Psiram Forum

Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Skeptisches Denken => Thema gestartet von: Scipio am 18. Juli 2017, 21:14:31

Titel: Kritisches Denken
Beitrag von: Scipio am 18. Juli 2017, 21:14:31
Hallo Leute,

ich habe so meine Schwierigkeiten mit dem kritischen Denken. Vor allem fehlt mir die Zeit dazu dinge zu hinterfragen und Quellen zu prüfen. Oft genug muss ich auch wegen mangelnder Fachkenntnis "die Segel streichen".

Nehmen wir mal z.B.: Landwirtschaft, da bin ich als E-tech Ing. thematisch wahrscheinlich maximal weit weg davon. Da fehlt mir weitgehend der fachliche Hintergrund und selbst wenn ich ihn hätte, müsste ich immer noch jede Menge Zeit reinstecken um die Argumente, Thesen etc. der verschiedenen Akteure zu hinterfragen bzw. zu prüfen um mir eine differenzierte Meinung zu bilden. Und die steht ja immer noch auf wackligen Füßen, da ich wie jeder andere Mensch auch dazu neige mir erst eine Meinung zu bilden und dann die Fakten zusammen zu suchen die sie stützen. Vom Einfluss kognitiver Fähigkeiten ganz zu schweigen.

Nun bemühe ich mich schon so gut es geht, meine eigen Wünsche, Hoffnungen und so weiter hinten an zu stellen und das Ergebnis einer Recherche so zu nehmen wie es ist und bei meinen Nachforschungen auf Akkurates zu achten. Quasi mehr Gewicht auf den Weg als auf das Ziel zu legen. Doch dass dürfte nur begrenzte Wirkung zeigen.

Manchmal frage ich mich, wie unter solchen Voraussetzungen eine Demokratie funktionieren soll, die doch auf den (Wahl-)Entscheidungen der Bürger aufbaut....

Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: celsus am 18. Juli 2017, 21:58:25
Ach wäre doch Groucho jetzt bei uns. Ihm würde eine Erklärung wesentlich leichter fallen.

Politik sollten wir mal draußen lassen, die hat nichts mit kritischem Denken zu tun sondern ist eher das Gegenteil.

Ja, es ist mit Aufwand verbunden, etwas über die Realität herauszufinden. Daniel Kahneman unterscheidet zwischen "schnellem Denken" und "langsamem Denken". Das schnelle Denken dient dazu, den ersten Eindruck zu verarbeiten und sich eine Meinung zu bilden. Das langsame Denken prüft die Fakten, wägt sie gegeneinander ab, sucht Wahrscheinlichkeiten usw. Daran ist schon zu sehen, dass kritisches Denken nicht schnell gehen kann. Im Gegenteil. Mir fällt oft auf, dass ich Dinge, die jemand schnell gedacht einfach für Blödsinn erklären würde, erst mal genauer betrachte, für grundsätzlich nicht unmöglich halte und sie entweder als unbearbeitet oder unlösbar zur Seite lege oder später ausführlich prüfe.

Und das ist auch mein Tipp: Einfach mal keine Meinung zu etwas bilden oder die automatisch auftauchende Meinung als solche stehen lasse, als ungeprüfte Einschätzung, und nicht so wichtig nehmen. Also, bilde dir ruhig eine Meinung, aber stüzte keinen größeren Entscheidungen darauf.

Je länger man sich mit kritischem Denken beschäftigt, um so schneller geht das. Das macht die Übung und auch die Menge des verfügbaren Wissens. Irgendwann geht das so automatisch, dass du irgend eine Geschichte hörst oder liest und sofort denkst: Hoppla, da war doch mal was, da stimmt was nicht.

Ein weiterer anstrengender Teil ist es, das sicher geglaubte Wissen immer wieder zu hinterfragen. Das hat man ja quasi als unveränderbar abgespeichert (Spinat enthält so viel Eisen, vom Lesen im Dunkeln bekommt man schlechte Augen [...]) - aber stimmt das wirklich alles so?

Ich finde es ja lustig, wie oft ich schon von irgend welchen Esos oder Energiebefreiern als "closed minded" bezeichnet wurde. Kritisches Denken geht überhaupt nur, wenn man seinen Verstand offen und flexibel hält.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: Gefährliche Bohnen am 18. Juli 2017, 23:08:20
Zitat von: celsus am 18. Juli 2017, 21:58:25
Ach wäre doch Groucho jetzt bei uns.

Ja... Er fehlt.

