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Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Skeptisches Denken => Thema gestartet von: Superkalifragilistisch am 05. Juli 2014, 14:13:19

Titel: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Superkalifragilistisch am 05. Juli 2014, 14:13:19
Enthält der Slogan ›Wissenschaft wirkt ohne Glaube‹ eine Ausnahme,

- dergemäß man statt Glaube zumindest ›Hoffnung‹, eine ›Positive Einstellung‹ haben muss? Etwa, wer von Krankheit genesen möchte. Darf Wissenschaft einen reflexiven Glauben ›an sich selbst‹ als förderlich propagieren - weil sie am ende die Wirkung nur von dem transitiven Glauben losgelöst hat?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 05. Juli 2014, 14:39:25
Zitat von: Superkalifragilistisch am 05. Juli 2014, 14:13:19
Etwa, wer von Krankheit genesen möchte.

Von welcher? Das ist nicht einerlei.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: F. A. Mesmer am 05. Juli 2014, 14:49:50
bisher nahm ich pragmatisch an, dass wissenschaft/physik/realitätsbindung/usw. sich dadurch auszeichnet, dass sie funktioniert, auch wenn man nicht dran glaubt.

weil, ich kenne so sätze wie: "Anschnallen? Sicherheitsgurt? Da glaub ich nicht dran."  :-X
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Groucho am 05. Juli 2014, 14:52:37
Zitat von: Superkalifragilistisch am 05. Juli 2014, 14:13:19
Darf Wissenschaft [...]

"Who the fuck is General Failure? And why is he reading my harddisk?"
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Superkalifragilistisch am 05. Juli 2014, 14:55:39
Ich habe das Gefühl, daß es die Uneingeschränktheit von dem Slogan bei Krankheiten gibt, die gut therapierbar sind und das am besten durch Methoden, die dazu auch noch einen greifbaren Eindruck auf Aussenstehende machen. Chirurgische Eingriffe ganz vorne. Die Methoden sind effektiv (wissenschaftlicher Fortschritt) genug, daß sie schlicht keines ,,persönlichen Zutuns" seitens des Patienten bedürfen. Ein Mangel am Erfolg würde hier gemäß dem Slogan als das Versagen der (Effektivität der) Therapiemethode gesehen, nicht als Ungenügen des Patienten.

Es bleiben als Kandidaten alle anderen Krankheiten. Nehmen wir doch einfach die als Beispiel, welche unter dem Namen ,,Zivilisationskrankheiten" zusammengefasst werden. Gilt bezüglich diesen in der Wissenschaft der Gesundheit immer noch die Uneingeschränktheit des oben erwähnten bekannten Slogans?


PS: Die Formulierung aus der Negation heraus könnte auch lauten: bei einer ›negativen Einstellung‹ versagt sich der Erfolg
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Superkalifragilistisch am 05. Juli 2014, 15:05:35
Zitat von: F. A. Mesmer am 05. Juli 2014, 14:49:50
bisher nahm ich pragmatisch an, dass wissenschaft/physik/realitätsbindung/usw. sich dadurch auszeichnet, dass sie funktioniert, auch wenn man nicht dran glaubt.

weil, ich kenne so sätze wie: "Anschnallen? Sicherheitsgurt? Da glaub ich nicht dran."  :-X
Das sind vollumfänglich diskreditierte Kandidaten, denen heute selbst bekennende Gläubige keine Beeinflussung durch ,persönliche Einstellungen' der Sache gegenüber zusprechen könnte. In anderen durchaus mit dem Nimbus der Wissenschaftlichkeit ausgestatteten Bereichen breitet sich die Überzeugung von der Veränderung der Realität durch ,,an der eigenen Einstellung arbeiten" auch heute noch aus. Deshalb nervt mich der Slogan in gewisser Weise als unehrlich.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 05. Juli 2014, 16:00:30
Ich war vorhin wohl ein wenig unpräzis. Meine präzise Antwort ist: ich kenne keine methodisch guten Studien zu dieser Frage, und ich weiß auch nicht genau, was Zivilisationskrankheiten sind.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Truhe am 05. Juli 2014, 16:19:46
Mir scheint, die Frage ist "Wirkt Therapie ohne Glaube?".

Wissenschaft ist doch "nur" eine Methode. Und soweit ich es beurteilen kann, funktioniert diese recht gut, obwohl es sehr viele gibt, die gar nicht an sie glauben.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Groucho am 05. Juli 2014, 17:01:46
Zitat von: Truhe am 05. Juli 2014, 16:19:46
Mir scheint, die Frage ist "Wirkt Therapie ohne Glaube?".

Wissenschaft ist doch "nur" eine Methode. Und soweit ich es beurteilen kann, funktioniert diese recht gut, obwohl es sehr viele gibt, die gar nicht an sie glauben.

Mein Hinweis war wohl zu dezent. Also deutlicher: Wer soll "die Wissenschaft" denn sein? Wer hat ihr was wie zu erlauben? Wissenschaft ist eine Methode, die unabhängig vom Glauben an irgendwas idealerweise gleiche Ergebnisse produziert. Vielleicht willst Du ja fragen, ob medizinische Methoden besser wirken, wenn man sagt, sie seien wissenschaftlich? Und was sind "Zivilisationskrankheiten"? Ich kenne den Begriff hauptsächlich nur als eher ideologischen Kampfbegriff, mit dem man konkret eher nichts anfangen kann.

Oder vielleicht leidet der monierte Satz daran, dass es im Englischen Belief und Faith gibt, und im Deutschen nur ein Wort?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: F. A. Mesmer am 05. Juli 2014, 20:47:38
superkali, ich verstehe nicht, was du meinst. ich war mehr so bei Groucho.
als sinnbild hatte ich aber das gute alte boxen. der hieb, der ein nasenbein zertrümmert, dabei den nacken des nasenOPFA schädigt und einiges mehr anrichtet, richtet genau das an, unabhängig davon, ob jemand an ihn glaubt oder mit ihm gerechnet hat usw. ganz pragmatisch eben. eine schlichte absicht für des trainierten hiebschwingers genügt. überzeugung, glaube oder auch nur hirn sind vernachlässigbar. rückenmark erzeugt vollbefriedigende wirkungsübertragung.
8)
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Typee am 05. Juli 2014, 20:49:05
Zitat von: Pelacani am 05. Juli 2014, 16:00:30
ich weiß auch nicht genau, was Zivilisationskrankheiten sind.

Das sind die, an denen man heute länger leidet, als man früher lebte.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: sumo am 05. Juli 2014, 21:40:55
Therapie ohne Glaube? Na klar, wenn es die Therapie der Wahl ist, jemandem einen Teil seines Körpers chirurgisch zu entfernen, dann hilft das auch, ohne daß der Patient irgendwie daran glauben muß. Ebenso, wenn ein Medikament eine Wirkung hat, ein Antibiotikum z.B., dann wirkt das auch ohne Glauben. (Ganz abgesehen davon, daß intensivmedizinisch behandelte Patienten, die sediert sind, auch nicht so ohne Weiteres an die verabreichten Medikamente glauben, möglicherweise wissen sie ja nicht einmal was von diesen)
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Groucho am 05. Juli 2014, 21:55:14
Kann man dann unter Pla-/Nocebo-Diskussion subsummieren.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: sumo am 05. Juli 2014, 22:53:40
teilweise schon. Aber wenn ein Tumor kurativ entfernt wird, dann hat der Pla/Noceboefekt sicher einen Einfluß auf die Befindlichkeit des Patienten, darauf, wie er sich fühlt, wie lange er braucht, um die Klinik zu verlassen etc. Aber mit dem direkten Effekt der Operation hat das aus meiner Laiensicht nichts zu tun.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Groucho am 06. Juli 2014, 00:00:27
Zitat von: sumo am 05. Juli 2014, 22:53:40
teilweise schon. Aber wenn ein Tumor kurativ entfernt wird, dann hat der Pla/Noceboefekt sicher einen Einfluß auf die Befindlichkeit des Patienten, darauf, wie er sich fühlt, wie lange er braucht, um die Klinik zu verlassen etc.

