study Design. Z Psychosom  Med Psychother  62,  23 2-
° 9-
Beutel, M., Bahrke, U., Fiedler, G., Hautzinger, M., Kallenbach, L., Kauf- hold, J., Keller, W., Negele, A., Ruger, B., Leuzinger-Bohleber, M. & Ernst, M. (2O i 6). LAC-Depressionsstudie: Psychoanalytische und kogni- tiv-verhaltenstherapeutische Langzeittherapien bei chronischer Depressi- on.
Buchheim A, Viviani R, Kessler H, Kachele H, Cierpka M, et al. (zo i z).
Changes in Prefrontal-Limbic Function in Major Depression after i Months of Long-Term Psychotherapy.
PLoS ONE r(3): °33›4 . doi: io. 3›• /journal.pone. °33›4i
Cristea, I. A., Gentili, C., Cotet, C. D., Palomba,  D.,  Barbui,  C.  & Cuijpers, P. (2O i /). Efficacy of Psychotherapies for Borderline Personality Disorder: A Systematic Review and Meta-analysis. JANIA Psychiatry yq,
3 ' 9 3 2
de Maat, S., de Jonghe, F., de Kraker, R., Leichsenring,  F.,  Abbass,  A., Luyten, P., Barber, J. P., Rien, V. &  Dekker, J.  (2O •3)  The  current state  of the empirical evidence for psychoanalysis: a meta-analytic approach.
Harv Rev Psychiatry 2 i, i o/- i 3 /.
de Maat, S., de Jonghe, F., de Kraker, R., Leichsenring,  F.,  Abbass,  A., Luyten, P., Barber, J. P., Rien,  V. &  Dekker, J.  (2O  3)  The  current state  of the empirical evidence for psychoanalysis: a meta-analytic approach.
Harv Rev Psychiatry 2 i, i o/- i 3 /.
Fonagy, P. (zo i 3). The effectiveness of psychodynamic psychotherapies: An update. World Psychiatry i 4, i 3 /- i o.
interpersonal problems and their improvement in depressive and anxious patients treated with psychoanalytic therapy. Bull Menninger Clin /4.
3*3°°
Shedler, J. (2O io). The efficacy of psychodynamic psychotherapy. Am Psy- chol 6y, g*—'°9-
Shedler, J. (2Oi i). Die Wirksamkeit psychodynamischer Therapien. Psycho- therapeut y 6, z6y-zyy.
Smit, Y., Huibers, M. J., loannidis, J. P., van Dyck, R., van Tilburg, W.  & Arntz, A. (nor z). The effectiveness of long-term psychoanalytic psycho- therapy--a meta-analysis  of  randomized  controlled  trials.  Clin  Psychol Rev 3 z, 8 i - 9 z.
Solms, M. (2oi ). The feeling Brain. Karnac Books: London.
Tschuschke, Y., Banninger-Huber, E., Faller, H., Fikentscher, E., Fischer, G., Frohburg, I., Hager, W., Schiffler, A., Lamprecht,  F., Leichsenring, F., Leuzinger-Bohleber, M., Rudolf, G., Kachele, H.  (i 998). Psychother-
apieforschung  - Wie man es (nicht)  machen  sollte. Eine Experten/innen-
Reanalyse von Vergleichsstudien bei Grawe et a1. (i 9gq ). Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, 48, @3 -444
Zimmermann, J., Loftier-Stastka, H., Huber, D., Klug, G., Alhabbo, S., Bock, A. & Benecke, C. (2oi ). Is It All about the Higher Dose? Why Psychoanalytic Therapy Is an Effective Treatment for Major Depression. Clin Psychol Psychother 2 2, 4*9-4 8/.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 15. Oktober 2021, 06:03:53
Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57
Du hängst dich halt mit Freud auf, wie der Artikel auch. Newton hätte sich wohl auch ein oder zweimal umgedreht
Der Vergleich ist abwegig. Kraft ist immer noch Masse mal Beschleunigung, aber Es, Ich und Über-Ich gibt es immer noch nicht.

Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57Wir sind eben alle Menschen und deswegen sind auch 50% der Forschung aus der empirischen Psychologie nicht replizierbar.
Das gilt übrigens auch für fMRI- und EEG-Studien.

Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57Nur weil der Fragebogen dann per SPSS ausgewertet wird, macht es die Sache noch lange zu einer objektiven Wissenschaft.
Völlig korrekt, man denke nur an GIGO. Das heißt nicht, dass Statistik verzichtbar ist. Wenn ich die Titel deiner Literaturliste richtig verstehe, dann wird da auch die eine oder andere drin vorkommen. Mit dem Überprüfen wird es aber schwierig, weil sie unbrauchbar gescannt ist. Wie sag ich es freundlich: Es besteht Grund zu der Annahme, dass Du die Arbeiten selber nicht gelesen hast, die Du hier mit Schwung auf den Tisch knallst.

Lange Titellisten beeindrucken mich kein bisschen, so was sehe ich öfter mal. Wenn ich dann versuche mich einzulesen, stellt sich häufig heraus, dass es sich um heiße Luft handelt (ich könnte dazu ins Detail gehen, aber das würde OT sein). Aber auch im seriösen Fall bieten sie eine Gefahr. Ich bin in der Lage, mir irgendeine halbseidene Arbeit heraus zu suchen (so was gibt es immer, das ist schon aus statistischen Gründen so ;) ) und auseinander zu nehmen.

Interessant wäre eine Rezension des Buches von Crews aus einer psychoanalytischen Zeitschrift.

Aber versuchen wir einfach mal, weiter zu kommen. Konzentrieren wir uns auf den Artikel. So richtig objektiv ist er nicht (er stellt zum Beispiel gelegentlich Anforderungen, die auch andere Therapierichtungen nicht erfüllen, und dieses oder jenes Detail ist fragwürdig). Aber wie ich eingangs sagte, das ist wie mit einer Geschichte der Jesuiten, da ist auch keine unparteiische Darstellung möglich. Wenn ich mir ansehe, wie Du mit meinen Einwänden umgehst, dann wirst Du in einer ruhigen Minute einräumen müssen, dass auch Du nicht unparteiisch bist.

Vielleicht sollte es einen Absatz geben, dass es inzwischen seriöse Therapieforschung psychodynamischer Therapie-Ansätze gibt, die mit orthodoxer Psychoanalyse nicht viel mehr als den Namen gemein haben; aber sie haben mit einem Malus zu kämpfen.

Wie jede Wissenschaft könnte sich ev. auch unser Wiki-Artikel weiterentwickeln, nichts spricht dagegen. Mach einen Textvorschlag zur Wirksamkeit psychodynamischer Kurztherapien, der den Umfang von, sagen wir, diesem Abschnitt
https://www.psiram.com/de/index.php/Psychoanalyse#Wirksamkeit
nicht übersteigt, und wir diskutieren ihn.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 15. Oktober 2021, 06:57:03
Nehmen wir mal ein Beispiel:
Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57
Wirksamkeitsstudien psychodynamischer Verfahren — eine Auswahl:
[...]
Solms, M. (2oi ). The feeling Brain. Karnac Books: London.
Es handelt sich wahrscheinlich um Mark Solms: The Feeling Brain. Selected Papers on Neuropsychoanalysis, Karnac Books London 2015. Das ist eine Aufsatzsammlung. Kein einziger Titel der 11 dort versammelten Texte lässt darauf schließen, dass er sich irgendwie mit ,,Wirksamkeitsstudien psychodynamischer Verfahren" beschäftigt, und im Stichwortverzeichnis kommen Items wie Efficacy, randomized, Therapy nicht vor. Nenne mir doch mal die Stelle daraus, die mit diesem Thema zu tun hat.

Und noch:
Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57Max Weber als Gute Nacht Zitat: "Wir fühlen, dass selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind." Ich wünsche schöne Träume ;)
Das ist nicht von Weber, sondern von Wittgenstein (Tractatus Logico-Philosophicus 6.52). Das ist ein Mann, der ,,die Philosophie zu einem esoterischen und für das übrige Denken und die Gesellschaft folgenlosen Unternehmen macht." (Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft)
8)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 15. Oktober 2021, 14:14:28
Das Virus - was macht das mit uns?
ZitatDas Virus – aktuell das Coronavirus – lässt sich psychoanalytisch als Metapher für Fremdheit, Vertrautheit und Unheimlichkeit lesen und erinnert das Subjekt an die Begrenzungen des körperlich Kontrollierbaren. Das Coronavirus und damit die ,,coronavirus disease 2019" (COVID-19) fordern die Psychoanalyse heraus, sich mit der unbewussten, verdrängten Dynamik des Virus und vor allem mit der Virusmetapher zu beschäftigen. Das Virus ist ein komplexes begriffliches Gefüge, dessen Wirkung weit über den biologischen Erreger hinausgeht. Epidemische Krankheiten sind schon immer ein Bild für gesellschaftliche Unordnung und werden auch als Erklärung für deren Erscheinen genutzt: die Ödipus-Sage und die Pest über Theben sind prominente historische Beispiele und verweisen auf eine transgenerationale familiäre (sexuelle) Unordnung. Das Virus wird als eindringendes Element in die eigene unbekannte Zelle, den Einzelkörper und den kollektiven Körper verstanden; es ist das bedrohlich Fremde schlechthin und gleichzeitig Synonym für höchste Flexibilität. Dieses spezifische Eindringen in den eigenen Körper evoziert eine archaische Angst mit den frühen Abwehrmechanismen der Spaltung zwischen Verleugnung, Introjektion und Projektion, jedoch auch Immunität. Wenn heute von einem Virus gesprochen wird, meinen wir vor allem stets das eine: einen Eindringling, der von einem Organismus, einem Körper Besitz ergreift, um dort eine symbiotische Beziehung mit dem Wirt einzugehen. Eine Analogie zur Besetzung des Ich mit Über-Ich- oder Es-Anteilen. Aktuell werden wir Zeuge, wie diese Auswirkungen des Coronavirus das Subjekt psychisch beeinflussen: Verleugnung, Spaltung, paranoische Verschwörungstheorien, freiwillige schizoide Isolation und die Mundschutzdebatte.
https://link.springer.com/article/10.1007/s00451-020-00400-x

Vielleicht ist es nicht völlig fair, Zitate wie dieses einzusammeln; aber sie liegen einfach zu zahlreich herum, als dass ich widerstehen könnte. Ups.
Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass derartige Texte keine Ausrutscher sind, sondern zum Kern der Methode gehören. Jedenfalls kann ich ein Fachgebiet, das solchem Denken eine Heimat ist, nicht ernst nehmen.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Sauropode am 15. Oktober 2021, 16:37:15
Der größte Teil des Textes liest sich für mich reichlich verschwurbelt, außer der letzte Satz. Der ist eine Banalität.

Anfang der 90er, als sich wendebedingt meine Lebenspläne in ein Nichts auflösten und angesichts der damaligen Arbeitsmarktsituation auch keine wirklichen Alternativen sichtbar waren, bin ich in so eine Therapie geraten. Da wurde allerhand in mich hineininterpretiert, was eigentlich an meinem später diagnostiziertem ADHS lag und nicht an meinen ,,bösen" Eltern. Wenn ich die ,,Erkenntnisse" des Therapeuten verneinte, war das Abwehr. Wenn ich zustimmte, war das natürlich eine Einlassung. Abwehr war ja nur eine Bestätigung, dass der Therapeut richtig lag. Man kam also aus der Nummer nie raus. Ich fühlte mich dabei so richtig blöd und verarscht. Nach einem halben Jahr hab ich den ganzen Blödsinn sein lassen, da es mich nur noch unglücklicher gemacht hat.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 15. Oktober 2021, 17:13:21
Zitat von: Sauropode am 15. Oktober 2021, 16:37:15
Der größte Teil des Textes liest sich für mich reichlich verschwurbelt
Besonders beeindruckt bin ich von der "symbiontischen Beziehung" die das Virus mit dem Wirt eingehe.

ZitatDa wurde allerhand in mich hineininterpretiert
Der Oberguru der Analytiker in der DDR (sie durften sich lange nicht so nennen, weil Analyse bürgerlich-dekadent und gegen Pavlov war, also der Psychodynamiker) war Hans-Joachim Maaz. Er hat so was ähnliches wie einen Kult um sich aufgebaut. Zu Wendezeiten ist er groß rausgekommen mit seiner verqueren Gesellschaftsanalyse (,,Gefühlsstau"). Später ist er zum PEGIDA-Versteher geworden. Er nimmt es sich nicht übel, bei KenFM aufzutreten (https://apolut.net/hans-joachim-maaz/)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Sauropode am 15. Oktober 2021, 17:59:19
ZitatBesonders beeindruckt bin ich von der "symbiontischen Beziehung" die das Virus mit dem Wirt eingehe.

Parasit klingt ja auch zu unvorteilhaft.

Maaz, Maaz habe ich schon mal gehört, da ich aber konsequent hedonistisch lebe, hatte ich ihn nicht weiter auf dem Schirm.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 15. Oktober 2021, 20:08:04
Zitat von: Sauropode am 15. Oktober 2021, 16:37:15Wenn ich die ,,Erkenntnisse" des Therapeuten verneinte, war das Abwehr. Wenn ich zustimmte, war das natürlich eine Einlassung. Abwehr war ja nur eine Bestätigung, dass der Therapeut richtig lag. Man kam also aus der Nummer nie raus. Ich fühlte mich dabei so richtig blöd und verarscht.

Das ist das Grundproblem der Analyse; das, was Popper gemeint hat mit der Nicht-Falsifizierbarkeit. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Die einen werden sauer, die anderen psychisch abhängig; je nach Naturell. Die Dritten wieder werden richtig sauer. Der Klassiker dazu ist Karl Kraus:
ZitatDie Psychoanalytiker, der Auswurf selbst dieser Menschheit, ein Beruf, in dessen Namen schon die Psyche mit dem Anus verbündet erscheint, sind in Gruppen geteilt, die jede zur Vertretung ihrer Sonderart, Gott zu lästern, die Natur zu schänden und die Kunst zu erklären, ihre eigene Zeitschrift unterhält. Das ›Zentralblatt für Psychoanalyse‹ und sonstigen Unfug brachte nun im 12. Heft des in. Jahrgangs auf anderthalb Seiten einen unbefugten Nachdruck von Aphorismen aus der Fackel [...]

Karl Kraus, Unbefugte Psychologie, Die Fackel, Nr. 387/88, XV. Jahr Wien, 17. November 1913.
Irgendwo hatte ich mal gelesen, womit ihm die Analytiker derart auf den Schlips getreten waren, aber ich habe die Einzelheiten wieder vergessen. Die frühen Analytiker haben sich als die Erleuchteten gefühlt, erhaben über den kläglichen, in seinen Komplexen eingesperrten Rest der Menschheit, und entsprechend fernanalysiert. Ich denke (ohne dass ich es beweisen kann), noch die spätere Ablehnung jeglicher Evaluierung ihrer Ansprüche hat ein bisschen mit dieser Haltung zu tun.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Bachblüte am 15. Oktober 2021, 20:32:45
Zitat von: Peiresc am 15. Oktober 2021, 20:08:04
Der Klassiker dazu ist Karl Kraus: [...] Irgendwo hatte ich mal gelesen, womit ihm die Analytiker derart auf den Schlips getreten waren, aber ich habe die Einzelheiten wieder vergessen.