Zitat von: Scipio am 18. Juli 2017, 21:14:31
Vor allem fehlt mir die Zeit dazu dinge zu hinterfragen und Quellen zu prüfen. Oft genug muss ich auch wegen mangelnder Fachkenntnis "die Segel streichen".

Es ist immer ein bisschen schwierig so pauschale Antworten zu geben. Die Antwort auf pauschale Probleme lautet für gewöhnlich nämlich: es kommt darauf an. ;)

Also ich kann ja einfach mal sagen, wie ich das so handhabe. Die erste Frage, die sich stellt ist: Wofür will ich das jetzt genau wissen? Denn, wie celsus schon schrieb, man muss weiß Gott nicht zu allem eine Meinung haben. Und, wie du schon schriebst, wer hat schon Zeit? Ich zum Beispiel antworte gern mal was auf Posts bei Facebook, bei denen ich das Gefühl hab, da liegt ein Missverständnis zu Grunde, dass ich helfen könnte aufzuklären. Besonders wenn der Post von Leuten kommt, die ich mag. Da lohnt sich das für mich einfach und ich les gern mal ein bisschen nach bei Bedarf. Man muss aber definitiv nicht über jedes Stöckchen springen. Und manchmal kann man auch einfach sagen, dass man nicht genug Ahnung von einem Thema hat, um eine fundierte Meinung dazu zu haben.
Wenn ich aber Infos brauche, um zum Beispiel eine Entscheidung zu treffen, ist es natürlich ratsam, sich mehr oder weniger Zeit zu nehmen für eine Recherche, je nachdem wie wichtig die Entscheidung ist. Aber nicht alle Entscheidungen sind eben wichtig. Ich schätze, Prioritäten setzen lautet das Zauberwort. Eine hohe Kunst.

Summa summarum:

Zitat von: celsus am 18. Juli 2017, 21:58:25
Und das ist auch mein Tipp: Einfach mal keine Meinung zu etwas bilden oder die automatisch auftauchende Meinung als solche stehen lasse, als ungeprüfte Einschätzung, und nicht so wichtig nehmen.

+1

Es kommt nicht darauf an, alles zu wissen oder bei allem den Durchblick zu haben. Unwissen ist kaum das Problem, die Illusion von Wissen viel mehr.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: Sauropode am 19. Juli 2017, 06:57:32
Vor allem sollte man sich Zeit lassen. Denn Gedanken müssen ggf. auch erst einmal sacken. Will man wirklich zu jedem und allem irgendwie kritisch denken, besteht die Gefahr, in einer Verschwörungstheorie zu landen. Deshalb ist es gut, auch einmal keine Meinung zu haben oder sogar, manhels genaueren Wissens, ambivalent zu sein. Zudem ist es auch hilfreich, nicht immer auf Antworten zu bestehen, sondern auch mit Ungewissheiten leben zu können.

Ach ja, Groucho, was hätte er geschrieben.....
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: Typee am 19. Juli 2017, 07:27:07
Zitat von: Sauropode am 19. Juli 2017, 06:57:32
Vor allem sollte man sich Zeit lassen. Denn Gedanken müssen ggf. auch erst einmal sacken. Will man wirklich zu jedem und allem irgendwie kritisch denken, besteht die Gefahr, in einer Verschwörungstheorie zu landen. Deshalb ist es gut, auch einmal keine Meinung zu haben oder sogar, manhels genaueren Wissens, ambivalent zu sein. Zudem ist es auch hilfreich, nicht immer auf Antworten zu bestehen, sondern auch mit Ungewissheiten leben zu können.

Ach ja, Groucho, was hätte er geschrieben.....

Vermutlich etwas ganz ähnliches. Es ist ja auch richtig.

Die entgegengesetzte Position wäre die der delegationsunfähigen Menschen, in Hierarchien die unausstehlichste - und dysfunktionalste -  Spezies. Die große Lebenskunst besteht darin, eine richtige Einschätzung darüber zu haben, welche Urteile man Dritten überlassen kann und sollte (und welchen Dritten). Kenne deine Grenzen!
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 07:55:26
Denken ist generell anstrengend.
Außerdem besteht die "Gefahr", dass man anschließend seine eigene Haltung zum Thema kritisch überdenken müsste.
Und dann? ... Womöglich gerät das eigene Selbstbild ins Schwanken?
Will man sich davor schützen, über eigene Entscheidungen und Haltungen nachzudenken, lässt das mit dem kritischen Denken lieber, oder hinterfragt möglichst nur belanglose Dinge, oder Entscheidungen, auf die man eh keinen Einfluss hat.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: MrSpock am 19. Juli 2017, 08:00:17
Zitat von: Typee am 19. Juli 2017, 07:27:07

Die entgegengesetzte Position wäre die der delegationsunfähigen Menschen, in Hierarchien die unausstehlichste - und dysfunktionalste -  Spezies. Die große Lebenskunst besteht darin, eine richtige Einschätzung darüber zu haben, welche Urteile man Dritten überlassen kann und sollte (und welchen Dritten). Kenne deine Grenzen!

