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Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Skeptisches Denken => Thema gestartet von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26

Titel: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26
Im Wiki-Beitrag ,,Galilei-Vergleich"
http://psiram.com/ge/index.php/Galilei-Vergleich
ist ein Artikel aus DIE WELT von Paul Badde verlinkt.
http://www.welt.de/kultur/history/article110550586/Galileo-Galilei-uebereifrig-skrupellos-verwildert.html
Das hat mich neugierig gemacht:

Paul Badde: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert

ZitatAls Märtyrer der modernen Geistesfreiheit wird Galileo Galilei noch heute gefeiert. Dabei ziehen zahlreiche Forscher eine Linie von dem Florentiner Gelehrten bis zum Bau der Atombombe.
Aha. Hätte Galilei die Klappe gehalten, gäbe es keine Atombombe?

ZitatEs hatte lange gedauert, bis die heilige Inquisition Galileo Galilei zum Widerruf verurteilte. Erst am 22. Juni 1633 musste er seiner, wie es hieß, Irrlehre abschwören, dass die Sonne die stehende Mitte des Universums sei (was sich in seinen Augen etwa auch durch das Vor und Zurück von Ebbe und Flut im Gezeitenwechsel empirisch beweisen ließe).
Wie war das mit den Phasen der Venus und mit den Jupitermonden? Aber kleine Irrtümer wiegen nun mal schwerer als große Leistungen.

ZitatDass die Sonne hingegen morgens im Osten auf - und abends im Westen untergeht – also "geht", wohlgemerkt, und nicht steht! – sieht aber auch heute noch jedes Kind. Damals hielten das deshalb auch viele Geistesgrößen noch für das Wahrscheinlichere, weil es eben so augenscheinlich ist. Doch darum ging es in dem berühmten Prozess gegen Galilei gar nicht.
Sondern? Übrigens hat der Dichter das Augenscheinliche dieses Vorgangs auch noch einmal rekapituliert:

EIN MÖNCH spielt Komödie: Mir schwindelt. Die Erde dreht sich zu schnell. Gestatten Sie, daß ich mich an Ihnen einhalte, Professor. Er tut, als schwanke er, und hält sich an einem Gelehrten ein.
DER GELEHRTE mitmachend: Ja, sie ist heute wieder ganz besoffen, die Alte. Er hält sich an einem anderen ein.
DER MÖNCH Halt, halt! Wir rutschen ab! Halt, sag ich!
EIN ZWEITER GELEHRTER Die Venus steht schon ganz schief. Ich sehe nur noch ihren halben Hintern, Hilfe!
Es bildet sich ein Klumpen von Mönchen, die unter Gelächter tun, als wehrten sie sich, von einem Schiff im Sturm abgeschüttelt zu werden.
EIN ZWEITER MÖNCH Wenn wir nur nicht auf den Mond geschmissen werden! Brüder, der soll scheußlich scharfe Bergspitzen haben!
DER ERSTE GELEHRTE Stemm dich mit dem Fuß dagegen.
DER ERSTE MÖNCH Und schaut nicht hinab. Ich leide unter Schwindel.
DER DICKE PRÄLAT absichtlich laut in Galileis Richtung: Unmöglich, Schwindel im Collegium Romanum!
Großes Gelächter.
[Brecht, Leben des Galilei, 6. Szene]

ZitatSchon 1507 hatte Nikolaus Kopernikus im Ermland an der Ostsee die Hypothese aufgestellt, dass "die Erde sich nicht um die Sonne dreht, sondern umgekehrt" und dergleichen mehr. Die Behauptung konnte einiges besser erklären als die alte Hypothese des Ptolemaios, für den die Erde im Zentrum des Universums liegt (wofür dem Augenschein nach ja auch einiges spricht).

Im spanischen Salamanca wurde jedenfalls seit 1561 schon das eine wie das andere Weltbild gelehrt. Doch weder das eine noch das andere ließ sich damals oder auch im Jahr 1633 schon wissenschaftlich beweisen. Bis zu einem solchen Beweis aber, hielt die Inquisition Galilei vor, müsse auch er ein wenig selbstkritischer und skeptischer mit seinen Thesen sein.
Die Aufforderung zu etwas mehr Skepsis und Selbstkritik hat durchaus etwas Überzeugendes, wenn im Hintergrund ein Scheiterhaufen errichtet wird.

Zitat"Der Narr will die Astronomie umkehren"

Davon wollte der schillernde Gelehrte nichts wissen. Es war ihm auch egal, was die Bibel dazu sagte und welche Wirkung seine umstürzende Entdeckung auf die einfachen Leute haben mochte. Luther und Calvin hatten sich schon über die Anmaßung des Kopernikus empört, der vor Galilei ähnlichen Unfug behauptet hatte. "Der Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren", hatte etwa Doktor Luther über den Ermländer Astronomen geurteilt.
Ja, Himmelsakra, die Bibel war ihm egal? Die Protestanten werden gleich mit in die Haftung genommen, wenn auch zu Recht. Luther war intellektuell nicht auf der Höhe seiner Zeit.

ZitatUnd nun ließ in Rom Papst Urban VIII. ein Jahrhundert später dessen bizarren Schüler Galilei immer noch milde gewähren (weil er so lange einen Narren an ihm gefressen hatte). Erst am 22. Juni 1633 verpflichtete der Pontifex ihn endlich, seine Irrtümer hinter dem Pantheon in der Aula des Klosters Santa Maria Sopra Minerva öffentlich vor der Inquisition zu widerrufen. Das war schon der ganze Fall Galilei.
Eine schier unbegreifliche Langmut des Papstes und der Inquisition; und warum überhaupt die ganze Aufregung.

ZitatNoch viel länger als dieser Prozess hat es allerdings gedauert, bis die katholische Kirche den Fall wieder aufrollte und Galileo Galilei am 2. November 1992 – vor gerade erst zwanzig Jahren – unter Johannes Paul II. formal rehabilitierte. Er sollte sogar eine Statue im Vatikan bekommen, heißt es seitdem. Gesehen wurde bisher noch nichts davon.
Wenn die Verurteilung gerechtfertigt war, warum dann überhaupt die Rehabilitation? Im Ernst: ein förmliches Verfahren hat es nicht gegeben. Nach jahrzehntelanger Untersuchung hat es eine Rede von Papst Johannes Paul II vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften gegeben, in der er die Verurteilung Galileis für ein ,,tragisches gegenseitiges Missverständnis" [tragic mutual incomprehension] zwischen Wissenschaft und Glauben erklärt, das nunmehr der Vergangenheit angehöre.
http://ciret-transdisciplinarity.org/photogallery/VATICAN/JPII_en.pdf
http://www.its.caltech.edu/~nmcenter/sci-cp/sci-9211.html
Das ist eine faktische Rehabilitation, aber alles andere als eine formelle. Sie lässt den katholischen Hardlinern weiter die Möglichkeit, die Verurteilung für gerechtfertigt zu halten.

ZitatDas Urteil wurde nicht unterzeichnet

Im November 2008 distanzierte sich der Vatikan erneut von der Verurteilung durch die päpstliche Inquisition durch die Veröffentlichung einer historisch-kritischen Ausgabe der Prozessakten. Betreut hat das 550 Seiten starke Werk mit vielen neuen Dokumenten Bischof Sergio Pagano, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs. Urban VIII. habe das Urteil gegen Galilei ja gar nicht unterzeichnet, hieß es da, außerdem hätten Papst und Kurie nicht geschlossen hinter der Inquisition gestanden.
Wie, das Urteil war also gar nicht rechtsgültig? Nochmal, warum dann überhaupt die Rehabilitation?

ZitatKurzum, es hätte "Irrtümer" gegeben und Papst Benedikt XVI. selbst rühmte nun vor aller Welt den Forscherdrang Galileis, den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone plötzlich auch als einen "Mann des Glaubens" vorstellte, "der die Natur als ein Buch ansah, dessen Autor Gott ist", und dessen Geist uns lehre, "wie man in den Himmel kommt, nicht wie der Himmel sich bewegt." Sogar eine Totenmesse wurde danach von Erzbischof Ravasi für den armen Sünder Galilei gelesen.

Ganz vom Tisch kriegt der Vatikan den Fall so leicht aber dennoch nicht. Aus zwei Gründen. Erstens ist Galilei längst ein Mythos geworden, der mit der Realität kaum noch etwas zu tun hatte. Zweitens hatte die Inquisition mit ihrem Urteil gegen Galilei recht und nicht umgekehrt. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Kardinal Robert Bellarmin, den höchst barmherzigen Gegenspieler Galileis in der Inquisition, erfüllte nämlich schon im 17. Jahrhundert das moderne Ideal der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts, dass jede wissenschaftliche Behauptung nur Hypothese sein darf.
Dieser höchst moderne Wissenschaftler hatte, bevor er so höchst barmherzig war, noch dafür gesorgt, dass Giordano Bruno verbrannt wurde. Und, ähm, war denn der Papst nicht gerade eben noch gegen den "Relativismus"?

ZitatIn jedem Gedanken die pure Wahrheit

Karl Popper hat die Erkenntnis erst 1934 in seiner "Logik der Forschung" klassisch ausformuliert. Davon wollte [sic!] Galileo Galilei hingegen zu seiner Zeit überhaupt nichts wissen. Er sah in jedem Gedanken, der ihm durchs Hirn schoss, nichts als die pure Wahrheit für alle Zeiten, auch wenn sie noch so abstrus war. Hypothetisch konnte er seine Erkenntnisse niemals begreifen.
Er konnte die Jupitermonde, die er mit eigenen Augen sah, einfach nicht als Hypothese begreifen. Und Badde kann offenbar Popper niemals begreifen.