Freilich. Man sagt einem Patienten danach ja auch nicht "Der Chirurg war zwar völlig übernächtigt und hat so eine OP zum ersten Mal gemacht, aber die Schnitte dürften trotzdem gut vernarben. Wenn Sie Blut husten, klingeln sie aber bitte sofort!".
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: sumo am 06. Juli 2014, 02:33:30
völlig klar, ich bin eher von dem theoretischen Idealfall ausgegangen.

Wissenschaft und Glaube ist ein Thema, welches sehr ausufern kann.....

Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Superkalifragilistisch am 06. Juli 2014, 10:43:17
Zitat von: Groucho am 05. Juli 2014, 17:01:46
Zitat von: Truhe am 05. Juli 2014, 16:19:46
Mir scheint, die Frage ist "Wirkt Therapie ohne Glaube?".

Wissenschaft ist doch "nur" eine Methode. Und soweit ich es beurteilen kann, funktioniert diese recht gut, obwohl es sehr viele gibt, die gar nicht an sie glauben.

Mein Hinweis war wohl zu dezent. Also deutlicher: Wer soll "die Wissenschaft" denn sein? Wer hat ihr was wie zu erlauben? Wissenschaft ist eine Methode, die unabhängig vom Glauben an irgendwas idealerweise gleiche Ergebnisse produziert.

Daß Wissenschaft eine Methode, eine Tätigkeit, sei, ist ein schöner Satz für alle die, die darauf spekulieren, daß sie ihre ,,Mystik" durch einen modernisieten methodischen Zugang noch irgendwie zu ,,Wissenschaft" machen können. Wissenschaft ist zunächst die Überzeugung, daß die Welt sich aus sich-selbst heraus produziert und keine externe Explikationen wie ,,Seele" oder ,,Gott", oder ,,Weltvernunft", nötig hat, die selber dem Naturzusammenhang enthoben sind - und sei es auch eine Physikotheologie, welche behauptet, das Wunder sei ausgeschlossen. Wissenschaft ist die Überzeugung, daß in den Naturvorgängen keine planenden Absichten, keine final-Ursachen stecken. Solange die Natur noch als eine nach Zwecken gestaltete, planvolle Ordnung gesehen wird - ist es keine Wissenschaft. Die Behauptung, die Methode mache die Wissenschaft ist so irrig wie die Behauptung, Regulierung von Nonsens resultiere in etwas anderem als Nonsens. (http://www.sciencebasedmedicine.org/the-regulation-of-nonsense/)


Zitat
Vielleicht willst Du ja fragen, ob medizinische Methoden besser wirken, wenn man sagt, sie seien wissenschaftlich?
Nein, ich nicht. Aber das ist eine Meinung, die von vielen vertreten wird. Und da erfährt der Slogan »Wissenschaft wirkt auch wenn man nicht daran glaubt« eben eine deutliche Einschränkung. Daraus will ich hinaus. Es ist immer noch legitim, in Berufung auf ,,die Wissenschaft" bestimmte Formen des Glaubens unter modernen Namen wie ,,positive Einstellung", ,,glaube an Dich selbst", ,,gesunden Lebensstil" zu fordern. Mein Fazit ist also: Der Slogan gilt nicht uneingeschränkt, er täuscht Wissenschaftlichkeit nur vor. Er ist ein Proll-Spruch. Die Menschen die ihn inflationär benutzen haben allerlei religiöse Überzeugungen, die bloss unter einer dünnen Schicht säkulär bemäntelt sind.

ZitatUnd was sind "Zivilisationskrankheiten"? Ich kenne den Begriff hauptsächlich nur als eher ideologischen Kampfbegriff, mit dem man konkret eher nichts anfangen kann.
Ich habe das Wort bewußt in Anführungszeichen gesetzt und gesagt, daß die Krankheiten unter dem Begriff zusammengefasst werden - nicht von mir. Du brauchst nicht mich zu fragen, was es denn bedeute - ich bin kein Anhänger der damit verbunden Vorstellung. Es ist ein ideologischer Kampfbegriff, einer der sich von der Vorstellung des Edlen Wilden ableitet, der ja angeblich gesund war, solange bis die böse Zivilisation daherkam. Gibt genug ,,wissenschaftlich zertifizierte" Kliniken, welche die Therapie von ,,Zivilisationskrankheiten" anbieten.

Da, wird natürlich von Universitäten großzügig erforscht
Zitat
http://www.zv.uni-leipzig.de/forschung/forschungsprofilbereiche/zivilisationserkrankungen.html (http://www.zv.uni-leipzig.de/forschung/forschungsprofilbereiche/zivilisationserkrankungen.html)

Dabei liegt der Schwerpunkt auf lebensstilbedingten Krankheiten
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Wolleren am 06. Juli 2014, 11:44:52
Zitat von: Superkalifragilistisch am 06. Juli 2014, 10:43:17
Die Behauptung, die Methode mache die Wissenschaft ist so irrig wie die Behauptung, Regulierung von Nonsens resultiere in etwas anderem als Nonsens. (http://www.sciencebasedmedicine.org/the-regulation-of-nonsense/)
Die Diskussion um EBM / SBM und ob man Cargo-Kult-Verfechtern den Zugang zum Etikett "Wissenschaftlichkeit" (durch Betrachtung von Wissenschaft als Methode, die für alle Forschungen, auch der blödesten Art, offen ist) ermöglichen sollte, ist tatsächlich nicht ausgestanden.
Eine eindeutig richtige Position kann ich hier nicht erkennen.

Zitat von: Superkalifragilistisch am 06. Juli 2014, 10:43:17
Wissenschaft ist die Überzeugung, daß in den Naturvorgängen keine planenden Absichten, keine final-Ursachen stecken. Solange die Natur noch als eine nach Zwecken gestaltete, planvolle Ordnung gesehen wird - ist es keine Wissenschaft.
Den zweiten Satz kann ich unterschreiben. Der erste Satz stellt aber eine falsche Alternative dazu auf.
Denn im ersten Satz kann man ohne weiteres "Wissenschaft" durch "Atheismus" ersetzen, und das sollte man auch.
Wissenschaftlich ist vielmehr die Überzeugung Ockhams, dass man mit einem Minimum an Voraussetzungen auskommen muss, und dass deswegen die Unterstellung irgendwelcher Zwecke, Pläne und Ursachen unsinnig ist:
je n'ai pas eu besoin de cette hypothèse. (https://en.wikiquote.org/wiki/Pierre-Simon_Laplace)
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Krebskandidat am 06. Juli 2014, 13:57:00
Zitat von: Superkalifragilistisch am 06. Juli 2014, 10:43:17
Wissenschaft ist zunächst die Überzeugung, daß die Welt sich aus sich-selbst heraus produziert und keine externe Explikationen wie ,,Seele" oder ,,Gott", oder ,,Weltvernunft", nötig hat, die selber dem Naturzusammenhang enthoben sind [...] Wissenschaft ist die Überzeugung, daß in den Naturvorgängen keine planenden Absichten, keine final-Ursachen stecken.

Nein, es ist keine a priori Annahme, dass Wissenschaft keine Metaphysik nötig hat. Es konnte in der langen Geschichte der Wissenschaft gezeigt werden, dass sie plausible und belastbare Erklärungen liefert ohne auf metaphysische Erklärungen angewiesen zu sein.

Im Sinne von Laplace (http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre-Simon_Laplace):
ZitatAls der Bürger Laplace dem General Bonaparte die erste Ausgabe seiner Exposition du Système du monde zeigte, sagte der General zu ihm: ,,Newton sprach in seinem Buch von Gott. Ich habe das ihrige schon durchgesehen und dabei diesen Begriff kein einziges Mal gefunden." Woraufhin Laplace erwidert hatte: ,,Bürger und Erster Konsul, ich habe dieser Hypothese nicht bedurft."

Edit: Ach, das hat ja Wolleren schon geschrieben.  :prosit
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Truhe am 06. Juli 2014, 22:56:07
Zitat von: Wolleren am 06. Juli 2014, 11:44:52
Zitat von: Superkalifragilistisch am 06. Juli 2014, 10:43:17
Die Behauptung, die Methode mache die Wissenschaft ist so irrig wie die Behauptung, Regulierung von Nonsens resultiere in etwas anderem als Nonsens. (http://www.sciencebasedmedicine.org/the-regulation-of-nonsense/)
Die Diskussion um EBM / SBM und ob man Cargo-Kult-Verfechtern den Zugang zum Etikett "Wissenschaftlichkeit" (durch Betrachtung von Wissenschaft als Methode, die für alle Forschungen, auch der blödesten Art, offen ist) ermöglichen sollte, ist tatsächlich nicht ausgestanden.
Eine eindeutig richtige Position kann ich hier nicht erkennen.

