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Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Skeptisches Denken => Thema gestartet von: RächerDerVerderbten am 19. Juli 2016, 07:53:34

Titel: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: RächerDerVerderbten am 19. Juli 2016, 07:53:34
In letzter Zeit (2016) gibts wieder massiv Jubelmeldungen auf einschlägigen Seiten, laut denen die Wissenschaft wieder mal bestätigt hätte, was uralte Weisheiten schon seit Jahrhunderten (Jahrtausenden) kündeten.

Berufen wird sich dabei auf

das Primo-Gefäßsystem
https://de.wikipedia.org/wiki/Primo-Gef%C3%A4%C3%9Fsystem

den nordkoreanischen Wissenschaftler Kim Bong-han
https://de.wikipedia.org/wiki/Kim_Bong-han

und diese Studie
http://www.healthcmi.com/Acupuncture-Continuing-Education-News/1230-new-ct-scans-reveal-acupuncture-points

Quelle
http://bewusst-vegan-froh.de/energiekanaele-existenz-der-meridiane-endlich-auch-durch-wissenschaft-bestaetigt/

Mir ist bewusst, daß 90% des Artikels nur Geschwurbel ist, aber vielleicht kann jemand bewerten, inwiefern es überhaupt neue Erkenntnisse zum Thema gibt, und ob diese dann tatsächlich "uralte Weisheiten" stützen.

Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Lt.Havoc am 19. Juli 2016, 08:26:48
Glaube nicht, dass es dort neue Erkenntnisse gibt, das Thema wird halt alle Jahre wieder mal ausgegraben da irgendeine bullshit Studie angeblich mal wieder was beweist und wenn man hinter guckt,  stellt man schnell fest, das die Studie nicht Wissenschaftlichen Standards entsprach, oder das man mal wieder einfach was kolportiert das so nie gesagt wurde, oder man bedenkt andere Faktoren nicht etc.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Eumel am 19. Juli 2016, 08:35:07
Die Frage kann ich direkt leider nicht beantworten. Ich habe mich aber eine Weile mit Yoga beschäftigt und fand das auch sehr entspannend und wirksam, z.B. gegen meine chronischen Schulter- und Nackenschmerzen. Mein Senf zu diesem Thema: An manchen Methoden ist was dran, aber dieses "Etwas" ist weit weniger geheimnisvoll und schwurbelig als das, was (vor allem) von westlichen Esoterikern da reininterpretiert wird.

Die alten Chinesen, Inder etc. waren keine dummen Menschen und sie haben auf der Basis der damals bekannten medizinischen Grundlagen und auch religiösen Überzeugungen (eine Trennung von Wissenschaft und Religion gab es damals nicht) Theorien und Methoden entwickelt. Teilweise funktionieren diese Methoden gut, auch wenn man heutzutage längst andere Erklärungen dafür geben kann. Ich finde auch, dass man in der einen oder anderen fernöstlichen Methode gute Anregungen finden kann - betont wird da gerne eine ausgeglichene Lebensweise, d.h. Vorbeugung, gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, Entspannung, Meditation und ähnliches. Erklärt wird das dann damit, dass eben die Meridiane bzw. Energien im Gleichgewicht sein müssen. Ganz "unspirituell" betrachtet, ist das alles nicht falsch (aber auch keine so großartig neue Erkenntnis). Die Sprache ist aber für unsere Ohren sehr blumig und die Erklärungsansätze sind halt ein bisschen verstaubt in den letzten Tausend Jahren.

Das Problem ist dann aber, was da heutzutage draus gemacht und alles reininterpretiert wird. Ich glaube die alten Chinesen würden sich im Grab umdrehen, wenn sie einem verschwurbelten modernen Esoteriker reden hören würden. Die modernen Chinesen sind dagegen geschäftstüchtige Leute und solange sich TCM und co. mit Geschwurbel im Westen besser verkaufen lassen, haben die kein Problem damit ;).

D.h. ich sehe in solchen "wissenschaftlichen" Erklärungsversuchen (auch wenn sie von Universitäten in Korea etc. kommen) eher die (auch bei uns nicht unbekannte) Verflechtung von Geschäft und Wissenschaft. Man redet halt solange, bis es schon irgendwie passt und druckt es dann in einen Hochglanzprospekt ...

Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: RächerDerVerderbten am 19. Juli 2016, 08:36:52
ZitatGlaube nicht, dass es dort neue Erkenntnisse gibt, das Thema wird halt alle Jahre wieder mal ausgegraben da irgendeine bullshit Studie angeblich mal wieder was beweist und wenn man hinter guckt,  stellt man schnell fest, das die Studie nicht Wissenschaftlichen Standards entsprach, oder das man mal wieder einfach was kolportiert das so nie gesagt wurde, oder man bedenkt andere Faktoren nicht etc.

Glauben tu ich das auch, aber ich will schon konkret werden, wenn wieder so ein Kosmischer Wanderer mit dem Thema um die Ecke biegt. ;)
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Peiresc am 19. Juli 2016, 09:00:46
Meine ersten Arbeitshypothesen wären: Das ist ein typisches Beispiel für den Beweiß absurder Annahmen mittels High-Tech. Die Autoren gehen davon aus, dass das Publikum das sowieso nicht versteht und deshalb beeindruckt ist. Vor Jahrzehnten wurde die sog. ,,Ein-Punkt-Forderung" von Prokop und Dotzauer aufgestellt: Die Akupunkteure sollten mal den histologischen Nachweis eines einzelnen Akupunktur-Punktes vorlegen. Dafür würde ein Lichtmikroskop genügen.

Petr Skrabanek schreibt 1984 in einem Leserbrief an Lancet:
ZitatWhat purpose is served by combining ,,traditional Oriental methods" with radioimmunoassay? Would you consider publishing a paper studying the effects of traditional Western methods (say, prayer) on composition of body fluids? If not, Sir, why not?

Ein Charakterisikum der Paramedizin ist, dass alte Antworten genügen, neue ,,Befunde" zu erklären.

Was das "Primo-Gefäß-System" angeht, finde ich die in WP angegebene Literatur einigermaßen lustig (schon, wenn ich sie noch gar nicht gelesen habe):
ZitatWhy did B.H. Kim and his publications disappear after 1966?
http://www.jams-kpi.com/article/S2005-2901(13)00155-6/abstract
Der Autor stellt nur Fragen, aber ich antworte einfach mal: Da stecken die Außerirdischen* hinter.

Im Text heißt es:
ZitatMost importantly, for the first time, they revealed the Sanal (directly translated into English as "live egg"), a new cell type in the Bonghan system with self-regenerating properties. These cells, initially called DNA particles due to their small sizes (1 µm), were said to be stored in Bonghan corpuscles.
DNA-Partikel von dieser Größe haben im Westen einen anderen Namen: Zellkerne. Man könnte sie vielleicht auch ,,Lebenseier"  nennen, gewiss.

* ,,Außerirdischen" ist natürlich ein Platzhalter.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Typee am 19. Juli 2016, 10:50:05
Zitat von: Peiresc am 19. Juli 2016, 09:00:46
Meine ersten Arbeitshypothesen wären: Das ist ein typisches Beispiel für den Beweiß absurder Annahmen mittels High-Tech. Die Autoren gehen davon aus, dass das Publikum das sowieso nicht versteht und deshalb beeindruckt ist. Vor Jahrzehnten wurde die sog. ,,Ein-Punkt-Forderung" von Prokop und Dotzauer aufgestellt: Die Akupunkteure sollten mal den histologischen Nachweis eines einzelnen Akupunktur-Punktes vorlegen. Dafür würde ein Lichtmikroskop genügen.

An dieser Stelle kommt dann aber ganz schnell der feine Stoff um die Ecke gewackelt. Meiner Erfahrung nach lohnt der Versuch nicht, einem Gläubigen klarzumachen, dass man über Dinge, die sich per definitionem jeder Feststellung entziehen, keine Behauptungen aufstellen kann, die in der Welt feststellbarer Phänomene irgend einen Belang haben. Die verstehen das nicht.

Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Daggi am 19. Juli 2016, 11:37:20
Laut Ergebnis der GERAC-Studien ist es egal wo man einsticht.

https://www.psiram.com/ge/index.php/Akupunktur#Die_GERAC-Studien

Die Existenz der Meridiane und von Akupunkturpunkten ist damit so gut wie vom Tisch. Würde es sie anatomisch geben, stellt sich die Frage ob sie überhaupt längs der Meridiane zu finden sind. Das Problem dabei ist aber nun daß in der Akupunktur nur sehr ungenau mit Daumenbreiten auf der Körperoberfläche nach den Punkten gesucht wird. Außerdem gibt es konkurrierende Akupunkturmethoden mit anderen "Karten" der Hautoberfläche.