ZitatDeshalb hielt aber auch schon 1908 der französische Physiker Pierre Duhem fest, dass im Prozess gegen Galileo Galilei "die wissenschaftliche Logik" auf der Seite der Inquisition und nicht auf der Seite Galileis gestanden habe, als er sagte: "Angenommen, die Hypothesen des Kopernikus könnten alle bekannten Erscheinungen erklären, dann könnte man daraus schließen, dass sie möglicherweise wahr sind, keineswegs aber, dass sie notwendig stimmen. Um diesen letzten Schluss zu ziehen, müsste man ja beweisen, dass kein anderes System denkbar ist, das die Erscheinungen genau so gut (oder besser) erklärt. Dieser letzte Beweis ist nie geführt worden." Bis Einstein die Relativitätstheorie entdeckte, wie wir heute hinzufügen müssen.

Kurioserweise sind in unserem Zeitalter jedenfalls vor allem atheistische oder agnostische Wissenschaftler der Kirche in ihrem damaligen Disput mit Galilei solidarisch beigesprungen, von dem marxistischen Philosophen Ernst Bloch bis zu dem agnostisch skeptischen Paul Feyerabend, der 1976 in seiner Streitschrift "Wider den Methodenzwang" festhielt: "Die Kirche zur Zeit Galileis hielt sich viel enger an die Vernunft als Galilei selber, und sie zog auch die ethischen und sozialen Folgen der Galileischen Lehren in Betracht. Ihr Urteil gegen Galilei war rational und gerecht, und seine Revision lässt sich nur politisch-opportunistisch rechtfertigen."
Feyerabend ist in der Tat kurios. Bloch ist für Wissenschaftstheorie auch nicht so die erste Adresse.

Zitat"Erbsünde der modernen Naturwissenschaften"

Carl Friedrich von Weizsäcker ging nach ihm noch weiter, als er als konkrete Konsequenz der Haltung Galileo Galileis einen direkten Weg zur Entwicklung der Atombombe erkannte. Ähnlich urteilte auch Bertolt Brecht 1938: "Galileis Verbrechen kann als Erbsünde der modernen Naturwissenschaften bezeichnet werden. Die Atombombe ist sowohl als technisches als auch soziales Phänomen das klassische Endprodukt seiner wissenschaftlichen Leistung und seines sozialen Versagens."
Der Satz kommt so auch in der Wikipedia vor, aber das kann man schon als Brecht-Fälschung jesuitischer Qualität bewerten. Mit "Galileis Verbrechen" meint Brecht den Widerruf.

ZitatDoch es hilft alles nichts. Kritik an Galilei scheint vergebliche Liebesmüh. Er ist die heilige Kuh der Moderne geworden, auch wenn die Inquisition auf die Bitte Papst Benedikt XIV. im Jahr 1741 den Druck der Gesamtausgabe seiner Werke ohne Abstriche gestattete.

Die Inquisition gewährt auf Bitte des Papstes? - Köstlich. Dabei bräuchte er nicht mal mit dem Fuß aufzustampfen, sondern nur in die Hände zu klatschen. Schon mal was von Unfehlbarkeit gehört? Aber Moment mal, Badde hat recht, und Benedikt XIV war weder so vernagelt noch so unfehlbar wie sein Namensvetter.

ZitatWeil Joseph Ratzinger aber 1990 in einem Vortrag in Parma wagte, noch einmal an die oben zitierten Worte des österreichischen Philosophen Feyerabend zu Galilei zu erinnern, verwehrten rund 30 Jahre später (im Januar 2008) ein Netzwerk hyperventilierender Studenten mit 67 Dozenten Benedikt XVI. einen "unangemessenen Besuch" in der römischen Universität Sapienza, die von dessen Vorgänger Bonifatius VIII. im Jahr 1303 gegründet worden war. Der Papst hatte hier eine Rede gegen die Todesstrafe halten wollen. Der Hysterie um die Causa Galilei wegen sagte er den Besuch dann ab.
Sozusagen: Diese Elenden unternahmen die gewalttätigsten Attacken auf ihre treusorgende Mutter, die sie verleugneten.

ZitatMarketing-Genie mit Verfolgungswahn

Der Fall G. ist also ein heiliges Tabu der Moderne, und es braucht eigentlich schon einen so frechen Hundling wie den Kisch-Preisträger Hans Conrad Zander aus der Schweiz, der es wagen darf, ihn "rücksichtslos, überheblich, größenwahnsinnig", jedoch auch ein "Marketing-Genie (mit Verfolgungswahn)" zu nennen.

Bei diesem "epochalen Januskopf" redet sich der ebenso witzige wie bedächtige Schweizer heute noch in Fahrt. Der "Champion der Emanzipation der Wissenschaft aus kirchlicher Knechtschaft und Märtyrer moderner Geistesfreiheit", sei, von vorn betrachtet, "das schöne Gesicht der Kultfigur Galilei."

Von hinten betrachtet hingegen habe er "die hässlichste aller akademischen Fratzen: ein Naturwissenschaftler, der übereifrig, skrupellos sein Wissen und seine Technik in den Dienst politischer Tyrannen stellt. Der Archetyp des verwilderten Naturwissenschaftlers heißt Galileo Galilei."

Gnädiger urteilt über ihn in unserer Zeit wieder einmal nur die römische Kirche, etwa Kardinal Brandmüller, der den "gläubigen Katholiken" zwar für einen "eitlen, von seiner Bedeutung zutiefst überzeugten Gelehrten hält, der sein Konto manchmal überzogen hat und im Umgang mit Kollegen und Konkurrenten gewiss keine Bisshemmungen kannte."
So weit ist es nun gekommen: Galilei muss vor den frechen Atheisten von der Römisch-Katholischen Kirche in Schutz genommen werden. Übrigens ist es schon eigentümlich, jemanden, der ein Buch geschrieben hat mit dem Titel ,,Zehn Argumente für den Zölibat", als Kritiker der Katholischen Kirche zu präsentieren.

ZitatDer Kerker mit der besten Küche Roms

Seine Verurteilung sei dennoch "wohl begründet" gewesen. Denn erstens habe er die Druckerlaubnis für seinen "Dialogo" auf unlautere Weise erschlichen. Zweitens habe er nicht auf die Forderung des Heiligen Offiziums eingehen wollen, seine Theorie über den Heliozentrismus als astronomische, physikalische Hypothese zu vertreten und eben nicht als exakte Beschreibung der kosmischen Realität.
Hätte er sie auf lautere Weise erschlichen, der Heliozentrismus wäre durchgegangen.

Zitat"Genau damit hat die Heilige Inquisition damals aber schon den wissenschaftstheoretischen Standpunkt vorweg genommen, den die modernste theoretische Physik heute einnimmt – und nicht Galilei. Das war der Kern des Streits. In naturwissenschaftlicher Hinsicht war die Inquisition im Recht – und Galilei mit seiner Bibelerklärung!"

Doch die eigentliche wissenschaftliche Bedeutung Galileis habe weniger mit seinen astronomischen Beobachtungen zu tun, sondern vielmehr mit seinem Spätwerk über die Mechanik, das er in seinem angeblichen "Kerker" im Palast des Heiligen Uffiziums bei der besten Küche Roms begonnen und nach seiner Verurteilung durch die Inquisition vollendet hat. Dass sich die Erde dennoch bewege – seinen angeblich berühmtesten Satz ("Eppur si muove") – hat ihn dabei keiner jemals murmeln gehört.
Ich will auch einen Prozess von der Inquisition! Was wäre eigentlich geschehen, wenn Galilei nicht widerrufen hätte? Im Kern ist es natürlich ebenso realistisch, von der Inquisition im 17. Jhd. zu verlangen, auf eine Verurteilung Galileis zu verzichten, wie im 20. Jhd. von Honecker zu verlangen, die Mauer abzureißen.

ZitatIn unserer Zeit wurde die Raumforschungssonde "Galileo" nach ihm benannt, die von der Nasa 1989 ins All und 2003 im Schwerefeld des Jupiter gezielt zum Absturz gebracht wurde und verglühte. Der Fall Galileo Galilei aber bleibt der Treppenwitz der Geistesgeschichte des blauen Planeten.

Man spürt ein gewisses Bedauern, dass die Causa Galilei nicht mit verglüht ist.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Binky am 04. Januar 2013, 23:53:34
Ja. Nach dem Atombombenvergleich wurde es mir blümerant in meinem Ideologiedetektor. Angesichts der nahenden Bettruhe neheme ich es mir aber heraus, das Elaborat morgen nochmals genauer zu lesen.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Wolleren am 06. Januar 2013, 13:02:09
Der Autor Paul Badde konstatiert aus nichtigen, gelogenen und dummheitsgetriebenen Argumenten:
ZitatDer Fall G. ist also ein heiliges Tabu der Moderne, ...
Dieses "also" verdient Beachtung, denn es hat Vorbilder bei unserer Klientel, z.B. "Die Quantenphysik hat bewiesen, dass alles mit allem zusammenhängt, "also" kann Energie für Zeitreisegeneratoren aus Quantentensoren gewonnen werden.

- Nichtig ist, ob Galilei charakterlich ein netter Kerl war.
- Gelogen ist, was bayle als Brecht-Fälschung jesuitischen Ausmaßes bezeichnete, nämlich die Uminterpretation Brechts.
- Dummheitsgetrieben ist es, Popper auch nur zu erwähnen. Denn Galilei hatte ja schließlich Beobachtungen vorzuweisen, die dem gängigen Astronomiemodell widersprachen, und diese Beobachtungen waren sogar reproduzierbar. Ganz im Gegensatz übrigens zu Paul Badde.

Bin ja mächtig gespannt, wann sich Paul Badde Servet (http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Servetus) vornimmt, um festzustellen, dass der friedliebende Calvin völlig korrekt und Servet überhaupt ein zänkischer Typ war, der aus total nachvollziehbaren Gründen abgefackelt wurde, er hätte ja schließlich widerrufen können, nicht wahr.