Das Problem mit den Cargo-Kult-Verfechtern ist doch, dass sie nur einen Teil der Wissenschaft nachahmen, die Methoden und Verfahren. Was sie geflissentlich ignorieren sind die bereits gesammelten und z.T. gesicherten Erkenntnisse. Sie umgehen das Konzept der Szientabilität, um den Cargo-Kult weiterhin als Legitimation und Schleier betreiben zu können.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Superkalifragilistisch am 07. Juli 2014, 12:12:28
Wo der Protz-Spruch ,,Wissenschaft wirkt auch ohne daß man daran glaubt" und die Hymne auf die Wissenschaft als Methode/Tätigkeit erklingen da darf auch Ockhams Rasiermesser nicht fehlen. Sie gaukeln vor, daß sie wirksam zwischen Technologie und Magie trennen, aber das ist leider nicht der Fall. Die Homöopathie ist aus dem Grund ein Lieblingsthema überall wo man auf Skeptizismus stößt, weil sie wohl von allen spiritualistischen Pseudowissenschaften diejenige ist, die aus eigener Blödheit so gestaltet ist, daß sie sich gut unter Laborbedingungen testen lässt. Hey - auf welches Rechtfertigungssystem trifft das sonst zu?! Aber sie hat sich an der Akademie etabliert. Ich wiederhole: Die Homöopathie hat sich an der Akademie etabliert. Das ist nicht weniger als der Beweis dafür, daß die beiden Annahmen (wissenschaftliche Methodik und Ökonomie) keinen ausreichenden Schutz bieten. Wir brauchen etwas besseres. Bei der Homöopathie sind selbst die criteria of refutation gut formulierbar. Aber das Eintreten der Falsifizierung spielt keine Rolle wie man sieht, denn sie existiert ja noch. Was eine Rolle spielt ist, ob man eine Stiftungsprofessur bekommt, ob man in den Gremien sitzt, ob man Leitlinien mitschreiben darf, ob man bei akademischen Verlagen publizieren darf. Wer ewig testet und immer wieder von vorne und von vorne erweckt schon durch den blossen Gebrauch der Methode den Eindruck daß da ja irgendwie etwas dran sein muss.

Annahmen über die Ökonomie einer Hypothese sind nicht weniger axiomatisch sind als die Axiome selbst. Ökonomität ist keine universale Größe. Die ,,geringsten Zusatzannahmen" sind diejenigen, welche am besten in mein eigenes Weltbild passen. Und wie lässt sich überhaupt ,,objektiv" (buzzword) die Wirtschaftlichkeit der Annahme, z.b. der ,,dialektischen Entwicklung" bewerten? Das geht nur, wenn wir einen Maßstab haben.

Zitat,,Die letzten Gründe der Erscheinungen finden wir nicht in der physischen Sphäre.
- Die Induktion auf Gott ist näherliegend als die Induktion auf den Zufall"

Autor ist mir jetzt verloren gegangen, muss ich nochmal nachschlagen, hätte mir die Seite notieren sollen

Oops!

Aus der Sicht von Thomas von Aquin war die Induktion auf Gott naheliegend, denn: ,,Impossibile est ergo quod, secundum idem et eodem modo, aliquid sit movens et motum, vel quod moveat seipsum." ( Sth. Iª q. 2 a. 3 co.) Wenn man diese Feststellung einmal angenommen hat, dann bleibt ja tatsächlich nichts anderes übrig als der Kette der Ursachen auf Gott zu folgen.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Superkalifragilistisch am 07. Juli 2014, 17:50:52
Der Autor ist Johannes Reinke. Ich kann es nicht mehr editieren.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 25. Oktober 2014, 16:46:06
Was den Aquinaten betrifft, so verlegt er das Problem von Bewegtem und Beweger nur in Gott: Selbiger als der erste Beweger. Und wer bewegt selbigen?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 25. Oktober 2014, 16:53:46
"Wo der Protz-Spruch ,,Wissenschaft wirkt auch ohne daß man daran glaubt" und die Hymne auf die Wissenschaft als Methode/Tätigkeit erklingen da darf auch Ockhams Rasiermesser nicht fehlen. Sie gaukeln vor, daß sie wirksam zwischen Technologie und Magie trennen, aber das ist leider nicht der Fall. Die Homöopathie ist aus dem Grund ein Lieblingsthema überall wo man auf Skeptizismus stößt, weil sie wohl von allen spiritualistischen Pseudowissenschaften diejenige ist, die aus eigener Blödheit so gestaltet ist, daß sie sich gut unter Laborbedingungen testen lässt. Hey - auf welches Rechtfertigungssystem trifft das sonst zu?! Aber sie hat sich an der Akademie etabliert. Ich wiederhole: Die Homöopathie hat sich an der Akademie etabliert."

Das ist schlicht Unfug. Vgl. Marburg; Vgl. Viadrina. Die H: WIRD ETABLIERT; WEIL DIE uNIVERSITÄTEN IMMER MEHR KOMMERZIALISIERT WERDEN: Vgl. diverse Krankenkassen, Medienpropaganda usf.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Wolleren am 26. Oktober 2014, 09:59:31
Zitat von: Superkalifragilistisch am 07. Juli 2014, 12:12:28
...
Ich wiederhole: Die Homöopathie hat sich an der Akademie etabliert. Das ist nicht weniger als der Beweis dafür, daß die beiden Annahmen (wissenschaftliche Methodik und Ökonomie) keinen ausreichenden Schutz bieten. Wir brauchen etwas besseres.

...
Annahmen über die Ökonomie einer Hypothese sind nicht weniger axiomatisch sind als die Axiome selbst. Ökonomität ist keine universale Größe. Die ,,geringsten Zusatzannahmen" sind diejenigen, welche am besten in mein eigenes Weltbild passen. Und wie lässt sich überhaupt ,,objektiv" (buzzword) die Wirtschaftlichkeit der Annahme, z.b. der ,,dialektischen Entwicklung" bewerten? Das geht nur, wenn wir einen Maßstab haben.

Dass wir etwas Besseres brauchen, kann man ohne weiteres vertreten, auch wenn man die Begründung für falsch hält.

Bei der Beurteilung der Ökonomie einer Hypothesen geht es nicht um Annahmen. Diese Beurteilung lässt sich in einem trial-and-error-Verfahren erreichen, ohne Annahmen über die Ökonomie zu treffen. Die Durchführung eines solchen Verfahrens ist aber im Zweifelsfall wirklich schwierig, denn es müssen einzelne Annahmen identifiziert werden.
Dazu muss man die Verfechter der Hypothese verpflichten!
Nicht dass das bei den bekanntermaßen intellektuell Unredlichen erfolgversprechend wäre: Bereits jetzt sind Verfechter von Hypothesen verpflichtet darzulegen, mit welchem Instrumentarium man sie eventuell widerlegen könnte. Hier scheitert die Homöopathie grandios.

Klaus Mainzer führt in "Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel zu Big Data." die Epizykeltheorie als Beispiel an, die ex post immer super war (https://de.wikipedia.org/wiki/Epizykeltheorie), aber keine konkreten Voraussagen ermöglichte.
In der Medizin ersetzen klinische Studien summarische Vorhersagen. Wie wäre es mit Voraussagen für einen bestimmten Patienten unter einer bestimmten Therapieform?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 26. Oktober 2014, 10:15:20
"In der Medizin ersetzen klinische Studien summarische Vorhersagen. Wie wäre es mit Voraussagen für einen bestimmten Patienten unter einer bestimmten Therapieform?"

Ärzte machen das gern. Vor allem bei Krebs. Da ist es ja für den Patienten wichtig. Sie sehen sich die Befunde an und richten sich dann nach der Statistik. Ich habe das einmal gemacht. Den Angehörigen sagte ich, vom Befund her (Lunge voller Metastasen) hat er vielleicht noch 4 Monate, aber ob er es bis dieses Weihnachten noch schafft, ist fraglich. Er hat dann noch 1,5 Jahre gelebt.

