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Deutsch => Andere Webseiten oder Medien => Thema gestartet von: Dr. Ici Wenn am 29. Januar 2013, 12:15:02

Titel: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 29. Januar 2013, 12:15:02
Mal wieder in gewohnter SpOn-"Qualität", zum Kotzen:

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/barmer-anstieg-bei-aufmerksamkeits-defizit-adhs-a-880255.html (http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/barmer-anstieg-bei-aufmerksamkeits-defizit-adhs-a-880255.html)

Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Hildegard am 29. Januar 2013, 14:25:53
Zitat von: Dr. Ici Wenn am 29. Januar 2013, 12:15:02
Mal wieder in gewohnter SpOn-"Qualität", zum Kotzen:

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/barmer-anstieg-bei-aufmerksamkeits-defizit-adhs-a-880255.html (http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/barmer-anstieg-bei-aufmerksamkeits-defizit-adhs-a-880255.html)
Ich versteh es nicht. Wenn man diese ganzen Artikel liest, könnte man meinen, dass Ritalin verschrieben wird wie Lutschbonbons. Aber als ich es mal gegen Fatigue zu kriegen versuchte, bin ich bei zwei Ärzten abgeblitzt. (O.k., es ist off-label, aber so ziemlich das einzige, was laut Studien hilft.)
Neurologin:"Da könnte ich Ihnen ja gleich Kokain verschreiben."
Onkologe: "Reden Sie mal mit einer Grundschullehrerin, die Kinder sind wie Zombies."
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 29. Januar 2013, 14:50:32
Zitat von: Marlene am 29. Januar 2013, 14:25:53
Neurologin:"Da könnte ich Ihnen ja gleich Kokain verschreiben."
Onkologe: "Reden Sie mal mit einer Grundschullehrerin, die Kinder sind wie Zombies."

Irre, dass selbst viele Ärzte solchen Unsinn von sich geben.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: The Doctrix am 29. Januar 2013, 15:23:59
Ich bin ja immer mehr versucht, mal einen Ritalin-Selbsttest zu wagen.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 29. Januar 2013, 16:14:45
Zitat von: The Doctor am 29. Januar 2013, 15:23:59
Ich bin ja immer mehr versucht, mal einen Ritalin-Selbsttest zu wagen.

Wie jetzt? - Zum Ruhigstellen??
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: The Doctrix am 29. Januar 2013, 16:35:27
Zitat von: sweeper am 29. Januar 2013, 16:14:45
Zitat von: The Doctor am 29. Januar 2013, 15:23:59
Ich bin ja immer mehr versucht, mal einen Ritalin-Selbsttest zu wagen.

Wie jetzt? - Zum Ruhigstellen??

Nö, aber es soll ja der Konzentration förderlich sein und Spass an auch unangenehmen  Arbeiten wecken.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 29. Januar 2013, 16:41:25
Zitat von: The Doctor am 29. Januar 2013, 16:35:27
Zitat von: sweeper am 29. Januar 2013, 16:14:45
Zitat von: The Doctor am 29. Januar 2013, 15:23:59
Ich bin ja immer mehr versucht, mal einen Ritalin-Selbsttest zu wagen.

Wie jetzt? - Zum Ruhigstellen??

Nö, aber es soll ja der Konzentration förderlich sein und Spass an auch unangenehmen  Arbeiten wecken.

Ne Spaß-Pille? - Soso.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 29. Januar 2013, 17:04:55
Zitat von: The Doctor am 29. Januar 2013, 16:35:27
Zitat von: sweeper am 29. Januar 2013, 16:14:45
Zitat von: The Doctor am 29. Januar 2013, 15:23:59
Ich bin ja immer mehr versucht, mal einen Ritalin-Selbsttest zu wagen.

Wie jetzt? - Zum Ruhigstellen??

Nö, aber es soll ja der Konzentration förderlich sein und Spass an auch unangenehmen  Arbeiten wecken.

Wie sagte schon Nina Hagen: "Alles so schön bunt hier!"
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: The Doctrix am 29. Januar 2013, 17:12:38
Zitat von: Dr. Ici Wenn am 29. Januar 2013, 17:04:55
Zitat von: The Doctor am 29. Januar 2013, 16:35:27
Zitat von: sweeper am 29. Januar 2013, 16:14:45
Zitat von: The Doctor am 29. Januar 2013, 15:23:59
Ich bin ja immer mehr versucht, mal einen Ritalin-Selbsttest zu wagen.

Wie jetzt? - Zum Ruhigstellen??

Nö, aber es soll ja der Konzentration förderlich sein und Spass an auch unangenehmen  Arbeiten wecken.

Wie sagte schon Nina Hagen: "Alles so schön bunt hier!"

Sagte sie das unter Ritalin oder einer anderen Substanz?

(Dabei fällt mir diese absolut geniale Live-Übertragung von der Love-Parade 2000 ein - mit Gotthilf Fischer auf XTC:  http://www.youtube.com/watch?v=GETi8yTE7yM )
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: The Doctrix am 29. Januar 2013, 17:19:18
@ sweeper:

Im übrigen sehe ich solche Selbsterfahrungen durchaus als Erweiterung meines Horizonts. Viagra und Co werden ja auch längst nicht nur von Männern mit Potenzproblemen eingenommen:

http://www.youtube.com/watch?v=TFLnyP6XfZs
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 29. Januar 2013, 17:23:41
@The Doctor:
Klar, immer alles ausprobieren bevor man es seinen Patienten verschreibt! :D

Stellst du dir dann deine eigenen BTMs aus?
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: The Doctrix am 29. Januar 2013, 17:29:34
Zitat von: sweeper am 29. Januar 2013, 17:23:41
@The Doctor:
Klar, immer alles ausprobieren bevor man es seinen Patienten verschreibt! :D

Stellst du dir dann deine eigenen BTMs aus?