Hier vielleicht?

https://augustin.or.at/kraus-und-die-psychowissenschaften/ (https://augustin.or.at/kraus-und-die-psychowissenschaften/)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Daggi am 15. Oktober 2021, 20:50:01
Maaz, Maaz habe ich schon mal gehört, da ich aber konsequent hedonistisch lebe, hatte ich ihn nicht weiter auf dem Schirm.

taucht ganz klein nebenbei irgendwo auch im Psiram-Wiki auf. Moment...

Hoppla. Er taucht gleich mehrmals auf.

1. Für die Wissensmanufaktur von Andreas Popp interviewte ihn mal Eva Herman. : "Renommierter Psychiater bestätigt: Deutsche Spitzenpolitiker psychisch gestört" mit Eva Herman und Psychiater Hans-Joachim Maaz.   
https://www.psiram.com/de/index.php/Wissensmanufaktur

https://www.psiram.com/de/index.php/Eva_Herman

2. Er ist Mitglied im  Redaktionsbeirat (mit einem Durchschnittsalter von 66 Jahren) von Rubikon News   https://www.psiram.com/de/index.php/Rubikon_News

3. Interviewpartner von Hagen Grell    https://www.psiram.com/de/index.php/Hagen_Grell

4. Mitglied im Beirat von Stiftung Corona-Ausschuss    https://www.psiram.com/de/index.php/Stiftung_Corona-Ausschuss

5. Interviewpartner von Gunnar Kaiser   https://www.psiram.com/de/index.php/Gunnar_Kaiser
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 15. Oktober 2021, 20:50:16
Zitat von: Bachblüte am 15. Oktober 2021, 20:32:45
https://augustin.or.at/kraus-und-die-psychowissenschaften/ (https://augustin.or.at/kraus-und-die-psychowissenschaften/)
Man sieht jedenfalls, dass sie immer noch an ihrem Kraus-Komplex leiden.  ;D
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Typee am 15. Oktober 2021, 21:09:09
Zitat von: Peiresc am 15. Oktober 2021, 20:08:04
Die frühen Analytiker haben sich als die Erleuchteten gefühlt, erhaben über den kläglichen, in seinen Komplexen eingesperrten Rest der Menschheit, und entsprechend fernanalysiert.

Und das waren nur die Freudianer. Von den Jungianern wollen wir erst gar nicht reden, und da wo's richtig finster wird, lauern immer noch die Reichianer. Die Hegelianer schadeten wenigstens nur untereinander.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 17. Oktober 2021, 21:19:09
Ich will das noch etwas abrunden.
Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 12:28:14was ein Über-Ich meint und warum es nicht in Zahlen gemessen werden muss und kann etc.
Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57Wir sind eben alle Menschen und deswegen sind auch 50% der Forschung aus der empirischen Psychologie nicht replizierbar. Wie auch- wenn auch hier ein Mensch dazwischengeschaltet ist, der einen Fragebogen ausfüllt. Nur weil der Fragebogen dann per SPSS ausgewertet wird, macht es die Sache noch lange nicht zu einer objektiven Wissenschaft. Der Mensch steckt hinter der Wissenschaft, hab ich gehört.
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen. Diese Abneigung, die letztlich nichts als Ausdruck von Faulheit und Undiszipliniertheit im Denken ist, die den angenehmen Effekt hat, dass man nicht widerlegbar ist, und die die Überheblichkeit gegenüber den fantasielosen Rechenknechten speist, ist der Psychoanalyse immanent, aber sie ist älter als letztere. Der erwähnte Frederick Crews (Freud: The Making of an Illusion, 2017) schildert die neurologischen Forschungen Freuds vor der Erfindung der Psychoanalyse:
ZitatFreud had to work around handicaps that were unusual in a medical scientist. Numbers and equations left him cold, and he often got details wrong or contradicted himself about them in the course of a paper. "To be tied down to exactitude and precise measurement," Ernest Jones observed, "was not in his nature." [6] As Freud himself would tell his close friend Wilhelm Fliess, "You know that I lack any mathematical talent whatsoever and have no memory for numbers and measurements." [7] Thus he felt compelled to exclude statistics from almost all of his technical as well as his anecdotal writings.

The near absence of charts and tables from Freud's scientific papers might be regarded as a peripheral matter if it weren't symptomatic of a basic weakness of temperament: a lazy reluctance to collect sufficient evidence to ensure that a given finding wasn't an anomaly or an artifact of careless procedures. This flaw could go unnoticed so long as Freud was microscopically analyzing dead tissues, any one of which could stand for countless identical others. For the purpose of establishing laws in most fields, though, large samples are indispensable. As a psychologist, Freud would consistently ignore that requirement. Instead, he would rest comprehensive generalizations on untested insights from a few cases or even from just one, his own.

Wie gesagt, ich fände interessant zu erfahren, was denn die Analytiker zu Crews sagen. Ich habe nur einen einzigen Autoren gefunden, der sich überhaupt traut: Eli Zaretsky. Hier bespricht er frühere Texte Crews:
ZitatFreuds Rufmörder im Zeitalter der Entidealisierung
Freud's hatchet man in an age of deidealization. By: Zaretsky, Eli. In Psyche. 1999 53(4): 373-391;

[...] Des Weiteren wird die Auffassung dargelegt, dass Crews durch seinen Angriff auf die Autorität Freuds und durch die Geringschätzigkeit, mit der dieser Angriff geführt wird, Freuds Autorität für sich selbst in Anspruch nehmen will. [...]
Vatermord, Ödipus und so weiter. Er will nur Kalif werden anstelle des Kalifen. Andernorts (Political Freud. A History, 2015) spricht Zaretsky von den ,,shockingly false claims of refutation advanced by ahistorical and unphilosophical gatekeepers like Frederick Crews". Irgendwie ins Detail zu gehen ist nicht nötig. Das ist in etwa das, was man früher Odium theologicum (Hass der Theologen) genannt hat.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Typee am 17. Oktober 2021, 23:47:32
Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57
Wir sind eben alle Menschen und deswegen sind auch 50% der Forschung aus der empirischen Psychologie nicht replizierbar.

Ja, das trifft's ganz gut. Die Frage ist nur, wie man damit praktisch umgeht.  Die richtige Konsequenz ist: mit den restlichen 50 % weiterarbeiten. Die falsche Konsequenz ist: Replizierbarkeitskriterien zu diffamieren, damit sie die schönen Wörter nicht beschädigen.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Typee am 18. Oktober 2021, 07:48:07
ZitatWir sind eben alle Menschen und deswegen sind auch 50% der Forschung aus der empirischen Psychologie nicht replizierbar.

Übrigens fällt mir gerade auf, woher ich so einen ähnlichen Einwand schon kenne: es klingt wie die Stänkerei der Homöopathen gegen den Standard der randomisierten Doppelverblindung.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 25. Oktober 2021, 19:43:28
Ich habe das Buch von Frederick Crews inzwischen gelesen. Es ist erschütternd.

Freud hat seine ,,Erkenntnisse" nicht aus wissenschaftlicher Arbeit, er hat sie auch nicht aus dem Kontakt mit Patienten. Seine Fallgeschichten sind getürkt oder gleich ganz gefälscht, das ist im Einzelnen an vielen Beispielen rekonstruiert worden. Wo keine externen Berichte vorliegen, sind sie inkonsistent.
ZitatA reader would need the faith of Bernadette in order to believe that Freud is quoting his informant here.
Er hasste seine Patienten: ,,Den Hals umdrehen könnte ich ihnen allen" (hat er Binswanger gesagt)  – deren Existenzberechtigung war, dass sie stinkreich waren.

Seine ,,Theorie" ist nicht aus Patientenberichten gefiltert (wie auch, so beknackt wie sie in jeder Fassung gewesen ist), sondern sie ist ihm in einer Wesensschau ("Selbstanalyse") zugeflogen. Das peinlichste Dokument dazu ist der "Entwurf einer Psychologie" (hier (https://www.freud-edition.net/werke/entwurf-einer-psychologie-teil-1-2/handschrift)), komplett empiriefrei, wie ein Spielgeld-Banksystem. Auf deutsch: Kerninhalte der psychoanalytischen Lehre entstammen einem bekoksten Fantastenhirn. Das kann man anhand der Korrespondenz mit Wilhelm Fliess nachweisen, die zeitgleich mit den ersten psychoanalytischen Schriften entstanden ist, und die bis in die 1980er Jahre nur in einer verfälschten, verkürzten Ausgabe zu haben war (der inner circle der Analytiker hatte da seinen Daumen drauf, ein Extra-Krimi).

Auch menschlich hatte er sich entwickelt: von einem halbwegs erträglichen, nicht weiter bemerkenswerten Armleuchter zu einem selbstvergottenden Jämmerling von Weltformat. Er hatte, und das ist kein Witz, ein Geheimes Komitee (Ferenczi, Abraham, Jones, Sachs, Rank, in gering wechselnder Besetzung) von mediokren Gestalten:
ZitatThe little team, with its special gold rings for members and its oath of unswerving loyalty to Freud's dogma, operated, with interruptions, from 1913 until 1936, but its existence remained hidden until 1944.
Ihre Aufgabe war es, Dissidenten anzuschwärzen und möglichst auszubooten. Die Richtung wurde von der Paranoia des Chefs vorgegeben, wenn der nicht gerade, Kehrseite der Medaille, in Telepathie zu tun hatte. Mit Mühe konnte ihn Vizepräsident Pence ups, Ernest Jones davon abhalten, entsprechende ,,wissenschaftliche" Texte zu veröffentlichen.

All dies ist lückenlos belegt, jedenfalls nach meinem vorläufigen Eindruck.

Zitat von: psyanthro am 14. Oktober 2021, 23:39:57Du hängst dich halt mit Freud auf, wie der Artikel auch.
Psychoanalyse ohne Freud ist wie Marxismus ohne Marx. Prüf' einfach mal nach, wie oft der Name Freud in den modernen, das heißt revisionistischen, Büchern eines Mark Solms so vorkommt.

Das hier liest man aktuell beim Ausbildungsinstitut der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung in NRW:
ZitatDie Psychoanalyse verfügt über eine besondere eigene Untersuchungsmethode, eine differenzierte Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie (Metapsychologie), eine daraus abgeleitete umfassende Krankheitslehre und schließlich eine Behandlungsmethode, die in den verschiedenen Formen psychoanalytischer Psychotherapie ihre Anwendung findet.
https://psychoanalyse.koeln/was-ist-psychoanalyse/
Und das hat Sigmund Freud dazu gesagt:
ZitatWhen Joseph Wortis, for example, reminded him in 1934 that biologists then rejected the Lamarckism whereby memories can be passed down the generations through the germ plasm, Freud replied, "But we can't bother with the biologists. We have our own science." [66]

66  Wortis 1954, p. 84. [Wortis  Joseph. 1954. Fragments  of  an  Analysis  with  Freud.  New  York:  Simon  and Schuster.]

Aber das letzte Wort sollten wir nicht Freud, sondern Crews überlassen:
ZitatOnce  various  schools  of  psychoanalysis—Sullivanian,  Horneyan,  Eriksonian,  Kohutian,  Winnicottian—began chafing  against  Freud's  reductive  negativity  and  seeking  a reconciliation with social psychology, each of them found lessons to be drawn from the extraordinary maturation and flowering of Bertha Pappenheim.  In  none  of  those  schools,  however,  has  the  most obvious  and  fundamental  question  been  addressed.  If psychoanalysis first taught us that Pappenheim's life was a pathetic failure, and if psychoanalysis, employing exactly the same epistemic tools,  then  reached  an  opposite  conclusion,  does  psychoanalysis teach us anything at all?
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 25. Oktober 2021, 20:32:17
Zitat von: Peiresc am 25. Oktober 2021, 19:43:28
Ich habe das Buch von Frederick Crews inzwischen gelesen. Es ist erschütternd.

Fleißig, fleißig! Das hört sich nach Rudolf Steiner an, was die Erkenntnismethode und seine Gefolgschaft angeht. Es ist ein Wesensmerkmal der Esoterik, frei erfundene Weltanschauungen (in den nachfolgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten) möglichst wissenschaftlich basiert aussehen zu lassen. Dazu erstellt man zig Studien, die das, was man eh schon weiß, bestätigen sollen. Das ist aber das Gegenteil von Wissenschaft. Nur die Kuh selbst weiß, ob ihre Hörner Antennen für kosmische Energien sind.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Bachblüte am 25. Oktober 2021, 20:53:24
Zitat von: eLender am 25. Oktober 2021, 20:32:17
Nur die Kuh selbst weiß, ob ihre Hörner Antennen für kosmische Energien sind.

Danke! In diesem Licht hatte ich mich selbst noch nie betrachtet!  :teufel
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 25. Oktober 2021, 20:58:02
Zitat von: eLender am 25. Oktober 2021, 20:32:17Das hört sich nach Rudolf Steiner an, was die Erkenntnismethode und seine Gefolgschaft angeht.

Steiner war ein Studienabbrecher. Freud war geschickter, hatte mehr Ressourcen. Er beherrschte das Vokabular. Er hatte als Absolvent eigentlich eine relativ aussichtsreiche Zukunft an einer der damals führenden Unis der Welt (Wien), hatte dort einflussreiche Freunde, die exzellente Wissenschaftler waren - sein einziges Problem war, dass er ein armer Jude war, das nagte an ihm. Es hätte was aus ihm werden können.

Bei Steiner reicht es eigentlich, eine beliebige Seite eines beliebigen Buches gelesen zu haben, und man ist durch mit dem. Das ist bei Freud nicht so. Ansonsten aber ist das im Grundsatz korrekt. Harriet Hall schließt ihre Besprechung mit diesem Satz:
ZitatReaders familiar with the development of alternative medicine treatments will find many parallels.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 25. Oktober 2021, 21:29:07
Zitat von: Bachblüte am 25. Oktober 2021, 20:53:24
Danke! In diesem Licht hatte ich mich selbst noch nie betrachtet!  :teufel
Jetzt weißt du auch, warum du immer muhen musst, wenn es irgendwo im Universum eine Supernova gibt.

Zitat von: Peiresc am 25. Oktober 2021, 20:58:02
Das ist bei Freud nicht so.

