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Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Politik und Gesellschaft => Thema gestartet von: Typee am 17. Februar 2015, 21:55:50

Titel: Pastor Latzel
Beitrag von: Typee am 17. Februar 2015, 21:55:50
Alexander Grau unterhält im "Cicero" eine Kolumne mit beträchtlichen Formschwankungen. Manches ist belanglos, über das eine oder andere habe ich mich auch schon geärgert. Aber  hier (http://www.cicero.de/salon/wutrede-gegen-die-oekumene-warum-wir-danken-sollten/58871) hat er den springenden Punkt gesehen:

ZitatKurz und gut: Pastor Latzels Predigt ist fundamentalistisch, biblizistisch und trägt deutlich evangelikale Züge. Da gibt es wenig rumzudeuteln. Das ist die eine, die abstoßende Seite der Medaille. Es gibt aber auch noch eine andere, und die hat mit Fragen der Bibelauslegung gar nichts zu tun, sondern betrifft die Neigung unserer angeblich pluralistischen Gesellschaft, Unterschiede zwischen Religionen, Kulturen und Weltanschauungen klein zu reden und Verbindendes sehen zu wollen, wo es nichts Verbindendes gibt.

ZitatEs ist nicht immer alles mit allem vereinbar. Und wer A sagt, muss mitunter auch B sagen. Dass sich unsere Gesellschaft das ausgerechnet von einem fundamentalistischen Pastor sagen lassen muss, ist bezeichnend.

Was Grau nicht bis zum allerletzten ausreizt: wer es mit seinen Göttern ernst nimmt, kann keine Toleranz üben. Hierüber muss man sich entscheiden.

Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: Groucho am 17. Februar 2015, 22:08:58
Zitat von: Typee am 17. Februar 2015, 21:55:50
Was Grau nicht bis zum allerletzten ausreizt: wer es mit seinen Göttern ernst nimmt, kann keine Toleranz üben. Hierüber muss man sich entscheiden.

Lessing hat doch einen schönen Weg gezeigt. Aber das ist dann vielleicht nicht ernst genug ...
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 18. Februar 2015, 07:28:53
Zitat von: Typee am 17. Februar 2015, 21:55:50Was Grau nicht bis zum allerletzten ausreizt: wer es mit seinen Göttern ernst nimmt, kann keine Toleranz üben. Hierüber muss man sich entscheiden.
Vor einiger Zeit war bei uns die Frage ,,Theologie wofür" (https://forum.psiram.com/index.php?topic=10198.0) Thema; sie ist nicht beantwortet worden.

Die Theologie hat eine Aufgabe. Die Aufgabe der Theologie ist es nachzuweisen, dass die wörtliche Auslegung von Lk 14, 23 (,,und nötige sie hereinzukommen, auf das mein Haus voll werde") dem Geist des Evangeliums widerspricht, und daher abgelehnt werden muss. Der Pfarrer gehört als der Häresie verdächtig vor die Kirchengerichtsbarkeit, was immer das jetzt konkret heißen mag.

Das gleiche gilt, man muss nur die Koranverse statt der Bibelverse einsetzen, auch von der islamischen Theologie.

Häufig wird explizit oder implizit davon ausgegangen, dass es hier einfach einer Gedankenarbeit, des rechten Durchblicks, meinetwegen der Erleuchtung bedürfe, um zu diesen schlichten Einsichten zu gelangen. Auch das ist falsch. Es sind die bitteren Erfahrungen der Menschen, die sie an ihrer bisherigen Theologie zweifeln lassen.