Muss ma guckn, war noch nicht in der Verlegenheit.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: bayle am 29. Januar 2013, 17:32:34
Ich gebe mal meinen vorläufigen Stand wieder:
Im SpON heißt es:
ZitatRund ein Fünftel aller Jungen, die im Jahr 2000 geboren wurden, bekamen zwischen 2006 und 2011 die Diagnose ADHS, berichten die ISEG-Forscher. Bei den Mädchen lag diese Rate unter zehn Prozent. Die Wissenschaftler schätzen, dass im Laufe eines Lebens bei einem Viertel aller Männer und mehr als jeder zehnten Frau die Aufmerksamkeitsstörung festgestellt wird.
Das kann nur Unsinn sein, denkt man. Anlass des Beitrags ist eine Studie des ISEG im Auftrag der Barmer GEK.  Wer ist das ISEG?
ZitatDas als gemeinnützig anerkannte ISEG – Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung e.V. wurde im Februar 1991 gegründet. ... Das ISEG unter Vorsitz von Prof. Dr. med. F. W. Schwartz, unterhält zur Zeit zwei Forschungsbüros in Hannover und Witten.
http://www.iseg-institut.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Schwartz
Witten??
An den Report selbst kommt man über die Barmer GEK:
http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Aktuelle-Pressemitteilungen/130129-Arztreport-2013/PDF-Arztreport-2013,property=Data.pdf
Es handelt sich um Hochrechnungen. Wie sie gemacht wurden, findet sich irgendwo im Text. Damit sollten wir uns auseinandersetzen.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Wolleren am 29. Januar 2013, 20:20:49
Zitat von: bayle am 29. Januar 2013, 17:32:34
Ich gebe mal meinen vorläufigen Stand wieder:
Im SpON heißt es:
ZitatRund ein Fünftel aller Jungen, die im Jahr 2000 geboren wurden, bekamen zwischen 2006 und 2011 die Diagnose ADHS, berichten die ISEG-Forscher. Bei den Mädchen lag diese Rate unter zehn Prozent. Die Wissenschaftler schätzen, dass im Laufe eines Lebens bei einem Viertel aller Männer und mehr als jeder zehnten Frau die Aufmerksamkeitsstörung festgestellt wird.
...
An den Report selbst kommt man über die Barmer GEK:
http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Aktuelle-Pressemitteilungen/130129-Arztreport-2013/PDF-Arztreport-2013,property=Data.pdf
Es handelt sich um Hochrechnungen. Wie sie gemacht wurden, findet sich irgendwo im Text. Damit sollten wir uns auseinandersetzen.

Danke für die Verlinkung des Reports. Auf den ersten Blick sieht der hervorragend gemacht aus. Sehr  wahrscheinlich kann SpOn nicht richtig lesen oder schreiben, und wir müssen es mal wieder besser machen.
Aus dem Vorwort des BEK-Arztreport:
ZitatIm letzten Jahr etwa machte der Umstand stutzig, dass mittlerweile fast jeder zehnte Junge zum Neurologen oder Psychiater geht. Eine nähere Beobachtung zeigt, dass 60% dieser Jungen die Arztpraxis mit der Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung wieder verlassen.
Macht maximal 6%, oder?
Die Aussage von SpOn ist extrem irreführend, weil sie sich nur auf beziehen kann, die überhaupt zum Arzt gehen.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: bayle am 29. Januar 2013, 21:22:17
Leider kann ich aus dem Report nicht rauskopieren, ich erzeuge auf zwei unabhängigen PC's mit unabhängiger Software (z. B. Acrobat 8.0 – übrigens danke, Ici) nur Steuerzeichen.

Auf S. 174 ff wird die Methodik beschrieben, sie führt zu den Diagrammen auf Seite 177. Dort steht ,,kumulative ambulante Diagnoseraten (F90)" und für Jungen: 19,7%. Ich verstehe das momentan so, dass das alle Kinder sind, die irgendwann in einem 5-J-Zeitraum einmal diese Dgn von wem auch immer, für wie lange auch immer und mit welcher Begründung auch immer erhalten haben. Eigentlich können es ja gar nicht alle Kinder sein, sondern nur diejenigen, die bei der Barmer GEK mitversichert sind, und die Barmer GEK ist regional recht unterschiedlich aufgestellt - im Osten (niedrigerer Sozialstatus) ist sie stärker vertreten. Irgendwo sind auch die Diagramme dazu.

Meiner persönlichen Erfahrung nach darf von vielen Allgemeinmedizinern nicht erwartet werden, dass sie eine psychiatrische Dgn. etwa nach ICD-10 oder gar nach Leitlinien-Kriterien stellen; sondern nur eine, die die Überweisung zum Facharzt rechtfertigt (diejenigen, die hier mitlesen und nicht zu diesen "vielen" zählen, sollen mal weghören). Ich persönlich würde auch das ,,G" (gesichert) oder das ,,V" der Diagnose für nicht bedeutsam halten; man wird von der Krankenkasse und von der KV zum ,,G" gedrängt (hat was mit dem Risiko-Struktur-Ausgleich zu tun).

Vermutlich ist das noch eine genauere Lektüre wert. Aber ich habe beruflich nicht mit Kindern zu tun, sicher gibt es unter uns welche, die da mehr durchsehen als ich. Vielleicht reagieren ja auch die Fachverbände mal; das ist ja alles noch sehr frisch.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Hildegard am 29. Januar 2013, 21:26:42
Ich wär übrigens immer noch an einer Verschreibung interessiert und würde auch gern berichten.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 29. Januar 2013, 23:18:10
Wenn man glaubt, daß jede F.90 Diagnose auch tatsächlich eine ist, glaubt man auch an den Weihnachtsmann. Der Anstieg ist auf die Pauschalvergütung 2008 zurückzuführen, die für Pädiater besonders bescheuert ist :grins



ZitatAuf S. 174 ff wird die Methodik beschrieben, sie führt zu den Diagrammen auf Seite 177. Dort steht ,,kumulative ambulante Diagnoseraten (F90)" und für Jungen: 19,7%.