Dem kann ich nur zustimmen. Nehmen wir an, ich bin eine Führungskraft in einem mittelständischen Betrieb (in Konzernen funktioniert das ein wenig anders). Ich habe nicht den Anspruch und auch nicht die Qualifikation, alles technische und kaufmännische im Detail zu wissen und zu kennen. Meine Aufgabe ist es, die richtigen Mitarbeiter, die über dieses Wissen und die Qualifikation verfügen, in ihren jeweiligen Fachbereichen zu suchen, zu finden und entsprechend einzusetzen. Dann habe ich für die Organisation dieser Einheit die Verantwortung und für die Einhaltung der Prozesse, die aber wiederum von den Mitarbeitern bestimmt werden - unter einem gewissen Maß der Anleitung durch mich. Schließlich müssen die Mitarbeiter im operativen Tagesgeschäft die Prozesse leben. Wenn diese Prozesse von denen selber festgelegt wurden, macht das viel mehr Sinn. Natürlich gibt es immer wieder Sachzwänge, die nur schwer zu verstehen und zu vermitteln sind. Aber auch dann ist es mein Job, dies zu tun. Und ganz wichtig ist, das ich Verantwortung immer wieder abgeben muss. Der Laden muss auch ohne mich laufen. Auch wenn es paradox klingt: Mach Dich ersetzbar, dann bist Du eine gute Führungskraft.

Scipio, wenn ich Dich aber richtig verstanden habe, dann suchst Du nach einer Methode zu bestimmen, welche Partei bei der nächsten Bundestagswahl am meisten Sinn macht. Mein Rat: Vergiss es! Parteien handeln nicht wissenschaftlich rational.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: MrSpock am 19. Juli 2017, 08:04:29
Ach ja, eines noch: Immer wieder eine Plausibilitätsprüfung durchführen - stichprobenartig. Das habe ich mir im Laufe der Jahre so angewöhnt. Du glaubst gar nicht, wie viele offensichtliche Fehler man in Excel-Tabellen findet, die man aus dem Controlling bekommt! D. h., ich stelle mir immer wieder die Frage: Kann das so sein? Ist das korrekt? Und es geht dabei nicht nur um Zahlen und Auswertungen, sondern auch um geschilderte Sachverhalte etc.

Die Kunst dabei ist es, nicht zu sehr ins Detail zu gehen, wenn es nicht notwendig ist und dann ins Detail zu gehen, wenn es unabdingbar ist. Wie man das lernt? Erfahrung.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: Conina am 19. Juli 2017, 08:22:59
Zitat von: MrSpock am 19. Juli 2017, 08:04:29
Ach ja, eines noch: Immer wieder eine Plausibilitätsprüfung durchführen - stichprobenartig.

Ja.


ZitatFür Lernende von Berufen, in denen es besonders auf die Stichhaltigkeit von Argumenten und Beweisen ankommt (Rechtswissenschaft, Naturwissenschaften, Mathematik), ist die Entwicklung eines ,,inneren" Advocatus Diaboli zum Schutz gegen den Verlust der Objektivität, durch Fehler wie Selbstüberschätzung, Betriebsblindheit und anderes, ein unverzichtbarer Bestandteil der Berufsausbildung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Advocatus_Diaboli#Verwendungszweck

Das gefällt mir, der innere Teufelsadvokat. Den kann man sich auch angewöhnen. Ich glaube, das habe ich irgendwie gemacht.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 08:24:52
"Kritisches Denken", wer darauf und auf die Folgen verzichten will, muss stattdessen vertrauensseliger sein.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: Typee am 19. Juli 2017, 09:04:59
Zitat von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 08:24:52
"Kritisches Denken", wer darauf und auf die Folgen verzichten will, muss stattdessen vertrauensseliger sein.

Jein. Reine Vertrauensseligkeit wäre sicher nicht richtig. Die Kunst der Delegation besteht darin, brauchbare Auswahlkriterien für die Vertrauenspersonen zu finden. Das ist durchaus ein rationaler Prozess, zu dem auch ein persönlich bestmögliches Tatsachenbild gehört.