ZitatDrei Gruppen von Menschen hätten es nötig, jeden Tag ihr Augenmerk darauf zu richten und sich diesbezüglich einen Merkzettel zu machen. Die Herrscher sollten sich jeden Morgen von einem Diener vorsagen lassen: »Foltert niemanden wegen seiner religiösen Meinung und dehnt das Recht des Schwertes nicht auf Gewissensfragen aus. Schaut Euch an, was Karl IX. und sein Nachfolger dadurch gewonnen haben; es ist ein wahres Wunder, daß die französische Monarchie durch ihren Katholizismus nicht zerstört worden ist. Derartige Wunder geschehen nicht jeden Tag, verlaßt Euch also nicht auf sie. [...]
Die Verwalter der kirchlichen Angelegenheiten  stellen die zweite Gruppe von Leuten dar, die das 16. Jahrhundert gut in Erinnerung behalten sollten. Wenn man zu ihnen von Toleranz spricht, glauben sie, die abscheulichste und gräßlichste aller Lehren zu hören; und um den weltlichen Arm für ihre Besessenheit zu gewinnen, schreien sie los, es bedeute, den Magistraten das köstlichste Kleinod aus ihrer Krone zu nehmen, wenn man ihnen nicht einmal mehr erlaube, Häretiker festzusetzen und zu verbannen. [...]
Aber das Übel wäre immer noch verderblich genug, so daß es den Versuch lohnt, es zu verhindern, indem man diejenigen, welche die Streitereien allzusehr lieben, auf die Betrachtung der schrecklichen Übel hinweist, die jene verursacht haben, und indem man ihnen mit Nachdruck zeigt, daß die verderblichste Intoleranz nicht die der Herrscher ist, die das Recht des Schwertes gegen die Sekten ausüben, sondern daß es die der einzelnen Doktoren ist, die sich ohne zwingende Notwendigkeit gegen die durch die Voreingenommenheit des Volkes und durch die Gewohnheit begünstigten Irrtümer erheben und sie noch dann hartnäckig bekämpfen, wenn sie schon alles in Flammen stehen sehen.

Bayle, Dict., Mâcon, C
[Hervorhebung durch mich]
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: Typee am 18. Februar 2015, 09:13:40
Zitat von: Groucho am 17. Februar 2015, 22:08:58
Zitat von: Typee am 17. Februar 2015, 21:55:50
Was Grau nicht bis zum allerletzten ausreizt: wer es mit seinen Göttern ernst nimmt, kann keine Toleranz üben. Hierüber muss man sich entscheiden.

Lessing hat doch einen schönen Weg gezeigt. Aber das ist dann vielleicht nicht ernst genug ...

Die Ringparabel mag nützlich und praktikabel sein, das wird nicht zu bestreiten sein. Aber sie führt vom Kern der Religionen weg, wenigstens der Offenbarungsreligionen.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 18. Februar 2015, 10:08:25
Die umstrittene Predigt gibt es wohl auf YouTube.
Habe sie jedoch noch nicht gesucht.

Hier eine Diskussion auf einer evangelikalen Seite:

http://www.idea.de/nachrichten/detail/thema-des-tages/artikel/bremer-predigtstreit-gemeinde-steht-geschlossen-hinter-latzel-83131.html

Ohne mich damit näher befassen zu können, ist mein genereller Eindruck:
eine Auseinandersetzung mit radikalen Islam-Varianten kommt an den Werkzeugen der Theologie nicht vorbei.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 18. Februar 2015, 16:56:21
Zitat von: sweeper am 18. Februar 2015, 10:08:25
eine Auseinandersetzung mit radikalen Islam-Varianten kommt an den Werkzeugen der Theologie nicht vorbei.

Sofern man den Glauben an Allah retten möchte.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 18. Februar 2015, 17:32:46
Zitat von: Pelacani am 18. Februar 2015, 16:56:21
Zitat von: sweeper am 18. Februar 2015, 10:08:25
eine Auseinandersetzung mit radikalen Islam-Varianten kommt an den Werkzeugen der Theologie nicht vorbei.