Wow! Wer Blödsinnszahlen anfordert bekommt sie auch ;D
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 07:45:23
Zitat von: 40_Fieber am 29. Januar 2013, 23:18:10
Wenn man glaubt, daß jede F.90 Diagnose auch tatsächlich eine ist, glaubt man auch an den Weihnachtsmann. Der Anstieg ist auf die Pauschalvergütung 2008 zurückzuführen, die für Pädiater besonders bescheuert ist :grins
Versteh ich nicht, was du damit sagen willst.
Die Pädiater hätten zu viele F.90 angegeben, weil das irgendwie vorteilhaft war?
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 09:11:03
ÄND, 2009


ZitatSuche Chroniker, biete Zehner - Krankenkassen machen weiter Jagd auf Patientenbefunde

Helmut Anderten war empört. Die AOK Niedersachsen wandte sich mit einer ungewöhnlichen Bitte an den Allgemeinarzt aus Hildesheim: Die Krankenkasse forderte ihn auf, eine Reihe seiner Patientendiagnosen noch einmal zu überprüfen, und bot im Gegenzug Geld - zehn Euro pro kontrollierter Krankenakte. ,,Plump" fand Anderten das. ,,Da war dieses Geschmäckle dabei: Für 'nen Zehner macht der Doktor am Tresen eine neue Diagnose."

Anderten wies die Kasse schroff zurück und warnte seine Kollegen in einem Rundschreiben vor den Avancen. Der Fall kochte hoch. Auch anderswo klagten Mediziner über Kassen-Anfragen. Inzwischen streitet das gesamte Gesundheitssystem über mögliche Bestechung in deutschen Praxen. Die Schuld sehen Ärzte, Kassen und Verbände jeweils beim anderen - und beim Gesundheitsfonds.

Seit dem Start des Fonds zum Jahresbeginn gilt für die Kassen: Je älter und kränker ein Versicherter, desto mehr Geld erhalten sie für ihn. Für 80 ausgewählte Krankheiten - chronische und kostspielige - bekommen sie besondere Zuschläge. Zur Einordnung müssen Ärzte bei jeder Diagnose einen genauen Code angeben.

Der AOK Bundesverband klagt, diese Codes seien oft nicht korrekt. In extremen Fällen gingen einer Kasse dadurch Tausende Euro pro Patient verloren, sagt Sprecher Udo Barske und findet: ,,Das ist nicht verantwortbar." Vorwürfe, es gehe bei Aktionen wie in Hildesheim um Korruption, kann er nicht nachvollziehen. ,,Wir wollen nur erreichen, dass ordentlich gearbeitet wird", betont Barske. Es gehe allein um die ,,richtige" Codierung. upcoding oder was???

Nach dem Aufruhr bei Anderten und seinen Kollegen holte sich die AOK in Niedersachsen die Kassenärztliche Vereinigung (KV) an ihre Seite. Beide verschicken nun gemeinsam Briefe an die Arztpraxen im Land. Das Anliegen ist geblieben - und die Zehn-Euro-Offerte auch.

Anderten ist besänftigt. Mit der zwischengeschalteten KV sei das Ganze zumindest formal korrekt, meint er. Viele sehen das anders. Medizinerverbände und auch das Bundesgesundheitsministerium überschlagen sich mit Warnungen vor Korruption und Manipulation.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 09:22:04
Interessant,
War das die Antwort auf meine Frage?
Geben Pädiater zu viele F. 90 an, weil es für sie vorteilhaft ist?
So was lässt sich ja - das lässt dein Artikel vermuten - überprüfen.

Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: The Doctrix am 30. Januar 2013, 09:27:34
Zitat von: bayle am 29. Januar 2013, 21:22:17
Meiner persönlichen Erfahrung nach darf von vielen Allgemeinmedizinern nicht erwartet werden, dass sie eine psychiatrische Dgn. etwa nach ICD-10 oder gar nach Leitlinien-Kriterien stellen; sondern nur eine, die die Überweisung zum Facharzt rechtfertigt

Und dennoch trauen sich viele Hausärzte erstaunlich viel zu - zumindest bei der Verordnung von Psychopharmaka. Dass bei z.B. einer leichten depressiven Episode gar kein Antidepressivum sondern eine ambulante Psychotherapie gemäss Guidelines die 1st-line Therpie ist, interessiert da nicht weiter.

Und Ängste kann man ja priiiima mit Lorazepam behandeln, ist 'ne echte Wunderpille.        ;D
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 09:38:04
Zitat von: sweeper am 30. Januar 2013, 09:22:04
Geben Pädiater zu viele F. 90 an, weil es für sie vorteilhaft ist?
So was lässt sich ja - das lässt dein Artikel vermuten - überprüfen.

Es geben ALLE Irgendwas an und am allerliebsten Psychodiagnosen:

http://fudder.de/aktion/mitreden/forum/?view=single_thread&cat_uid=9&conf_uid=28&thread_uid=743&page=3

ZitatLauterbach warnte erneut vor einer falschen Codierung der Diagnosen und sieht voraus: ,,Damit können gravierende gesundheitliche Schäden für die Patienten entstehen."

Das ist einmal mehr völliger Unsinn, was dieser Mann da von sich gibt. Als ob Ärzte ihre Behandlungsweise nach vorgegangenen ICD-Codes ausrichten würden, in der Klinik nach vorangegangener Aufnahme oder in der Praxis nach Entlassung oder Überweisung.

Denn jedermann weiß doch, dass die Diagnosesammlung in Entlassungsberichten bereits heute durch formale und wirtschaftliche "Codierungsnotwendigkeiten" bedingt wird. Und dass zweitens in vielen Fällen keine optimale Codierung für den einzelnen Krankheitsfall möglich ist, sondern oftmals bestenfalls eine Hilfs- oder Minderklassifizierung.

Und dass vor allem viele Ärzte wichtigeres für den Patienten zu tun haben, als sich um die "Perfektionierung" von Diagnosesammlungen zu kümmern, die allein den Kassen, nicht aber dem Patienten nutzen.