Wenn ich heute sehe, daß ein Arzt eine individuelle Prognose abgibt, bekomme ich sofort Bauchschmerzen. Es ist der dümmste Weg, daneben zu liegen.

Dr. Hans Wurst
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 26. Oktober 2014, 10:35:45
Ich meine und habe es so verstanden, daß die Epizykeltheorie sehr wohl Vorhersagen erlaubte. Sie war also ex ante richtig. Die Berechnung war nur sehr umständlich. Und Kopernikus hat ja auch so begründet, daß, wenn man die Erde in den Mittelpunkt stellt, also nur so theoretisch, das Rechenverfahren sehr viel einfacher wird. Er soll ja nie behauptet haben, daß die Erde tatsächlich im Mittelpunkt unseres Sonnensystems steht. Gestritten wird darüber, was er tatsächlich geglaubt hat. Und ob das nur eine Vorausverteidigung war im Hinblick auf den Heiligen Stuhl .

Ich schätze Klaus Mainzer durchaus. Meine Quellen sind hier:
Malolm S. Longair: Theoretische Konzepte der Physik, Springer.
Hans Blumenberg: Die Genesis der kopernikanischen Welt, Suhrkamp.

Peter
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: F. A. Mesmer am 26. Oktober 2014, 10:37:20
Zitat von: Hans Wurst am 26. Oktober 2014, 10:15:20
"In der Medizin ersetzen klinische Studien summarische Vorhersagen. Wie wäre es mit Voraussagen für einen bestimmten Patienten unter einer bestimmten Therapieform?"

Ärzte machen das gern. Vor allem bei Krebs. Da ist es ja für den Patienten wichtig. Sie sehen sich die Befunde an und richten sich dann nach der Statistik. Ich habe das einmal gemacht. Den Angehörigen sagte ich, vom Befund her (Lunge voller Metastasen) hat er vielleicht noch 4 Monate, aber ob er es bis dieses Weihnachten noch schafft, ist fraglich. Er hat dann noch 1,5 Jahre gelebt.

Wenn ich heute sehe, daß ein Arzt eine individuelle Prognose abgibt, bekomme ich sofort Bauchschmerzen. Es ist der dümmste Weg, daneben zu liegen.

Dr. Hans Wurst

naja, da hast du dann aber auch den Fehler gemacht von einer statistischen Größe auf die Individualebene zu wechseln. So funktionieren Wahrscheinlichkeiten eben nicht.
Soweit ich das von außen betrachten kann, kommt das aber in genau dem von dir geschilderten Zusammenhang mit Lungenkrebs öfters vor (andere Krebsarten habe ich seltener im Umfeld).
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Wolleren am 26. Oktober 2014, 17:28:02
Zitat von: F. A. Mesmer am 26. Oktober 2014, 10:37:20
...
naja, da hast du dann aber auch den Fehler gemacht von einer statistischen Größe auf die Individualebene zu wechseln. So funktionieren Wahrscheinlichkeiten eben nicht.
...
Auch naja, diesen Fehler hatte ich provoziert, weil ich - verzweifelt - vorgeschlagen habe, Therapieerfolge an bestimmten Patienten zu messen.

Aber eigentlich ist das Suchen nach einer besseren Methodik bei intellektuell unredlichen Gegnern völlig überflüssig. Wir müssen halt nur immer wieder Unredlichkeit erkennen und darstellen. Oder?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 27. Oktober 2014, 09:24:29
Ein Beispiel aus 40 Jahren: 5 Fälle von Bronchial-Ca. Einer war Musiker, Kettenraucher und Trinker. Die anderen 4 waren absolute Nichtraucher, hatten noch nie geraucht, nicht einmal im Krieg, was einiges heißt. Das widerspricht natürlich völlg der aus großen Zahlen gewonnenen Statistik.

Peter
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: F. A. Mesmer am 27. Oktober 2014, 20:14:11
Zitat von: Hans Wurst am 27. Oktober 2014, 09:24:29
Ein Beispiel aus 40 Jahren: 5 Fälle von Bronchial-Ca. Einer war Musiker, Kettenraucher und Trinker. Die anderen 4 waren absolute Nichtraucher, hatten noch nie geraucht, nicht einmal im Krieg, was einiges heißt. Das widerspricht natürlich völlg der aus großen Zahlen gewonnenen Statistik.

Peter
der wesentliche Punkt ist, dass solche anekdotischen Zahlen(relationen) ihre bei Unbedarften und/oder Verzweifelten eine Wirkung entfalten, ABER in der Realität und Wissenschaft ABSOLUT bedeutungslos sind und das aus gutem Grund. Wozu also überhaupt erwähnen?

Edit: typo
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Groucho am 27. Oktober 2014, 20:34:06
Zitat von: F. A. Mesmer am 27. Oktober 2014, 20:14:11
Zitat von: Hans Wurst am 27. Oktober 2014, 09:24:29
Ein Beispiel aus 40 Jahren: 5 Fälle von Bronchial-Ca. Einer war Musiker, Kettenraucher und Trinker. Die anderen 4 waren absolute Nichtraucher, hatten noch nie geraucht, nicht einmal im Krieg, was einiges heißt. Das widerspricht natürlich völlg der aus großen Zahlen gewonnenen Statistik.

Peter
der wesentliche Punkt ist, dass solche anekdotischen Zahlen(relationen) ihre bei Unbedarften und/oder Verzweifelten eine Wirkung entfalten, ABER in der Realität und Wissenschaft ABSOLUT bedeutungslos sind und das aus gutem Grund. Wozu also überhauupt erwähnen?

Weil:
Zitatsolche anekdotischen Zahlen(relationen) ihre bei Unbedarften und/oder Verzweifelten eine Wirkung entfalten

Es also sinnvoll ist, sich dessen bewusst zu sein, es also sinnvoll ist, das hier zu erwähnen.

Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: F. A. Mesmer am 27. Oktober 2014, 20:36:09
ja, deswegen habe ich das ja nochmal hervorgehoben, ich meinte ja Hans Wurst' quasi-beweis-andeutung. entsprechend ging meine frage an Hans Wurst.  ;)
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Groucho am 27. Oktober 2014, 20:39:41
Zitat von: F. A. Mesmer am 27. Oktober 2014, 20:36:09
ja, deswegen habe ich das ja nochmal hervorgehoben, ich meinte ja Hans Wurst' quasi-beweis-andeutung. entsprechend ging meine frage an Hans Wurst.  ;)

Der weiß das doch :)
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: F. A. Mesmer am 27. Oktober 2014, 20:43:26
na dann.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 27. Oktober 2014, 21:04:03
Zitat von: F. A. Mesmer am 27. Oktober 2014, 20:43:26
na dann.

Na dann habe ich auch noch eine Anmerkung. Es gibt Fragestellungen in der Medizin, die sich ausschließlich mittels Statistik klären lassen: Rezidivhäufigkeiten unter verschiedenen sekundärprophylaktischen Behandlungen beispielsweise. Die eigene Erfahrung hilft nicht weiter.

Dennoch wird man zögerlich in der Verschreibung von, z. B., eingreifender Gerinnungshemmung zur Schlaganfallprophylaxe, wenn man erst einmal zwei oder drei eigene Patienten hat an einer Hirnmassenblutung zugrunde gehen sehen, und man das sehr unangenehme Gefühl hat: sie würden noch leben, wenn man sie nicht behandelt hätte.

Es wäre ja verrückt, wenn man dann einfach gleichgültig sagen würde: ,,kein Grund zum Nachdenken, die Statistik sagt, es war richtig" – selbst wenn das so korrekt ist. Hier spielt noch ein weiterer Aspekt hinein: auch in der wissenschaftlichen Medizin wird viel gelogen. Wenn etwas völlig der eigenen Erfahrung zuwiderläuft: glaubt man dem, was man ,,mit eigenen Augen sieht", oder dem, was die abstrakte Statistik verheißt?