Sofern man den Glauben an Allah retten möchte.
Nein.
Um im Umgang mit religiösen Extremisten überhaupt ein gemeinsames "Vokabular" zu finden bzw zu verstehen, worum es ihnen geht.
Radikaler Islam ist eine politische Ideologie, die sich auf eine religiöse Tradition stützt, welche sich aus Koran und Hadithen (Auslegungen) speist.

http://www.theatlantic.com/features/archive/2015/02/what-isis-really-wants/384980/?utm_source=SFTwitter


Deshalb hätte Latzel auch besser daran getan, den Beweis der Unvereinbarkeit gemeinsamer Gottesdienste aus dem Koran abzuleiten.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 18. Februar 2015, 17:38:51
Hier zB erläutert ein salafischer Geistlicher in Kopenhagen nach dem Attentat, warum ein interreligiöser Dialog aus der Sicht des Koran völlig undenkbar ist:


https://m.youtube.com/watch?v=5VsDOI1p-8w

Latzel hat ein heißes Eisen ungeschickt angepackt, an das sich kaum ein evangelischer Theologe rantraut.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 18. Februar 2015, 18:52:04
Zitat von: sweeper am 18. Februar 2015, 17:32:46
http://www.theatlantic.com/features/archive/2015/02/what-isis-really-wants/384980/
Danke für diesen interessanten Link. Daraus:
ZitatThe Islamic State, also known as the Islamic State of Iraq and al-Sham (ISIS), follows a distinctive variety of Islam whose beliefs about the path to the Day of Judgment matter to its strategy, and can help the West know its enemy and predict its behavior.
So gesehen, scheint die Aufgabenstellung der Theologie in der Tat mit der Rettung des Glaubens noch nicht erschöpft zu sein.

Zitat von: sweeper am 18. Februar 2015, 17:38:51
interreligiöser Dialog aus der Sicht des Koran völlig undenkbar
War lange Zeit auch aus der Sicht der Bibel völlig undenkbar, vgl. das Zitat in #2 (https://forum.psiram.com/index.php?topic=13840.msg180091#msg180091)

Zitat von: sweeper am 18. Februar 2015, 17:38:51
Latzel hat ein heißes Eisen ungeschickt angepackt, an das sich kaum ein evangelischer Theologe rantraut.
Latzel ist ein Überbleibsel der Salafisten unter den christlichen Theologen.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: Gethen am 18. Februar 2015, 22:15:46
Zitat von: sweeper am 18. Februar 2015, 17:32:46
welche sich aus Koran und Hadithen (Auslegungen) speist.

Hadithe sind keine Auslegungen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Hadith

Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 18. Februar 2015, 22:32:10
Zitat von: Gethen am 18. Februar 2015, 22:15:46
Zitat von: sweeper am 18. Februar 2015, 17:32:46
welche sich aus Koran und Hadithen (Auslegungen) speist.

Hadithe sind keine Auslegungen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Hadith
Stimmt.
War verkürzt:
sie stecken in der Praxis wohl den Interpretationsrahmen ab für mehrdeutige Quran-Stellen (oder Widersprüche)
ZitatÜberlieferungen der Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed sowie der Handlungen Dritter, die er stillschweigend gebilligt hat.

Etwa so wie hier:

http://www.call-to-monotheism.com/the_execution_of_the_jews_at_bani_quraydah

Bezieht sich auf dieses historisch bedeutsame Ereignis:

http://belgien.exmuslim.org/volkermord-an-den-banu-quraiza-islam.html


Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 19. Februar 2015, 08:56:38
Zitat von: sweeper am 18. Februar 2015, 22:32:10
http://belgien.exmuslim.org/volkermord-an-den-banu-quraiza-islam.html
Was Allah recht war, konnte JHWE nicht unbillig sein, vgl. z. B. Amalekiter (http://de.wikipedia.org/wiki/Amalekiter#Der_Genozid_an_den_Amalekitern_unter_Saul.2C_David_und_Hiskia).