Ich meinte in der Tat die Art und Weise, wie man zu seinen Erkenntnissen gelangt. Bei Steiner war es die "hellsichtigen Schau in Höhere Welten", die Empirie war dann nur noch notwendig, um das Erkannte zu belegen. Das scheint mir bei Freud ähnlich zu sein.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Typee am 26. Oktober 2021, 07:16:48
Zitat von: Peiresc am 25. Oktober 2021, 19:43:28
Das hier liest man aktuell beim Ausbildungsinstitut der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung in NRW:
ZitatDie Psychoanalyse verfügt über eine besondere eigene Untersuchungsmethode, eine differenzierte Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie (Metapsychologie), eine daraus abgeleitete umfassende Krankheitslehre und schließlich eine Behandlungsmethode, die in den verschiedenen Formen psychoanalytischer Psychotherapie ihre Anwendung findet.
https://psychoanalyse.koeln/was-ist-psychoanalyse/

Sag ich doch: das hat den gleichen Geruch wie die Homöopathie.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 26. Oktober 2021, 20:04:36
ZitatTatsächlich gibt es für die meisten Versprecher Erklärungen, die ohne tiefenpsychologische Mechanismen auskommen. Unser Sprachplanungssystem macht überraschend selten Fehler. Nur alle 1000 Wörter verhaspeln wir uns – und das bei einer durchschnittlichen Rede­geschwindigkeit von drei Wörtern pro Sekunde. Daher fallen Versprecher, wenn sie vorkommen, dem Hörer meistens sofort auf.
...
Derartige Fallstricke bei bestimmten Schritten der Sprachproduktion reichen in aller Regel schon aus, um selbst peinliche Versprecher zu erklären. Mehr hineinzuinterpretieren ist schlicht unnötig. Küchenpsychologische Deutungen verraten so gesehen meist mehr über den Hörer als über den (Ver-)Sprecher.
https://www.spektrum.de/frage/was-versprecher-verraten/1930486

Die allermeisten Versprecher sollen also gar keine tiefere Bedeutung haben. Nur die echten freudschen Verbrecher Versprechertm sind dann wohl Botschaften aus den Tiefen des menschlichen (Unter-)Bewusstseins. Das hat sich unser Freund doch wieder aus der Westentasche geschüttelt. Egal, man muss nur irgendwelche Experimente finden, die das irgendwie bestätigen. Vll. taugt dazu ein EEG.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 24. November 2021, 23:24:25
Freud und Fleischl

Inzwischen habe ich mich noch ein bisschen in das Thema verbissen. Natürlich habe ich keinen Überblick, aber ein blasser Schimmer dämmert mir. Ich will ihn kurz schildern. Insbesondere hat mich interessiert, was denn wohl die Psychoanalytiker gegen die Kritik vorzubringen haben.

Dabei ist mir ein Buch von Thomas Köhler (WP (https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_K%C3%B6hler_(Psychologe))): Freud-Bashing. Vom Wert und Unwert der Anti-Freud-Literatur, Psychosozial-Verlag 2017, in die Hände gefallen. Der Titel klang vielversprechend, aber der erste Eindruck ist in gewisser Weise ernüchternd. Namen wie Frank Cioffi, Malcolm MacMillan, Mikkel Borg-Jacobsen, Frederick Crews, Paul Roazen oder Peter Swales, die das Gesicht der heutigen Freud-Kritik prägen, kommen nicht vor, dafür seitenlange Besprechungen steinalter Bücher, die niemand mehr kennt (weil ,,exemplarisch").

Ein paar halbwegs zeitgenössische Kritiker kommen aber vor. Ich greife ein Beispiel heraus: Herbert Selg, Sigmund Freud - Genie oder Scharlatan? eine kritische Einführung in Leben und Werk (2002) ein kurzes Bändchen, auf Allgemeinverständlichkeit getrimmt. Köhler bescheinigt Selg
Zitateine Wortwahl, wie sie eigentlich in der Wissenschaft ungebräuchlich sein sollte ... höchst spekulative Annahmen eingestreut sind, welche den Begründer der Psychoanalyse in schlechtem Licht erscheinen lassen, danach einige Versuche der Schnellwiderlegung Freudscher Thesen, welche nach falscher Darstellung der Theorie scheinbar überzeugend wirken. ... unbelegte herabsetzende Äußerungen ... bemerkenswerte Konglomerat aus wissenschaftlicher Unsauberkeit, abgeschmackter Polemik, psychoanalytischem Halbwissen und tendenziösen Unwahrheiten
Tatsächlich findet er in diesem Buch ein, zwei wirkliche Fehler zulasten Freuds. Der Rest aber sind aufgebauschte oder wissentlich fehlinterpretierte Kinkerlitzchen. Was Selg eigentlich vorzubringen hat, lässt sich kaum erschließen. Köhler hat einfach die kritisierten Bücher nach Stellen gescannt, an denen er einzuhaken können glaubte, wie wir das von unseren Cranks kennen.

Da macht er sich nix draus. Selg hatte sich beschwert, Köhler versuche auf Nebenkriegsschauplätzen kleine Scharmützel zu gewinnen, aber kümmere sich nicht darum, ,,die Kritik an den Ungereimtheiten der Traumdeutung und der Interpretationen von Fehlleistungen zu widerlegen". Köhler antwortet:
Zitat von: KöhlerAll das täte ich gerne - wesentlich lieber als mühsame Textvergleiche durchzuführen -; ich habe aber weder Lust noch Zeit noch Raum, zunächst einmal die Fehldarstellungen der Kritiker zu korrigieren. Ziel dieses Buches [...] ist es, überhaupt die wissenschaftliche Dignität der Autoren zu beleuchten, wobei ich leider fast durchwegs zu einem sehr negativen Urteil gekommen bin. Um es im Jargon der schlagenden Verbindungen auszudrücken: Kollege Selg ist - wie viele andere auf dem Gebiet der Anti-Freud-Literatur - einfach »nicht satisfaktionsfähig«.
Er täte es gerne, aber er hat keine Lust - und das im gleichen Satz. Statt zur Sache Stellung zu nehmen, wird er einfach nur beleidigend, und darauf ist er stolz. Selten wird man in der wissenschaftlichen Literatur finden, dass es sich ein Autor explizit zum Ziel macht, allein an der Reputation des Kontrahenten zu kratzen (implizit sieht man das natürlich öfter).

Dies war die Vorrede, ich komme zur Sache und zitiere aus Köhler, S. 87:
Zitat von: KöhlerSelgs nächstes Kapitel widmet sich der unvermeidlichen »Kokain-Episode« - der Autor spricht von »Kokain-Affäre«. Hier erfährt die Leserschaft wieder bemerkenswerte Enthüllungen zum Unheil bringenden Freud: »Freud behauptete wider besseres Wissen, einen morphiumsüchtigen Freund [...], der an bestimmten starken Schmerzen litt, mit Kokain erfolgreich behandelt zu haben; der Freund - morphium- und kokainsüchtig geworden - starb schon wenige Jahre später, »anscheinend beschleunigt durch die Kokainsucht20« (Selg, 2002, S. 11). Die Fußnote 20 bezieht sich Selg zufolge auf Sulloway (1982, S. 57), aber er hätte gar nicht soweit suchen müssen. Das Ganze steht nämlich (sogar ohne das abschwächende »anscheinend«) in der Traumdeutung. »Die Empfehlung des Kokains, die 1885 von mir ausging, hat mir auch schwerwiegende Vorwürfe eingetragen. Ein teurer, 1895 schon verstorbener Freund, hatte durch den Mißbrauch dieses Mittels seinen Untergang beschleunigt« (Freud, 1900a, GW II/III, S. 116; Sulloway bezieht sich auch ausschließlich auf diese Passage).
Das "unvermeidlich" zeigt an, dass die Angelegenheit peinlich ist und deshalb schleunigst vergessen werden sollte. Die Erwähnung in der Traumdeutung ist eine Verschleierung und ein victim blaming: Freud selber war es, der Kokain nicht nur allgemein empfohlen, sondern begeistert und unkritisch seinem Freund persönlich injiziert und weiter verabreicht hat. Davon steht natürlich kein Sterbenswort in dem Freudschen Werk, so dass der explizite Verweis auf Sulloway unverzichtbar ist. Verwerflicher noch ist, dass Freud Kokain weiter öffentlich propagiert und gegen Erlenmeyer, einen führenden Suchtspezialisten seiner Zeit, verteidigt hat ("Cocainfurcht"), obwohl er den schlimmen Verlauf bei Fleischl direkt vor Augen hatte. Dabei hatte er die Chuzpe zu behaupten, dass eine Sucht nur bei Injektion auftrete, wo er doch die orale Gabe vertreten habe (ich stütze mich auf Crews, der einen Freud-Text zitiert und "Sigmund Freud, Schriften über Kokain. Ed. Albrecht Hirschmüller. Frankfurt: Fischer Taschenbuch, 1996, pp. 124–125." als Quelle angibt).

In Sulloways Biologist of the Mind S. 26 ist zu lesen:
ZitatOn the other hand, Freud's good friend Fleischl, to whom Freud had prescribed cocaine, soon became severely addicted to the drug—an addiction that apparently hastened his death in 1891 (Interpretation of Dreams, 1900a, S.E., 4:111).
Sulloway bezieht sich natürlich nicht "ausschließlich" auf diese Passage (auch das Todesjahr Fleischls ist dort nicht erwähnt), sondern er führt die Quelle explizit an, um zu belegen, dass die verderbliche Wirkung des Kokains von Freud persönlich eingeräumt worden ist. Wenn Selg hier nicht korrekt zitiert hätte, was hätte Köhler dazu gesagt? Diese Frage ist einfach zu beantworten: er hätte "den Entzug des Doktortitels" gefordert (S. 88). Auch ist es völlig adäquat, ein einschränkendes "anscheinend" einzufügen, denn die Traumdeutung ist bei egal welcher Behauptung alles andere als ein exaktes medizinisches Journal, dessen Worte als verbürgt hinzunehmen sind.

Die Studienausgabe der Traumdeutung (Fischer 1982), die die editorial notes der S.E. [Standard Edition] einarbeitet, erläutert in der Fußnote zu dem "1885" in dem von Köhler angeführten Satz:
Zitat"Dies ist ein Druckfehler in allen früheren deutschen Ausgaben. Es muß heißen: 1884, denn das ist das Erscheinungsjahr von Freuds erster Kokainarbeit."
Das ist formal korrekt, aber es rückt die persönliche, direkte Verantwortung Freuds vollends außerhalb jedes Gesichtskreises. Mit Fleischls Behandlung hatte er Anfang Mai 1884 begonnen, noch vor seiner ersten Veröffentlichung "Über Coca", geschrieben im Juni und erschienen im Juli 1884. Dort schreibt er*:
Zitat von: FreudIch hatte Gelegenheit, eine plötzliche Morphinentziehung unter Cocagebrauch bei einem Manne zu beobachten, der bei einer früheren Entziehungscur unter den schwersten Abstinenzerscheinungen gelitten hatte. Das Befinden war diesmal ein erträgliches, insbesondere fehlten Depression und Nausea, so lange die Cocawirkung anhielt; Frieren und Diarrhöe waren die einzigen permanenten Symptome, welche an die Abstinenz erinnerten. Der Kranke blieb ausser Bette und leistungsfähig, und verbrauchte in den ersten Tagen je 3 Decigramm Cocainum muriaticum; nach 10 Tagen konnte er das Mittel bei Seite lassen.
Es handelt sich bei der Morphinentziehung durch Coca also nicht um einen Tausch, bei welchem aus dem Morphinisten ein Coquero wird, sondern nur um einen temporären Cocagebrauch.

Ernest Jones, Mitglied des Geheimkomitees, schreibt in seiner Freud-Biografie, dem psychoanalytischen Standardwerk dazu, Bd. I S. 115:
Zitat von: JonesWie wir schon erwähnt haben, gab ihm Freud anfangs Mai 1884 zum erstenmal Kokain, denn er hoffte, Fleischl damit das Morphium abzugewöhnen,
Fleischl ging es dreckig. Seine Behandlung mit Kokain war illusorisch und darauf zurückzuführen, dass Freud Kokain für eine Panazee hielt, mit der er groß rauszukommen und Kasse zu machen hoffte, aber sie ist zumindest noch menschlich verständlich.

Weiter mit Jones:
Zitat von: Jonesund für kurze Zeit hatte er großen Erfolg. Er besuchte ihn jetzt regelmäßig, half ihm seine Bibliothek ordnen und ging ihm auch sonst an die Hand. Aber schon nach acht Tagen verschlimmerte sich Fleischls Zustand bedenklich. Als auf sein Klopfen niemand antwortete, rief Freud zwei Freunde, Obersteiner und Exner, zu Hilfe und verschaffte sich mit ihnen zusammen gewaltsam Eingang ins Zimmer, wo Fleischl, fast bewußtlos vor Schmerzen, auf seinem Bett lag.
Und selbst das ist noch eine Beschönigung. Crews zitiert aus einem Brautbrief vom 12. Mai 1884:
Zitat von: Freud, zit. n. CrewsFleischl is in such a sad state that I cannot enjoy the cocaine success at all. He continues to take it, and it continues to protect him against the miserable state of morphine use. But he has had such frightful pains in the nights from Friday to Saturday and from Saturday to Sunday that he lay there as if unconscious until 11 a.m. Then in the afternoon, under the influence of cocaine, he was quite well. Early Monday I wanted to visit him, but he didn't answer my knocking. Two hours later, the same result. Finally Obersteiner, Exner, and I pulled ourselves together, got the key from the servant, and went in. There he lay, quite apathetic and not answering our questions. Only after some coca did he come to himself and tell us that he had had terrible pains. These attacks afflict the soul; in that state he can only become maniacal or kill himself. I don't know whether he took morphine during these attacks. He denies it, but one shouldn't believe a morphinist, even if it's an Ernst Fleischl.17

Er wollte doch nur helfen. Die Veröffentlichung aber ist nicht mehr mit Naivität entschuldbar, sondern war unverantwortlich, eines Arztes und Wissenschaftlers unwürdig.

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* Ich zitiere aus einem Separatdruck dieser Arbeit 1885, "neu durchgesehen und vermehrt", S. 22: Den Text der Originalversion habe ich nicht gesehen, aber Crews führt das Zitat auch an, so dass ich mir denke, es entspricht dem ursprünglichen Textstand. Wenn es nicht so wäre, dann umso schlimmer.


Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 28. Dezember 2021, 20:42:28
Ick weiß, die PA ist nicht Freud, aber er bildet die Basis. Und die ist wackelig:

ZitatDerksen (2001) gesteht Freud zu, dass er in der Tat um wissenschaftliche Redlichkeit bemüht gewesen sein mag. Nur hat sich dieser Vorsatz nie in wirklichem Handeln niedergeschlagen. Freud war nicht nur unredlich gegen den Leser, er war es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gegen sich selbst. Als brillanter Rhetoriker blendete er nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst.
https://verhalten.wordpress.com/2021/12/20/freud-als-pseudowissenschaftler/

Interessanter Blog übrigens.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Putinanhänger am 01. Dezember 2022, 22:10:39
Karl Kraus wird der m.E.n treffende Satz zugeschrieben: "Die Psychoanalyse ist diejenige Krankheit, für deren Heilung sie sich hält."
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 01. Dezember 2022, 22:33:42
@Putinanhänger. Ich empfehle Dir, den Nick zu wechseln. Offener Anhänger eines Verbrecherhäuptlings zu sein, kommt hier nicht gut.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: HAL9000 am 01. Dezember 2022, 22:48:34
Zitat von: Peiresc am 01. Dezember 2022, 22:33:42@Putinanhänger. Ich empfehle Dir, den Nick zu wechseln. Offener Anhänger eines Verbrecherhäuptlings zu sein, kommt hier nicht gut.
Aber er ist doch stolz darauf, Putin-Troll und obendrein Lumpenpazifist zu sein.
Warum sollte er jetzt plötzlich dem (Kriegs-)Verbrecher abschwören?
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Putinanhänger am 01. Dezember 2022, 22:58:28
Zitat von: Peiresc am 01. Dezember 2022, 22:33:42@Putinanhänger. Ich empfehle Dir, den Nick zu wechseln. Offener Anhänger eines Verbrecherhäuptlings zu sein, kommt hier nicht gut.