Das einzig Gute an Baddes Artikel ist, eine Antiposition zur Verklärung Galileis zu beziehen - denn genau diese Verklärung macht ihn zum Objekt des Galilei-Gambits. Insofern ist es auch nicht falsch, diese Antiposition im Wiki zu verlinken, allerdings sollte das nicht unkommentiert erfolgen.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: sweeper am 06. Januar 2013, 13:10:14
Kleine Satzbau-Korrektur für diesen Wiki-Artikel:
ZitatDas Schicksal der von Semmelweis angeregten Hygienevorschriften und der damaligen häufigen Ablehnung im Kollegenkreis steht jedoch die viel häufigere Akzeptanz von evidenzbasierten Neuerungen durch andere Wissenschaftler entgegen, die sich tatsächlich durchsetzten.
Es sollte wohl "Dem Schicksal...steht entgegen..." heißen?
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Ratiomania am 06. Januar 2013, 14:40:28
Hoffentlich entdeckt Badde nicht auch noch das Newton was mit dem Manhattan-Projekts zu tun hatte...

Zitat"Genau damit hat die Heilige Inquisition damals aber schon den wissenschaftstheoretischen Standpunkt vorweg genommen, den die modernste theoretische Physik heute einnimmt – und nicht Galilei. Das war der Kern des Streits. In naturwissenschaftlicher Hinsicht war die Inquisition im Recht – und Galilei mit seiner Bibelerklärung!"

Zitat[...]bis zu dem agnostisch skeptischen Paul Feyerabend, der 1976 in seiner Streitschrift "Wider den Methodenzwang" festhielt: "Die Kirche zur Zeit Galileis hielt sich viel enger an die Vernunft als Galilei selber, und sie zog auch die ethischen und sozialen Folgen der Galileischen Lehren in Betracht. Ihr Urteil gegen Galilei war rational und gerecht, und seine Revision lässt sich nur politisch-opportunistisch rechtfertigen."

Stürmt die Labore! Sperrt diese irren Forscher ein! Warum hören sie nicht auf zu forschen, wohl wissend, dass jede gewonnene Erkenntnis ehtisch-soziale Fragen aufwirft oder aufwerfen könnte?

Wissenschaftsterrorismus der unsere Gesellschaft destabilisert! Von Terroristen die durch Gelder eben jener durch sie bedrohten Gesellschaft gefördert werden, oh welch bittre Ironie!


::)
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Belbo zwei am 06. Januar 2013, 15:41:46
Zitat von: Ratiomania am 06. Januar 2013, 14:40:28
Hoffentlich entdeckt Badde nicht auch noch das Newton was mit dem Manhattan-Projekts zu tun hatte...

9/11 ?????


:gruebel
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: gesine2 am 06. Januar 2013, 15:56:22
Manhattan, Belbo zwei (https://forum.psiram.com/index.php?topic=10348.msg122826#msg122826), nicht Chile (https://de.wikipedia.org/wiki/Chile%23Pinochet_als_Pr.C3.A4sident), der Newton war doch introvertierter nerd, nichts für den CIA. Nee, nee, Manhattan ist ne lecker Eiscreme (http://images.gutefrage.net/media/fragen/bilder/wer-weiss-wo-es-ein-manhattan-strawberry-rib-eis-gibt-/0_big.jpg), ichsachnur PeanutChoc, paßt auch zu nerdigen Ernährungsgewohnheiten - und Newton war ja Universalgenie, hat Blei zu Eiscreme transmutiert...
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: bayle am 19. Januar 2013, 10:43:49
Noch ein kleines Detail, beim Wiederlesen:

Zitat von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26
ZitatWeil Joseph Ratzinger aber 1990 in einem Vortrag in Parma wagte, noch einmal an die oben zitierten Worte des österreichischen Philosophen Feyerabend zu Galilei zu erinnern, verwehrten rund 30 Jahre später (im Januar 2008) ein Netzwerk hyperventilierender Studenten mit 67 Dozenten Benedikt XVI. einen "unangemessenen Besuch" in der römischen Universität Sapienza ...

Von 1990 bis 2008 sind es nicht 30 Jahre, sondern 18. Kann auch dem besten Kellner mal passieren, dass er das Datum mit auf die Rechnung setzt.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: segeln141 am 11. Februar 2013, 23:47:55
beim ratioblog von M.Hohner habe ich das dem
ZitatFehlschluss#19 Das Galileo-Gambit
ganz ähnliche "Hamlet-Argument" hinzugefügt:

Zitat,,Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich erträumen lässt" (Hamlet-Argument)
"There are more things in heaven and earth, Horatio, / Than are dreamt of in your philosophy." 1. Akt,5. Szene
aber es geht ja weiter im Text bei Shakespeare:

Vertraute Hamlet wirklich auf das Wissen in ,,ferner Zeit", wenn der Grund für den Tod seines Vaters dann bekannt ist, wie das Zitat vermuten lässt? Lesen wir weiter in Hamlet bis Ende 2. Akt 2. Szene, dann lesen wir dort
Zitat,,ich will Grund, der sichrer ist"( "I'll have grounds more relative than this" )
Er ist also nicht bereit, dem Geist (ihm erschienen als sein verstorbener Vater) zu glauben, der dem jetzigen König, dem Bruder des verstorbenen Vaters und Hamlets Oheim, die Schuld am Tod seines Vaters zuschreibt. Er bitte eine vorbeireisende Schauspielertruppe, die Mordszene vor der Hoföffentlichkeit zu spielen und begründet dies so: ,,... sie sollen was/ wie die Ermordung meines Vaters spielen vor meinem Oheim: ich will seine Blicke beobachten, will ihn bis ins Leben prüfen. Stutzt er, so weiß ich meinen Weg... ich will Grund, der sichrer ist".
Hamlet geht, nach heutigen Maßstäben, bereits wissenschaftlich vor: er prüft die Vermutung, der Geist habe ihn getäuscht und der jetzige König sei unschuldig. Erst nach der Widerlegung (Falsifizierung) der Vermutung durch das Verhalten des Königs ist Hamlet bereit, zu handeln, und den König zu töten. Die Vermutung ist falsifizierbar und kommunizierbar. In der Falsifizierbarkeit und Kommunizierbarkeit (einer Vermutung/Theorie), nämlich dem Verhalten des Königspaares vor der Öffentlichkeit, liegt gerade der ,,wissenschaftliche" Test.
Das Hamlet-Zitat ist demnach kein Beleg für die Existenz bislang noch nicht erklärbarer Wirkungsweisen/Wirkungsmechanismen alternativ-medizinischer Heilmethoden.
ZitatGanz im Gegenteil, Hamlet möchte, wie die Wissenschaft heute,
Zitat,,Grund, der sichrer ist"
und handelt erst, wenn er seine Vermutung geprüft hat.

ein Zitat aus Goethes Faust geht auch in diese Richtung:
Zitat,,Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum -
Und sehe, daß wir nichts wissen können!"
Und dann:
,,[Mephistoles] Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab ich dich schon unbedingt!"
(Goethe, Faust I)

Für Bayle:
http://www.welt.de/politik/ausland/article113555261/Der-Mann-aus-Deutschland-kannte-keinen-Karriereplan.html
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: bayle am 12. Februar 2013, 07:00:38
Ich bin gerührt.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: sweeper am 12. Februar 2013, 07:23:33
Zitat von: bayle am 12. Februar 2013, 07:00:38
Ich bin gerührt.
"Gerührtheit" ist eine recht oberflächliche Emotion. Als Charakterzug liegt nicht selten eine Neigung zur Sentimentalität zugrunde.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: bayle am 12. Februar 2013, 07:27:00
Ich korrigiere mich wie folgt: ich bin zutiefst gerührt.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Belbo zwei am 12. Februar 2013, 07:56:57
Zitat von: bayle am 12. Februar 2013, 07:27:00
Ich korrigiere mich wie folgt: ich bin zutiefst gerührt.


....und womöglich noch nah am Wasser gebaut?
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: bayle am 12. Februar 2013, 07:59:45
Nachbar, Euer Taschentuch!
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: sweeper am 12. Februar 2013, 08:40:04
Zitat von: bayle am 12. Februar 2013, 07:27:00
Ich korrigiere mich wie folgt: ich bin zutiefst gerührt.

Die angemessene Form der Korrektur hätte lauten müssen: "geschüttelt".
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: The Doctrix am 13. Februar 2013, 16:47:39
Zitat von: sweeper am 12. Februar 2013, 08:40:04
Zitat von: bayle am 12. Februar 2013, 07:27:00
Ich korrigiere mich wie folgt: ich bin zutiefst gerührt.

Die angemessene Form der Korrektur hätte lauten müssen: "geschüttelt".

Ach, bayle heisst mit Nachnamen "Martini"?
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: bayle am 13. Februar 2013, 17:30:51
Nein, Bond. Shaken, not stirred.  Aber "Mit Erschütterung nehmen wir zur Kenntnis ..." klingt auch nicht ergriffener ;).
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: The Doctrix am 13. Februar 2013, 19:26:08
Aber "Schüttelfrost" klingt als Symptomenbeschreibung immer noch eindringlicher als "Rührfrost".
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: sweeper am 13. Februar 2013, 19:41:34
Einigen wir uns - meiner Herkunft gemäß - auf die asiatische Velsion mit leicht undulielelndem Zungenschlag:

bayle ist lelativ ungelühlt und immel noch unelschüttelt.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: The Doctrix am 13. Februar 2013, 20:00:07
Plost!