Aufgabe der Theologie ist es, solche Stellen in den Heiligen Schriften wegzuerklären; ihre Virulenz abzuschwächen.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: Conina am 19. Februar 2015, 09:02:04
Jedenfalls geht es noch einen Zacken schärfer.
Memri hat eine Predigt in Dänemark online gestellt, die am Vorabend des Terroranschlages auf in Kopenhagen gehalten wurde:
http://tapferimnirgendwo.com/2015/02/18/kopenhagener-imam-spricht-vom-krieg-gegen-juden-und-unglaubige/

ZitatHeute wollen wir über das alte neue Thema des Dialogs der Religionen sprechen. Die Leute, die für den Dialog der Religionen sind, wollen alle Religionen gleich machen. Sie wollen die Wahrheit und das Falsche gleich machen. Sie verwischen die Grenze zwischen der verbotenen Ketzerei und der erlaubten Täuschung der Umgebung um den Sieg des Islams willens. Sie wollen die Religion des Propheten Mohammed mit den Gesetzen gleichstellen, die von Menschen gemacht wurden. Die Gesetze wurden von Kriminellen verfasst, um die Welt zu beherrschen.
...
Unser Prophet Mohammed hatte jüdische Nachbarn in Medina. Hat er sich für engere Beziehungen, Harmonie und den Dialog mit ihnen ausgesprochen, in der Art und Weise wie es die Vereinten Nationen tun und jene, die die Wahrheit und das Falsche miteinander vereinen wollen? Oder hat er sie nicht vielmehr dazu aufgerufen, Allah zu verehren? Als die Juden diesen Pfand nicht erbrachten und seine Aufforderung ausschlugen, da, nun, Ihr wisst, was er mit ihnen gemacht hat. Darüber wird in der Biographie des Propheten berichtet: Er führte einen Krieg gegen die Juden!
...
Es muss einen ideologischen Konflikt geben, um ihre falschen Argumente zu entkräften und den Islam als einzig wahre Alternative zu ihrer falschen Kultur zu präsentieren, von der sie in die Tiefen der Verderbtheit und der Korruption geschleudert wurden. Diese Kultur hat sie von der Menschheit entzogen und sie auf die Stufe der Bestien gestellt.


Fassen wir zusammen: Patzel hat nichts mit dem Christentum zu tun und dieser Imam nichts mit dem Islam.

Das Christentum und den Islam gibt es eigentlich gar nicht.  ::)
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: Patches O Houlihan am 19. Februar 2015, 09:07:01
... es kann der Friedliche nicht in Frieden leben, wenn es sein böser Nachbar nicht will...
ZitatHeute wollen wir über das alte neue Thema des Dialogs der Religionen sprechen. Die Leute, die für den Dialog der Religionen sind, wollen alle Religionen gleich machen. Sie wollen die Wahrheit und das Falsche gleich machen. Sie verwischen die Grenze zwischen der verbotenen Ketzerei und der erlaubten Täuschung der Umgebung um den Sieg des Islams willens. Sie wollen die Religion des Propheten Mohammed mit den Gesetzen gleichstellen, die von Menschen gemacht wurden. Die Gesetze wurden von Kriminellen verfasst, um die Welt zu beherrschen.
Soso, Gesetze werden durch Kriminelle verfasst, Religionen aber kommen von Gott  :facepalm
Überhaupt, Betrüger halten sich praktisch immer fern von Religionen - andere unsichtbare Ideen, mit denen sich Geld verdienen lässt (z.B. weltlich begründete Gesetze) gewiss, aber Religionen (z.B. religiös begründete Gesetze) - niemals nicht. irgendwie erinnert mich das an diesen Betrüger mit dem Buch Mormon ...
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: Typee am 19. Februar 2015, 09:23:44
Zitat von: Pelacani am 19. Februar 2015, 08:56:38
Aufgabe der Theologie ist es, solche Stellen in den Heiligen Schriften wegzuerklären; ihre Virulenz abzuschwächen.