Herr Lauterbach unterschätzt hier die Ärzte, oder er vermutet bereits betriebsblinde Medizinbetreiber, wie er sie sich wohl als funktionärs- und Managementgesteuerte MVZ-Angestellte gerne vorstellt.

Vor allem aber zeigt dieses Statement, dass er von der Praxis ärztlicher Behandlung überhaupt keine Ahnung hat.

Zu Ihrer Infomation, Herr Prof. Lauterbach: Falsche Codierung kerursacht keine Gesundheitschäden. Falsche Codierung verursacht allenfalls Einnahmeverschiebungen zwischen den Kassen aus dem Gesundheitsfonds.

Gesundheitschäden werden durch falsche Behandlungen verursacht. Auch infolge von Arbeitsüberlastung und Frustration von Ärzten, die sich immer mehr um Codierung und andere Bürokratie als um Patienten kümmern müssen. Infolge Ihrer zynischen Politik!
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 09:44:47
OK.
Heißt das, dass an den durch die Presse geisternden Behauptungen, die Mehrheit aller ADHS- Diagnosen seien falsch, was dran ist?

Und: dürfen Kinderärzte ohne Zusatzqualifikation überhaupt ADHS diagnostizieren?
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 10:39:47
Nein. Bei dieser Erhebung sind nicht die Diagnosen falsch, sondern nur die Codierung. Das ist was anderes.

http://www.aerzteblatt.de/archiv/124403/Buerokratie-in-Praxen-und-Krankenhaeusern-Vom-Versuch-den-Alltag-in-Ziffern-zu-pressen

Zitat
,,Zu mir kommen Patienten, die sagen: ,Mir ist so komisch' oder ,Mir geht's nicht gut. Ich hab Stress mit meiner Freundin.' Versuchen Sie einmal, das in einen ICD-Code zu übertragen." Das koste viel Zeit und Überlegung. Wende ist durchaus bewusst, dass von der gewissenhaften Dokumentation des Krankheitsgeschehens letztlich die Höhe der Gesamtvergütung und damit indirekt das eigene Honorar abhängt. Für die eigene medizinische Dokumentation nütze ihr die Verschlüsselung aber nichts. Die Folge ist eine ,,doppelte Buchführung", Ärger über die verlorene Zeit und dann noch die Unsicherheit, ob etwaige Kodierfehler später einmal sanktioniert werden. Denn: ,,Das, was ich mit dem Patienten bespreche, kann man nicht in Ziffern pressen."

Es paßt einfach nicht. Wie kodiert man "Stress mit Freundin"? BurnOut? Depression?
Oder gar Schulprobleme mit anschließender außerordentlicher Entwicklungsdiagnostik? Psychosomatik? ADHS? Entwicklungsstörung? Such Dir was aus, sonst gibt es kein Geld für die aufwendige Untersuchung. Du mußt eine Diagnose eingeben, denn nur Diagnosen bringen Geld.


Jeder darf ADHS diagnostizieren - nur die Ritalin verordnen darf nicht jeder. Kinderärzte aber schon. Soweit ich das sehe sind die Ritalinverordnungen aber stabil geblieben seit 2010. Es wird also häufiger diagnostiziert als verschrieben.

Ob was falsch ist kann nur eine Studie klären. Aber eine, die keine Schrottdaten verwendet.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 11:25:05
OK.
Warum werden dann solche Schlussfolgerungen aus diesen schwammigen Daten gezogen und als Sau durch die Medienlandschaft getrieben?
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Ratiomania am 30. Januar 2013, 15:31:30
Zitat von: sweeper am 30. Januar 2013, 11:25:05
OK.
Warum werden dann solche Schlussfolgerungen aus diesen schwammigen Daten gezogen und als Sau durch die Medienlandschaft getrieben?

Weil "Pillen gegen Probleme" ein Superthema ist und Klicks/Werbeeinnahmen bringt?

Schon Regividerm-Skandal vergessen? Mutige Medien gegen die Pharmaschweine kommt immer gut. Und verkauft sich gut.

Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 15:52:29
@Ratiomania:

Stimmt schon.
Aber allein daran kann's nicht liegen:

http://m.aerzteblatt.de/news/53215.htm

Wissen denn selbst die Redakteure vom Ärzteblatt nicht, dass diese Daten von der Barmer keine seriösen Daten sind?
Was will man damit bezwecken - die Frage stellt sich doch.

Und immerhin kann man aus den Zahlen entnehmen, dass für die Klientel der Barmer gilt:
So und so viele Patienten sind wegen eines psychischen Problems zum Arzt gegangen - wie immer die Diagnose dann verschlüsselt wurde.




Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 17:44:05
ZitatWissen denn selbst die Redakteure vom Ärzteblatt nicht, dass diese Daten von der Barmer keine seriösen Daten sind?
Was will man damit bezwecken - die Frage stellt sich doch.


Ähem. Soll das Ärzteblatt verkünden, daß Ärzte seit Jahren komische Diagnosen abrechnen weil es keine vernünftigen gibt? Was glaubst Du, wer dann auf die Finger bekommt? Doch nicht diejenigen, die das realitätsferne Codiersystem eingeführt haben. Wenn man das killt haben wir hier schlagartig Ärztemangel weil Praxen schließen müssen wenn lange Gespräche nicht irgendwie codierbar bleiben.

Und den Kassen würde das auch nicht gefallen. Die wollen ja möglichst viele Schwerkranke.

ZitatUnd immerhin kann man aus den Zahlen entnehmen, dass für die Klientel der Barmer gilt:
So und so viele Patienten sind wegen eines psychischen Problems zum Arzt gegangen - wie immer die Diagnose dann verschlüsselt wurde.

Es wird auch kaum einer ohne psychische Probleme durchs Leben kommen. Spätestens nach einem Todesfall hat man eines und das muß codiert werden auch wenn es keine Codierung dafür gibt - denn eine Depression ist das zweifelsohne nicht. Macht aber genauso viel Arbeit.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 18:00:44
.
ZitatSoll das Ärzteblatt verkünden, daß Ärzte seit Jahren komische Diagnosen abrechnen weil es keine vernünftigen gibt? Was glaubst Du, wer dann auf die Finger bekommt? Doch nicht diejenigen, die das realitätsferne Codiersystem eingeführt haben. Wenn man das killt haben wir hier schlagartig Ärztemangel weil Praxen schließen müssen wenn lange Gespräche nicht irgendwie codierbar bleiben.