Medizin ist eben keine reine, sondern eine angewandte Naturwissenschaft.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 28. Oktober 2014, 12:29:01
Was ich mit meinem Beispiel zeigen wollte: Das war MEINE ERFAHRUNG aus 40J als Arzt. SIE WIDERSPRICHT TOTAL DEM WISSENSCHAFTLICHEN WISSEN.

Leider ist es so, daß DIE MEISTEN MENSCHEN IHRER SOG. EIGEN "ERFAHRUNG" MEHR GLAUBEN ALS DER WISSENSCHAFT. Obwohl die eigene Erfahrung aus winzigen Zahlen resultiert, wird sie vom Steinzeitgehirn verabsolutiert. Das ist das Problem.

Peter

Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Belbo am 28. Oktober 2014, 12:33:03
Zitat von: Hans Wurst am 27. Oktober 2014, 09:24:29
Ein Beispiel aus 40 Jahren: 5 Fälle von Bronchial-Ca. Einer war Musiker, Kettenraucher und Trinker. Die anderen 4 waren absolute Nichtraucher, hatten noch nie geraucht, nicht einmal im Krieg, was einiges heißt. Das widerspricht natürlich völlg der aus großen Zahlen gewonnenen Statistik.

Peter

Eben, und ist desshalb nicht aussagekräftig.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bronchialkarzinom#Ursachen
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: sumo am 28. Oktober 2014, 13:25:26
das eigentliche Problem ist ja nicht, daß die hier lesenden und schreibenden Nutzer das erkennen, sondern daß eine Erfahrung, wie sie @Hans Wurst machte, von ihm als Akademiker erkannt wurde, ABER eben von einer Vielzahl von Nichtakademikern nicht. Wenn eine gewisse Anzahl von Menschen verschiedener Herkunft, denen Statistik nichts sagt, den von @Hans Wurst genannten Fall der 5 Bronchial-CAs erzählt bekommt, ziehen diese in den allermeisten Fällen die falschen Schlüsse. Und sie werden nach den falschen Schlüssen handeln, sie werden die falschen Schlüsse weitererzählen uswusf. Rein anekdotisch: Es gibt auch unter meinen Kollegen starke Raucher, und da hat mir einer im Gespräch gesagt, daß sein Opa 88 wurde, und der hat bis zu letzten Tag geraucht, und ein Freund starb am Bronchial-CA, obwohl der (angeblich)nie geraucht hat. Daraus wird dann abgeleitet, daß Rauchen ja nicht so schlimm sei.
Ich brauchte auch eine ganze Weile, mit all den statistisch relevanten Aussagen klarzukommen, weil Statistik eben nicht unbedingt intuitiv ist.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Belbo am 28. Oktober 2014, 13:31:38
Zitat von: sumo am 28. Oktober 2014, 13:25:26
das eigentliche Problem ist ja nicht, daß die hier lesenden und schreibenden Nutzer das erkennen, sondern daß eine Erfahrung, wie sie @Hans Wurst machte, von ihm als Akademiker erkannt wurde, ABER eben von einer Vielzahl von Nichtakademikern nicht. Wenn eine gewisse Anzahl von Menschen verschiedener Herkunft, denen Statistik nichts sagt, den von @Hans Wurst genannten Fall der 5 Bronchial-CAs erzählt bekommt, ziehen diese in den allermeisten Fällen die falschen Schlüsse. Und sie werden nach den falschen Schlüssen handeln, sie werden die falschen Schlüsse weitererzählen uswusf. Rein anekdotisch: Es gibt auch unter meinen Kollegen starke Raucher, und da hat mir einer im Gespräch gesagt, daß sein Opa 88 wurde, und der hat bis zu letzten Tag geraucht, und ein Freund starb am Bronchial-CA, obwohl der (angeblich)nie geraucht hat. Daraus wird dann abgeleitet, daß Rauchen ja nicht so schlimm sei.
Ich brauchte auch eine ganze Weile, mit all den statistisch relevanten Aussagen klarzukommen, weil Statistik eben nicht unbedingt intuitiv ist.


....müsste es sich nicht statistisch einigermassen ausgleichen? Wo anders müssen die Raucher ja dann wie die Fliegen an BC sterben...?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Groucho am 28. Oktober 2014, 13:33:39
Zitat von: sumo am 28. Oktober 2014, 13:25:26
als Akademiker erkannt wurde, ABER eben von einer Vielzahl von Nichtakademikern nicht.

Ich stimme Dir völlig zu. Bis auf den zitierten Abschnitt. Diese Unterscheidung kannst Du getrost außen vor lassen. Ist meine Erfahrung  8)
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Belbo am 28. Oktober 2014, 13:39:04
Zitat von: Groucho am 28. Oktober 2014, 13:33:39
Zitat von: sumo am 28. Oktober 2014, 13:25:26
als Akademiker erkannt wurde, ABER eben von einer Vielzahl von Nichtakademikern nicht.

Ich stimme Dir völlig zu. Bis auf den zitierten Abschnitt. Diese Unterscheidung kannst Du getrost außen vor lassen. Ist meine Erfahrung  8)


Man ertappt sich ja selber....... zur Diskussion mit Nichtstatistikern (oder solchen die statistiken nur glauben wenn si sie selber.....) ja immer noch gut geeignet das Ziegenproblem, vorallem wenn man nach einer gewissen Zeit die Antahlz der Tore auf 1000 erhöht....
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: sumo am 28. Oktober 2014, 18:29:47
leider ist das wohl so, daß es ausreichend Akademiker gibt, denen Statistik ein Buch mit sieben bis zehn Siegeln ist, und daß es Akademiker gibt, die völlig neben der Spur laufen (gerade wieder erwähnt: WALACH).
Allerdings ist es möglich, daß man eine gefaßte Meinung ändert, weil sie sich als falsch herausgestellt hat. Wenn aber Opa seit 70 Jahren raucht, und der Kumpel aus dem Fußballverein mit 45 an Bronchial-CA verreckt, dann ist so etwas meinungsbildend, wenn man keine Anstrengungen unternimmt, solche Fälle zu erklären, sich also zwangsläufig mit Statistik befaßt.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 29. Oktober 2014, 09:56:01
Ich wollte auf 2 Dinge hinweisen:
1. Für die meisten Menschen ist die sog. eigene Erfahrung fast immer maßgebend, oft auch, wenn sie damit wiederkehrend auf die Nase gefallen sind. Ein Weltbild aus eigener Erfahrung ändert man nicht so schnell, aber es ist möglich.
2. Bei allen Philosophen gilt die menschliche Wahrnehmung als der Gipfel der Erkenntnis, obwohl es viele verschiedene Wahrnehmungen (des gleichen physikalischen Objektes) gibt. "Der Ball ist blau" sagte der Philosoph Paul Burger aus Basel und weiß nicht, daß die Ratte und die Mikrobe das anders sehen würden. Nichts ist so trügerisch und soleicht zu täuschen wie die menschliche Wahrnehmung

Peter
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: F. A. Mesmer am 29. Oktober 2014, 10:36:06
Zitat von: Hans Wurst am 29. Oktober 2014, 09:56:01
Nichts ist so trügerisch und soleicht zu täuschen wie die menschliche Wahrnehmung
Und das nur, weil die Engel zu DIR nicht sprechen, weil sie finden Dich uncool, haben sie mir gesagt...
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 29. Oktober 2014, 10:51:16
Zitat von: Hans Wurst am 29. Oktober 2014, 09:56:01
2. Bei allen Philosophen gilt die menschliche Wahrnehmung als der Gipfel der Erkenntnis
Um hinreichend kleinlich zu sein: das gilt nur für die Sensualisten/Empiristen.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 29. Oktober 2014, 11:55:43
War Husserl Sensualist? Heidegger? Luhmann?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 29. Oktober 2014, 12:24:28
Zitat von: Hans Wurst am 29. Oktober 2014, 11:55:43
War Husserl Sensualist? Heidegger? Luhmann?
Mit denen kenne ich mich nicht wirklich aus  ;), aber dass z. B. die Konstruktivisten die Wahrnehmung mit der Erkenntnis gleichsetzen, bezweifle ich. Und schon Platon hatte da Bedenken.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 30. Oktober 2014, 11:23:42
IOn einem war ich vllt ungenau: Ich meine die Sinneswahrnehmung des Menschen.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 30. Oktober 2014, 11:33:13
Es gibt auch die naheliegende Möglichkeit, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen nicht zur Kenntnis zu nehmen, ,,Papperlapapp" zu rufen und stolz darauf zu sein:
ZitatEinführung der geburtshilflichen Akupunktur im Universitätsspital Basel
Martina Gisin, Hebamme MSc, Dr. Katharina Fierz, PhD, RPN , Brigitte Bühler, Hebamme
und Prof. Dr. med. Irene Hösli, Basel