Wir sprechen hier von Optimierung. Perfektionierung kann es in einer unperfekten Welt nicht geben. Alles, was du tust oder lässt, hat irgendwo einen Preis.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 11:23:16
Zitat von: Typee am 19. Juli 2017, 09:04:59
Zitat von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 08:24:52
"Kritisches Denken", wer darauf und auf die Folgen verzichten will, muss stattdessen vertrauensseliger sein.

Jein. Reine Vertrauensseligkeit wäre sicher nicht richtig. Die Kunst der Delegation besteht darin, brauchbare Auswahlkriterien für die Vertrauenspersonen zu finden. Das ist durchaus ein rationaler Prozess, zu dem auch ein persönlich bestmögliches Tatsachenbild gehört.

Wir sprechen hier von Optimierung. Perfektionierung kann es in einer unperfekten Welt nicht geben. Alles, was du tust oder lässt, hat irgendwo einen Preis.

Richtig, man kann - schon aus zeitlichen Gründen - nicht alles hinterfragen oder wieder und wieder überprüfen.
Man kann aber auf Behauptungen, die bei einem ein "ungutes" Gefühl bewirken, fragen: "Woher weißt du das?"

Wenn dann keine Antwort kommt, oder Quellen genannt werden, die man für unseriös hält, kann man überlegen, ob einem das Thema, die für das "kritische Denken" notwendige Anstrengung wert ist, die dann dazu führen könnte, dass das eigene Weltbild oder Selbstbild ins Wanken gerät.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: Gefährliche Bohnen am 19. Juli 2017, 11:52:24
Zitat von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 11:23:16
Man kann aber auf Behauptungen, die bei einem ein "ungutes" Gefühl bewirken, fragen: "Woher weißt du das?"

Das allerdings scheint mir aber die Crux an der Sache. Woher kommt denn dieses Gefühl? Wie lernt man, dieses Gefühl an der richtigen Stelle zu haben? Die Gründe, ein solches Gefühl zu haben, sind vielfältig. Es ist eben nicht damit getan, jemandem zu raten, auf sein Gefühl zu hören. Ich denke, das Entscheidende ist die Fähigkeit, über seine eigenen Gefühle reflektieren zu können. Also: liegt dieses Gefühl jetzt an einer irrationalen Überzeugung meinerseits oder an Diskrepanzen zwischen Behauptung und Realität? Oder anders gesagt: Fühlt sich die Behauptung doof an, weil sie nicht dem entspricht, was ich gern hätte oder weil sie nicht dem entspricht, was ist?
Und da kommen dann solche Sachen ins Spiel wie z.B. der innere Advocatus Diaboli von Conina oder die Realitätscheck-Stichproben von MrSpock. Sowas trainiert. ;)

Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: celsus am 19. Juli 2017, 11:56:44
Zitat von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 11:23:16"Woher weißt du das?"

Hat sich als enorm nützliche Frage erwiesen. Selbst wenn man nicht im direkten Gespräch ist: "Woher weiß [Verfasser] das?" hilft auch bei Texten, in die Plausibilitätsprüfung überzugehen.
Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 13:38:12
Zitat von: Gefährliche Bohnen am 19. Juli 2017, 11:52:24
Zitat von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 11:23:16
Man kann aber auf Behauptungen, die bei einem ein "ungutes" Gefühl bewirken, fragen: "Woher weißt du das?"

Das allerdings scheint mir aber die Crux an der Sache. Woher kommt denn dieses Gefühl? Wie lernt man, dieses Gefühl an der richtigen Stelle zu haben? Die Gründe, ein solches Gefühl zu haben, sind vielfältig. Es ist eben nicht damit getan, jemandem zu raten, auf sein Gefühl zu hören. Ich denke, das Entscheidende ist die Fähigkeit, über seine eigenen Gefühle reflektieren zu können. Also: liegt dieses Gefühl jetzt an einer irrationalen Überzeugung meinerseits oder an Diskrepanzen zwischen Behauptung und Realität? Oder anders gesagt: Fühlt sich die Behauptung doof an, weil sie nicht dem entspricht, was ich gern hätte oder weil sie nicht dem entspricht, was ist?
Und da kommen dann solche Sachen ins Spiel wie z.B. der innere Advocatus Diaboli von Conina oder die Realitätscheck-Stichproben von MrSpock. Sowas trainiert. ;)

Und so ist dann wieder das Gefühl  die Crux.
Denn wer vollkommen überzeugt ist, hat ja nicht nur das gute oder ungute Gefühl, das etwas richtig oder falsch ist. Er ist sich da so sicher, wie bei 1 + 1 = 2.
Und wer sich so sicher ist, weiß ebenso sicher, dass er sich auch einen Realitätscheck oder den Advocatus Diaboli ersparen kann, weil das in dieser Sache nun wirklich völliger Unsinn ist und nur Zeit kostet.