Bei uns im Wiki findet sich was zum Thema:

https://www.psiram.com/ge/index.php/Hartmut_Heine

https://www.psiram.com/ge/index.php/Akupunktur#Angeblicher_Beweis_der_Existenz_von_Akupunkturpunkten

https://www.psiram.com/ge/index.php/Meridian#Nachweisversuch_durch_Fritz-Albert_Popp (sehr peinliche Sache)



Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: zerodivide am 19. Juli 2016, 11:40:28
Wenn jetzt jemand feststellt das die Akkupunkturpunkte dort liegen wo viele Adern sind, dann würde ich in meiner naiven Art erstmal davon ausgehen dass es eher so ist das jemand beim "Verlegen" der Akkupunkturpunkte ungefähr gewusst hat wo die Adern liegen und sie deshalb dorthingelegt hat. Eine spezifische Wirkung an den Punkten lässt sich ja nicht ausmachen.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Groucho am 19. Juli 2016, 12:18:34
Zitat von: zerodivide am 19. Juli 2016, 11:40:28
Wenn jetzt jemand feststellt das die Akkupunkturpunkte dort liegen wo viele Adern sind, dann würde ich in meiner naiven Art erstmal davon ausgehen dass es eher so ist das jemand beim "Verlegen" der Akkupunkturpunkte ungefähr gewusst hat wo die Adern liegen und sie deshalb dorthingelegt hat. Eine spezifische Wirkung an den Punkten lässt sich ja nicht ausmachen.

Es sind eher die Nervenbahnen. Und A. wirkt. Halt leider völlig unspezifisch und im Sinne eines "Gegenschmerzes". Gibt ja das blöde, aber durchaus zutreffende Beispiel, dass man Kopfschmerzen mit einem gezielten Hammerschlag auf den Daumen schlagartig ausschaltet. Oder man sticht halt mit den Nadeln irgendwo hin, wo viele Nerven zu vermuten sind. Ob sowas allerdings noch eine zeitgemäße Therapieform ist, wage ich zu bezweifeln  8)
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: MrSpock am 21. Juli 2016, 13:14:51
Zitat von: Groucho am 19. Juli 2016, 12:18:34
Zitat von: zerodivide am 19. Juli 2016, 11:40:28
Wenn jetzt jemand feststellt das die Akkupunkturpunkte dort liegen wo viele Adern sind, dann würde ich in meiner naiven Art erstmal davon ausgehen dass es eher so ist das jemand beim "Verlegen" der Akkupunkturpunkte ungefähr gewusst hat wo die Adern liegen und sie deshalb dorthingelegt hat. Eine spezifische Wirkung an den Punkten lässt sich ja nicht ausmachen.

Es sind eher die Nervenbahnen. Und A. wirkt. Halt leider völlig unspezifisch und im Sinne eines "Gegenschmerzes". Gibt ja das blöde, aber durchaus zutreffende Beispiel, dass man Kopfschmerzen mit einem gezielten Hammerschlag auf den Daumen schlagartig ausschaltet. Oder man sticht halt mit den Nadeln irgendwo hin, wo viele Nerven zu vermuten sind. Ob sowas allerdings noch eine zeitgemäße Therapieform ist, wage ich zu bezweifeln  8)

Wer heilt, hat Recht! 8)
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Typee am 21. Juli 2016, 13:38:50
Zitat von: MrSpock am 21. Juli 2016, 13:14:51
Zitat von: Groucho am 19. Juli 2016, 12:18:34
Zitat von: zerodivide am 19. Juli 2016, 11:40:28
Wenn jetzt jemand feststellt das die Akkupunkturpunkte dort liegen wo viele Adern sind, dann würde ich in meiner naiven Art erstmal davon ausgehen dass es eher so ist das jemand beim "Verlegen" der Akkupunkturpunkte ungefähr gewusst hat wo die Adern liegen und sie deshalb dorthingelegt hat. Eine spezifische Wirkung an den Punkten lässt sich ja nicht ausmachen.