Mit unserem Praxisentwicklungsprojekt entsprachen wir dem Wunsch vieler Frauen, Akupunktur als unterstützende Maßnahme während der Geburt nutzen zu können.
...
Evidenz der Akupunktur
In dem folgenden Abschnitt wird sorgfältig vermieden, ein verbindliches Wort zur Evidenz zu sagen. Schließlich:
ZitatObwohl die Literatur keine eindeutige Evidenz  für die Wirksamkeit der intrapartalen Akupunktur nachweist, sind Hebammen sowie interviewte Frauen von der sofortigen Wirkung überzeugt und mit dieser komplementärmedizinischen Therapiemöglichkeit während der Geburt sehr zufrieden.
Gisin et al., Einführung der geburtshilflichen Akupunktur im Universitätsspital Basel | die hebamme 2013; S. 254 ff.
[Hervorhebungen im Original]

Fröhliches Stechen!, liebes Universitätsspital.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 30. Oktober 2014, 11:56:24
Zitat von: Hans Wurst am 30. Oktober 2014, 11:23:42
IOn einem war ich vllt ungenau: Ich meine die Sinneswahrnehmung des Menschen.

In aller gebotenen Bescheidenheit weise ich aber doch darauf hin, dass in anderen Quellen andere Ansichten vertreten werden:
ZitatDer Ausdruck Empirismus (griechisch εμπειρισμός, von der Empirie, bzw. lateinisch empiricus, der Erfahrung folgend') wird bei Klassifikationen erkenntnistheoretischer Theorieansätze für Theorien gebraucht, welchen zufolge Wissen, verstanden als gerechtfertigte wahre Erkenntnis, zuerst oder ausschließlich auf Sinneserfahrung beruht (inklusive der Verwendung wissenschaftlicher Instrumente). In erkenntnistheoretischen und philosophiegeschichtlichen Darstellungen werden empiristische Positionen oftmals als Gegenentwurf zu Positionen beschrieben, die dann unter der Bezeichnung ,,Rationalismus" zusammengefasst werden und welche die Auffassung teilen, dass Weltwissen auch aus reinem Denken ohne vorausgehende Einzelwahrnehmung möglich ist oder dies sogar die primäre oder ausschließliche Erkenntnisquelle ausmacht.
http://de.wikipedia.org/wiki/Empirismus
(Hervorhebung durch mich). NB: zu beachten ist, dass ,,Rationalismus" hier Descartes als klassischen Fall meint und eine etwas andere Bedeutung hat als landläufig rational zu sein.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Groucho am 30. Oktober 2014, 11:57:27
Zitat von: Pelacani am 30. Oktober 2014, 11:33:13
ZitatObwohl die Literatur keine eindeutige Evidenz  für die Wirksamkeit der intrapartalen Akupunktur nachweist, sind Hebammen sowie interviewte Frauen von der sofortigen Wirkung überzeugt und mit dieser komplementärmedizinischen Therapiemöglichkeit während der Geburt sehr zufrieden.
Gisin et al., Einführung der geburtshilflichen Akupunktur im Universitätsspital Basel | die hebamme 2013; S. 254 ff.

Vor allem haben die betroffenen Frauen ja persönlich hervorragende Referenzwerte, die bringen sicher wöchentlich ein Kind zur Welt ...
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: ajki am 18. November 2014, 12:25:32
Passt vielleicht irgendwie in diesen oder zu diesem thread...

Die sz hat in ihrem typisch für Zeitungsplattformen dubiosen Sammelsuriumsbereich "Gesundheitsforum" eine Art Überblicksartikel (http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/sz-gesundheitsforum-der-gebildete-kranke-1.2223186) laufen, in dem es in allgemeiner Form um den "Umgang" zwischen Medizinern und Ratsuchenden geht. Aufhänger: der Internetausdrucker, der mit Akten zum Arzt geht, der Rezeptabholer, der nix hören will außer so und so machen. Und alles dazwischen. Es ist mehr ein "Plauderartikel" ohne besondere Hinweise auf Studien. Beispiel:
Zitat...Schneider ließ das Erlebnis keine Ruhe. Er untersuchte, welche Patienten wirklich auf Augenhöhe mit dem Arzt verhandeln wollen. Das Ergebnis: Vor allem ältere Patienten wollen tendenziell lieber zum Arzt aufsehen und klare Anweisungen erhalten. ...

Einer der wirksamsten Angriffsvektoren der "CAMler" ist ja bekanntermaßen der Patienten- und Not-ferne Arzt/Mediziner, der "nicht zuhört", "nicht eingeht", "Ängste nicht ernst (genug) nimmt" etc. Hinzu kommt die hier schon oft angesprochene Merkwürdigkeit, dass der "CAMler" mehr Beratungszeit abrechnen kann als der "normale" Arzt.

Im Artikel wird so etwas wie ein Resümee gebildet unter dem Stichwort:
Zitat... hat eine Lösung für das Dilemma: "Ärzte müssen ihre kommunikativen Fähigkeiten stärken."

Wäre also die Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten / "soft skills" zum Beispiel im Rahmen von irgendwelchen (Zwangs-) Weiterbildungen prinzipiell hilfreich für die medizinischen Anbieter? Könnte das im Dialog mit "House M.D."-Fans (es ist LUPUS!!) einerseits und den "nehm' se das ma, dann isses bald wieder gut"-Fans andererseits den angeblich so einfühlsamen Beratungen der "CAMler" den Wind aus den Segeln nehmen? Und damit der EBM wieder zu mehr "Glauben" verhelfen?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 18. November 2014, 13:38:47
Zitat von: ajki am 18. November 2014, 12:25:32
bekanntermaßen der Patienten- und Not-ferne Arzt/Mediziner, der "nicht zuhört", "nicht eingeht", "Ängste nicht ernst (genug) nimmt" etc.
Das wird oft kolportiert und so gut wie nie wirklich hinterfragt. Die Beweislage dafür ist nach meiner Kenntnis ausgesprochen dünne.  Ich vermute, dass andere Triebkräfte wesentlich bedeutender sind.

Zitat von: ajki am 18. November 2014, 12:25:32
Wäre also die Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten / "soft skills" zum Beispiel im Rahmen von irgendwelchen (Zwangs-) Weiterbildungen prinzipiell hilfreich für die medizinischen Anbieter?
Und selbst wenn die Diagnose stimmen sollte, dann bliebe völlig unklar, ob das die Abhilfe wäre. 

Die Vordenker der medizinischen Ausbildung haben jedenfalls schon längst gehandelt.
Zitat von: Gefährliche Bohnen am 03. Oktober 2014, 19:03:26
Zitat von: Davos am 03. Oktober 2014, 16:34:02
Edit: Ich bemerke einfach keinen politischen Willen, darauf hinzuwirken, dass Ärzte menschlicher werden. Vielleicht ist es mir auch entgangen.
Ich habe gute Nachrichten für dich. Seit ein paar Semestern gibt es u.a. an der Charité in Berlin den Modellstudiengang Medizin (und zwar nur noch den). Da haben die Studenten 3 Stunden in der Woche ein Fach namens KIT (Kommunikation, Interaktion, Teamarbeit). Da lernen die wie man nett ist. Allerdings müssen sie sich dann z.B. die gesamte Neuroanatomie innerhalb einer Woche reindrücken. Bleibt halt nicht mehr so viel Zeit übrig.
...

Und was die bereits tätigen Ärzte angeht:
Zitat von: ajki am 18. November 2014, 12:25:32irgendwelchen (Zwangs-) Weiterbildungen
Good luck bei dem Versuch, so was durchzusetzen!