Na ja. So klingt es halt, als ob bestimmte Ärzte ( besonders im Raum Würzburg) den Eltern von Kindern mit Schulschwierigkeiten Gefälligkeitsdiagnosen verschaffen, damit die Kinder dann Ritalin verschrieben bekommen können, um in der Schule besser klarzukommen.. Die entsprechende Schachtel ist im Ärzteblatt ja auch abgebildet.

Am Problem der Codierung und Abrechenbarkeit von psychischen Störungen ändert das aber nichts:
es gibt nur jetzt irgendwelche "Schuldigen" -
nämlich die Eltern, die ihre Kinder angeblich systemkompatibel machen wollen und die gewissenlosen Ärzte, die die Diagnosen leichtfertig vergeben.

Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Lord Ahriman am 30. Januar 2013, 19:14:20
Zitat von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 17:44:05
Und den Kassen würde das auch nicht gefallen. Die wollen ja möglichst viele Schwerkranke.

Nanu, wann hat sich das denn geändert? Bisher dachte ich, die wollten möglichst viele Gesunde haben?!
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 20:57:55
Zitat von: Lord Ahriman am 30. Januar 2013, 19:14:20

Nanu, wann hat sich das denn geändert? Bisher dachte ich, die wollten möglichst viele Gesunde haben?!

Nein, Nun gibt es Chroniker-Pauschalen. Gesunde bringen weniger.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 21:03:33
Zitat von: sweeper am 30. Januar 2013, 18:00:44
Na ja. So klingt es halt, als ob bestimmte Ärzte ( besonders im Raum Würzburg) den Eltern von Kindern mit Schulschwierigkeiten Gefälligkeitsdiagnosen verschaffen, damit die Kinder dann Ritalin verschrieben bekommen können, um in der Schule besser klarzukommen.. Die entsprechende Schachtel ist im Ärzteblatt ja auch abgebildet.

Am Problem der Codierung und Abrechenbarkeit von psychischen Störungen ändert das aber nichts:
es gibt nur jetzt irgendwelche "Schuldigen" -
nämlich die Eltern, die ihre Kinder angeblich systemkompatibel machen wollen und die gewissenlosen Ärzte, die die Diagnosen leichtfertig vergeben.

Und was soll das jetzt? Bringt doch nichts. Die Realität ist viel irrer und es wollten doch alle ihre GKV Beiträge sparen. Wir haben hunderte Mal darauf hingewiesen, daß es bekloppt ist. Keiner hat es kapiert geschweige denn hätte es einen interessiert. Geldgierige Ärzte wurden postuliert. Nun ist es eben so.

Nicht mein Bier.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 21:30:01
ZitatUnd was soll das jetzt?
Das ist das eigentliche Thema: die angeblich explodierenden ADHS-Diagnosen, die nun auch das Ärzteblatt  thematisiert.

Die Codierungsfrage ist interessant, aber es ist lediglich deine Vermutung, dass dies der Grund für die Zunahme der F. 90 ist.
Wenn ich drüber nachdenke, erscheint mir die Antwort nicht plausibel:
gerade weil das Thema in der Öffentlichkeit so kontrovers diskutiert wird und jeder sowieso misstrauisch auf diese Diagnosen schaut, handelt man sich doch als Arzt nur Schwierigkeiten damit ein. Muss man dann nicht auch eine entsprechende Therapie anbieten?

Es gibt doch bestimmt weniger  verdächtige Ziffern.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 21:39:19
Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder es ist Mumpitz oder 17% haben ADHS.

Zitatgerade weil das Thema in der Öffentlichkeit so kontrovers diskutiert wird und jeder sowieso misstrauisch auf diese Diagnosen schaut, handelt man sich doch als Arzt nur Schwierigkeiten damit ein. Muss man dann nicht auch eine entsprechende Therapie anbieten?

Nein, muß an nicht. Und Schwierigkeiten gibts auch keine.

Mann, wie naiv sind denn die Leute. Wir haben es nun hundert Mal geschrieben. Minimale Zugriffszahlen. Interessiert keinen. Der Schnupfen ist wichtiger.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 40_Fieber am 30. Januar 2013, 21:44:21
Aber bei ADHS wir man plötzlich wach, weil es die Eltern selbst diskreditiert. Das findet man skandalös obwohl Alles skandalös ist. Super!

Ich habe schon vor Jahren geschrieben, daß es auch die Patienten was angeht. Fand keiner wichtig, Hauptsache man zahlt nicht zu viel. Das ist das Ergebnis.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 22:01:08
ZitatAber bei ADHS wir man plötzlich wach, weil es die Eltern selbst diskreditiert.
In erster Linie diskreditiert doch diese Art der Berichterstattung wohl die Ärzte, welche die Diagnosen leitliniengerecht stellen und sich die Zeit nehmen, diese Patienten - und die Eltern- angemessen zu betreuen, oder? Die geraten dadurch nämlich zu Unrecht in einen Generalverdacht.

Irgendwo habe ich mal gelesen, was ein Arzt für die Behandlung eines ADHS-Kindes im Quartal bekommt. Der Betrag erschien mir lächerlich gering.
Wenn ich die Quelle finde, reiche ich sie nach.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Lord Ahriman am 30. Januar 2013, 22:12:43
Zitat von: 40_Fieber link=topic=10513.msg125864#msg125864
Mann, wie naiv sind denn die Leute. Wir haben es nun hundert Mal geschrieben. Minimale Zugriffszahlen. Interessiert keinen. Der Schnupfen ist wichtiger.