:prosit
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 18. Februar 2014, 18:53:05
Badde und Zander sind Untote. Sie werden weiter ernstgenommen:
http://www.scilogs.de/relativ-einfach/zu-galileis-450ten-kontrovers-wie-eh-und-je/

Aber verglichen mit dem, was möglich ist, sind sie immer noch die fleischgewordene Kritikfähigkeit:
http://de.richarddawkins.net/foundation_articles/2014/2/15/mario-gruber-galileo-hatte-unrecht-das-geozentrische-weltbild-auf-dem-vormarsch#

(http://d2nr576vpavpga.cloudfront.net/uploads/foundation_article/picture/283/large_gww_blog_banner.jpg)

Besonders pikant an dem Bild: der abgebildete Papst ist Pius V, der a) mit Galilei nichts zu tun hatte und b) einer der schlimmsten Inquisitoren der - an solch düsteren Leuchten der abendländischen Kultur nicht armen - katholischen Kirche war. "Sein blutrünstiger Eifer machte ihn zum Heiligen", sagt Stendhal.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: sweeper am 18. Februar 2014, 19:37:24
Ich frage mich ja immer, was solche Menschen antreibt, v.a. wenn Naturwissenschaftler dabei federführen sind - wie etwa dieser Physiker:
http://galileowaswrong.blogspot.co.uk/p/authors.html
ZitatRobert J. Bennett, Ph.D., holds a doctorate in Physics from Stevens Institute of Technology, with a thesis on rigid body motion in General Relativity. He has been a software architecture consultant to Bell Labs and Fortune 500 firms, after teaching physics at Manhattan College and Bergen Community College. Research now is in progress on several books. Dr. Bennett has written Chapter 10, a detailed, technical and mathematical explanation of the various arguments for Geocentrism. He has served as a consultant for the entire Galileo Was Wrong: The Church Was Right project
Hier bloggt er:

http://alfachallenge.blogspot.de/

Warum sollte man ausgerechnet im UK in eine geozentristische Denkweise zurückfallen, die von einem berühmten christlichen Denker, Scholar und Autor in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in dessen sci-fi Kosmologie überwunden wurde:

http://bigfattoothbrush.com/2013/08/the-cosmic-trilogy-c-s-lewis/

http://en.wikipedia.org/wiki/The_Space_Trilogy

http://en.wikipedia.org/wiki/C._S._Lewis
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 09. März 2014, 21:33:18
Zitat von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26
Zitat"Der Narr will die Astronomie umkehren"

Davon wollte der schillernde Gelehrte nichts wissen. Es war ihm auch egal, was die Bibel dazu sagte und welche Wirkung seine umstürzende Entdeckung auf die einfachen Leute haben mochte. Luther und Calvin hatten sich schon über die Anmaßung des Kopernikus empört, der vor Galilei ähnlichen Unfug behauptet hatte. "Der Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren", hatte etwa Doktor Luther über den Ermländer Astronomen geurteilt.
Ja, Himmelsakra, die Bibel war ihm egal?
Hier scheint mir noch eine Verschärfung nötig. Natürlich war Galilei die Bibel mitnichten egal, das ist eine krasse Falschaussage. Er war ein Kind des 16. Jhd., da gab es schlicht keinen auch nur halbwegs Gebildeten, dem die Bibel ,,egal" hätte gewesen sein können. Im Gegenteil, er hatte sich sehr lange und sehr ausführlich Gedanken gemacht, wie denn das kopernikanische System mit der Bibel zu vereinbaren wäre (Brief an die Großherzogin-Mutter, 1615, Volltext hier (http://www.inters.org/galilei-madame-christina-Lorraine)). Sein Tenor war in etwa: ,,Nicht gegen die Bibel, sondern gegen die Art ihrer Auslegung", oder ,,Die Bibel kann nicht irren - sie muss aber auch von den Dummen verstanden werden". Er bildete sich ein, damit den Theologen eine goldene Brücke gebaut zu haben, aber damit hatte er schlicht seine Kompetenzen überschritten. Für die Auslegung der Bibel war er als Physiker schlicht nicht zuständig, das konnte nur als maßlose Überheblichkeit, fast als Insubordination, verstanden werden.

Zitat von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26
Zitat... bis zu dem agnostisch skeptischen Paul Feyerabend, der 1976 in seiner Streitschrift "Wider den Methodenzwang" festhielt: "Die Kirche zur Zeit Galileis hielt sich viel enger an die Vernunft als Galilei selber, und sie zog auch die ethischen und sozialen Folgen der Galileischen Lehren in Betracht. Ihr Urteil gegen Galilei war rational und gerecht, und seine Revision lässt sich nur politisch-opportunistisch rechtfertigen."
Feyerabend ist in der Tat kurios.
Auch hier ist noch ein bisschen mehr Detail möglich. Wenn man das Kapitel von Feyerabend liest, fragt man sich hinterher unwillkürlich, ob sich denn nun die Erde um die Sonne dreht. Er sagt:
ZitatGalilei und Kopernikus hatten höchstens Plausibilitätsargumente. Plausibilitätsargumente aber waren für die Kirche nicht stark genug, um das Leben, den Glauben, die Sicherheit des »ungebildeten Pöbels« zu erschüttern.
M. a. W., der Kirchen ehrwürdiger Nacht sollte erhalten bleiben. Auch meint er, Bellarmin hätte durch Sachargumente überzeugt werden können, aber welches Sachargument hätte wohl diesen Trumpf Bellarmins (Brief an Foscarini) gestochen:
ZitatUnd ich füge hinzu, dass derjenige, der schrieb "Die Sonne stieg auf, und versank, und eilte zu dem Ort, an dem sie aufging", Salomo war, der nicht nur von Gott inspiriert, sondern auch der in den menschlichen Wissenschaften und im Wissen von der Schöpfung weiseste und gelehrteste Mensch war; er hatte all seine Weisheit von Gott empfangen, und es ist nicht wahrscheinlich, dass er irgendetwas behauptet hat, das gegen eine bereits bewiesene oder des Beweises fähige Wahrheit ist ...
? "Es gibt keinen Beweis, und es wird keinen geben — das war der Kern der Antwort, die der Kardinal den Anhängern des Copernicus erteilte", sagt Wohlwill.


 
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Nun ja-
Bei Galileo Galileis Prozess befinden wir uns im Jahr 1632 undd nicht mehr im Mittelalter.
Die Renaissance war schon vorbei, Michelangelo und Leonardo da Vinci schon lange tot, auch die Medici-Päpste, und Papst Urban war in dem Sinne als Förderer von Kunst und Wissenschaft (jawohl!) durchaus in deren Tradition.
Grade der Papst hat sehr mit Galileo und dem kopernikanischen System sympathisiert und Galileo dazu ermutigt, seine Arbeit dazu zu publizieren.

Lass uns da mal sachlich bleiben und nicht von "Die Kirche" gegen Galilei sprechen.
Galilei ist da durchaus in ein innerkirchliches Machtspiel hineingeraten - und hat sich dabei
1. denkbar ungeschickt verhalten und
2. nicht wirklich wissenschaftlich sauber argumentiert.

Papst Urban war wirklich an wissenschaftlichkeit interessiert - seine Gegenspieler waren die Inquisition, der ging es nicht um Wissenschaft, sondern um politische Macht.
Dem Papst natürlich auch ein bisschen.

Der Anspruch, das kopernikanische System nicht als "Wahrheit" sondern als hypothese darzustellen, hat schon seine Berechtigung.

Galileos Beobachtungen liefern Hinweise auf das Kopernikanische System, und sie sind geeignet, das Ptolemäische System zu kippen.
Aber das reicht nicht.
Als stärkstes Argument sieht Galileo seine Begründung von Ebbe und Flut, die er mit der umdrehung um die Sonne begründen will.
Damit liegt er aber falsch.
Das ptolemäische System ist nicht besonders zuverlässig in der Vorausberechnung der Planetenpositionen - das von Galilei favorisierte kopernikanische ist aber auch nicht sonderlich gut. Weil es immer noch an Kreisbahnen festhält. Es ist ebenfalls sehr ungenau. Ein bisschen besser. Durchaus nicht überzeugend.
Erst Kepler kann das deutlich besser mit seinen Elipsenbahnen.

Wissenschaftlich unsauber ist aber, dass er in seiner Veröffentlichung einfach nur das ptolemäische System gegen das koperinkanische antreten lässt.

Von einigen Jesuiten und Leuten aus der Inquisition wurde aber nicht unbedingt das ptolemäische System favorisiert, sondern das von Tycho Brahe: Die Erde im Mittelpunkt, Sonne dreht sich um die Erde, aber die Planeten umkreisen die Sonne.
Das lässt sich mathematisch äquivalent berechnen wie das kopernikanische System und liefert genau so gute Ergebnisse. Hat auch keine Schwierigkeiten mit den Venusphasen und den Jupitermonden.

Dass Galileo das Brahe-Modell schlicht unterschlägt ist wissenschaftlich unsauber.
Und Galileos Veröffentlichung ist ein politikum, da er sie nicht, wie für wissenschaftliche Veröffentlichungen üblich, in Latein publiziert, sondern in gewöhnlichem italienisch, so dass jeder Lesekundige es auch lesen kann.
Und da wir eben mittlerweile im frühen Barock sind, ist das lesen können wieder etwas ziemlich normales.

Klar ist das kopernikanische System "eleganter".
Aber das ist als Argument - grade in damaliger Zeit - nicht wirklich stichhaltiger als dass das Brahe-Modell sich besser mit der Bibel in Übereinstimmung bringen lässt.

Es geht um Politik und um Deutungshoheit. Dass man damals nicht zimperlich mit "Bauernopfern" war ist auch kein Alleinstellungsmerkmal der Inquisition.
Wir befinden uns übrigens in der Hochphase genau der Hexenverfolgungen und Hexenverbrennungen, die genau nicht von der Inquisition betrieben wurden, sondern von der Kirche eher gegen Hexenwahn argumentiert wurde.

Tschuldigung, aber gelegentlich ist mir das allgegenwärtige Kirchen-bashing auch hier schlicht zu platt.

P.S.
Zitat
ZitatIm November 2008 distanzierte sich der Vatikan erneut von der Verurteilung durch die päpstliche Inquisition durch die Veröffentlichung einer historisch-kritischen Ausgabe der Prozessakten. Betreut hat das 550 Seiten starke Werk mit vielen neuen Dokumenten Bischof Sergio Pagano, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs. Urban VIII. habe das Urteil gegen Galilei ja gar nicht unterzeichnet, hieß es da, außerdem hätten Papst und Kurie nicht geschlossen hinter der Inquisition gestanden.
Wie, das Urteil war also gar nicht rechtsgültig? Nochmal, warum dann überhaupt die Rehabilitation?
Wieso soll ein Urteil nur gültig sein, wenn es vom Papst unterzeichnet wird?
Glaubst Du, der Papst muss jedes Urteil der Inquisition unterzeichnen?
Speziell DIESES Urteil hat der Papst nicht unterzeichnet, weil es ihm nicht gepasst hat. Galilei war eigentlich sein Schützling gewesen, hat sich aber zu ungeschickt angestellt, so dass auch er nicht genug entgegenzusetzen hatte.
Zitat
Zitatauch wenn die Inquisition auf die Bitte Papst Benedikt XIV. im Jahr 1741 den Druck der Gesamtausgabe seiner Werke ohne Abstriche gestattete.