:teufel
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: ajki am 18. November 2014, 16:08:30
Zitat von: Pelacani am 18. November 2014, 13:38:47
Und was die bereits tätigen Ärzte angeht:
Good luck bei dem Versuch, so was durchzusetzen!

Gab/Gibt es nicht schon ewig und drei Tage irgendeine komische Form des Weiterbildungs"zwangs"? Bei der man für die Teilnahme an irgendwelchen tantrischen biophysikalischen Seminaren in Luxus-Ressorts, von BigPharma und sämtlichen Dämonen der Hölle gesponsert, irgendwelche Weiterbildungs"punkte" einstreichen kann? Oder "alternativ" für einen Stuhlkreis, bei dem man sich gegenseitig versichert, wie wirksam doch die natürliche Homöopathie ist und wie dankbar dabei das Patientenauge lacht als Ausgleich für die bittere Armut, in der ein armer Homöopath von staats wegen zu leben gezwungen ist?
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 18. November 2014, 19:45:23
Zitat von: ajki am 18. November 2014, 16:08:30
Zitat von: Pelacani am 18. November 2014, 13:38:47
Und was die bereits tätigen Ärzte angeht:
Good luck bei dem Versuch, so was durchzusetzen!

Gab/Gibt es nicht schon ewig und drei Tage irgendeine komische Form des Weiterbildungs"zwangs"? Bei der man für die Teilnahme an irgendwelchen tantrischen biophysikalischen Seminaren in Luxus-Ressorts, von BigPharma und sämtlichen Dämonen der Hölle gesponsert, irgendwelche Weiterbildungs"punkte" einstreichen kann? Oder "alternativ" für einen Stuhlkreis, bei dem man sich gegenseitig versichert, wie wirksam doch die natürliche Homöopathie ist und wie dankbar dabei das Patientenauge lacht als Ausgleich für die bittere Armut, in der ein armer Homöopath von staats wegen zu leben gezwungen ist?

Seit einigen Jahren ist festgelegt, dass ein Arzt / Psychotherapeut in 5 Jahren insgesamt 250 Fortbildungspunkte erwerben muss. Die Inhalte sind nicht festgelegt, aber müssen von den Landesärztekammern akkreditiert werden. Der Antikorruptionswind hat sich über die letzten Jahre langsam aber stetig verschärft. Es ist heute für die Anbieter von Fortbildung nicht mehr so ganz einfach, die Wellness-Oase in bepunkten zu lassen. Natürlich gelingt es den Para-Fuzzis gelegentlich, ihren Kram durchzubringen. 
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: ajki am 18. November 2014, 21:41:50
Zitat von: Pelacani am 18. November 2014, 19:45:23
Fortbildungspunkte erwerben muss. Die Inhalte sind nicht festgelegt, aber müssen von den Landesärztekammern akkreditiert werden

Nun also, es gibt irgendein Weiterbildungssystem (wie gut, schlecht, mittel auch immer). Also gibt es auch einen Rahmen, innerhalb dessen man vielleicht gewinnbringend für einzelne Interessierte auch "kommunikationsförderndes" einbinden könnte. Da wie Du schon anmerktest auch studienbegleitend schon irgendwelche Inhalte ausgearbeitet sind (und insofern wohl auch zumindest mal belastbare Inhalte vorhanden sind), wird es das vielleicht auch schon geben. Bleibt natürlich noch die Frage offen, ob solche Maßnahmen irgendeinen Wellness-Faktor erbringen, von dem angeblich die Homöos immer so profitieren (achne, bei denen liegt es ja an der Magie).
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 18. November 2014, 22:18:18
Zitat von: ajki am 18. November 2014, 21:41:50
Also gibt es auch einen Rahmen, innerhalb dessen man vielleicht gewinnbringend für einzelne Interessierte auch "kommunikationsförderndes" einbinden könnte.

Du kannst Balint-Gruppen und Selbsterfahrung und wasweisichnichtalles auch heute schon haben, und schon lange. Der Kick ist das Schleifchen darum: die Vorschrift. Gelegentlich haben ja sogar normierende Gremien wie z. B. der G-BA oder die KVen oder die Ärztekammern ihre lichten Momente, und da könnte ja einer fragen, wie es denn um die empirische Begründung für die Verpflichtung steht (so etwas ist schon vorgekommen). Ich rede noch gar nicht vom Getöse der Standespresse:
ZitatAber eines Abends wird ein Geschrei sein am Hafen
Und man fragt "Was ist das für ein Geschrei?"

Wenn es freiwillig bleibt, dann ist das Grundproblem wie immer: für solche Kurse/Fortbildungen interessieren sich am ehesten diejenigen, die sie am wenigsten brauchen, und zuallerletzt die, denen man sie überhelfen möchte.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: ajki am 19. November 2014, 12:03:19
Zitat von: Pelacani am 18. November 2014, 22:18:18
ist das Grundproblem wie immer

Was man im Gesamtzusammenhang nicht weiß (also ich zumindest nicht) ist, ob es ein benennbares Problem überhaupt in dem Sinne gibt, dass es sich lohnen würde es auch zu "bekämpfen" (wie auch immer). Es gibt so etwas wie oftmals angesprochene, aber nicht oder nur schlecht quantifizierbare... nu, ich nenne es mal "kommunikative Störungen" im Verhältnis Arzt/Patient. Die Hinweise darauf liefern die oben angerissenen Werbeaussagen von "CAMlern", die ihnen neben anderem als Grundlage ihres segensreichen Schaffens dienen. Dann gibt es Hinweise wie diejenigen aus dem sz-Plauderartikel (die in verschiedensten Formen auch anderwärtig hier im Forum immer mal wieder aufscheinen), dass anscheinend zunehmend Bürger in ganz genereller Form mehr "Dialog", "Beteiligung", "Erklärung" uswusf verlangen bzw. dies als in grundsätzlicher Form geboten "empfinden". Wenn das ein Trend ist (unklar), dann sind auch Arzt/Patientenverhältnisse davon betroffen (unklar in welchem Ausmaß). Dann gibt es mit völliger Sicherheit eine enorme Menge von medizinischem Personal aller Ebenen, die mit irgendwelchen adäquaten kommunikativen Leistungen *überhaupt keine* Problem hat (weil sie es eben "drauf haben") - ebenso wie es unvermeidlich eine Menge geben wird, deren Probleme im kommunikativen Bereich nicht abgeholfen werden könnte und wenn sie jahrzehntelang in Seminare eingesperrt würden (und die trotzdem irgendeinen Weg der Berufsausübung finden). Dann gibt es noch Hinweise aus dem Bereich der kritischen Auseinandersetzung mit speziell der "CAM" - z.B. seit Ewigkeiten Edzard Ernst mit solchen Aussagen wie:
Zitat von: aus einem Interview in der sz v. 23.11.2012Viele Menschen haben das Gefühl, die alternativen Verfahren würden ihnen helfen. Da kommt offenbar der Placeboeffekt ins Spiel. Sollten Ärzte stärker auf die Wirkung von Scheinmedikamenten setzen?

Natürlich sind hier Placeboeffekte wirksam und können helfen. Und Ärzte sollten sie auch einsetzen. Aber wenn Sie ein pharmakologisch effektives Mittel mit Empathie, Sympathie, Hingabe und Zeitaufwand verordnen, lösen Sie auch einen Placeboeffekt aus - aber zusätzlich auch eine spezifische Wirkung. Wenn Sie jedoch nur ein Placebo geben, etwa Globuli, dann betrügen Sie den Patienten doch um den therapeutischen Effekt eines richtigen Medikaments.

Sie sprechen Empathie und Hingabe des Arztes an. Wie wichtig ist denn die sogenannte sprechende Medizin, die die Bedeutung des Gesprächs zwischen Mediziner und Patient betont?

Gute Medizin besteht aus zwei wesentlichen Elementen. Das eine ist die Kunst der Medizin, das andere die Wissenschaft der Medizin. Moderne Medizin ist vielleicht zu sehr fokussiert auf das wissenschaftliche Element. Alternativmediziner wie die Homöopathen konzentrieren sich dagegen fast ausschließlich auf die Kunst der Medizin. Die können mit den Patienten sehr gut umgehen. Wenn eines der beiden Elemente fehlt, ist es keine gute Medizin. Das ist eine Kritik an der sogenannten Schulmedizin als auch an den sogenannten Alternativmedizinern.