Mit dem Ausdruck "Verbrecherhäuptling" reihst du dich ins faschistische Lager ein. Man mag ja der Meinung sein, Putin sei wegen seines politischen Agierens ein Verbrecher (da kann man über die Stichhaltigkeit der Argumente streiten). Wenn man aber vom Verbrecherhäuptling spricht, so erklärt man alle Russen - also ein ganzes Volk - zu Verbrechern, deren Häuptling er als Staatsoberhaupt eben sei. Und das - ein ganzes Volk zu Verbrechern zu erklären- ist faschistisch.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Putinanhänger am 01. Dezember 2022, 23:00:28
Das zeigt i.ü., dass Pohlmann und Fiedler euch richtig einordnen. Ihr behauptet liberal, linksliberal zu sein, seid aber in Wahrheit knallrechts.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 01. Dezember 2022, 23:04:27
ZitatEuropäisches Parlament erklärt Russland zu staatlichem Terrorismus-Unterstützer 
Pressemitteilung 
Plenartagung 
AFET 
23-11-2022 - 13:33 
https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20221118IPR55707/europaisches-parlament-erklart-russland-zu-staatlichem-terrorismus-unterstutzer

Letzte Warnung. Pack' Dich.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 21. Januar 2023, 22:22:07
Zitat von: Peiresc am 25. Oktober 2021, 20:58:02Steiner war ein Studienabbrecher. Freud war geschickter, hatte mehr Ressourcen. Er beherrschte das Vokabular. Er hatte als Absolvent eigentlich eine relativ aussichtsreiche Zukunft an einer der damals führenden Unis der Welt (Wien), hatte dort einflussreiche Freunde, die exzellente Wissenschaftler waren - sein einziges Problem war, dass er ein armer Jude war, das nagte an ihm. Es hätte was aus ihm werden können.

Hätte hätte Fahrradkette. Spekulation, was alles hätte sein können, wenn. Hätte natürlich auch alles schlechter laufen können.
Es ist was aus ihm geworden. Er ist bekannt geworden wie Newton, Darwin, Einstein u.a. Sein Name ist untrennbar und zurecht mit der Geschichte der Psychotherapie verbunden. Viele Konzepte und Techniken aus der Psychoanalyse kommen nicht nur in einer psychoanalytischen Therapie zur Anwendung. So funktioniert Wissenschaft. Und ehrlich gesagt, wenn ich täglich darüber lese, wo Frauen alles benachteiligt sind gegenüber dem bösen Mann, frage ich mich, ob was an dem Penisneid dran sein könnte.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:31:32
Zitat von: Regen12 am 21. Januar 2023, 22:22:07Hätte hätte Fahrradkette. Spekulation. [...]

Ich werde jetzt ganz unironisch. Ich bin sicher, dass Du Deine einsteinsche Genialität nicht mit der Lektüre von Crews oder von anderen Kritikern der Psychoanalyse belastet hast. Dein Geschwafel wird langsam unerträglich, und Du näherst Dich gefährlich der Trollgrenze.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Max P am 21. Januar 2023, 22:40:21
Zitat von: Einstein 2.0 am 21. Januar 2023, 22:22:07[Freuds] Name ist untrennbar und zurecht mit der Geschichte der Psychotherapie verbunden. Viele Konzepte und Techniken aus der Psychoanalyse kommen nicht nur in einer psychoanalytischen Therapie zur Anwendung.
Zitat von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:31:32
Zitat von: Regen12 am 21. Januar 2023, 22:22:07Hätte hätte Fahrradkette. Spekulation. [...]

Ich werde jetzt ganz unironisch. Ich bin sicher, dass Du Deine einsteinsche Genialität nicht mit der Lektüre von Crews oder von anderen Kritikern der Psychoanalyse belastet hast. Dein Geschwafel wird langsam unerträglich, und Du näherst Dich gefährlich der Trollgrenze.

Da hat er aber wohl Recht:
Zitat von: Einstein 2.0 am 21. Januar 2023, 22:22:07[Freuds] Name ist untrennbar und zurecht mit der Geschichte der Psychotherapie verbunden. Viele Konzepte und Techniken aus der Psychoanalyse kommen nicht nur in einer psychoanalytischen Therapie zur Anwendung.

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 21. Januar 2023, 22:41:53
Zitat von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:31:32Ich werde jetzt ganz unironisch. Ich bin sicher, dass Du Deine einsteinsche Genialität nicht mit der Lektüre von Crews oder von anderen Kritikern der Psychoanalyse belastet hast. Dein Geschwafel wird langsam unerträglich, und Du näherst Dich gefährlich der Trollgrenze.

Wer oder was zwingt dich eigentlich, auf meine Beiträge zu reagieren? Sollte man vielleicht in einer Psychoanalyse aufdecken.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:46:44
Zitat von: Max P am 21. Januar 2023, 22:40:21Da hat er aber wohl Recht:
Zitat von: Einstein 2.0 am 21. Januar 2023, 22:22:07[Freuds] Name ist untrennbar und zurecht mit der Geschichte der Psychotherapie verbunden. Viele Konzepte und Techniken aus der Psychoanalyse kommen nicht nur in einer psychoanalytischen Therapie zur Anwendung.

Das ist es, was ich mit Geschwafel meine. Es ist not even wrong.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:49:29
Zitat von: Regen12 am 21. Januar 2023, 22:41:53Wer oder was zwingt dich eigentlich, auf meine Beiträge zu reagieren?

Mein Konzept von Psychohygiene. Ich kann nichts dafür, es ist stärker als ich.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 21. Januar 2023, 23:00:06
Zitat von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:49:29Mein Konzept von Psychohygiene. Ich kann nichts dafür, es ist stärker als ich.

Tut mir leid für dich. Da kann nur noch eine Langzeitanalyse weiterhelfen, auf jeden Fall mehr als 300 Sitzungen.
Gute Besserung.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 21. Januar 2023, 23:04:21
Ich bin gerührt von so viel Mitgefühl. Du liest erst mal Crews, bevor Du hier noch was vom Stapel lässt, und ich geh zum Analytiker. Ist das ein Deal?
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 21. Januar 2023, 23:34:48
Da fällt mir gerade der Artikel ein, den ich noch mal verlinken wollte. Jaja, der Freud, ein ganz großer, wie der Hahnemann.

ZitatSigmund Freud (1856-1939) insisted that his postulations that are collectively known as psychoanalysis formed the basis for the science of psychology. Yet, ever since its beginnings in the early years of the twentieth century, there has been considerable argument as to whether psychoanalysis is even a science at all. Some claim that Freud's work itself was entirely pseudoscientific in nature, and that later proponents of his theory have done little to revise this state of affairs. Yet, in its approximately one hundred years of existence, psychoanalysis has had a tremendous influence on Western culture, and in spite of all the stones slung in its direction, it still has many supporters around the globe.
...
However, perhaps the most transparent evidence that Freud was wrong is that he is very difficult for us to understand, and much of him remains an enigma – in Webster's (1995, p. 29) words, "a psychologist who is beyond the reach of psychology, the creator of a movement which has encircled the globe but which has formulated no theory which can even begin to account for its own success". It seems clear to me that psychoanalysis belongs to the 'domain of myth', and while of course myths may be enigmatic, they are not in the least scientific.
https://www.skeptic.org.uk/2021/07/psychoanalysis-science-or-pseudoscience-examining-the-status-of-freudian-theory/

War Steiner dann nicht auch genial? Hat zwar geschwurbelt bis die Scharte kracht, aber das auf hohem Niveau. Und das überzeugt heute sogar noch Akademiker. Man versteht es nicht, also muss es genial sein. Zumindest hat es die Literatur bereichert. Der L. Ron war ja auch - nuja, halbwegs - begabter Schriftsteller.

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: HAL9000 am 22. Januar 2023, 00:16:42
Zitat von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:31:32... Du näherst Dich gefährlich der Trollgrenze.
Von welcher Seite?
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 09:24:27
Zitat von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:31:32Dein Geschwafel wird langsam unerträglich, und Du näherst Dich gefährlich der Trollgrenze.

Da muss ich dich korrigieren ;) : Es ist hier und in dem parallelen Thread bereits unerträglich. ::)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 22. Januar 2023, 10:30:46
Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 09:24:27Da muss ich dich korrigieren ;) : Es ist hier und in dem parallelen Thread bereits unerträglich. ::)

Mit der Belastbarkeit und Robustheit ist es nicht weit her bei dir, oder?
Tipp: Die meisten Foren bieten eine Ignore-Funktion für Menschen, die dasselbe ohne Software nicht schaffen.

Was genau ist an der Feststellung falsch, dass man nicht wissen kann, was mit Freud unter anderen Umständen geworden wäre, und das was aus ihm geworden ist? Mit Kritik an der Psychoanalyse habe ich mich befasst, unter anderem "Tiefenschwindel" von D. E. Zimmer, der sich angenehmerweise nicht mit Freuds dunklen Seiten aufhält. Dass Patienten und Therapeuten einen Heiler, Erlöser und Propheten suchen, kann nicht ihm angelastet werden.
Und genau das hat mich davon abgehalten, mir früher helfen zu lassen.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 10:43:05
Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 10:30:46Dass Patienten und Therapeuten einen Heiler, Erlöser und Propheten suchen, kann nicht ihm angelastet werden.
Na klar kann ihm angelastet werden, dass er sich den Mantel des Propheten übergeworfen hat. Die Menschheit ist schwach, darauf beruht das Geschäftsmodell aller Scharlatane, Glaubensmediziner, Schamanen usw.

Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 10:30:46Was genau ist an der Feststellung falsch, dass man nicht wissen kann, was mit Freud unter anderen Umständen geworden wäre, und das was aus ihm geworden ist?
Und genau das ist an der Feststellung falsch. Er hatte die Voraussetzungen, einen seriösen Beitrag zur Medizin zu leisten.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 22. Januar 2023, 10:53:32
Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 10:43:05Und genau das ist an der Feststellung falsch. Er hatte die Voraussetzungen, einen seriösen Beitrag zur Medizin zu leisten.

Sehe ich anders. Wer erkennt, dass man leicht und unseriös durchkommt, hätte es sich auf einem anderen Gebiet auch einfacher gemacht.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 10:57:24
Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 10:53:32Wer erkennt, dass man leicht und unseriös durchkommt, hätte es sich auf einem anderen Gebiet auch einfacher gemacht.
Du meinst, wer in seinem Leben etwas Reelles leistet, ist nur zu dumm zu erkennen, wie er sich auch ohne Anstrengung durchschlängeln könnte?
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 22. Januar 2023, 11:14:44
Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 10:57:24
Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 10:53:32Wer erkennt, dass man Du meinst, wer in seinem Leben etwas Reelles leistet, ist nur zu dumm zu erkennen, wie er sich auch ohne Anstrengung durchschlängeln könnte?

Nicht ganz. Wohl aber, wenn er sich schon einmal durchgeschlängelt hat, bedingte Wahrscheinlichkeit also. Denn er hatte auch die Voraussetzungen, zur Psychotherapie Seriöses beizutragen. Oder gibt/gab es deiner Meinung nach keine Möglichkeit, seriöse Psychotherapieforschung zu betreiben?
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 11:18:52
Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 10:30:46Mit der Belastbarkeit und Robustheit ist es nicht weit her bei dir, oder?
Auch hier irrst du dich gewaltig. Gerade dieses Forum formt den Charakter bezüglich der Belastbarkeit ganz erheblich.

Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 10:30:46Tipp: Die meisten Foren bieten eine Ignore-Funktion für Menschen, die dasselbe ohne Software nicht schaffen.
Nein? --- Doch! --- Oooh!

Ich könnte auch inhaltlich was zur wirksamen Behandlung von Depressionen beitragen, überlasse das aber lieber Peiresc. Der kann das definitiv besser.

Deshalb nur kurz: Deine Behauptungen über Antidepressiva entsprechen nicht meiner subjektiven (also anekdotischen und damit unmaßgeblichen) Erfahrung.

Sollten sich Pilze (Welche eigentlich? Fußpilze?) als wirksame Mittel gegen Depressionen herausstellen, dann wird ihre Wirkung wiederum auf Stoffen beruhen, die - wie auch immer - das chemische Gleichgewicht verschiedener Enzyme, Neurotransmitter etc. p. p. beeinflussen und sind damit genau wieder was? Richtig! Antidepressiva.

So oder so ist die Einnahme nur unter Zurateziehung eines versierten Psychiaters/Neurologen mit begleitender Therapie zu empfehlen, dessen Wissen auf kontrollierten Studien beruht.


PS: Das Sigmund Freuds Vorstellungen wohlbegründet nicht mal mehr ansatzweise der Stand der Forschung entspricht, findet man ohne Anstrengung hier und und an zahlreichen anderen Stellen im Internet.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 22. Januar 2023, 12:11:46
Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 11:18:52Auch hier irrst du dich gewaltig. Gerade dieses Forum formt den Charakter bezüglich der Belastbarkeit ganz erheblich.

Dann ist ja alles gut.

Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 11:18:52Ich könnte auch inhaltlich was zur wirksamen Behandlung von Depressionen beitragen, überlasse das aber lieber Peiresc. Der kann das definitiv besser.

Muss ich wirklich wissen, was du könntest und, warum auch immer, unterlässt? Tu es oder lass es.

Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 11:18:52Deshalb nur kurz: Deine Behauptungen über Antidepressiva entsprechen nicht meiner subjektiven (also anekdotischen und damit unmaßgeblichen) Erfahrung.

Meiner schon.

Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 11:18:52Sollten sich Pilze (Welche eigentlich? Fußpilze?) als wirksame Mittel gegen Depressionen herausstellen, dann wird ihre Wirkung wiederum auf Stoffen beruhen, die - wie auch immer - das chemische Gleichgewicht verschiedener Enzyme, Neurotransmitter etc. p. p. beeinflussen und sind damit genau wieder was? Richtig! Antidepressiva.

Echt jetzt? Dann werde ich sie aber nie wieder anrühren, wenn die psilos jetzt plötzlich offiziell als Antidepressiva betrachtet werden.

Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 11:18:52So oder so ist die Einnahme nur unter Zurateziehung eines versierten Psychiaters/Neurologen mit begleitender Therapie zu empfehlen, dessen Wissen auf kontrollierten Studien beruht.

Schon klar. Aber damit bin ich durch.

Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 11:18:52PS: Das Sigmund Freuds Vorstellungen wohlbegründet nicht mal mehr ansatzweise der Stand der Forschung entspricht, findet man ohne Anstrengung hier und und an zahlreichen anderen Stellen im Internet.

So heftig abgelehnt wird sie eigentlich nur von Menschen, die keine Therapieforscher sind. Dass die Psychoanalyse sich einerseits weiterentwickelt hat und als Therapie nicht den aktuellen Forschungsstand repräsentiert, war mir schon lange bewusst. Und? Ich komme aus den Rechtswissenschaften und war in der Therapielandschaft nur Patient, aus dessen Sicht ich hier schreibe. So. Und mir hat eine kassenzugelassene Psychoanalytikerin mit einer modifizierten psychoanalytischen Therapie am besten weitergeholfen. Für die private Therapieforschung nebenbei fehlt mir leider die Zeit.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 12:20:33
Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 12:11:46Für die private Therapieforschung nebenbei fehlt mir leider die Zeit.

Wen wundert's? Die Zeit geht doch offenbarlich für das Verfassen von Textwänden in einem Internetforum drauf, wo deine "Einsichten" nicht auf den erhofften Zuspruch stoßen. Besprich das doch mal mit deiner Analytikerin. Das Thema ist bestimmt für den nächsten 25 oder gar 50 Sitzungen gut.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 22. Januar 2023, 13:12:53
Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 12:20:33Wen wundert's? Die Zeit geht doch offenbarlich für das Verfassen von Textwänden in einem Internetforum drauf, wo deine "Einsichten" nicht auf den erhofften Zuspruch stoßen.