Die Inquisition gewährt auf Bitte des Papstes? - Köstlich. Dabei bräuchte er nicht mal mit dem Fuß aufzustampfen, sondern nur in die Hände zu klatschen. Schon mal was von Unfehlbarkeit gehört?
Ja, genau so.
Auch innerhalb der Kirche gibt es Machtkämpfe, damals genauso wie heute.
Mit dem Argument der Unfehlbarkeit blamierst Du dich jetzt ein bisschen, denn die gibt's erst seit 1870. Führte damals zur Abspaltung der Altkatholiken, die diesen eitlen Humbug nicht mittragen wollten.
Aber auch die Unfehlbarkeit würden einem Papst in einem innerkirchlichen Machtkampf nicht beliebig alle Entscheidungen ermöglichen.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 04. April 2014, 06:54:58
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Wir befinden uns übrigens in der Hochphase genau der Hexenverfolgungen und Hexenverbrennungen, die genau nicht von der Inquisition betrieben wurden, sondern von der Kirche eher gegen Hexenwahn argumentiert wurde.
Du reduzierst ,,die Kirche" auf ,,die Katholische Kirche" und benutzt diese Reduktion, um ein tu-quoque-Argument einzuführen. Die katholische Kirche musste nicht auf die Hexen zurückgreifen, denn sie hatte ja die Ketzer. Im Übrigen war einer der führenden Hexentheoretiker, Delrio, ein Jesuit.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Zitat
ZitatIm November 2008 distanzierte sich der Vatikan erneut von der Verurteilung durch die päpstliche Inquisition durch die Veröffentlichung einer historisch-kritischen Ausgabe der Prozessakten. Betreut hat das 550 Seiten starke Werk mit vielen neuen Dokumenten Bischof Sergio Pagano, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs. Urban VIII. habe das Urteil gegen Galilei ja gar nicht unterzeichnet, hieß es da, außerdem hätten Papst und Kurie nicht geschlossen hinter der Inquisition gestanden.
Wie, das Urteil war also gar nicht rechtsgültig? Nochmal, warum dann überhaupt die Rehabilitation?
Wieso soll ein Urteil nur gültig sein, wenn es vom Papst unterzeichnet wird?
Glaubst Du, der Papst muss jedes Urteil der Inquisition unterzeichnen?
Das solltest Du Paul Badde oder Sergio Pagano fragen und nicht den Foristen, den Du zu kritisieren scheinst.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Mit dem Argument der Unfehlbarkeit blamierst Du dich jetzt ein bisschen, denn die gibt's erst seit 1870.
Meinst Du? Dann lies einfach noch den nächsten Satz:
Zitat von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26
Aber Moment mal, Badde hat recht, und Benedikt XIV war weder so vernagelt noch so unfehlbar wie sein Namensvetter.
Was könnte da wohl gemeint sein?

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Auch innerhalb der Kirche gibt es Machtkämpfe, damals genauso wie heute.
Wer wollte da widersprechen. Aber werd' mal ein bisschen konkreter. In welches ,,innerkirchliche Machtspiel" ist Galilei  da hineingeraten? Die Freunde Galileis waren 1633 mucksmäuschenstill – etwas anderes wäre ihnen auch nicht übrig geblieben. Es ist unglaubwürdig/absurd/lächerlich [zutreffendes unterstreichen], für 1633 einen ,,Machtkampf" zwischen Urban VIII und der Inquisition unterstellen zu wollen. Die Jesuiten hatten ihm durchgestochen, dass er mit dem ,,Simplicio" der Dialogi gemeint wäre, und er war wütend. Er war die treibende Kraft hinter dem Prozess, und eine Handbewegung von ihm hätte diesen beendet. Dieser Förderer der Wissenschaft hatte so wenig Durchblick, dass er nicht bemerkt hat, wie er von den Jesuiten (Scheiner) instrumentalisiert worden ist?

Was das Verhältnis von Kardinal Maffeo Barberini zu Galilei angeht, da scheint mir die Darstellung von Brecht (Leben des Galilei, 7. Szene) einigermaßen treffend.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Galileos Beobachtungen liefern Hinweise auf das Kopernikanische System, und sie sind geeignet, das Ptolemäische System zu kippen.
Aber das reicht nicht.
Als stärkstes Argument sieht Galileo seine Begründung von Ebbe und Flut, die er mit der umdrehung um die Sonne begründen will.
Damit liegt er aber falsch. ... Dass Galileo das Brahe-Modell schlicht unterschlägt ist wissenschaftlich unsauber.
Galileis Argumente waren Ebbe und Flut, die Jupitermonde, die Phasen der Venus, die Berge und Meere des Mondes, die Sonnenflecken und u. v. a. Sie widersprachen dem aristotelischen/ptolemäischen Weltbild.
Nur – das alles spielte im Prozess überhaupt keine Rolle. Es war nicht Gegenstand des Prozesses, die wissenschaftlichen Argumente zu prüfen.

Der endgültige Beweis für die Bewegung der Erde um die Sonne war die Entdeckung der Aberration des Lichts durch Bradley, 1729. Die Indizierung der Dialogi wurde 1757 noch einmal ausdrücklich bekräftigt.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Und Galileos Veröffentlichung ist ein politikum, da er sie nicht, wie für wissenschaftliche Veröffentlichungen üblich, in Latein publiziert, sondern in gewöhnlichem italienisch, so dass jeder Lesekundige es auch lesen kann.
Galilei war alles andere als ein Aufrührer, ihm war durchaus an Einvernehmen mit der Obrigkeit gelegen, und er war mitnichten darauf erpicht, sich als Märtyrer aufzubauen. Schließlich hatte er das nihil obstat des Zensors. Wenn es ihm wirklich um Krawall gegangen wäre, dann hätte er seine Schrift anonym im Ausland publiziert. Er war durchaus nicht immer die Sachlichkeit in Person. Aber der Clash war unvermeidlich, nicht weil er ein Stiesel, sondern weil er ein Wissenschaftler war.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Lass uns da mal sachlich bleiben und nicht von "Die Kirche" gegen Galilei sprechen.
...
Tschuldigung, aber gelegentlich ist mir das allgegenwärtige Kirchen-bashing auch hier schlicht zu platt.
Tschuldigung, aber diese globale Apologie ist mir zu simpel.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Raumpilot am 04. April 2014, 21:45:32
Zitat von: Pelacani am 04. April 2014, 06:54:58
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Wir befinden uns übrigens in der Hochphase genau der Hexenverfolgungen und Hexenverbrennungen, die genau nicht von der Inquisition betrieben wurden, sondern von der Kirche eher gegen Hexenwahn argumentiert wurde.
Du reduzierst ,,die Kirche" auf ,,die Katholische Kirche" und benutzt diese Reduktion, um ein tu-quoque-Argument einzuführen. Die katholische Kirche musste nicht auf die Hexen zurückgreifen, denn sie hatte ja die Ketzer. Im Übrigen war einer der führenden Hexentheoretiker, Delrio, ein Jesuit.
Okay - schaun mer mal.
Die Bemerkung mit den Hexenverfolgungen war irgendwie überflüssig, was das Hauptthema betrifft.
"Die Kirche" ist in Italien natürlich die kath. Kirche. Ansonsten: Luther war ein Verfechter von Hexenverfolgungen. Was die "kirchlich-institutionelle" Seite betrifft, waren die katholischen und die evangelischen gleich fleißig.
Es geht mir mit dem Satz nicht um "tu quoque", also darum, die Kirche zu verteidigen, weil andere das auch tun. Es geht darum, dass beim Thema Hewenverfolgung reflexhaft auf die Kirche gezeigt wird - und zwar ausschließlich auf die Kirche. Das wird der Sache nicht gerecht. Wie Du selbst sagst: Die Inquisition befasste sich nur am Rande mit Hexenverfolgung, nur bei einem kleinen Bruchteil an Hexenprozessen war die Inquisition überhaupt beteiligt. Die Inquisition ist vor allem gegen Ketzer und Häretiker vorgegangen. Was natürlich nix daran besser macht.

grins - du wirfst mir tu quoque vor und argumentierst dann mit einem Beispiel. Das ist ja schon fast ein Pappkamerad.  Ja, natürlich gab es viele "Hexentheoretiker" in der Kirche.  Aber eben auch außerhalb. Das war keinn besonders "kirchliches" Phänomen.
Als bedeutsame Hexentheoretiker kann ich auch anführen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Adolf_Scribonius , Philosoph und Mediziner. Kein theologe.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Goclenius_der_%C3%84ltere , Professor für Philosophie, Logik, Metaphysik und Ethik
https://de.wikipedia.org/wiki/Nicolas_R%C3%A9my , heroglich-lothringischer Geheimrat, Richter, (soll 800 bis 900 Hinrichtungen wg Hexerei veranlassst haben)
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_von_Schulthei%C3%9F , Hexenkomissar im Herzogtum Westfalen
https://de.wikipedia.org/wiki/Benedikt_Carpzov_der_J%C3%BCngere , Strafrechtler, gilt als einer der Begründer der deutschen Rechtswissenschaft
https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Bodin , in vielem humanistisch ausgerichtet, Staatstheoretiker, erklärt erstmals das Phänomen der Inflation - und Hexentheoretiker, Richter.