Wie gesagt, ich kann nicht beurteilen, ob der "querulatorische" Patient ein Problem ist oder ob dieses Problem trendmäßig größer wird (ich vermute es aus den angesprochenen anderen Zusammenhängen). Ich kann auch nicht beurteilen, ob man solchen Problemen mit Schulungen von vom Problem Betroffenen/am Problem Interessierten begegnen kann bzw. ob Thematisierungen in diesem Bereich in Fachartikeln, Seminaren, Weiterbildungen etc. irgendetwas ausrichten können. Höchstwahrscheinlich wird an solchen Faktoren permanent geforscht und gearbeitet.

Was mir im Zusammenhang immer durchaus nachvollziehbar schien waren die z.B. von Ernst angesprochenen *Möglichkeiten* für die EBM.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 19. November 2014, 12:44:33
Zitat von: ajki am 19. November 2014, 12:03:19
Ewigkeiten Edzard Ernst mit solchen Aussagen wie:
Zitat von: aus einem Interview in der sz v. 23.11.2012
Sie sprechen Empathie und Hingabe des Arztes an. Wie wichtig ist denn die sogenannte sprechende Medizin, die die Bedeutung des Gesprächs zwischen Mediziner und Patient betont?

Gute Medizin besteht aus zwei wesentlichen Elementen. Das eine ist die Kunst der Medizin, das andere die Wissenschaft der Medizin. Moderne Medizin ist vielleicht zu sehr fokussiert auf das wissenschaftliche Element. Alternativmediziner wie die Homöopathen konzentrieren sich dagegen fast ausschließlich auf die Kunst der Medizin. Die können mit den Patienten sehr gut umgehen. Wenn eines der beiden Elemente fehlt, ist es keine gute Medizin. Das ist eine Kritik an der sogenannten Schulmedizin als auch an den sogenannten Alternativmedizinern.
Das sind plakative, griffige Formulierungen, aber ich glaube nicht, dass sie die Realität in ihrer Tiefe abbilden. Wie ich schon sagte, da scheinen mir ganz andere Triebkräfte wirksam.

Ernst hat auch mal auf diesem Gebiet empirisch gearbeitet, insofern ist er nicht ganz unbeleckt. Das Problem damit besteht darin, dass so etwas letztlich nur durch Befragungen eruierbar ist. Für die Formulierung solcher Fragebögen kommt es auf die Arbeitshypothese der Forscher an (wer Fragen stellt, erhält Antworten - und weiter nichts). Wenn ich die Hypothese habe, dass die Para-Heinis ganz toll mit Menschen umgehen, dann spiegelt sich das auch in den Fragen wider. Der größte Teil dies betreffender Untersuchungen stammt aus Instituten wie dem für Sozialkram der Charite, oder aus München usw. Das sind Leute, die eine Agenda haben.

Zitatthose with an axe to grind will grind it.
Wer sein Süppchen zu kochen hat, der wird es auf den Herd stellen
https://blog.psiram.com/2014/05/endlich-bewiesen-akupunktur-wirkt-bei-reizdarm/

Meine eigene Ansicht dazu ähnelt eher dieser:
Zitat von: bayle am 21. September 2012, 16:18:14
Die Interessen von Arzt und Patient sind nie deckungsgleich; im günstigen Fall besteht eine gewisse Überschneidung. Gemeinsam ist beiden aber die prinzipielle Unerträglichkeit des Umstandes, dass die Medizin nicht auf alle Fragen eine Antwort hat, selbst nicht auf scheinbar so triviale wie den Rückenschmerz. [...] Letztlich ist es nicht der zu schnelle, sondern der zu schleppende Fortschritt der Wissenschaft, der der Paramedizin Raum und Rechtfertigung gibt. Sie ist der "Gott der Lücke".
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: ajki am 19. November 2014, 16:41:58
hm. Ich bin nicht sicher, ob wir hier über dieselben Dinge reden. So ziemlich alle Deine Bedenken hatte ich schon vorausgesetzt oder im vorhinein getoppt (Diffamierung als Wellness etc.). Ich bin auch ganz weit weg von Großem&Ganzen, sondern eher bei banalem Keinscheiss. Vielleicht zwei hergeholte Beispiele zur Verdeutlichung:

Wie ich beim Überfliegen der aktuellen Blogs gesehen habe, gibt es derzeit(?) da einen Kommentator im Bereich "Impfen" (keine Ahnung, welcher Blog das genau ist), der mit dem typischen kruden Zeug daher kommt (anscheinend immer wieder und wieder und ohne jede Aussicht auf Bereitschaft zur Wissensaneignung). Bei solchen Typen - der ja nu ein gut bekannter Prototyp ist - und unterstellt, dass es ein junger Mann ist, kann es ja nun dazu kommen, dass er und seine Freundin irgendwann mal bei irgendeiner armen Sau von Kinderarzt sitzen und das "gelbe Heft" abarbeiten sollen (angesichts deren vorstellbarer "Vernetztheit" über facebook und "non-mainstream"-Schwachfug will ich hier von "abarbeiten wollen" gar nicht erst reden). Durchaus möglich und vorstellbar, dass die Erdung dann schon eingesetzt hat oder der arme Arzt ein glückliches Händchen hat oder super "Autorität" usw. - aber was macht man mit den vorstellbaren Horden von youtube-Verstrahlten, wenn es dann doch um echtes Kindeswohl geht? Bei genügender Ignoranz vor dem Schreibtisch wird man wohl berechtigterweise zu einem "leck mich doch, Depp, mach doch was du willst!" kommen - aber schön ist das wohl kaum.

Noch so'n Ding, diesmal "elaborierter". Dieser Tage schreibt eine Jungredakteurin (also wahrscheinlich noch nicht mal Volontariat, vielleicht auch nicht in der journalistischen Ausbildung, aber doch deutlich interessiert an "irgendwas mit Medien") auf jetzt.de (der Kinderstube der sz) einen Gonzo-Artikel über die eventuellen "Gefahren des Aluminiums im Alltag". Ausgangspunkt der dräuenden Gefahr für ihren Leib: Ehgartner-Fiction, die altbekannte. Hat sie im Netz empfohlen bekommen. Danach "recherchiert" sie bei Gott&Welt, zitiert das RKI etc. und bleibt treudoof bei der Betonung der *Gefahren*. Das RKI hilft ihr bei der Betonung der dräuenden Gefahr durch Deodorants ganz ausdrücklich durch "Ratschlag zur Vermeidung". Auf was diese junge Frau, die doch durch ihr offensichtliches Interesse an Journalismus ausdrücklich ein hohes Maß an "Medienkompetenz" für sich reklamieren würde, überhaupt nicht kommt ist, dass der mediale Anlass für diesen ganzen Budenzauber ein klares tendenziöses und in jeder Hinsicht unglaubwürdiges Machwerk ist, was bei minimalem kritischem Abstand auch nicht zu verbergen ist. Und diese klügelnde junge Frau, Mitglied der nationalen Eliten der Schlauberger, die noch nicht mal imstande ist, simpelste demagogische Produkte vom Schlage "Akte Aluminium" oder "Gasland" oder vglb. abzuwehren und stattdessen Besorgnis anspeichert - die geht dann zu ihrem Frauenarzt und labert den/die voll. Na, herzlichen Glückwunsch.
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: pelacani am 19. November 2014, 16:49:26
Zitat von: ajki am 19. November 2014, 16:41:58
So ziemlich alle Deine Bedenken hatte ich schon vorausgesetzt oder im vorhinein getoppt (Diffamierung als Wellness etc.).

Dann tut es mir leid, Dich gelangweilt zu haben.  :-X
Titel: Re: Wirkt Wissenschaft ohne Glaube?
Beitrag von: Hans Wurst am 25. November 2014, 17:58:55
Hallo,

wird hier irgendwo das Thema 'Sinneswahrnehmung als Grundlage und Pferdefuß der meisten Philosophien' diskutiert? Dazu gehörte natürlich auch, daß die individuelle Erfahrung - besser: das indiv. Erleben - den Betroffenen so beeinflußt und prägt, daß er sich von wiss. Beweisen nicht umstimmen läßt.

Peter