Gibt es hier also doch Menschen, die gedankenlesen können.

Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 12:20:33Besprich das doch mal mit deiner Analytikerin. Das Thema ist bestimmt für den nächsten 25 oder gar 50 Sitzungen gut.

Zu spät.
Und während der Analyse hatte ich leider keine Zeit für dieses Forum.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Max P am 22. Januar 2023, 14:33:43
Zitat von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:46:44
Zitat von: Max P am 21. Januar 2023, 22:40:21Da hat er aber wohl Recht:
Zitat von: Einstein 2.0 am 21. Januar 2023, 22:22:07[Freuds] Name ist untrennbar und zurecht mit der Geschichte der Psychotherapie verbunden. Viele Konzepte und Techniken aus der Psychoanalyse kommen nicht nur in einer psychoanalytischen Therapie zur Anwendung.

Das ist es, was ich mit Geschwafel meine. Es ist not even wrong.
Ja und? Wenn Methoden und Ansätze der Psychoanalyse in anderen Therapieformen von Nutzen sein können, widerlegt das immerhin ihre aggressive Totalverdammung.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 15:27:48
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 14:33:43
Zitat von: Peiresc am 21. Januar 2023, 22:46:44
Zitat von: Max P am 21. Januar 2023, 22:40:21Da hat er aber wohl Recht:
Zitat von: Einstein 2.0 am 21. Januar 2023, 22:22:07[Freuds] Name ist untrennbar und zurecht mit der Geschichte der Psychotherapie verbunden. Viele Konzepte und Techniken aus der Psychoanalyse kommen nicht nur in einer psychoanalytischen Therapie zur Anwendung.

Das ist es, was ich mit Geschwafel meine. Es ist not even wrong.
Ja und? Wenn Methoden und Ansätze der Psychoanalyse in anderen Therapieformen von Nutzen sein können, widerlegt das immerhin ihre aggressive Totalverdammung.
Ich weiß, dass Du das Ungefähre liebst und es deshalb müßig wäre, Dich nach Details zu fragen.  8)

In der akademischen Psychologie wie auch in der deutschen Psychiatrie hat die Psychoanalyse stets nur eine marginale Rolle gespielt. Die Analytiker üben sich derzeit in elegischen Gesängen, weil die letzten verbliebenen Lehrstühle nicht mehr nachbesetzt werden.
ZitatEine der letzten beiden psychoanalytisch ausgerichteten Professuren in Deutschland an der Universität Frankfurt sei nicht mehr ausgeschrieben worden und die Psychoanalyse an den Hochschulen unübersehbar an den Rand gedrängt worden.
https://www.aerzteblatt.de/archiv/228811/Psychoanalytische-Institutionen-Vom-Unbehagen-in-der-Zusammenarbeit

Und wenn wir uns mal ansehen, worauf sie sich so berufen,
ZitatEs erscheint ebenfalls erforderlich, wenigstens einige kurze Bemerkungen über den wissenschaftlichen Status der Psychoanalyse zu machen. Nicht selten  wird von Kritikern dieser Status überhaupt gänzlich in Frage gestellt, [...]  Man übersieht dabei in der Regel, dass auch die Naturwissenschaften keine objektiven Wahrheiten erkennen konnen, sondern " ... was (sie) bestenfalls tun können, ist ein Gebaude von Aussagen zu errichten, das hinsichtlich der empirischen Daten und seiner logischen Struktur für eine bestimmte Zeitspanne ein Maximum an Konsistenz aufweist." (Roth, 1994)

Ralf Zwiebel: Über einige Grundannahmen der Psychoanalyse. In: Leuzinger-Bohleber/Zwiebel (Hrsg.): Psychoanalyse heute, 1996

Die Daseinsrechtfertigung der Analyse ist, dass Naturwissenschaften keine objektiven Wahrheiten erkennen können. Solche Stellungnahmen gibt es häufiger, ich habe noch ein paar davon auf Halde. Im Klappentext von ,,(Roth, 1994)" heißt es:
ZitatAuf diesen Grundlagen aufbauend, wird im Sinne des Konstruktivismus ein philosophisch-erkenntnistheoretisches Konzept des menschlichen Erkenntnisvermögens entwickelt

Der Konstruktivismus ist mein Intimfeind, den ich aggressiv totalverdamme.  ;D
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 15:47:45
Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 15:27:48Auf diesen Grundlagen aufbauend, wird im Sinne des Konstruktivismus ein philosophisch-erkenntnistheoretisches Konzept des menschlichen Erkenntnisvermögens entwickelt.

Alleine dieser Satz ist so schlimm, dass er aus einer dieser Phrasendreschmaschinen stammen könnte.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Max P am 22. Januar 2023, 17:37:42
Zitat von: PeirescIch weiß, dass Du das Ungefähre liebst und es deshalb müßig wäre, Dich nach Details zu fragen.  8)
In der Tat aus 2 Gründen:
1.) Die Materie interessiert mich hier und jetzt nicht so sehr, dass ich Aussagen von mir bis zum Punkt der Unwiderlegbarkeit durch dich ergründen müsste.
2.) Selbst wenn ich das täte (oder gerade dann), würdest du doch nur wieder irgendwelche Offtopic-Hasen von der Kette lassen und mit mindestens 10 Kilo Bibelexegese oder was Vergleichbarem um dich werfen. Das wäre ebenso müßig.  ;D

ZitatIn der akademischen Psychologie wie auch in der deutschen Psychiatrie hat die Psychoanalyse stets nur eine marginale Rolle gespielt.
Ob das wirklich STETS so war, sei dahingestellt. Abgesehen davon schrieb ich von ggf. nützlichen Elementen der psychoanalytischen Praxis und nicht vom gesamten Lehrgebäude.

ZitatUnd wenn wir uns mal ansehen, worauf sie sich so berufen,
ZitatEs erscheint ebenfalls erforderlich, wenigstens einige kurze Bemerkungen über den wissenschaftlichen Status der Psychoanalyse zu machen. Nicht selten  wird von Kritikern dieser Status überhaupt gänzlich in Frage gestellt, [...]  Man übersieht dabei in der Regel, dass auch die Naturwissenschaften keine objektiven Wahrheiten erkennen konnen, sondern " ... was (sie) bestenfalls tun können, ist ein Gebaude von Aussagen zu errichten, das hinsichtlich der empirischen Daten und seiner logischen Struktur für eine bestimmte Zeitspanne ein Maximum an Konsistenz aufweist." (Roth, 1994)
Das Beharren auf naturwissenschaftliche Evidenz war schon von Anfang an ein Fehler der Psychoanalyse. Ich vermute, es gibt überhaupt keine streng naturwissenschaftliche Evidenz für irgendeine Form von Psychotherapie. Man kann die Wirkung von endogenen und exogenen Substanzen auf die Psyche untersuchen und ihre Wirkmechanismen ergründen und sollte das auch auf jeden Fall tun. Aber daraus allein kann man noch keine Psychotherapie ableiten oder entwickeln. Jede Psychotherapie ist letztlich Arbeit mit dem menschlichen Bewusstsein. Dieses entzieht sich aber noch oder vielleicht auch grundsätzlich einer vollständigen naturwissenschaftlichen Beschreibung. Jede Psychotherapie muss daher von einem (Teil-)Modell des Bewussteins ausgehen und entsprechende Methoden entwickeln oder sich zu eigen machen. Abgesehen davon, dass eines sich sowieso nie für alle schickt, ist jede Art von Psychotherapie mehr oder weniger unvollkommen, aber in aller Regel wohl auch nie vollkommen falsch. Zugespitzt gesagt muss jede Psychotherapie in erster Linie auf einer Philosophie des Geistes aufbauen und nicht auf naturwissenschaftlich-medizinischer Evidenz. Letztere ist natürlich beim Einsatz von stofflichen Mitteln unverzichtbar. Den triggernden Konstruktivismus braucht man dabei gar nicht zu bemühen.

Ein, wenn nicht überhaupt der zentrale Einwand gegen die Psychoanalyse war m.W. auch immer ein ökonomischer und nicht wissenschaftlicher: Psychoanalyse dauert zu lange und ist zu teuer.

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 18:13:53
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 17:37:42Ein, wenn nicht überhaupt der zentrale Einwand gegen die Psychoanalyse war m.W. auch immer ein ökonomischer und nicht wissenschaftlicher: Psychoanalyse dauert zu lange und ist zu teuer.

Meine gestrige Recherche ergab vor allem, dass die zugrundeliegenden Vorstellungen (Phasenmodell, Ödipuskomplex, Penisneid, ...) einer Überprüfung nicht standhalten. Wenn aber schon die Basis korrupt ist, sind es ihre daraus abgeleiteten Verfahren erst recht.

PS: Missverständnisse meinerseits ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Max P am 22. Januar 2023, 18:28:12
Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 18:13:53
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 17:37:42Ein, wenn nicht überhaupt der zentrale Einwand gegen die Psychoanalyse war m.W. auch immer ein ökonomischer und nicht wissenschaftlicher: Psychoanalyse dauert zu lange und ist zu teuer.

Meine gestrige Recherche ergab vor allem, dass die zugrundeliegenden Vorstellungen (Phasenmodell, Ödipuskomplex, Penisneid, ...) einer Überprüfung nicht standhalten. Wenn aber schon die Basis korrupt ist, sind es ihre daraus abgeleiteten Verfahren erst recht.

PS: Missverständnisse meinerseits ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Freud bzw. die Psychoanalyse hat zum ersten Mal festgestellt und formuliert, dass es so etwas wie ein Unbewusstes gibt, das Verhalten und Einstellungen eines Menschen maßgeblich beinflussenb kann und daraus einen Therapieansatz entwickelt. Das ist das Entscheidende und nicht Zeitbedingtes wie Penisneid oder andere an den Schamhaaren herbeigezogene Annahmen.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: zimtspinne am 22. Januar 2023, 18:32:54
Weil hier Frankfurt und Psychoanalyse erwähnt wurde:
Disclaimer: Anekdotisch

Ich kannte eine junge Dame aus Frankfurt  mit.. ach, die Liste ist lang, Kern-Krankheit war jedenfalls Anorexie.
Zum Hintergrund: Kennengelernt hatten wir uns in einer online-SHG. Einer, die es heute nicht mehr gibt, richtig professionell aufgezogen und ins Leben gerufen und geleitet von einem Chefarzt einer Essstörungsklinik. Dort gabs auch Psychologen mit ihrem eigenen Unterforum, einen Arzt mit einem eigenen Bereich für Fragen und Diskussionen, sowie die alle schauten regelmäßig danach, was wir so trieben, moderierten und stellten auch strenge Regeln auf (keine Angaben BMI, Körpergewicht, Größe, später durften wir auch keine Fotos von uns mehr in den Profilen haben).
Es gab zudem einen Bereich "Therapieformen", wo über Erfahrungen in verschiedenen Therapien berichtet und sich ausgetauscht wurde. Auch das wurde von einer Psychotherapeutin geleitet/moderiert.
War ne gute Anlaufstelle mit vielen wichtigen Infos. Ach ja, was war das noch für eine Zeit, ganz ohne TikTok.

Wir organisierten lose Gruppentreffen in verschiedenen Städten, so auch Ffm.
Außerdem trafen wir uns auch mal in einem Zentrum für Essstörungen, wo viele von uns ebenfalls in Betreuung waren (auch an Studien teilnahmen zB).

Die Patientin jedenfalls wurde jahrelang psychoanalytisch traktiert. Also, sie hatte schon Jahre hinter sich, als ich sie kennenlernte und das ganze Therapiespektakel ging zu dem Zeitpunkt in eine neue Runde, die ich und andere Betroffene die ganze Zeit über recht engmaschig und hautnah miterleben durften.

Der helle Wahnsinn. Leitsymptom war für uns als außenstehende Beobachterinnen die vollkommene Abhängigkeit der Patientin von ihrem damaligen Therapeuten. (Und auch von allen Psychoanalytikern, die sie gehabt hatte und zu dem Zeitpunkt hatte. Aus irgend einem Grund kam für sie nur diese Therapieform in Frage.)
Alle ihre Gedanken und ihre Tun kreisten ständig um ihn und die Therapiestunden und die Beziehung und was sie gesagt hatte und was er gesagt hatte und und und.

Vieles habe ich zum Glück vergessen oder verdrängt. Es gab so viele Einzelheiten, die ich intuitiv völlig gestört und kaputt fand - der gesunde Hausverstand gab das nicht nur mir ein, fast jeder andere, der die Geschichten rund um den Therapeuten mitbekam, fand das ... nicht normal.

Sie wechselte dann zu einer Therapeutin (ich weiß nicht mehr warum) und dort gings ähnlich weiter. Diese Therapeutin wollte sie nach einiger Zeit loswerden. Sie sei überfordert usw, genau weiß ich auch das nicht mehr.
Jedenfalls drehte sich danach erstmal monatelang alles um den Kampf der Patientin, die Therapeutin zu überzeugen, sie zu behalten.

Ich bin nicht sicher, obs an der Therapieform lag oder an den Therapiekonzepten oder den Analytikern als solches - die Patientin war auch sehr schwierig bzw ihre Verfassung und ihre Sammlung an Krankheitsbildern, Vorgeschichte und einfach alles. Dauerinstabil. Sie hatte übrigens auch DIS - diesbezüglich muss ich ja noch mit eLender ein Hühnchen rupfen.

Für mich war damals klar: Psychoanalyse wird niemals über mich hereinbrechen.

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Max P am 22. Januar 2023, 18:47:07
Zitat von: zimtspinne am 22. Januar 2023, 18:32:54Für mich war damals klar: Psychoanalyse wird niemals über mich hereinbrechen.

Das kann mit jeder anderen Psychotherapieform auch passieren, wenn sie zum Patienten nicht passt und/oder der Therapeut unfähig ist oder eklatante Charaktermängel aufweist. 
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 18:53:36
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 17:37:422.) Selbst wenn ich das täte (oder gerade dann), würdest du doch nur wieder irgendwelche Offtopic-Hasen von der Kette lassen und mit mindestens 10 Kilo Bibelexegese oder was Vergleichbarem um dich werfen. Das wäre ebenso müßig.  ;D
Fürchtest Du Dich vor ein paar Bibelversen? Aber die würde ich bei diesem Thema höchstens als Garnierung verwenden. ;)

Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 17:37:42Ich vermute, es gibt überhaupt keine streng naturwissenschaftliche Evidenz für irgendeine Form von Psychotherapie. [...]
So kompliziert denken nur Analytiker, und aus naheliegenden Gründen. Im Grundsatz ist die Beschaffung von Evidenz simpel: Behandle 2 Patientengruppen verschieden und schaue nach, in welcher Gruppe sich die Symptomatik besser zurückgebildet hat (im Besonderen ist das natürlich dann nicht so einfach, weil es zahlreiche schwer kontrollierbare Einflussfaktoren geben kann).
Wir hatten das Thema mal ausführlicher und mit allerlei Verästelungen, hier:

https://forum.psiram.com/index.php?topic=16167.0
https://forum.psiram.com/index.php?topic=16154.0

Insbesondere hier: #11 (https://forum.psiram.com/index.php?topic=16154.msg220989#msg220989)


Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 22. Januar 2023, 18:54:14
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 17:37:42Ein, wenn nicht überhaupt der zentrale Einwand gegen die Psychoanalyse war m.W. auch immer ein ökonomischer und nicht wissenschaftlicher: Psychoanalyse dauert zu lange und ist zu teuer.