Eher anders herum: Geringe Zugriffszahl -> Geringer Verbreitungsgrad -> Weniger Leute, die sich "aufregen" können
An mir ist es auch vorbeigegangen. Und wer versteht schon genau, wenn irgendsone Behörde irgendwelche Nummern neu sortiert... :-X
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 30. Januar 2013, 22:30:49
Also:
http://www.agadhs.de/uploads/adhs_mitteilung_2005_2.pdf
ZitatWas den Krankenkassen die Förderung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS wert ist, zeigt sich in der Honorierung: die Leistungserbringer erhalten 160 € als Quartalspauschale bei zusätzlicher Abrechnungsmöglichkeit für alle Kassenleistungen.

Hier steht was von Versuchen, eine extrabudgetäre Vergütung zu erreichen.
Was ist daraus geworden seit 2005 ?

Und geht nicht die zu häufige und ungerechtfertigte Berechnung der F. 90 zu Lasten der  tatsächlich betroffenen Kinder? - Man kann den Kuchen schließlich nur einmal verteilen, oder?

Könnte man den von dir, 40_Fieber, zitierten Herrn Lauterbach vielleicht in diesem Sinne verstehen?
Zitat.Lauterbach warnte erneut vor einer falschen Codierung der Diagnosen und sieht voraus: "Damit können gravierende gesundheitliche Schäden für die Patienten entstehen."

Das ist einmal mehr völliger Unsinn, was dieser Mann da von sich gibt. Als ob Ärzte ihre Behandlungsweise nach vorgegangenen ICD-Codes ausrichten würden, in der Klinik nach vorangegangener Aufnahme oder in der Praxis nach Entlassung oder Überweisung.

?? Kommt offenbar darauf an, von welchem Patienten der eine und der andere gerade spricht...
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 01. Februar 2013, 11:24:33
Also, die Barmer spielt ein besonders seltsames Spiel - und mit ihr alle, die diese Meldung verbreiten.

Meine bisherige Recherche ergab:
Es gibt schon länger ein Konzept der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, um
die Versorgung von ADHS- Familien zu verbessern.
Und vermutlich auch, um diese missbräuchliche Codierung zu unterbinden, die 40_Fieber beschrieben hat.
Das Konzept funktioniert so:

http://www.kbv.de/koop/25840.html

ZitatSeit dem 1. April 2009 können die 16.000 in einer Betriebskrankenkasse (BKK) versicherten Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg an dem Vertrag teilnehmen, den die KBV gemeinsam mit der KV und der BKK-Vertragsarbeitsgemeinschaft in Baden-Württemberg abgeschlossen hat. Die Teilnahmebereitschaft ist bei in Frage kommenden Versicherten sowie bei den Ärzten und Psychotherapeuten sehr hoch. Es ist das erklärte Ziel der KBV, den Vertrag auch auf andere Regionen und weitere Partner auszuweiten, um die Versorgung von Patienten flächendeckend zu verbessern.

Ein Muster für einen solchen Vertrag aus BW - die Vergütungsmodalitäten sind in Anlage 10 beschrieben:
http://www.kvbw-admin.de/data/dateiverwaltung/adhs-vertrag_ab_januar_2012.pdf

Frage:
Hat sich die Barmer diesem Kooperationsvertrag überhaupt in einem Bundesland angeschlossen?

Vermutung:
Nein, hat sie nicht - denn sonst könnte sie differenziertere Zahlen vorlegen.

Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 01. Februar 2013, 12:43:16
Und siehe da:
http://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de/npin/npinaktuell/show.php3?id=1958&nodeid=4
Zitat

Ohne Erbarmen gegen Betroffene: der Arztbericht der Barmer GEK zu ADHS


In Ihrem ,,Arztreport 2013" beklagt die Barmer Ersatzkasse eine Zunahme der ADHS-Diagnosen und sieht die Schuld daran bei Eltern, Lehrern und Ärzten. ,,Das ist scheinheilig!" reagiert der Vorsitzende des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (bkjpp), Dr. Maik Herberhold in Köln und verweist darauf, daß bislang nur zwei Krankenkassen (nicht die Barmer) in zwei Regionen den existierenden Vertrag zur Verbesserung der Versorgung von ADHS-Patienten unterschrieben hätten. In diesem Vertrag wird eine Verbesserung der Diagnostik und Therapie durch Teambildung von Kinder- und Jugendpsychiatern und –psychotherapeuten, Kinderärzten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten geregelt.

ADHS ist keine eingebildete Krankheit, sondern wissenschaftlich sowohl hinsichtlich der Symptomatik, als auch hinsichtlich einer Reihe von Ursachen und der Therapie gesichert. Die Autoren des Reports sehen allerdings vor allem die ,,Erwartungshaltungen der Eltern", nicht verbesserte diagnostische Möglichkeiten als Ursache für die Zunahme der Diagnosen an. ,,Das kommt einer Gleichsetzung der Patienten und ihrer Angehörigen mit Hypochondern gleich." empört sich Dr. Herberhold. ,,Viele Kinder und Jugendliche, die früher sozial und in der Schule scheiterten und dann mit Depressionen, Sucht oder auch Kriminalität für verpasste Therapie büßten, können heute durch frühzeitige Behandlung vor den nachgewiesenen Spätfolgen einer nicht behandelten ADHS bewahrt werden! Die Pflicht der Krankenkassen wäre es da, existierende Kooperationsmodelle zu unterstützen. Der Versuch, Krankheitskosten durch Beschimpfung und Schuldzuschreibung an die Adresse der Angehörigen, oder die Charakterisierung der Krankheit als Unterschichtenphänomen zu senken, ist eine beispielloser Rückfall in finstere Zeiten der Stigmatisierung psychisch Kranker."

Herberhold bezieht sich auf den KBV-Mustervertrag, der bislang nur in Baden-Württemberg und Bremerhaven von zwei Krankenkassen umgesetzt wurde. Ziel des Vertrages ist eine Verbesserung der Genauigkeit von ADHS-Diagnosen und die Schaffung erweiterter Therapiemöglichkeiten durch die intensive Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendpsychiatern und –psychotherapeuten, Kinderärzten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Dieser Vertrag ist in dieser Form einmalig und soll insbesondere auch die von der Barmer Ersatzkasse zu recht geforderten, aber in der Realität nicht finanzierten nicht-medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten wie Elterntrainings und Gruppentherapien stärken.