Zitat
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Zitat
ZitatIm November 2008 distanzierte sich der Vatikan erneut von der Verurteilung durch die päpstliche Inquisition durch die Veröffentlichung einer historisch-kritischen Ausgabe der Prozessakten. Betreut hat das 550 Seiten starke Werk mit vielen neuen Dokumenten Bischof Sergio Pagano, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs. Urban VIII. habe das Urteil gegen Galilei ja gar nicht unterzeichnet, hieß es da, außerdem hätten Papst und Kurie nicht geschlossen hinter der Inquisition gestanden.
Wie, das Urteil war also gar nicht rechtsgültig? Nochmal, warum dann überhaupt die Rehabilitation?
Wieso soll ein Urteil nur gültig sein, wenn es vom Papst unterzeichnet wird?
Glaubst Du, der Papst muss jedes Urteil der Inquisition unterzeichnen?
Das solltest Du Paul Badde oder Sergio Pagano fragen und nicht den Foristen, den Du zu kritisieren scheinst.
Erst mal kritisiere ich nicht bayle, sondern bestenfalls seinen Argumentationsstil in genau dieser Sache. Du scheinst damit automatisch zu verbinden, dass ich pro Paul Badde oder Sergio Pagano argumentiere. Das tue ich aber nicht. Der Artikel löst bei mir auch Kopfkratzen aus, und stellenweise frag ich mich, was er denn nu sagen will. Genau hier aber setze ich setze mich mit bayle auseinander und seiner Argumentation.
Er hat mit einer rhetorischen Frage operiert, die ich mit einer rhethorischen Frage gekontert habe. Aber wen Du die Antwort haben willst: Die Unterschrift des Papstes ist sicher nicht notwendig, damit ein urteil der Inquisition rechtsgültig ist. Die Feststellung, dass der Papst dieses Urteil nicht unterzeichnet hat, ist somit erst mal nur die Feststellung, dass der Papst es nicht unterzeichnet hat. Und hat mit der Rechtsgültigkeit nichts zu tun.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Mit dem Argument der Unfehlbarkeit blamierst Du dich jetzt ein bisschen, denn die gibt's erst seit 1870.
Meinst Du? Dann lies einfach noch den nächsten Satz:
Zitat von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26
Aber Moment mal, Badde hat recht, und Benedikt XIV war weder so vernagelt noch so unfehlbar wie sein Namensvetter.
Was könnte da wohl gemeint sein?
[/quote]<polemik> das solltest du bayle fragen und nicht den mich, den Du zu kritisieren scheinst.</polemik>  ;) sorry, couldn't resist
Beimnochmal lesen fällt mir die Mehrdeutigkeit auf - bin aber auch nicht sicher, ob bayle das so meint.
Auf jeden Fall: Dass so ein Papst bloß in die Hände klatschen muss und dann die Inquisition stramm bei Fuß macht was er sagt, das ist - mit verlaub - auch eine lächerliche Vorstellung.

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Ahh - schade - die Diskussion verspricht eine gewisse Spannung...  8)
Aber ich muss hier erst mal Schluss machen.
Mal schauen, ob ich morgen nochmal dazu komm weiter zu schreiben.

Aber : hey, ich behaupte auch nicht, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. In einer sachlichen Diskussion lass ich mich auch überzeugen, wo ich nicht recht habe. Wär aber nett, wenn das mir gegenüber auch so gehandhabt wird, gell.  8)
Zitat
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Auch innerhalb der Kirche gibt es Machtkämpfe, damals genauso wie heute.
Wer wollte da widersprechen. Aber werd' mal ein bisschen konkreter. In welches ,,innerkirchliche Machtspiel" ist Galilei  da hineingeraten? Die Freunde Galileis waren 1633 mucksmäuschenstill – etwas anderes wäre ihnen auch nicht übrig geblieben. Es ist unglaubwürdig/absurd/lächerlich [zutreffendes unterstreichen], für 1633 einen ,,Machtkampf" zwischen Urban VIII und der Inquisition unterstellen zu wollen. Die Jesuiten hatten ihm durchgestochen, dass er mit dem ,,Simplicio" der Dialogi gemeint wäre, und er war wütend. Er war die treibende Kraft hinter dem Prozess, und eine Handbewegung von ihm hätte diesen beendet. Dieser Förderer der Wissenschaft hatte so wenig Durchblick, dass er nicht bemerkt hat, wie er von den Jesuiten (Scheiner) instrumentalisiert worden ist?

Was das Verhältnis von Kardinal Maffeo Barberini zu Galilei angeht, da scheint mir die Darstellung von Brecht (Leben des Galilei, 7. Szene) einigermaßen treffend.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Galileos Beobachtungen liefern Hinweise auf das Kopernikanische System, und sie sind geeignet, das Ptolemäische System zu kippen.
Aber das reicht nicht.
Als stärkstes Argument sieht Galileo seine Begründung von Ebbe und Flut, die er mit der umdrehung um die Sonne begründen will.
Damit liegt er aber falsch. ... Dass Galileo das Brahe-Modell schlicht unterschlägt ist wissenschaftlich unsauber.
Galileis Argumente waren Ebbe und Flut, die Jupitermonde, die Phasen der Venus, die Berge und Meere des Mondes, die Sonnenflecken und u. v. a. Sie widersprachen dem aristotelischen/ptolemäischen Weltbild.
Nur – das alles spielte im Prozess überhaupt keine Rolle. Es war nicht Gegenstand des Prozesses, die wissenschaftlichen Argumente zu prüfen.

Der endgültige Beweis für die Bewegung der Erde um die Sonne war die Entdeckung der Aberration des Lichts durch Bradley, 1729. Die Indizierung der Dialogi wurde 1757 noch einmal ausdrücklich bekräftigt.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Und Galileos Veröffentlichung ist ein politikum, da er sie nicht, wie für wissenschaftliche Veröffentlichungen üblich, in Latein publiziert, sondern in gewöhnlichem italienisch, so dass jeder Lesekundige es auch lesen kann.
Galilei war alles andere als ein Aufrührer, ihm war durchaus an Einvernehmen mit der Obrigkeit gelegen, und er war mitnichten darauf erpicht, sich als Märtyrer aufzubauen. Schließlich hatte er das nihil obstat des Zensors. Wenn es ihm wirklich um Krawall gegangen wäre, dann hätte er seine Schrift anonym im Ausland publiziert. Er war durchaus nicht immer die Sachlichkeit in Person. Aber der Clash war unvermeidlich, nicht weil er ein Stiesel, sondern weil er ein Wissenschaftler war.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Lass uns da mal sachlich bleiben und nicht von "Die Kirche" gegen Galilei sprechen.
...
Tschuldigung, aber gelegentlich ist mir das allgegenwärtige Kirchen-bashing auch hier schlicht zu platt.
Tschuldigung, aber diese globale Apologie ist mir zu simpel.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: F. A. Mesmer am 04. April 2014, 22:25:07
Zu Gallileo kann ich nichts sagen, finde die Erklärung von Raumpilot aber plausibel - für "richtig/falsch" fehlt mir Kenntnis der Materie.

zur hexenverfolgung:
die argumentation von Raumpilot ist da etwas grob.

richtig ist:
für mehr infos gabs früher den "Server Frühe Neuzeit": http://www.sfn.uni-muenchen.de/
aber der link ist tot oder aktuell kaputt, keine ahnung.

ich schlage vor, die hexendiskussion hier zu auszusetzen, das thema ist auch ohne anspruchsvoll genug.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 04. April 2014, 23:17:04
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 21:45:32
Die Bemerkung mit den Hexenverfolgungen war irgendwie überflüssig, was das Hauptthema betrifft.
Natürlich. Aber: war das jetzt Kritik oder Selbstkritik? Da du selbst zuerst auf dieses Thema verwiesen hast, scheint letzteres der Fall, doch Dein langer Rattenschwanz dazu, der noch weiter OT führt, scheint für ersteres zu sprechen. Ich wäre bereit, auch darüber zu diskutieren, aber dann in einem anderen Faden.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 21:45:32
Erst mal kritisiere ich nicht bayle, sondern bestenfalls seinen Argumentationsstil in genau dieser Sache.
Und diese Kritik besteht in der Methode des gezielten Missverständnisses. Denn:
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 21:45:32
Aber wen Du die Antwort haben willst: Die Unterschrift des Papstes ist sicher nicht notwendig, damit ein urteil der Inquisition rechtsgültig ist. Die Feststellung, dass der Papst dieses Urteil nicht unterzeichnet hat, ist somit erst mal nur die Feststellung, dass der Papst es nicht unterzeichnet hat. Und hat mit der Rechtsgültigkeit nichts zu tun.
Wo wäre da der Dissens? Es ist die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Außer Pagano und seine Nachbeter, vgl Thomas Mayer, http://hnn.us/article/96326.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Du scheinst damit automatisch zu verbinden, dass ich pro Paul Badde oder Sergio Pagano argumentiere. Das tue ich aber nicht.
Du hast ein Fazit gezogen, was genau im Sinne Baddes ist:
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
nicht von "Die Kirche" gegen Galilei sprechen
Verstehe ich Dich recht, Du verabschiedest Dich von diesem Satz?

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 21:45:32
Zitat von: Pelacani am 04. April 2014, 06:54:58
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
Mit dem Argument der Unfehlbarkeit blamierst Du dich jetzt ein bisschen, denn die gibt's erst seit 1870.
Meinst Du? Dann lies einfach noch den nächsten Satz:
Zitat von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26
Aber Moment mal, Badde hat recht, und Benedikt XIV war weder so vernagelt noch so unfehlbar wie sein Namensvetter.
<polemik> das solltest du bayle fragen und nicht den mich, den Du zu kritisieren scheinst.</polemik>  ;) sorry, couldn't resist
Beimnochmal lesen fällt mir die Mehrdeutigkeit auf - bin aber auch nicht sicher, ob bayle das so meint.
Da ist nichts Mehrdeutiges. Benedikt XIV (Papst 1740-1758) war nicht unfehlbar, wohl aber Benedikt XVI (Papst 2005-2013). Es liegt dann doch wohl eher am Leser als am Autor, wenn das missverständlich war.

Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 21:45:32
Auf jeden Fall: Dass so ein Papst bloß in die Hände klatschen muss und dann die Inquisition stramm bei Fuß macht was er sagt, das ist - mit verlaub - auch eine lächerliche Vorstellung.
So? Dann nenn mir doch mal ein Beispiel aus der 800jährigen Geschichte der Inquisition, wo sie sich gegenüber dem amtierenden Papst durchgesetzt hätte, ein einziges - ich habe gerade keines parat. Der Kirchenstaat ist eine absolute Monarchie, und im Gegensatz zu weltlichen Monarchien hat es (außer im 10. Jhd, während der Pornokratie, aber da gab es noch keine Inquisition) nie minderjährige Herrscher gegeben. Es gab ein paar weltentrückte Spinner, aber niemals hätte die Inquisition auch nur daran gedacht, einem Papst im Vollbesitz seiner Geisteskräfte Paroli zu bieten. Allenfalls konnten sie hoffen, ihn irgendwann zu vergiften. Aber selbst Anschläge waren eigentlich bemerkenswert selten, zumindest wieder verglichen mit den weltlichen Herrschaften. Meist genügte es ja, ein bisschen zu warten; die mittlere Regierungsdauer der Päpste lag bei etwa sieben Jahren.

Dein Beispiel
Zitat von: bayle am 04. Januar 2013, 23:27:26
Speziell DIESES Urteil hat der Papst nicht unterzeichnet, weil es ihm nicht gepasst hat.
ist jedenfalls krass falsch; es widerspricht der historischen Wahrheit völlig. Übrigens hast Du noch gar nichts gesagt zu meiner Kritik an Deinen Kernthesen. Wie war denn das nun mit dem Machtkampf? Spielte die Wissenschaft im Prozess eine Rolle? Ist Galilei nur verurteilt worden, weil er ,,denkbar ungeschickt" und ,,wissenschaftlich nicht sauber" war?

Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Raumpilot am 05. April 2014, 01:21:26
Hm - Pelacani, warum hab ich grad ständig das Gefühl, mich gegen Sachen wehren zu müssen, die ich nicht gesagt habe?
(Und bevor Du es mir unterstellst: Auch  nicht gemeint habe?)
Du sagst mir also ganz genau, was meine "Kernthesen" sind oder zu sein haben.

Ich bin kein Experte in Sachen Galileo, hab grade auch sicherheitshalber ein paar Sachen nachlesen müssen, und an Stellen, die Du benennst, muss ich feststellen, hab ich Sachen falsch rum in Erinnerung.
Das sind allerdings nicht meine "Kernthesen", und mir das zu sagen grenzt genauso an "gezieltes Missverständnis".

Kernthesen sind vielmehr, dass Galilei sich
1. denkbar ungeschickt verhalten und
2. nicht wirklich wissenschaftlich sauber argumentiert,

und weiter, dass sich die Kirche da durchaus nicht als "homogener Block" gegen Galilei und die Wissenschaft verhalten hat.

Und es zu der Zeit fortschrittlich gesinnte Leute innerhalb der Kirche gab, die sich für die Wissenschaft stark gemacht haben.

Dass da daraus machst, ich habe "ein Fazit gezogen, was genau im Sinne Baddes ist":
Das ist auch keine feine "Argumentationsweise".
Ich mache mir Badde nicht zu eigen.
Aber erzähl mir nicht, dass eine Aussage deshalb falsch oder fragwürdig ist, weil Badde sie auch sagt.

Es gab ganz definitiv einen Machtkampf darum, wie mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen umgegangen werden sollte - und dabei hat sich Galileo vergaloppiert.

Die entsprechenden Versuche gab es durchaus, interpretationen der Bibel zu finden, nach denen es keinen Widerspruch zum kopernikanischen System gab. Dahinter stand dann die Auffassung, dass man Wissenschaft erst mal offen betreiben können muss und danach schaut, was das für den Glauben bedeutet, nicht umgekehrt.
Auch wenn das niemand in der Deutlichkeit gesagt hat.  ;)
Der Ausgang der Diskussion war zu Galileos Zeit nicht eindeutig klar - letztlich hat die Kirche damals eine Chance verpasst, die sie erst viel später wieder genutzt hat, um Glaubwürdigkeit zurückzuerobern.
Daher:
Zitat von: Pelacani am 04. April 2014, 23:17:04
Du hast ein Fazit gezogen, was genau im Sinne Baddes ist:
Zitat von: Raumpilot am 04. April 2014, 01:00:42
nicht von "Die Kirche" gegen Galilei sprechen
Verstehe ich Dich recht, Du verabschiedest Dich von diesem Satz?
klares Nein  ;D
Ich verabschiede mich davon nicht.
Es gab eben innerkirchlich durchhaus verschiedene Auffassungen zum Thema.

Zu sagen, dass sein Dialogo ein Politikum war, weil es auf italienisch war und, "sein" Weltbild als das einzig wahre anpries (weil er das ptolemäische alt aussehen ließ und das Brahe-Modell überging) ist nicht gleichbedeutend damit, dass er ein revoluzzer gewesen sei.
Nur ein Dickschädel.
Aber es hatte letztlich die selbe Wirkung.
Und mit etwas mehr diplomatischem Geschick hätte er sich nicht seine wichtigsten Unterstützer verprellt.

Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 05. April 2014, 07:39:50
Zitat von: Pelacani am 04. April 2014, 23:17:04
Übrigens hast Du noch gar nichts gesagt zu meiner Kritik an Deinen Kernthesen. Wie war denn das nun mit dem Machtkampf? Spielte die Wissenschaft im Prozess eine Rolle? Ist Galilei nur verurteilt worden, weil er ,,denkbar ungeschickt" und ,,wissenschaftlich nicht sauber" war?

Deine Antwort:
Zitat von: Raumpilot am 05. April 2014, 01:21:26
Das sind allerdings nicht meine "Kernthesen", und mir das zu sagen grenzt genauso an "gezieltes Missverständnis".
Das ist doch wohl nicht Dein Ernst! Du fährst fort:
Zitat von: Raumpilot am 05. April 2014, 01:21:26
Kernthesen sind vielmehr, dass Galilei sich
1. denkbar ungeschickt verhalten und
2. nicht wirklich wissenschaftlich sauber argumentiert,
...
Es ist ein wenig ermüdend, in dieser Weise zu diskutieren. Bitte versuche, den Inhalt meiner Posts zu erfassen, bevor Du Dich über sie verbreitest.

Zitat von: Raumpilot am 05. April 2014, 01:21:26
und weiter, dass sich die Kirche da durchaus nicht als "homogener Block" gegen Galilei und die Wissenschaft verhalten hat.
Und es zu der Zeit fortschrittlich gesinnte Leute innerhalb der Kirche gab, die sich für die Wissenschaft stark gemacht haben.
...
Es gab ganz definitiv einen Machtkampf darum, wie mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen umgegangen werden sollte
Das ist eine Deduktion, die plausibel klingt, aber in Wahrheit ist das alles heiße Luft.
Zitat von: Pelacani am 04. April 2014, 06:54:58
Aber werd' mal ein bisschen konkreter.
Nenne mir die Namen der Pro-Galilei-Fraktion innerhalb der Kirche. Am ehesten käme Francesco Barberini infrage, aber ich habe keinen Hinweis darauf gefunden, dass er sich 1633 in irgendeiner Weise für Galilei interessiert hätte, die man als ,,Machtkampf" auslegen könnte. Die Wissenschaftler innerhalb der Kirche, das waren die Jesuiten des Collegio Romano.

Zitat von: Raumpilot am 05. April 2014, 01:21:26
Zu sagen, dass sein Dialogo ein Politikum war, weil es auf italienisch war und, "sein" Weltbild als das einzig wahre anpries (weil er das ptolemäische alt aussehen ließ und das Brahe-Modell überging) ist nicht gleichbedeutend damit, dass er ein revoluzzer gewesen sei.
Nur ein Dickschädel.
Aber es hatte letztlich die selbe Wirkung.
Und mit etwas mehr diplomatischem Geschick hätte er sich nicht seine wichtigsten Unterstützer verprellt.
Das kriegen die Reformer innerhalb der Kirche seit 2000 Jahren um die Ohren gehauen: "Ihr müsst Geduld haben, so schnell geht das nicht! (und auf den nächsten Papst warten)."

Die Kirche verkörperte hier (wie in den meisten anderen Gelegenheiten) die gesellschaftliche Reaktion, und Galilei den wissenschaftlichen Fortschritt. Der Baddesche Text ist eine spitzfindige, die Fakten auf den Kopf stellende Apologetik – genau wie Dein Post #24 (https://forum.psiram.com/index.php?topic=10348.msg161940#msg161940).
Sag' mir jetzt nicht, dass Du es ehrlich meinst. Badde meint es auch ehrlich.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 05. April 2014, 19:23:16
Zitat von: Raumpilot am 05. April 2014, 01:21:26
Die entsprechenden Versuche gab es durchaus, interpretationen der Bibel zu finden, nach denen es keinen Widerspruch zum kopernikanischen System gab. Dahinter stand dann die Auffassung, dass man Wissenschaft erst mal offen betreiben können muss und danach schaut, was das für den Glauben bedeutet, nicht umgekehrt.
Interessiert mich. Kannst Du da Näheres berichten über die zeitgenössischen Versuche, die Bibel zu retten?
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Raumpilot am 06. April 2014, 10:14:42
@Pelacini
ganz kurz:
vor Dienstag komm ich nicht dazu, da was dazu zu sagen.

Zur Frage im allerletzten Beitrag fällt mir als erstes natürlich auch Foscarini ein, den kennst Du aber schon selber.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 06. April 2014, 12:23:26
Zitat von: Raumpilot am 06. April 2014, 10:14:42
Foscarini
Aber Foscarini hatte sich schon mit dem Bellarmin-Brief erledigt, 1616 [edit: 1615]. Er war auf dem Index gelandet.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 08. April 2014, 15:55:11
Zitat von: Raumpilot am 05. April 2014, 01:21:26
Kernthesen sind vielmehr, dass Galilei sich
1. denkbar ungeschickt verhalten und
...
Nur ein Dickschädel.
Badde - der nur ein Abstauber Zander-,,Interpretation", besser: -Denunziation ist – ist da noch etwas dezidierter:
Zitat
der schillernde Gelehrte
...
dessen [Kopernikus' – P] bizarren Schüler Galilei
Leider ist es ja bisher noch nicht dazu gekommen, dass dieses ,,ungeschickte" Verhalten hier näher beleuchtet wurde.