Ja, das ist nützlich und sinnvoll. Aber eins ist es eben nicht: fromm. Den Glauben mit Alleinstellungscharakter bekommt man nur dann in erträglicher Form, wenn man seinen Kern nicht ernst nimmt. Die Gläubigen werden sich entscheiden müssen.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 19. Februar 2015, 11:00:16
Zitat von: Typee am 19. Februar 2015, 09:23:44
Zitat von: Pelacani am 19. Februar 2015, 08:56:38
Aufgabe der Theologie ist es, solche Stellen in den Heiligen Schriften wegzuerklären; ihre Virulenz abzuschwächen.

Ja, das ist nützlich und sinnvoll. Aber eins ist es eben nicht: fromm.

Die Kunst, die verlangt werden muss, besteht darin, die Definition für "fromm" an die Forderung des heutigen Tages anzupassen. Wichtig ist, die Diskussion über die unlösbaren religiösen Kernfragen möglichst zu entschärfen, nicht aufkommen zu lassen, für abgeschlossen zu erklären - dem Erfindungsreichtum darf man da keine Grenze setzen.

Natürlich stellt sich das für den Atheisten wie eine Krücke dar, wenn eine Sanierung der Knochenentzündung nicht möglich ist.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 19. Februar 2015, 11:34:56
ZitatDie Kunst, die verlangt werden muss, besteht darin, die Definition für "fromm" an die Forderung des heutigen Tages anzupassen.
Das ist eine Kernaufgabe von Theologie:

http://de.m.wikipedia.org/wiki/Systematische_Theologie

Daraus ergeben sich ja die unterschiedlichen Strömungen der christlichen Theologie: Interpretation in den jeweiligen kulturellen, politischen, sozialen Rahmen hinein.

Evangelikaler Fundamentalismus tut sich damit schwer (insofern durchaus mit Salafismus vergleichbar). Dennoch diffundieren mit zeitlicher Verzögerung die veränderten theologischen Deutungen auch zu den Fundis.

Im Gegensatz dazu haben es die wenigen (!) kritischen Islamwissenschaftler sehr schwer und sind oft Zielscheibe heftiger Attacken aus den eigenen Reihen.
Der Koran wird in der dominierenden Wahrnehmung eben noch immer als die vollkommene, unveränderbare Offenbarung Gottes betrachtet. Wer daran rüttelt, ist Apostat.

Christentum zeigte hingegen von Anfang an Offenheit für neue Impulse - anders wäre es nie zur Ausweitung in den griechisch-römischen Kulturkreis gekommen - Beispiel:

http://www.bibleserver.com/text/LUT/Apostelgeschichte11,9


Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 19. Februar 2015, 11:46:59
Zitat von: sweeper am 19. Februar 2015, 11:34:56
Im Gegensatz dazu haben es die wenigen (!) kritischen Islamwissenschaftler sehr schwer und sind oft Zielscheibe heftiger Attacken aus den eigenen Reihen.
Der Koran wird in der dominierenden Wahrnehmung eben noch immer als die vollkommene, unveränderbare Offenbarung Gottes betrachtet. Wer daran rüttelt, ist Apostat.
Das ist auch mein Eindruck. Ich habe vor nicht langer Zeit mal ein Interview mit einem islamischen Theologen gehört, der in Deutschland irgendwo unterrichtet. Er vertrat einen gemäßigten, mit heutigen zivilisatorischen Mindeststandards im wesentlichen kompatiblen Islam. Im letzten Halbsatz räumte er verschämt ein, dass diese Auffassungen in der islamischen Theologie ,,noch" nicht allgemein dominieren würden.