Der hörenswerte Psychotherapie-Beitrag von Böhmermann spricht Klartext:
https://www.youtube.com/watch?v=mzMj-v1sMI4

Ich wohne in Österreich, da sieht es schlecht aus für psychisch Kranke. Psychotherapie auf Krankenschein ist hier eine Art Gnadenakt der Krankenkassen. Aber das Verständnis von Krankheit ist hier insgesamt noch sehr katholisch. Heißt: Die sind für die Gesunden da, die mit einem Gnadenbrot ihr Seelenheil erkaufen können. Von Selbstbestimmung und Rechten ist man noch ein paar Jahrhunderte entfernt.

Bei ausreichend mehr Unverschämtheit werden sich Politiker trauen zu äußern, dass Siri/Google Assistent/Chat GPT wohl als Therapeuten ausreichen würden.

Ich habe mir die Therapie großteils selbst bezahlt und bereue keinen Cent. Viele sind nicht so privilegiert.

Psychoanalytiker lernen, jahrelang mit einem Patienten, mehrere Stunden in der Woche, durchzuhalten. Ich finde das großartig. Die besprochene Situation, das Gefühl und die Krankheit wird für Patient und Therapeut fühlbar, das erträgt eben nicht jeder Therapeut/Patient. Aufgrund der kurzen Dauer und der niedrigen Frequenz konnte ich in verhaltenstherapeutischen Verfahren die Täuschung des Therapeuten aufrecht erhalten - und ich tat es. Es war einfach ein drang, so zu handeln. Hauptsache, ein friedliches, fröhliches Therapieende. Das ging natürlich nicht mehr bei 3-4x in der Woche. Und PsychoanalytikerInnen kommen oft aus besseren Verhältnissen, interessieren sich für Philosophie, Literatur und Kunst. Und davon profitiert auch der Patient, gerade der, der es nicht so gut hatte.

Die Zerlegung des Theoriegebäudes überlasse ich gern denen, die es brauchen, so hat am Ende jeder was von der Psychoanalyse ;-)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 19:03:28
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 18:28:12Freud bzw. die Psychoanalyse hat zum ersten Mal festgestellt und formuliert, dass es so etwas wie ein Unbewusstes gibt, das Verhalten und Einstellungen eines Menschen maßgeblich beinflussenb kann und daraus einen Therapieansatz entwickelt. Das ist das Entscheidende und nicht Zeitbedingtes wie Penisneid oder andere an den Schamhaaren herbeigezogene Annahmen.

Das mag schon sein, dass die Erkenntnis, dass es ein Unterbewusstsein gibt, bahnbrechend war. Nur darf man halt auf dieser Erkenntnis nicht stehen bleiben. Das ist so, als würde man heute noch behaupten, die Planeten bewegen sich auf Kreisbahnen, wo es tatsächlich Ellipsen sind.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 19:15:58
Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 18:54:14Und PsychoanalytikerInnen kommen oft aus besseren Verhältnissen, interessieren sich für Philosophie, Literatur und Kunst. Und davon profitiert auch der Patient, gerade der, der es nicht so gut hatte.

Die Zerlegung des Theoriegebäudes überlasse ich gern denen, die es brauchen, so hat am Ende jeder was von der Psychoanalyse ;-)

;)
Nun, nicht überall, wo Psychoanalyse drauf steht, ist auch Psychoanalyse drin. Wir hatten vorn ein Beispiel in diesem Faden, #8 (https://forum.psiram.com/index.php?topic=17774.msg252366#msg252366), unten. Der Therapeut hat viele Freiheiten, und er wird sich (im optimalen Fall) weiter entwickeln. In gewisser Weise konvergieren die Richtungen auch. Psychotherapie ist letztlich – wie auch Psychiatrie – eine Begegnung von Mensch zu Mensch, bei aller professioneller Distanz.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 19:17:51
Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 18:54:14Der hörenswerte Psychotherapie-Beitrag von Böhmermann spricht Klartext:
https://www.youtube.com/watch?v=mzMj-v1sMI4 (https://www.youtube.com/watch?v=mzMj-v1sMI4)

Böhmermann kratzt nur an der Oberfläche.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Max P am 22. Januar 2023, 19:24:47
Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. Januar 2023, 19:03:28
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 18:28:12Freud bzw. die Psychoanalyse hat zum ersten Mal festgestellt und formuliert, dass es so etwas wie ein Unbewusstes gibt, das Verhalten und Einstellungen eines Menschen maßgeblich beinflussenb kann und daraus einen Therapieansatz entwickelt. Das ist das Entscheidende und nicht Zeitbedingtes wie Penisneid oder andere an den Schamhaaren herbeigezogene Annahmen.
Das mag schon sein, dass die Erkenntnis, dass es ein Unterbewusstsein gibt, bahnbrechend war. Nur darf man halt auf dieser Erkenntnis nicht stehen bleiben.
Natürlich darf man das nicht; das ist bei jeder bahnbrechenden Entdeckung eigentlich selbstverständlich. Letztere hat immer ihre meist zeitbedingten Unvollkommenheiten und Irrtümer. Die ursprünglichen Entdecker müssen auch keine Heiligen sein. Man sieht später aber nur deshalb weiter, weil man auf ihren Schultern steht.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: zimtspinne am 22. Januar 2023, 19:27:00
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 18:47:07
Zitat von: zimtspinne am 22. Januar 2023, 18:32:54Für mich war damals klar: Psychoanalyse wird niemals über mich hereinbrechen.

Das kann mit jeder anderen Psychotherapieform auch passieren, wenn sie zum Patienten nicht passt und/oder der Therapeut unfähig ist oder eklatante Charaktermängel aufweist.

Ja ich weiß und ich kann aus eigener Erfahrung auch nicht viel mitreden, da ich bisher nur eine VT komplett durchgezogen habe (während Corona, aber nicht wegen Corona ;)) und davor mal ein paar Monate (oder waren es nur Wochen?) eine VT bei einer anderen Therapeutin, mit der ich nicht besonders klar kam, zudem war ich zu der Zeit noch gar nicht therapiefähig.

Glaub mir, ich habe durch den Austausch mit vielen vielen anderen Betroffenen und deren Berichten und Erfahrungen schon einen groben Eindruck und was das Mädchen (sie war ja damals gerade mal 20 und hatte schon reichlich Therapie- und Psychiatrieerfahrungen) an Details über ihre Sitzungen erzählte ist mir einfach herausragend (negativ) in Erinnerung geblieben.

Eine TRaumatherapie wäre für sie vermutlich passender gewesen. Oder wenigstens mal was anderes probieren, wenn offenbar die eine Richtung zu einer Verschlimmerung führt. Nicht mal STabilität konnte sie erreichen.

Mein Corona-Therapeut war super. Ein Lebenspraktiker und Pragmatiker, ohne Geschwafel aus anderen Sphären. Außerdem legte er maximalen Wert darauf, sich bis Ende der Therapie möglichst überflüssig bei mir zu machen. Es gab da nicht mal den Hauch einer Chance, eine Abhängigkeit zu entwickeln.
Mir war aber auch eine gewisse Distanz immer wichtig und ich werde nie verstehen, wie es so viele Mädchen und Frauen geben kann, die sich in Abhängigkeitsverhältnisse zu ihren Therapeuten begeben.
Nie im Traum wäre es mir eingefallen, meinem Therapeuten Geschenke zu machen. Schon eine Urlaubskarte hätte ich unangemessen und schräg gefunden. Machen aber viele... und halten das für normal.
Bestenfalls mal ein paar selbstgebackene Kekse auftischen, für den leckeren Tee, den er immer machte, war drin.

Das Abhängigkeitsding finde ich ein großes Problem. Und ich hatte den Eindruck, unter Analyse ist es besonders schlimm ausgeufert.

Richtig überprüfen und kontrollieren kann man die Qualität der jeweiligen Therapien wohl niemals. Zumal es auch nicht in der Natur der Sache liegt, dass ausgerechnet Menschen in psychischen Schieflagen und Ausnahmezuständen sich beschweren werden und dann auch noch erstgenommen werden.

Hatte sogar mal was zu genau diesem Problemfeld gelesen, fällt mir grad ein. Betraf mich aber nicht, daher hab ich das nicht weiter beachtet.
War aber interessant, hat viele meiner persönlichen Beobachtungen bestätigt, die davor eher nur unklare Wahrnehmung und Bauchgefühl waren.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 19:35:31
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 19:24:47Man sieht später aber nur deshalb weiter, weil man auf ihren Schultern steht.

Was wissen wir denn heute, 100 Jahre nach Freud, positiv Genaueres vom Unbewussten? Nach meiner Kenntnis ist das ein bisschen wie mit der Dunkelziffer: sein Wesen ist, dass es dunkel ist, immer bereit liegend, wenn man um Begründungen verlegen ist, aber etwas erreichen will. Aber ich würde mich belehren lassen.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Max P am 22. Januar 2023, 19:39:07
Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 18:53:36Fürchtest Du Dich vor ein paar Bibelversen? Aber die würde ich bei diesem Thema höchstens als Garnierung verwenden. ;)
Du verwendest sie in der Regel zu nichts anderem.  :grins2:

ZitatIm Grundsatz ist die Beschaffung von Evidenz simpel:
Im Grundsatz ist fast alles simpel.

Zitat(im Besonderen ist das natürlich dann nicht so einfach, weil es zahlreiche schwer kontrollierbare Einflussfaktoren geben kann).
Na ja eben.

Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 19:15:58Psychotherapie ist letztlich – wie auch Psychiatrie – eine Begegnung von Mensch zu Mensch, bei aller professioneller Distanz.
Siehste. 

Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 19:35:31
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 19:24:47Man sieht später aber nur deshalb weiter, weil man auf ihren Schultern steht.
Was wissen wir denn heute, 100 Jahre nach Freud, positiv Genaueres vom Unbewussten?
Ich bezog mich ganz allgemein auf bedeutende Denker. Was speziell Freud angeht, sind 100 Jahre vielleicht noch nicht ausreichend? Wie gesagt, das Bewusstsein ist generell ein weitgehend unbekannter Planet. 
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 20:05:46
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 19:39:07
Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 18:53:36Fürchtest Du Dich vor ein paar Bibelversen? Aber die würde ich bei diesem Thema höchstens als Garnierung verwenden. ;)
Du verwendest sie in der Regel zu nichts anderem.  :grins2:
In der Tat. Aber das wirkt auf mich ein wenig wie eine posthume Erkenntnis, die mich ehrlich gesagt ein wenig überrascht.

Es liegt mir durchaus fern, Dir nahetreten zu wollen, aber nach meinem Eindruck hast Du die Phase der Inkohärenz erreicht. Ich müsste nur die vorangegangenen Aussagen, auf die sich meine Erwiderung bezieht, noch davor setzen, um das deutlicher zu machen. Ich setz' es hier mal drunter:

Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 19:39:07
ZitatIm Grundsatz ist die Beschaffung von Evidenz simpel:
Im Grundsatz ist fast alles simpel.

Zitat(im Besonderen ist das natürlich dann nicht so einfach, weil es zahlreiche schwer kontrollierbare Einflussfaktoren geben kann).
Na ja eben.
"Nicht einfach" ist nicht dasselbe wie "unmöglich", und in den angeführten Fäden ist ein ganzes Rudel von Beispielen genannt. Ich darf nochmal erinnern, Deine These war:
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 17:37:42es gibt überhaupt keine streng naturwissenschaftliche Evidenz für irgendeine Form von Psychotherapie

Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 19:39:07
Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 19:35:31
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 19:24:47Man sieht später aber nur deshalb weiter, weil man auf ihren Schultern steht.
Was wissen wir denn heute, 100 Jahre nach Freud, positiv Genaueres vom Unbewussten?
Ich bezog mich ganz allgemein auf bedeutende Denker. Was speziell Freud angeht, sind 100 Jahre vielleicht noch nicht ausreichend? Wie gesagt, das Bewusstsein ist generell ein weitgehend unbekannter Planet.
Da haben wir ja komplette Übereinstimmung erzielt.  :prosit
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 22. Januar 2023, 20:09:29
Zitat von: Peiresc am 22. Januar 2023, 19:15:58Nun, nicht überall, wo Psychoanalyse drauf steht, ist auch Psychoanalyse drin.

Ich habe auch nicht aktiv nach einer Psychoanalyse gesucht. Der Berater in einer Beratungsstelle war selbst Psychoanalytiker und hat mir eine Kollegin empfohlen. Dass jemand in Ö Analyse macht, scheint so selten zu sein, dass ich schon öfter gefragt wurde, wie ich dazu gekommen bin.
Schade.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 22. Januar 2023, 20:16:21
Zitat von: Regen12 am 22. Januar 2023, 20:09:29Schade.

Wir hatten neulich im Forum ein langes Video von Erich Fromm. Es war in seiner Grundaussage unbrauchbar, aber interessant waren die ersten ca. 10 min. Da berichtet er von seiner Zeit als Analytiker und macht plastisch, dass orthodoxe Psychoanalyse steril ist und niemandem helfen kann, weshalb er sie aufgegeben hat. Ich weiß auch nicht, ob das wirklich noch jemand im Freudschen Sinn betreibt, aber möglich wäre es.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: zimtspinne am 22. Januar 2023, 20:33:58
@ Max

Bevor das missverständlich rüberkommt:
ich möchte aus der Ferne gar keinen Therapieablauf oder Therapeuten beurteilen (egal ob Analyse oder Psycho). Kann ich nicht, müsste ich schon dabeigewesen sein und auch dann wäre ich nicht qualifiziert für die Beurteilung.

Entscheidend sind die Resultate.
Gibt es keinerlei Fortschritte, eher Verschlechterungen, werden keine Therapieziele je erreicht (oder überhaupt gesetzt!?) = Therapieversagen.

Da man Qualität und Wirksamkeit nur indirekt beurteilen kann, muss man sich am Zustand der Patienten orientieren und den sollte ein Analytiker schon erkennen.

Bei keiner anderen Behandlung würde man ewig fortfahren, wenn sich keine Verbesserung wie auch immer zeigt. Gilt sicher nicht für alles, aber wenn man schon die Analyse als Erhaltungstherapie betrachtet, müsste wenigstens sowas wie stable disease erreicht werden.
Sonst isses einfach Murks und gehört abgesetzt. Mit keiner anderen Behandlung käme man damit den Kassen gegenüber durch.

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 25. Januar 2023, 19:33:02
Ein paar Informationen zu ein paar Details kann ich inzwischen noch einstreuen.

1)
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 18:28:12Freud bzw. die Psychoanalyse hat zum ersten Mal festgestellt und formuliert, dass es so etwas wie ein Unbewusstes gibt, das Verhalten und Einstellungen eines Menschen maßgeblich beinflussenb kann und daraus einen Therapieansatz entwickelt. Das ist das Entscheidende
Zitat[Eduard Hartmann] studierte in Berlin Naturwissenschaften u. Philosophie u. erzielte bereits zwei Jahre nach seiner Promotion mit der Abhandlung Philosophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschaung (Bln. 1869. 10[. Aufl.] 1890 in 3 Bdn.) einen Sensationserfolg. Mit diesem Werk wurde H. zum »Modephilosophen« der Gründerzeit [...]