Es stimmt: nicht jedes zappelige, unaufmerksame oder impulsive Kind hat ADHS. Deshalb legt das Konzept der KBV-Vertragswerkstatt ein besonderes Augenmerk auf die Diagnostik und Differenzialdiagnostik, damit nur die Kinder therapiert werden, die auch wirklich an ADHS leiden. Das Ziel ist, in Frage kommende Patienten zu identifizieren und diese schnell, zielgerichtet und leitlinienorientiert von qualifizierten Vertragsärzten und Psychotherapeuten behandeln zu lassen.

,,Sollte der Arztreport der Barmer ein erstes Zeichen des Umdenkens seitens der Krankenkasse hinsichtlich der Wichtigkeit einer kooperativen und vielfältigen ADHS-Therapie bedeuten, begrüßen wir dieses. Dazu hätte es aber nicht eines grobschlächtigen ,Eltern-Bashing' bedurft – wir sind gerne bereit, erneut mit den Krankenkassen in einen wissenschaftlich fundierten Dialog zur Verbesserung der Versorgung einzutreten. Der Barmer GEK stünde es nun gut an, hierzu bundesweit Vorreiter zu werden." appelliert Dr. Herberhold.

Pressemitteilung BKJPP

Hmm... eine Dreistigkeit der Barmer ist das wirklich.
Da fragt man sich schon, was das soll.

Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Bartimaeus am 04. Februar 2013, 16:38:50
Eine Anmerkung von ADHS-Deutschland zum BARMER GEK Arztreport 2013 sowie der Medienberichtserstattung:

http://www.adhs-deutschland.de/Portaldata/1/Resources/pdf/1_1_aktuelle_infos/Zu_viel_zu_wenig_zu_einseitig_-_Kommentar_zum_Bericht_der_Barmer_Ersatzkasse_31_01_2013.pdf
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Joseph Kuhn am 05. Februar 2013, 08:15:50
Hallo Leute. Kann es sein, dass auch ihr hier an manchen Stellen mit viel Elan durch den Nebel stürmt? Was mir beim Querlesen der Kommentare so aufgefallen ist:
1. ADHS ist nicht mehr im Morbi-RSA, d.h. Krankenkassen mit viel ADHS-Fällen bekommen keine Extra-Vergütung aus dem Gesundheitsfonds.
2. Für ADHS gibt es m.W. kein "Chroniker-Programm" (das sind die Disease-Management-Programme, also strukturierte Behandlungsprogramme für bestimmte chronische Erkrankungen, für Brustkrebs gibt es so etwas z.B., für Asthma etc.).
3. Die Daten im Barmer-GEK-Report spiegeln nicht die Erkrankungen an sich wider, sondern das Diagnose- und Behandlungsgeschehen bei den Barmer-GEK-Versicherten, also das, was Ärzte dokumentieren. Das sind deswegen aber keine "Schrottdaten", es sind versorgungsepidemiologisch hoch interesssante Daten. Nur kann man damit eben nicht alle Fragen beantworten (z.B. nicht, ob ADHS zunimmt oder ob es nur häufiger diagnostiziert wird, auch nicht, ob es zu oft oder zu selten diagnostiziert wird - das wird im Report auch angesprochen).
4. Bei allen Raten im Report kommt es immer darauf an, genau hinzusehen, für welche Altersgruppen sie gelten. Durch die starke Altersabhängigkeit der Diagnosen (wie auch der Verordnungen) sehen die Raten etwa für die 10-12-Jährigen ganz anders aus als die Raten für die unter-20-Jährigen insgesamt.
5. "Kumulative Daten": Die Grafiken auf S. 177 versuchen, die bei Barmer-GEK vorliegenden Informationen über Versicherungsdauer und altersbezogene Diagnosehäufigkeiten besser für Betrachtungen der Lebenszeitprävalenz auszunutzen, man hat ja z.B. für die 12-Jährigen des Jahres 2011 noch nicht den künftigen Verlauf bis sie z.B. auch 20 oder 22 sind. Hier geht es in der Tat um eine Modellrechnung. Wie verlässlich die ist, darüber kann man streiten. Wenn es keine bessere Berechnungsweise gibt, wäre die einzige Alternative, auf solche Abschätzungen ganz zu verzichten. Die meisten anderen Daten sind Ein-Jahres-Daten.
6. Aufregung ist da und dort trotzdem angebracht: http://scienceblogs.de/gesundheits-check/2013/02/02/adhs-hyperaktive-berichterstattung-mit-aufmerksamkeitsstorungen/

Ach, noch was: Dass die Methylphenidat-Verordnungen seit 2010 nicht mehr zunehmen, hat vor allem damit zu tun, dass damals der Gemeinsame Bundesausschuss die ADHS-Therapie stärker reglementiert hat, u.a. mit der Festlegung, dass im Regelfall nicht mehr mit einer alleinigen medikamentösen Therapie begonnen werden darf. Man müsste sich einmal ansehen, wie es im Bereich der privaten Krankenversicherungen weitergegangen ist, aber dazu gibt es keine Daten.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 05. Februar 2013, 10:06:41
Hallo Herr Kuhn,
danke für den Hinweis auf Ihren Blog.

Mir scheint, hier geht es mehr um die Pressereaktionen, die den Barmer Report - wie auch immer er zu interpretieren ist - für eine AntiADHS- Kampagne benutzen.

Dies scheint kein Einzelfall, sondern ein quasi regelhafter Vorgang zu sein - so kann es einem zumindest vorkommen.
Die scharfe Gegendarstellung  der DGKJPP  kommt ja auch nicht von ungefähr.
Wenn 40_Fieber von " Schrottdaten" spricht, dann ist damit nicht der Barmer Report gemeint sondern die automatische Gleichsetzung von F 90. xy mit ADHS.