Zitat von: sweeper am 19. Februar 2015, 11:34:56
Christentum zeigte hingegen von Anfang an Offenheit für neue Impulse
Wenn auch bei Weitem nicht für alle; man denke nur an die pelagianische Ketzerei (http://de.wikipedia.org/wiki/Pelagianismus) oder an eine der zahllosen anderen Sekten aus der Frühzeit des Christentums, die energisch bekämpft worden sind. Das, was später das Christentum ausmachte, ist ein rein retrospektiver Begriff.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 19. Februar 2015, 11:59:21
ZitatDas, was später das Christentum ausmachte..
Im Rahmen der Theologie nimmt daher das Fach Kirchengeschichte einen wichtigen Raum ein.
Da kann man die ideengeschichtliche Entwicklung und die Irrungen & Wirrungen studieren..

Ein wesentliches protestantisches Prinzip lautet

"Ecclesia SEMPER reformans" - im Sinne von Reform-Bedürftigkeit. :)
Geht zurück auf die Aussage: "Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig" (2.Kor.3,6)
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 19. Februar 2015, 12:27:43
Zitat von: sweeper am 19. Februar 2015, 11:59:21
"Ecclesia SEMPER reformans" - im Sinne von Reform-Bedürftigkeit. :)
Geht zurück auf die Aussage: "Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig" (2.Kor.3,6)
Natürlich lässt sich jede Art vernünftiger Äußerung letztlich irgendwie auf die Bibel zurückführen; jede Art Unvernunft auch.  Allerdings ist die Anerkennung, die Betonung der ewigen Reformbedürftigkeit ein geradezu postmodernes Phänomen:
ZitatEcclesia semper reformanda est (Latin for "the church is always to be reformed", often - as usual in Latin - shortened to Ecclesia semper reformanda) is a phrase first used by Karl Barth in 1947
Immerhin.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 19. Februar 2015, 13:38:15
Deine Quelle war vermutlich
http://en.m.wikipedia.org/wiki/Ecclesia_semper_reformanda_est

Geht ja auch nicht um ein unterstelltes nachträgliches Hineininterpretieren
ZitatNatürlich lässt sich jede Art vernünftiger..
sondern um den Deutungsspielraum, den die überlieferten Quellen abstecken.
Da ist das "Ihr habt gehört..., ich aber sage euch..." der Bergpredigt stilbildend.
Es ging eben von Anfang an nicht um ein in Stein gemeißeltes Dogma, welches stur befolgt werden musste.
Genau das werfen islamische Gelehrte übrigens dem Christentum vor:
deren "Beweis" für die Göttlichkeit des Koran ist seine (behauptete) Unwidersprüchlichkeit.
Kann man in jeder Diskussion mit gläubigen Muslimen erleben.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 19. Februar 2015, 14:07:05
Hier ist die Predigt - war wohl ein Rundumschlag  ::)

https://m.youtube.com/watch?v=BrQ_JcROtvg

Kann sie frühestens heute Abend ansehen.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 19. Februar 2015, 15:11:11
Zitat von: sweeper am 19. Februar 2015, 13:38:15
Geht ja auch nicht um ein unterstelltes nachträgliches Hineininterpretieren
ZitatNatürlich lässt sich jede Art vernünftiger..
sondern um den Deutungsspielraum, den die überlieferten Quellen abstecken.
Selbstverständlich ist die Reform aus der Binnensicht kein nachträgliches Hineininterpretieren, sondern die endliche Herauspräparierung der Wahrheit. Klar.
Aber das ist kein Unterscheidungsmerkmal. Die "Reformfähigkeit" ist kein dem Christentum immanentes Merkmal, welches dem Islam abgeht. Die islamische Theologie wird den gleichen Weg gehen müssen wie der Mainstream der christlichen Theologie, oder sie wird das Chaos der arabischen Welt perpetuieren.

Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 19. Februar 2015, 15:28:31
PS.
Zitat von: sweeper am 19. Februar 2015, 13:38:15
Deine Quelle war vermutlich
http://en.m.wikipedia.org/wiki/Ecclesia_semper_reformanda_est
Wie hast Du das so schnell herausgefunden?
;)
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: sweeper am 20. Februar 2015, 09:32:11
ZitatWie stark darf sich ein staatliches Organ in kirchliche Angelegenheiten einmischen? Anlass für diese Frage ist ein Beschluss der Bremischen Bürgerschaft, in dem sie scharfe Kritik an der Predigt des Pastors der St.-Martini-Gemeinde, Olaf Latzel, vom 18. Januar übt. Sie sei ,,aufwiegelnd und herabwürdigend" gewesen. Das Parlament distanziere sich von allen Versuchen, ,,unter dem Deckmantel von Predigt und Schriftauslegung Hass gegen Anders- und Nichtgläubige zu verbreiten", heißt es in der Erklärung.

http://www.idea.de/nachrichten/detail/thema-des-tages/artikel/darf-ein-parlament-eine-predigt-bewerten-83146.html

ZitatKirchenrechtliches Institut der EKD rät zur Zurückhaltung

Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Prof. Hans Michael Heinig (Göttingen), sagte auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea, staatliche Organe seien im Blick auf religiöse Fragen dem Neutralitätsgebot verpflichtet. Er rate deshalb zur Zurückhaltung, auch wenn manche Äußerungen ,,unappetitlich" sein mögen. Es sei eine ,,neue Qualität" erreicht, wenn sich nicht nur Politiker kritisch zu einer Predigt äußerten, sondern ein Landesparlament. Er sei skeptisch, dass das vorbildhaft sei, so Heinig. Wenn ein solches Vorgehen Schule mache, könne es zu Verwerfungen im Verhältnis zwischen Staat und Kirche kommen. Der Kirchenrechtler sieht in dem Beschluss jedoch keinen Verstoß gegen die Verfassung. Ein parlamentarisches Gremium sei zwar nicht befugt, sich inhaltlich zur Lehre einer Religion zu äußern, aber zu ihrer Wirkung im öffentlichen Leben. Dies sei etwa der Fall, wenn durch eine Predigt das friedliche Zusammenleben der Menschen gefährdet sei.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 20. Februar 2015, 13:10:21
Ich habe noch nichts davon vernommen, dass die EKD zur Zurückhaltung rät, wenn es um islamistische Hasspredigten geht.
Titel: Re: Pastor Latzel
Beitrag von: pelacani am 20. Februar 2015, 13:33:38
ZitatLatzel bezeichnete den Beschluss als einen tiefen Einschnitt in die Religionsfreiheit: ,,Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn sich die Bremische Bürgerschaft eine Stunde lang mit einer Predigt befasst, die absolut bibelkonform ist."
Der Atheist hat mit dieser Aussage kein Problem; aber, tja, Theologen, hier seid Ihr gefragt. Erklärt dem Pfarrer, dass er unrecht hat.

Im Jahre 1694 verkündete ein christlicher Hassprediger, dass das Gebot des Evangeliums, man solle seine Feinde lieben, zu nichts verpflichte als nur, dem Feind himmlische Glückseligkeit zu wünschen. Hass, Empörung und Zorn seien zulässig und empfehlenswert, wenn es um die Feinde Gottes gehe. Man müsse nicht nur deren Ketzereien, sondern auch die Feinde in Person hassen und verachten und ihnen irdisch alles Böse wünschen. Er behauptete, die Bergpredigt dürfe nur in einem übertragenen Sinn verstanden werden.

Ein Ankläger schlussfolgert, dass es somit nicht gerechtfertigt sei, die Feinde z. B. aus einem brennenden Haus zu retten, und  legte diese neue Häresie, die das Staatswohl gefährdet, der Synode von Tergow vor. Wie entschied die Synode?

Die Synode behandelte das Pamphlet des Anklägers wie die Schrift des Angeklagten als Schmähschriften und ließ die Affäre fallen, wie nie gewesen.

[Bayle, Dict, Zuerius, D]