Killy Literaturlexikon
Also, vor Freud war das Unbewusste Gegenstand und Sensationserfolg der Modephilosophie. Wie sah es vor ihm in der Wissenschaft damit aus?

ZitatUnbewusstes: [...]
Eine unbewusste Tiefenschicht der Psyche mit kontinuierl. Übergängen zum Bewusstsein wurde schon frühzeitig (Plotin, Leibniz, Schelling, Herbart, Carus, von Hartmann, Nietzsche) angenommen. Im 19. Jahrhundert wurde das U. ein bis in die wissenschaftl. interessierte Öffentlichkeit hinein diskutiertes Phänomen u. Kzpt.; Anlass waren v. a. psychopatholog. Phänomene, wie multiple Persönlichkeit, ambulator. Automatismen, automat. Schreiben, auch Hypnose. V. a. von Frankreich gingen wichtige Impulse aus; ein bahnbrechendes Werk war »Automatisme psychologique«, von P. Janet, der damit zum Begründer des wissenschaftl. U.-Kzpts. (im Unterschied zum philosoph.-metaphys. Kzpt.) geworden ist
[...]
Zentral u. von dort aus Allgemeingut der Populärps[ychologie] geworden ist das Kzpt. des U. innerhalb der Psychoanalyse Freuds.

Städtler: Lexikon der Psychologie (2013)
(Kursiv von mir)

2)
Zitat von: Max P am 22. Januar 2023, 17:37:42
ZitatIn der akademischen Psychologie wie auch in der deutschen Psychiatrie hat die Psychoanalyse stets nur eine marginale Rolle gespielt.
Ob das wirklich STETS so war, sei dahingestellt.
Zitat(9) Das Verhältnis von Psa. u. akadem. Ps.: Die Psa. ist eine der Theorien, die die Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt haben [...]
V. a. in der Populärrezeption wird die Psa. häufig mit der Ps. identifiziert o. als deren Hauptteil betrachtet – was in groteskem Gegensatz zur realen Situation steht: Tatsächl. ist die Psa. außerhalb der akadem. Ps. entstanden, niemals wirkl. in diese integriert worden, u. es hat von Anfang an ein äußerst spannungsreiches Verhältnis zw. beiden bestanden [...]

Städtler: Lexikon der Psychologie (2013)
Es folgen Beispiele einer durchaus wohlwollenden akademischen Aufnahme; insofern wichtig, als sich die Psychoanalytiker von Anfang an als die verfolgte Unschuld stilisiert haben.

8)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 25. Januar 2023, 20:18:33
Bemerkenswert finde ich daran, dass anscheinend mit psychoanalytischen oder meinetwegen auch Freud'schen Vorstellungen vom "Es, Ich und Über-Ich" etc. p. p. nach  wie vor in der Pädagogik herumpalavert wird.

Aber Pädagogik ist auch so eine Sache für sich ... ::)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 25. Januar 2023, 23:31:08
Zitat von: Peiresc am 25. Januar 2023, 19:33:02Ein paar Informationen zu ein paar Details kann ich inzwischen noch einstreuen.
Komm doch hier nicht mit Tatsachen! ;)

Der Freud und dessen Freunde Anhänger sehen das doch eher als literarische Leistung, man hat das alles nur erdacht, um irgendeine wissenschaftlich klingende Basis für Schundromane und Ähnliches zu haben. Da kann man Küchenpsychologisieren bis zum Abwinken und es klingt trotzdem echt. Oder will hier jemand behaupten, dass das nicht so ist? :o

Für mich ist Freud der Tesla des Liegemobiliars.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: zimtspinne am 26. Januar 2023, 18:38:19
ist es nicht nebenbei auch so, dass Analytiker mit Psychos verfeindet sind? Also nicht Fressfeindschaften sind hier gemeint (die wohl auch), sondern grundsätzliche Lagerfeindschaft.
Hab ich jetzt aber nur aus dem Gedächtnis gebuddelt, als nebulöse Erinnerung.
Kannte mal privat eine Analytikerin lose über gemeinsame Bekannte und erinnere mich, dass darüber auch gesprochen wurde (sehr dunkel, meine Interessen lagen da gerade bisschen woanders).


Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 26. Januar 2023, 23:12:45
Zitat von: zimtspinne am 26. Januar 2023, 18:38:19ist es nicht nebenbei auch so, dass Analytiker mit Psychos verfeindet sind?
Ich könnte mir vorstellen, dass die PA eher von Psychologen für Therapien verwendet wird, und dass Psychiater das eher als Mumpitz ansehen. Die haben ja zumindest eine Vorstellung von Evidenz. Bei anwesenden Psychiatern bin ich mir da sogar sicher ;)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Gefährliche Bohnen am 27. Januar 2023, 07:14:28
Zitat von: eLender am 26. Januar 2023, 23:12:45
Zitat von: zimtspinne am 26. Januar 2023, 18:38:19ist es nicht nebenbei auch so, dass Analytiker mit Psychos verfeindet sind?
Ich könnte mir vorstellen, dass die PA eher von Psychologen für Therapien verwendet wird, und dass Psychiater das eher als Mumpitz ansehen. Die haben ja zumindest eine Vorstellung von Evidenz.

Das kann ich nicht bestätigen. Wissenschaftliche Methodik und Statistik wird im Psychologiestudium deutlich ausführlicher und detaillierter gelehrt als im Medizinstudium. Kann ich aus eigener Erfahrung berichten (schon im ersten Semester Psychologie im Nebenfach hab ich davon deutlich mehr gelernt als im gesamten Medizinstudium) :grins2:
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Scipio 2.0 am 27. Januar 2023, 07:50:59
Nach persönlicher Erfahrung scheinen pseudowissenschaftliche Methoden unter Psychologen ziemlich weit verbreitet zu sein. Außerdem hat mir praktisch jeder Psychologe irgendwas anderes zu meinen Beschwerden erzählt, was mir nicht wirklich den Eindruck vermittelt hat, dass die wissen was sie da tun.

Oben drauf kommen noch so Phänomene wie die Satanic Panik, die sich wohl ziemlich weit unter Psychologen verbreitet zu haben scheint.

Alles für mich Grund genug mich von denen fern zu halten, auch wenn ich eigentlich Hilfe brauchen würde.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Typee am 27. Januar 2023, 09:58:44
Zitat von: Scipio 2.0 am 27. Januar 2023, 07:50:59Nach persönlicher Erfahrung scheinen pseudowissenschaftliche Methoden unter Psychologen ziemlich weit verbreitet zu sein. Außerdem hat mir praktisch jeder Psychologe irgendwas anderes zu meinen Beschwerden erzählt, was mir nicht wirklich den Eindruck vermittelt hat, dass die wissen was sie da tun.

Mein Eindruck, ohne Insider gewesen zu sein: (einige) Psychologen und alle Psychoanalytiker teilen einen Denkfehler: für gewöhnlich betrachtet man ein Phänomen und erdenkt dann einen Begriff dafür. Jene erdenken einen Begriff und halten ihn für ein Phänomen. 


Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Scipio 2.0 am 27. Januar 2023, 13:25:25
Ich hatte bei meinen Behandlungen im übrigen häufig das Gefühl, dass man gar nicht so richtig auf meine Sorgen und Nöte eingeht sondern mich eher als eine Art Werkstück betrachtet. Gerade bei der letzten Psychologin hatte ich diesen Eindruck sehr stark.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 27. Januar 2023, 15:10:19
Bist du schon mal zu einer psychiatrischen Klinik gegangen? Kennst du diese Seite: Depressionsliga (https://depressionsliga.de/)?
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Scipio 2.0 am 27. Januar 2023, 15:13:00
Nein, davon habe ich bis jetzt noch nichts gehört.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 27. Januar 2023, 15:47:23
Vielleicht findest du auch diese Podcast-Serie hilfreich: NDR Info: RAUS AUS DER DEPRESSION | Torsten Sträter: Depression bei Männern (https://www.ardaudiothek.de/episode/raus-aus-der-depression/torsten-straeter-depression-bei-maennern/ndr-info/12199243/)

Zitat,,Es war wie der Jakobsweg", sagt Komiker Torsten Sträter heute über seinen Gang zum Arzt. Die erste Depression hatte er in den 90ern. Hoffnungslosigkeit und Angst schlichen sich in sein Leben. Doch die Behandlung beim Arzt, auch mit Medikamenten, half – die Depression ging zurück. Sie kommt aber auch immer wieder zurück. Wie das ist, mit Depression bei Männern, mit dem Humor und mit Medikamenten bei Depression – darüber spricht Torsten Sträter mit Harald Schmidt, der auch in der letzten Folge der dritten Staffel dieses Podcasts seinen Gast als Schirmherr der deutschen Depressionshilfe begrüßt.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: zimtspinne am 27. Januar 2023, 16:25:02
@ Scipio

Schade, dass du dich nicht gut aufgehoben gefühlt hast bei deinen bisherigen Psychologen. Wahrscheinlich ja Psychotherapeuten.

Ist ja kein Geheimnis, dass kaum jemand auf Anhieb einen passenden findet und die Suche oft jahrelang geht.

Möglicherweise sind auch die Erwartungshaltungen unrealistisch. Dazu schreib ich evtl später noch was.

Hast du konkrete Kritikpunkte, was hätte anders laufen können/sollen?
Oder meinst du das unspezifisch, so als Gesamteindruck?

Ich habe ja bisher nur zwei Psychotherapeuten kennengelernt, nein, drei sogar. Bei einer hatte ich 2 oder 3 Probestunden und dann wurde ich rausgeworfen, da ich eine verlangte Überweisung nicht (wie angekündigt) beigebracht hatte. Konsequentes Handeln - finde ich total in Ordnung.
Im Nachhinein deute ich mein Zögern (zuerst hielt ich das ja für meine ganz normale Aufschieberitis und Trödelei, ich kann aber auch anders, wenn mir Dinge wirklich wichtig sind) als unstimmige Chemie.
Mir gefiel nicht, wie sie schon in den Probesitzungen mich dauernd in bestimmte Richtungen zu manövrieren versuchte.
Ich war doch da wegen X, warum rede ich die ganze Zeit über A, B, C, Y und Z und nicht über X?
Mein späterer Therapeut wäre damit komplett anders umgegangen. Der hat mit mir immer über das gesprochen, was mir gerade wichtig war, ohne mich in bestimmte Richtungen zu drängen. Es ging dain, wohin ich wollte.
In den Details dieser Richtungen drängelte er dann natürlich schon manchmal und wurde mir auch mal reichlich unbequem. Vermutlich muss das so sein, soll ja keinen Spaß machen ;)

Ich finde das aber auch verwirrend, wie krass unterschiedlich jeder Therapeut vorgeht und demzufolge auch der Ablauf ist.
Als ob es so etwas wie leitliniengerechte Behandlung und Therapiekonzepte nicht gäbe.... jeder macht stattdessen, was er/sie will. Ich hatte immer Verhaltenstherapie-Ansätze, hätte sich also gleichen ähneln sollen. Irgendwie. Ein bisschen zumindest.

In der restlichen Medizin läuft das halt anders. Auch wenn die einzelnen Ärzte sich in ihren Abläufen und Herangehensweisen unterscheiden, erkennt man doch immer den roten Faden und so etwas wie ein Grundkonzept. Ein Fundament, auf dem nach Plan aufgebaut wird, ist erkennbar, bei aller Individualität.
Ist eigentlich auch bei Psychiatern so. Auch wenn die schon noch speziell sind.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Scipio 2.0 am 27. Januar 2023, 18:38:43
Das hier:

ZitatMir gefiel nicht, wie sie schon in den Probesitzungen mich dauernd in bestimmte Richtungen zu manövrieren versuchte.

und das hier:

ZitatIch war doch da wegen X, warum rede ich die ganze Zeit über A, B, C, Y und Z und nicht über X?

Fast es recht gut zusammen. Oben drauf kommt noch, dass viele Therapeuten nicht so wirklich ein Verständnis für ADHS haben bzw. für die Folgen die das mit sich bringt. (Wenn das denn überhaupt stimmt, was man vielleicht auch noch mal überprüfen sollte.)

Dann gab es noch den Umstand, dass ich viele mal den Therapeuten wechseln musste. Dies hat dazu geführt, dass ich den Therapeuten immer alles von neuem erklären musste, meiner Meinung nach hat das auch zur Verstärkung der Depression beigetragen.

So richtig Impakt hatten die Maßnahmen auch nie. Medikamente darf ich wegen meines Herzfehlers auch keine nehmen.



Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 27. Januar 2023, 18:50:29
Zitat von: Gefährliche Bohnen am 27. Januar 2023, 07:14:28Das kann ich nicht bestätigen. Wissenschaftliche Methodik und Statistik wird im Psychologiestudium deutlich ausführlicher und detaillierter gelehrt als im Medizinstudium. Kann ich aus eigener Erfahrung berichten (schon im ersten Semester Psychologie im Nebenfach hab ich davon deutlich mehr gelernt als im gesamten Medizinstudium)
OK, ich muss etwas präzisieren (und dabei immer noch spekulieren): ich meinte dabei die Psychotherapie, die ja nur von Psychologen und Psychiatern (Ärzten) durchgeführt werden darf. Da kann ich mir vorstellen, dass beide Berufsgruppen eher unterschiedliche Ansätze verfolgen, vor allem die "analytischen" Ansätze sollte man eher bei Psychologen erwarten. Kann aber auch total anders sein, was ich aber nicht glaube. (Ich habe das nur so in Erinnerung, muss nochmal schauen, wo ich das mal so gelesen habe)

Und zur Methodik Psychologie / Medizin auch nur eine spekulative Einschätzung: Psychologie wurde / wird eher in den Bereich der Sozialwissenschaften eingeordnet (das ist nicht überall so). In den Sozialwissenschaften gibt es einige methodische Kurse; da wird dann meist geklagt, man hätte ja nicht so ein Studium gewählt, bei dem sooo viel Mathematik verlangt wird ;)  Man versteht sich ja als Wissenschaft, da sollte dann auch Wissenschaftsmethodik (u.a. auch Statistik) gelehrt werden.

Die Medizin ist ja so etwas wie eine angewandte "Wissenschaft", auf wissenschaftsmethodische Aspekte wird man nicht so viel Wert legen (können), man hat ja mit dem praktischen Wissen schon viel zu lernen. Das mag aber bei bestimmten Schwerpunkten anders aussehen. Das sind alles nur Tendenzen und man findet beides bei beidem. Mal mehr, mal weniger.

Und in der Praxis spielt Evidenz eher eine Rolle (die Eierköpfe können ja im gemütlichen Elfenbeinturm ungestört phantasieren). Medizin (und die, die das bezahlen sollen), verlangt ja auch zunehmend nach Evidenz. So tendenziell.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: zimtspinne am 27. Januar 2023, 19:10:38
Zitat von: eLender am 26. Januar 2023, 23:12:45
Zitat von: zimtspinne am 26. Januar 2023, 18:38:19ist es nicht nebenbei auch so, dass Analytiker mit Psychos verfeindet sind?
Ich könnte mir vorstellen, dass die PA eher von Psychologen für Therapien verwendet wird, und dass Psychiater das eher als Mumpitz ansehen. Die haben ja zumindest eine Vorstellung von Evidenz. Bei anwesenden Psychiatern bin ich mir da sogar sicher ;)
Ja, das wäre durchaus möglich.
Ich hätte eher angenommen, das war ein Geraffel zwischen den unterschiedlichen Psychotherapie-Verfahren.... insbesondere analytische PT/Psychoanalyse und tiefenpsychologische PT.... aber keine Erinnerung, könnte auch das schwurbellastige Psychologenzeugs grundsätzlich gewesen sein.