Da kommt uns der Dr. Dietmar Nix (ich sag gleich noch was zu ihm) gerade recht:
ZitatMit welch sinnloser Wut Galilei hier zu Werke ging, ist seinen Randnotizen in Grassis Buch zu entnehmen, das in Galileis Bibliothek hinterlassen wurde. Im Gegensatz zum Titel seines Antwortbuchs eigenen sich diese Anmerkungen kaum für eine "Goldwaage": ,,Ignorant, Pedant, böswilliger Tor, Riesendummkopf, größter aller Ochsen, Lügner, Betrüger." Auf Grassis Gegenschrift zu seiner Goldwaage reagierte Galilei mit weiteren Randnotizen in der entsprechenden Publikation: ,,Du Stück Esel, Büffel, gemeiner Faulenzer, Dummkopf, elender Fälscher, gemeiner Kerl, Lügner, dummes Vieh, vernagelter Kopf."
Hier handelt es sich um private Randglossen in einem Buch.
ZitatGalileis Goldwaage gilt als wissenschaftlich wertlos, Lob bis heute kommt stets nur aus weltanschaulicher Perspektive
- "a brilliant polemic on physical reality and an exposition of the new scientific method", sagt die bekanntermaßen linksradikale Encyclopaedia Britannica zum Saggiatore.

OT – Zu Dr. Dietmar Nix.
Anderswo äußert Nix die Ansicht, "dass die antike Leinwand im oberitalienischen Turin mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leichentuch des Jesus aus Nazareth ist". Nach Lektüre obiger Textstelle kann das nicht überraschen. Albert Einstein "bietet Gefasel" im Fall Galilei. Über Brecht weiß er, dass er "Flicken auf seine Kleidung" nähte, "um proletarische Gesinnung zu demonstrieren" (was schon deshalb nicht stimmen kann, weil Brecht höchstens hätte nähen lassen) und "nach dem gescheiterten Arbeiteraufstand die DDR kritisierte und in den Westen floh". Thomas Mann "verbreitete arrogante Verachtung über angebliche deutsche Charakterzüge, wobei er mehr verrät über seine Emigrantenverbitterung als über sein Urteilsvermögen." Ernst Jünger dagegen "beschreibt heroischen Realismus eines Geistesadels im Widerstand gegen den Verfall abendländischer Kulturwerte". Er kann auch noch deutlicher: Die Wannsee-Konferenz hatte nicht die Organisation der Vernichtung der Juden zum Inhalt, sondern deren Evakuierung, allenfalls Sterilisation. Noch Fragen?

Nachlesen kann man das nicht mehr, da war die NSA vor:
ZitatZugangssperren

Ist Ihr Leser-Zugang hier etwa gesperrt? Sind Sie neugierig, woran das liegt? Falls Sie nicht einen Virus gefangen haben, liegt es ansonsten daran, daß der amerikanische Nachrichtendienst NSA außer Spionage auch eine Branche "Operations" hat für die "Internet-Kampfführung". Sie bekämpft keineswegs Reklame-Belästigung und Sabotage, sondern organisiert selbst Angriffe, anscheinend zur Unterdrückung unerwünschter Meinungen - etwa Kritik an der NSA, wie hier....
http://histor.ws/seppdepp/004.htm
[Hervorhebung durch mich] Und, dreimal dürfen wir raten, wer wohl hinter der NSA steckt. Und auch, ob Nix, oder sein Gewährsmann, korrekt wiedergegeben/übersetzt haben, müsste erst noch herausgefunden werden.
/OT
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: F. A. Mesmer am 08. April 2014, 16:15:12
insgesamt scheint es mir doch sehr müssig, ich kann gar nicht beschreiben wie sehr, über den charakter von leuten zu spekulieren diskutieren, die erstens schon sehr sehr... sehr lange tot sind und zweitens, bei denen ihr charakter herzlich wenig mit ihrem werk zu tun hat - wir reden ja nicht über Goethe oder Wallenstein - oder übersehe ich hier etwas wesentliches Pelacani?
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 08. April 2014, 20:24:02
Geschichte ist eben nie zu Ende, sondern immer virulent. Wenn in der Hauptsache die Argumente fehlen, eröffnet man Nebenkriegsschauplätze. Auch die "katholische" (besser vielleicht: konservativ/reaktionäre) Sicht auf die Causa Galilei hat sich über die Jahrhunderte entwickelt verästelt.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: F. A. Mesmer am 08. April 2014, 20:32:21
ich meinte, seine mathematischen, naturwissenschaftlichen, etc. arbeiten sind ja wohl unabhängig von der kenntnis oder bewertung seines charakters erkennbar, nachvollziehbar und verstehbar. sein charakter ist, so würde ich meinen, für die einordnung seines werkes irrelevant.

bei Goethe würde ich das nicht sagen, ebensowenig bei Freud. Und auch das tun diverser historischer gestalten von Wallenstein bis Metternich ist doch erheblich verständlicher, wenn man eben die person hinzunimmt...
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 08. April 2014, 20:49:16
Zitat von: F. A. Mesmer am 08. April 2014, 20:32:21
ich meinte, seine mathematischen, naturwissenschaftlichen, etc. arbeiten sind ja wohl unabhängig von der kenntnis oder bewertung seines charakters erkennbar, nachvollziehbar und verstehbar. sein charakter ist, so würde ich meinen, für die einordnung seines werkes irrelevant.
Klar.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 09. April 2014, 06:38:08
Nachtrag. Falls wer nicht genug von dem Dr. Nix hat, hier:
http://histor.ws/galilei/12.php
Es ist der NSA/den ... nicht gelungen, diesen Freiheitskämpfer völlig zum Schweigen zu bringen.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: Typee am 09. April 2014, 07:23:23
Zitat von: Pelacani am 08. April 2014, 20:49:16
Zitat von: F. A. Mesmer am 08. April 2014, 20:32:21
ich meinte, seine mathematischen, naturwissenschaftlichen, etc. arbeiten sind ja wohl unabhängig von der kenntnis oder bewertung seines charakters erkennbar, nachvollziehbar und verstehbar. sein charakter ist, so würde ich meinen, für die einordnung seines werkes irrelevant.
Klar.

Wenn wir über unangenehme Charaktere in der Wissenschaftsgeschichte sprechen wollen, schlage ich einen Newton-Thread vor. Der wird vermutlich ergiebiger.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: P.G. am 09. April 2014, 08:24:06
Bin gerade hier drüber gestolpert:http://theness.com/neurologicablog/index.php/geocentrism-seriously/ (http://theness.com/neurologicablog/index.php/geocentrism-seriously/)
Passt glaube ich zu eurem Thema.
Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: F. A. Mesmer am 09. April 2014, 19:39:59
Zitat von: Typee am 09. April 2014, 07:23:23
Zitat von: Pelacani am 08. April 2014, 20:49:16
Zitat von: F. A. Mesmer am 08. April 2014, 20:32:21
ich meinte, seine mathematischen, naturwissenschaftlichen, etc. arbeiten sind ja wohl unabhängig von der kenntnis oder bewertung seines charakters erkennbar, nachvollziehbar und verstehbar. sein charakter ist, so würde ich meinen, für die einordnung seines werkes irrelevant.
Klar.

Wenn wir über unangenehme Charaktere in der Wissenschaftsgeschichte sprechen wollen, schlage ich einen Newton-Thread vor. Der wird vermutlich ergiebiger.
so ungefähr das meinte ich. für die einordnung seiner arbeit ergebnisse und evtl den nachvollzug seines weges dahin ist es ziemlich egal, welcher naturwissenschaftler charakterlich ne kackbratze, als nachbar eine zumutung, als beziehungspartner eine heimsuchung und ansonsten antisemit, freimaurer, illuminat, psychopat, machtmensch, pamphletist, ketzer, häretiker, raffhals, duellant & mörder, ja sogar alchimist war. (damit sage ich nicht, dass newton dieses ALLES war, einiges freilich schon)
wollte man so einen naturwissenschaftler als politiker/wissenschaftsunternehmer usw. verstehen, wäre es hingegen erhellend seinem lebensweg und seine neigungen zur kenntnis zu nehmen.


Titel: Re: Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert
Beitrag von: pelacani am 10. April 2014, 19:01:38
Zitat von: Raumpilot am 05. April 2014, 01:21:26
Die entsprechenden Versuche gab es durchaus, interpretationen der Bibel zu finden, nach denen es keinen Widerspruch zum kopernikanischen System gab. Dahinter stand dann die Auffassung, dass man Wissenschaft erst mal offen betreiben können muss und danach schaut, was das für den Glauben bedeutet, nicht umgekehrt.
Auch wenn das niemand in der Deutlichkeit gesagt hat.  ;)
Auch das ist gefühlt, nicht gewusst; und eigentlich ist es im Speziellen falsch. In Wirklichkeit war es mit allen Versuchen, die Bibel in Übereinstimmung mit der Wissenschaft zu bringen, infolge des Urteils gegen Galilei für die nächsten hundert Jahre vorbei.

Es war eher umgekehrt. Descartes gewöhnte sich die unbefangene Wissenschaft ab und entwickelte eine Metaphysik, um nicht mit der Kirche in Konflikt zu geraten:
ZitatFinally, Descartes's suppression of The World [ein erst posthum veröffentlichtes Werk von ihm - P.], his relativistic obfuscation of the earth's motion, and his lip service to hypothesis were perhaps only his most visible and tangible reactions to Galileo's condemnation. At a deeper, if more controversial, level, it may be argued that the most substantial response was a creative reorientation of Descartes's thought that forced him to attempt to provide a metaphysical justification of the new heliocentric, geokinetic world System: until then, he had focused on mathematics and natural philosophy and had arrived at almost all of his major scientific discoveries; afterward, he focused on first philosophy in order to justify them by embedding them in a metaphysics that providecl a viable alternative to the traditional scholastic approach.
[Finocchiaro MA: Retrying Galilei 1633-1992, S. 51]