Schwierig bis spannend wird es, wenn Personen mit vollkommen konträren aber sicheren Gefühlen aufeinandertreffen, um den anderen zu überzeugen.

Egal wie gut die Argumente des anderen sind, oder wie wenig man dem entgegensetzen konnte; zum Schluss wird jeder sagen:  trotzdem, ....




Titel: Re: Kritisches Denken
Beitrag von: lerau am 01. Januar 2018, 14:48:04
Zitat von: Gefährliche Bohnen am 19. Juli 2017, 11:52:24
Zitat von: tom.389.w. am 19. Juli 2017, 11:23:16
Man kann aber auf Behauptungen, die bei einem ein "ungutes" Gefühl bewirken, fragen: "Woher weißt du das?"

Das allerdings scheint mir aber die Crux an der Sache. Woher kommt denn dieses Gefühl? Wie lernt man, dieses Gefühl an der richtigen Stelle zu haben? Die Gründe, ein solches Gefühl zu haben, sind vielfältig. Es ist eben nicht damit getan, jemandem zu raten, auf sein Gefühl zu hören. Ich denke, das Entscheidende ist die Fähigkeit, über seine eigenen Gefühle reflektieren zu können. Also: liegt dieses Gefühl jetzt an einer irrationalen Überzeugung meinerseits oder an Diskrepanzen zwischen Behauptung und Realität? Oder anders gesagt: Fühlt sich die Behauptung doof an, weil sie nicht dem entspricht, was ich gern hätte oder weil sie nicht dem entspricht, was ist?
Und da kommen dann solche Sachen ins Spiel wie z.B. der innere Advocatus Diaboli von Conina oder die Realitätscheck-Stichproben von MrSpock. Sowas trainiert. ;)

Das Gefühl entsteht durch die Abweichung der Behauptung und dem eigenen Wissensstand bzw. der Überzeugung. Je besser der eigene Wissensstand, desto öfter sollte das Gefühl in den richtigen Momenten auftauchen. Ich glaube aber nicht, dass mehr Allgemeinbildung (wie man sie bspw. durch Schulen bekommt) allein ausreicht, schließlich glauben ja auch nicht wenige gebildete Menschen an irrationale Glaubenssysteme. Deswegen denke ich, dass auch eine Art "Spezialbildung" oder Sensibilisierung im Bereich irrationaler Glaubenssysteme (Religionen, Esoterik, Verschwörungsideologien, politische Ideologien) maßgeblich dazu beiträgt, dieses Gefühl im richtigen Moment zu haben.

ZitatAlso: liegt dieses Gefühl jetzt an einer irrationalen Überzeugung meinerseits oder an Diskrepanzen zwischen Behauptung und Realität?

Ich denke in erster Linie ist es kognitive Dissonanz, und die kommt unabhängig davon, ob die eigene Überzeugung rational oder irrational ist. Die Abweichung von der eignen Überzeugung erzeugt meiner Ansicht nach die kognitive Dissonanz.

ZitatUnd so ist dann wieder das Gefühl  die Crux.
Denn wer vollkommen überzeugt ist, hat ja nicht nur das gute oder ungute Gefühl, das etwas richtig oder falsch ist. Er ist sich da so sicher, wie bei 1 + 1 = 2.
Und wer sich so sicher ist, weiß ebenso sicher, dass er sich auch einen Realitätscheck oder den Advocatus Diaboli ersparen kann, weil das in dieser Sache nun wirklich völliger Unsinn ist und nur Zeit kostet.

Schwierig bis spannend wird es, wenn Personen mit vollkommen konträren aber sicheren Gefühlen aufeinandertreffen, um den anderen zu überzeugen.

Dazu ist ja die Diskussion da, um möglicher Widersprüche aufzulösen. Aber sicherlich wird es immer Leute geben, die so irrational überzeugt sind, dass sie sie sich unter keinem Umstand überzeugen lassen. Gegen eine starke Überzeugung, die sich im Sinne des kritischen Rationalismus lange erhaltend hat und die sich jeder Diskussion stellt/stand hält spricht ja nichts. Diskussion enden ja auch nicht immer in der Widerlegung von Tatsachenbehauptungen, sondern in der Erkenntnis, dass unterschiedliche Werturteile gefällt wurden. Damit kann man die Diskussion auch beenden.

lerau