Es gibt allerdings auch naturwissenschaftlich orientierte Psychologie. Auch experimentelle Psychologie genannt.
Und evolutionäre Psychologie, die natürlich auch nicht empirisch gesättigt daherkommt. Muss man leider sagen.

aha, Psiram unterhält eine eigene Psychiatrie? Das hättest du mal besser nicht verraten.
Wer ist denn der Psychiater, die Bohne? Ich hätte eher auf Peiresc getippt. Der macht so einen Eindruck.

Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Peiresc am 27. Januar 2023, 20:18:47
Zitat von: eLender am 27. Januar 2023, 18:50:29Da kann ich mir vorstellen, dass beide Berufsgruppen eher unterschiedliche Ansätze verfolgen, vor allem die "analytischen" Ansätze sollte man eher bei Psychologen erwarten. Kann aber auch total anders sein
Bisher war es so, dass man nach dem Staatsexamen als Psychologe oder Arzt eine Psychotherapie-Ausbildung bei einem registrierten Ausbildungsinstitut der eigenen Wahl begonnen hat. Das kostet die lächerliche Summe von ein paar zehntausend Euronen (am teuersten und längsten bei, man ahnt es, der Psychoanalyse). Durchaus plausibel wäre also für die Analytiker ein Selbstverständnis als Elite (wir gehen in die Tiefe, an die Ursache, und die anderen stümpern mit den Symptomen herum) – bzw. eine durch nichts gerechtfertigte Hochnäsigkeit (von außen gesehen).
Das ist aber mit Sicherheit total vereinfacht und überspitzt 😉. Empirische Untersuchungen dazu kenne ich nicht.

Es kann sein, dass dieser oder jener Arbeitgeber die Ausbildung bezuschusst, verbunden mit einer Verpflichtung des Bewerbers, das hinterher noch ein bisschen abzuarbeiten. Und es ist eine Reform der Psychotherapeutenausbildung angedacht. Einzelheiten weiß ich dazu nicht.

Zitat von: zimtspinne am 27. Januar 2023, 19:10:38Ich hätte eher auf Peiresc getippt
ähm, räusper... gelegentlich übernehme ich kommissarisch die Aufgaben des B. P. d. P. T.
(beratenden Psychiaters des Psiram-Teams).
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Scipio 2.0 am 27. Januar 2023, 20:57:30
Wenn ich eh schon meine psychischen Probleme anreiße will ich noch über etwas reden was mich schon lange belastet.

Nach der Verteidigung meiner Diplomarbeit hatte mich mein Prof beiseite genommen und mir sinngemäß gesagt, dass meine Arbeit eigentlich so schlecht wäre, dass man mich eigentlich hätte durchfallen lassen müssen aber da er nicht glaubt dass es beim nächsten mal besser wird hätte man mich trotzdem bestehen lassen.

Nun ist es leider so, dass meine Arbeit objektiv betrachtet nicht besonders gut war, immerhin habe ich das Funkgerät was ich da entwickelt habe nie richtig ans laufen bekommen, so das auch keine Tests gemacht werden konnten. Bei der schriftlichen Ausarbeitung habe ich wohl nicht so richtig verstanden worauf es ankommt und die Verteidigung war auch nicht so prall, da ich da schon wusste das meine Arbeit Mist.

Als Kontext sollte man wissen, dass mir das Studium insgesamt schon recht schwer gefallen ist.

Mein Problem ist jetzt, dass ich seit dem das Gefühl habe, dass mir mein Diplom eigentlich nicht zusteht und nagt doch sehr an meinem Selbstvertrauen und meiner Motivation noch irgendwas im Leben zu erreichen und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll...

Es fühlt sich so ein bisschen an, als würde ich final an die Grenzen meiner (intellektuellen) Leistungsfähigkeit gestoßen zu sein. So das wars jetzt mehr geht nicht.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 27. Januar 2023, 21:08:30
1. Meine Diplom-Arbeit war auch nicht der Burner (ich hatte damals eine echte Scheißzeit) und mein Wunsch nach weiterer Forschung mit anschließender Promotion wurde mir auch nur gnadenhalber gewährt. Na und? Interessiert heute keine Sau mehr. (Meine Dissertation habe ich dann doch wider Erwaten ganz gut hinbekommen.)

2. Dein Prof war ein Arsch.

3. Begib dich bitte (!) in eine neurologische / psychiatrische Behandlung. Das kann auch die Notaufnahme einer Psychiatrischen Klinik sein.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Max P am 27. Januar 2023, 22:12:42
Zitat von: Scipio 2.0 am 27. Januar 2023, 20:57:30Mein Problem ist jetzt, dass ich seit dem das Gefühl habe, dass mir mein Diplom eigentlich nicht zusteht und nagt doch sehr an meinem Selbstvertrauen und meiner Motivation noch irgendwas im Leben zu erreichen und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll...

Ich vermute mal ganz kühn, dass deine Arbeit nicht sooo unterirdisch war, wie du seitdem annimmst. So arschlochmäßig, wie dein Prof sich verhalten hat, hätte er dich doch eiskalt durchfallen lassen, wenn die Arbeit wirklich so saumäßig gewesen wäre. Oder aber er wollte dich tatsächlich durchfallen lassen, aber der Mitprüfer fand deine Arbeit dann doch nicht so indiskutabel, so dass dein Prof sich nicht durchsetzen konnte. Dafür hat er aber wenigstens noch mit einer häßlichen Bemerkung ordentlich nachgetreten...

Auch wenn deine Arbeit vielleicht nicht nobelpreisverdächtig war, war sie aber wohl nicht so schlecht, dass du deinen Abschluss etwa nicht verdient hättest. Dieses Gefühl wollte dein Arschlochprof dir aber eben arschlochmäßig mit auf den Weg geben. Wenn er dich schon nicht hatte durchfallen lassen können.

Ob du deswegen gleich in eine psychiatrische Notaufnahme gehen solltest, wie oben empfohlen, weiß ich nun nicht. Vielleicht wäre es eine gute Idee, erstmal nach einer Selbsthilfegruppe zu suchen, wo du Leute triffst, die ähnliche Probleme haben.



Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 27. Januar 2023, 23:11:27
Zitat von: Scipio 2.0 am 27. Januar 2023, 20:57:30Es fühlt sich so ein bisschen an, als würde ich final an die Grenzen meiner (intellektuellen) Leistungsfähigkeit gestoßen zu sein. So das wars jetzt mehr geht nicht.
Da bist du ganz bestimmt nicht der einzige auf der Welt*. Ich musste sogar schon Sachen aufgeben, weil ich das Ziel nicht erreichen konnte (keine Banalitäten, manchmal habe ich das Gefühl, nur durchs Leben gestolpert zu sein - bis hierher). Bei dir war es halt doof, dass das ausgerechnet beim Abschluss so gesagt wurde, aber immerhin hat es doch noch irgendwie gereicht. Ich weiß auch, dass man nie auf die Dinge stolz ist, die man gerade so geschafft hat, aber was man in der Tasche hat...

Ich würde auch nie zu sehr zurück schauen, Vergessen ist ein Segen, den man auch lernen kann. Du warst in einem anderen Alter und natürlich war das nicht der Endpunkt. Man entwickelt sich immer weiter, man baut ja auf seinen Fehlern und Missgeschicken auf. Das nennt man Fehlerkultur ;)

*Das sieht für dich nur so aus, weil es die allermeisten niemals zugeben würden
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 27. Januar 2023, 23:20:50
Zitat von: zimtspinne am 27. Januar 2023, 19:10:38Und evolutionäre Psychologie, die natürlich auch nicht empirisch gesättigt daherkommt. Muss man leider sagen.
Das ist leider so, aber die Evolution als Tatsache erlaubt sehr weitgehende Aussagen über evolvierte Systeme (das menschliche Gehirn, dessen Struktur, Motivationen, Neigungen etc.). Solche Aussagen sind dann Deduktionen, die sich aber durch sehr viele Beobachtungen plausibilisieren oder sogar überprüfen lassen. Das ist ja schon mal um einiges mehr, als die PA zu bieten hat. Ich halte die evolutionäre Psychologie am ehesten geeignet, um viele Phänomen (v.a. das Verhalten (und hier z.B. Geschlechtsunterschiede)) letztlich erklären zu können. Bin halt Materialist Dawkinist 8)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 27. Januar 2023, 23:25:22
Zitat von: Peiresc am 27. Januar 2023, 20:18:47Und es ist eine Reform der Psychotherapeutenausbildung angedacht. Einzelheiten weiß ich dazu nicht.
Habe mal kurz räschärschiert: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/psychotherapeutenausbildung.html

Bissl unkonkret, ist das eher medizinisch oder sozialwissenschaftlich ausgerichtet? Oder will man beide Welten verbinden? Und woher weiß man in so jungen Jahren, dass man das später als Beruf machen kann ;) 
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 28. Januar 2023, 08:37:29
Zitat von: Max P am 27. Januar 2023, 22:12:42Ob du deswegen gleich in eine psychiatrische Notaufnahme gehen solltest, wie oben empfohlen, weiß ich nun nicht. Vielleicht wäre es eine gute Idee, erstmal nach einer Selbsthilfegruppe zu suchen, wo du Leute triffst, die ähnliche Probleme haben.

Diese Empfehlung habe ich nicht leichtfertig gegeben. Scipio schlägt sich mit dieser Stimmungslage nun schon so lange herum, dass da endlich Profis herangezogen werden müssen.

Es ist aber leider so, dass die psychiatrischen Arztpraxen völlig überlaufen sind. Aktuell kann man von über zwanzig Wochen ausgehen, die vergehen, bis man einen Termin nur für ein Erstgespräch bekommt.

Daher ist es durchaus angebracht, in der Ambulanz einer Klinik vorstellig zu werden.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Regen12 am 31. Januar 2023, 22:09:36
@ Scipio 2.0: Therapeutenwechsel sind leider normal, es gibt einfach viele unfähige DünnbrettbohrerInnen. Und am Ende musst du auch noch mit der Person des Therapeuten können.
Für mich stellt deine Reaktion auf die Aussage deines Profs das wirkliche Problem dar. Es hilft doch nichts, ihn als A oder rachsüchtigen Miesmacher darzustellen. Du wusstest ja, wie deine Arbeit war, er hat dir nichts Neues erzählt. Das Motiv sei mal dahingestellt. Ein Gesünderer hätte sich gefreut, dass es trotzdem geklappt hat und einfach weitergemacht. Oder er hätte sich umorientiert, so einfach.
Auch wenn er nichts gesagt hätte, hättest du wahrscheinlich an dieser Arbeit gelitten. Man könnte natürlich über den Wert vieler Arbeiten diskutieren. Dabei ist es völlig irrelevant, wie die bewertet wurden, sie bringen der Forschung und der Gesellschaft einfach nichts. Aber ich glaube, das alles hilft dir am Ende auch nicht weiter.

Ich würde die Hoffnung nicht aufgeben und weiter nach einem Therapeuten Ausschau halten, auch bei den Verfahren, die hier nach einhelliger Meinung unwirksam sind. Vielleicht können dich auch Medikamente temporär unterstützen. Sowohl für Psychotherapie und psychiatrischmedikamentöse Behandlung gilt, dass du dich gut über Nutzen und Risiko informieren und abwägen musst.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 31. Januar 2023, 23:09:01
Ist zwar langsam OT, aber da mir das ins Auge geflattert ist und es hier auch um AD und deren Nutzen ging / geht:

ZitatEs war eine Nacht vor elf Jahren, ich lag in einem Krankenhausbett, die Decke über den Kopf gezogen, und konnte nicht einschlafen. In meinen Waden spürte ich ein pulsierendes Kribbeln. Am liebsten wäre ich sofort joggen gegangen, dabei war ich abends sterbensmüde ins Bett gefallen. Auf der psychiatrischen Station des Städtischen Klinikums Karlsruhe hatten mir die Ärzt:innen gerade ein neues Medikament gegen Depressionen verschrieben: Cipralex. Das Kribbeln, auch als Restless-Legs-Syndrom bekannt, war eine Nebenwirkung des Antidepressivums.

Heute, drei depressive Episoden später, schlafe ich meistens durch, nehme aber immer noch Antidepressiva. Über die Jahre habe ich, wegen starker Nebenwirkungen, den Wirkstoff mehrfach gewechselt. Heute bin ich bei einer Mischung aus drei Medikamenten angekommen, die bei mir keine spürbaren Nebenwirkungen haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass mir die Pillen helfen, meine Krankheit zu überstehen. Was ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ist, wie sie eigentlich wirken.
https://krautreporter.de/4740-antidepressiva-helfen-weniger-als-du-denkst

Keine einfachen Antworten. Ich kann dazu nichts sagen, da ich sowas nie genommen habe, aber in meinem nahen Umfeld gibt es auch Berichte, die nicht eindeutig sind. Anekdoten halt ;)
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 04. Februar 2023, 22:20:15
Ein (weiteres) Gespräch von Nikil Mukerji mit Christoph Bördlein ("Das sockenfressende Monster in der Waschmaschine") (beide GWUP), das hier ganz gut reinpasst. Wir haben ja zumindest kurz den Behaviorismus und Erich Fromm erwähnt. Zu letzterem eine wirklich schöne Anekdote, ab min 47.20  ;D


Das ist eigentlich nicht so meine Domäne, aber es war trotz der Dauer erstaunlich lehrreich und kurzweilig. Dass das Lernen ein evolutionärer Vorgang ist, habe ich aber schon immer gewusst (nuja, ich habe das lern-evolutionär erkannt). Das ist auch quasi der Ansatz des radikalen Behaviorismus. Und ich war überrascht: er ist was ganz anderes, als sich viele vorstellen (mich bis jetzt eingeschlossen). Es heißt gelegentlich (wohl aus konstruktivistischer Perspektive), er sei tot. Stimmt ja gar nicht.

Er ist auch praxistauglich. Vor allem was das Lernen und vor allen das Lehren angeht.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 05. Februar 2023, 17:09:17
 :merci: Ist auf meiner Später-ansehen-Liste gelandet.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: Schwuppdiwupp am 11. Februar 2023, 18:52:45
Zitat von: eLender am 04. Februar 2023, 22:20:15Ein (weiteres) Gespräch von Nikil Mukerji mit Christoph Bördlein ...

UiUiUiUi, Tiffy, ganz schön schwäaare Kost!

Das Gespräch zwischen den beiden hat mich in so vielen Punkten im positiven Sinn getriggert, dass ich es mir häppchenweise noch mal zu Gemüte führen muss.

Nochmals :merci: für den Hinweis auf das Video.
Titel: Re: Psychoanalyse
Beitrag von: eLender am 12. Februar 2023, 20:48:42
Zitat von: Schwuppdiwupp am 11. Februar 2023, 18:52:45Das Gespräch zwischen den beiden hat mich in so vielen Punkten im positiven Sinn getriggert, dass ich es mir häppchenweise noch mal zu Gemüte führen muss.
Ja, das sollte ich mir auch nochmal ansehen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das plötzlich so einen Wirbel macht. Kostet alles Zeit und macht müde, aber wenn man mitreden will... :kaffee