In der Praxis kommen die Eltern aus allen möglichen Gründen mit ihrem verhaltensauffälligen Kind zum Arzt. Dieser muss, um seine Arbeitszeit vergütet zu bekommen, eine Ziffer angeben.

Aus diesem Grund ist eine qualifizierte Diagnostik ja so wichtig:
damit in diesem Sammeltopf nicht alles mögliche landen kann.

Aus diesem Grund wurde auch der KBV- Versorgungsvertrag entwickelt:
um eine leitliniengerechte Diagnostik und Therapie flächendeckend sicherzustellen.

Nur dann wird es eine brauchbare Datenbasis geben - alles andere bleibt wegen der fragwürdigen Rohdaten Spekulation.

Zur MPH-Verordnung :
Es ist notwendig, die unkritische Verordnung von MPH einzuschränken.
Genau das hat aber der KBV- Versorgungsvertrag auch zum Ziel:
dass endlich flächendeckend multimodale Therapieangebote zur Verfügung stehen.

Und da ist dieser Barmer Report leider völlig kontraproduktiv - weil die Barmer ( wie die meisten Kassen) zwar lamentiert, aber dem Versorgungsvertrag nicht beitritt.

Insofern muss die Frage schon laut gestellt werden, welche Agenda dahinter steckt.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Joseph Kuhn am 05. Februar 2013, 21:12:30
@ Sweeper: Zumindest ein Teil der Agenda dürfte sein, auf einen steigenden Ausgabenbereich aufmerksam zu machen.

Zum Thema Berichterstattung: Die Frankfurter Rundschau hat geantwortet:
http://scienceblogs.de/gesundheits-check/2013/02/05/gesundheitsjournalismus-in-der-frankfurter-rundschau-unterste-schublade/
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: sweeper am 05. Februar 2013, 22:16:06
@Joseph Kuhn:

Ich verstehe ja nichts davon, aber gibt es - wir sprechen ja von Versorgungsgorschung - Daten oder Schätzungen, welche Kosten der Gesellschaft durch eine unbehandelte ADHS langfristig entstehen?

Klar, dass die Kassen schreien.
Aber irre ich mich: statt MPH werden dann vielleicht Antidepressiva verschrieben?
Schlafmittel ?
Wie steht es mit unterstützenden Maßnahmen für Familien - in der Fläche, Uniklinikfern?

Wie hilft man Kindern, die dem schulischen Druck nicht gewachsen sind?
Die Probleme verschwinden wohl nicht, wenn man eine Gruppe von Menschen, die von einer wirksamen Therapie tatsächlich profitieren, als Sündenbock einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung stigmatisiert?

Was können diese Kinder und Familien dafür, dass der ICD 10 Schlüssel ihre Störung nicht passgenauer abbildet bzw dass diese Ziffern für die Abrechnung ärztlicher Leistungen leidlich brauchbar sind, nicht aber für eine Versorgungsforschung, die diesen Namen verdient?

Hier habe ich die Stellungnahme der AG ADHS der Kinderärzte gefunden - die kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich des Barmer Reports:

http://www.agadhs.de/aktuelles.html
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Joseph Kuhn am 05. Februar 2013, 22:57:16
Zitat von: sweeper am 05. Februar 2013, 22:16:06
@Joseph Kuhn:

gibt es - wir sprechen ja von Versorgungsgorschung - Daten oder Schätzungen, welche Kosten der Gesellschaft durch eine unbehandelte ADHS langfristig entstehen?


Mir sind keine Studien dazu bekannt, aber ich habe mich damit auch nicht beschäftigt. Davon abgesehen: Kinder, die unter ADHS leiden, sollen behandelt werden, unabhängig davon, ob eine Nichtbehandlung billiger wäre. Die Gesundheitsversorgung soll zwar ökonomisch effizient organisiert werden, aber sie sie darf nicht an sich zu einem Opportunitätskostenkalkül werden. Das wäre in anderen Bereichen geradezu mörderisch: http://www.josephkuhn.de/pdf/Gesundheit_Oekonomie.pdf
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: Bartimaeus am 05. Februar 2013, 23:12:58
Zitat von: sweeper am 05. Februar 2013, 22:16:06
@Joseph Kuhn:

Ich verstehe ja nichts davon, aber gibt es - wir sprechen ja von Versorgungsgorschung - Daten oder Schätzungen, welche Kosten der Gesellschaft durch eine unbehandelte ADHS langfristig entstehen?
Ich habe mal eben bei google gesucht und diese Seiten gefunden:
A review of the economic burden of ADHD:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1180839/
The Economic Costs of ADHD:
http://www.caddac.ca/cms/CADDAC_pdf/Weiss%20The%20Economic%20Costs%20of%20ADHD.pdf
The Economic Impact of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder
in Children and Adolescents:
http://jpepsy.oxfordjournals.org/content/32/6/711.full.pdf

Und noch etwas vom CDC:
http://www.cdc.gov/ncbddd/adhd/data.html#cost
ZitatUsing a prevalence rate of 5%, the annual societal ''cost of illness'' for ADHD is estimated to be between $36 and $52 billion, in 2005 dollars.  It is estimated to be between $12,005 and $17,458 annually per individual.
ZitatADHD creates a significant financial burden regarding the cost of medical care and work loss for patients and family members. The annual average direct cost for each per ADHD patient was $1,574, compared to $541 among matched controls. The annual average payment (direct plus indirect cost) per family member was $2,728 for non-ADHD family members of ADHD patients versus $1,440 for family members of matched controls.
Titel: Re: Spiegel Online und ADHS
Beitrag von: 0etzi am 07. Februar 2013, 12:39:17
ZitatAber als ich es mal gegen Fatigue zu kriegen versuchte, bin ich bei zwei Ärzten abgeblitzt. (O.k., es ist off-label,
Es ist schon lange nicht mehr Off-Label. Es gibt Medikinet Adult, bei ADHS für Erwachsene, bezahlt die Kasse.
Gruß 0etzi