Es sind eher die Nervenbahnen. Und A. wirkt. Halt leider völlig unspezifisch und im Sinne eines "Gegenschmerzes". Gibt ja das blöde, aber durchaus zutreffende Beispiel, dass man Kopfschmerzen mit einem gezielten Hammerschlag auf den Daumen schlagartig ausschaltet. Oder man sticht halt mit den Nadeln irgendwo hin, wo viele Nerven zu vermuten sind. Ob sowas allerdings noch eine zeitgemäße Therapieform ist, wage ich zu bezweifeln  8)

Wer heilt, hat Recht! 8)

Und wer heult, ist eine Memme.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: RächerDerVerderbten am 21. Juli 2016, 20:00:17
Zitat von: Daggi am 19. Juli 2016, 11:37:20

Bei uns im Wiki findet sich was zum Thema:

https://www.psiram.com/ge/index.php/Hartmut_Heine

https://www.psiram.com/ge/index.php/Akupunktur#Angeblicher_Beweis_der_Existenz_von_Akupunkturpunkten

https://www.psiram.com/ge/index.php/Meridian#Nachweisversuch_durch_Fritz-Albert_Popp (sehr peinliche Sache)

dankö

Gabs im "Orient" oder in "Asien" eigentlich mal was Vergleichbares wie die europäische Aufklärung?

Mein Eindruck ist, daß da Religion, Philosophie, und Naturwissenschaften immer noch so einen Klumpatsch darstellen, der leider von zu vielen Europäern (sogar religionsskeptischen) als "Weisheit" interpretiert wird.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Groucho am 21. Juli 2016, 20:10:07
Zitat von: RächerDerVerderbten am 21. Juli 2016, 20:00:17
Gabs im "Orient" oder in "Asien" eigentlich mal was Vergleichbares wie die europäische Aufklärung?

"Asien" und "Orient" sind viel zu weit gefasste Begriffe. Für China zum Einstieg:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/sinologie-china-und-die-aufklaerung-1628345.html (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/sinologie-china-und-die-aufklaerung-1628345.html)
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Peiresc am 21. Juli 2016, 20:25:21
Zitat von: Groucho am 21. Juli 2016, 20:10:07
"Asien" und "Orient" sind viel zu weit gefasste Begriffe. Für China zum Einstieg:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/sinologie-china-und-die-aufklaerung-1628345.html (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/sinologie-china-und-die-aufklaerung-1628345.html)

Öhm,
ZitatOder soll die ,,Kunst der Aufklärung" der alten Propaganda der KP Chinas gegen die Religionen wieder aufhelfen? Die in daoistischen Ritualen und in der Rekonstruktion des Universums unter breiter Beteiligung der Bevölkerung gefeierten Feste voller Ekstase und Selbstvergewisserung sprechen für die Vitalität und die Rationalität lokaler und regionaler Selbstorganisationsstrukturen. Sie sind ein Ausdruck der Freiheit und sichern den Fortbestand einer partizipatorischen Rationalität.

Bei der Aushandlung von Interessen und Vermögenslagen kommt den Göttern und den um sie gestalteten Ritualen häufig eine erheblich wichtigere Steuerungsfunktion zu als den Regelungen der Regierung. Dabei wird nicht die Einsicht ausgeklammert, dass der Mensch nicht Herr seines Schicksals sein kann, sondern wie die Götter ambivalent ist, zerstörend und bewahrend, dass er besessen sein kann, wie die sich selbst kasteienden Medien der daoistischen Tempelrituale, und beherrschend, wie der über Geister und Dämonen gebietende Priester. Leicht wird übersehen, dass solche Rituale und Feste Formen politischer Mitbestimmung, um nicht zu sagen Selbstbestimmung und Partizipation darstellen, die nicht weniger aufgeklärt sind und die vor allem den Menschen nicht weniger in den Mittelpunkt rücken, als dies in der Modernisierung des Westens der Fall war.

"Die in daoistischen Ritualen ...  gefeierten Feste voller Ekstase ... sichern den Fortbestand einer partizipatorischen Rationalität." - Eine Einsicht von fast Walachscher Qualität. Orakel sind wichtiger als Gesetze. Die Worte verschwimmen irgendwie in ihrer Bedeutung.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Groucho am 21. Juli 2016, 21:29:05
Zitat von: Peiresc am 21. Juli 2016, 20:25:21
Öhm,

"Die in daoistischen Ritualen ...  gefeierten Feste voller Ekstase ... sichern den Fortbestand einer partizipatorischen Rationalität." - Eine Einsicht von fast Walachscher Qualität. Orakel sind wichtiger als Gesetze. Die Worte verschwimmen irgendwie in ihrer Bedeutung.

Ich sagte doch, zum Einstieg  8)
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Eumel am 22. Juli 2016, 06:50:44
Zitat von: RächerDerVerderbten am 21. Juli 2016, 20:00:17

Gabs im "Orient" oder in "Asien" eigentlich mal was Vergleichbares wie die europäische Aufklärung?

Mein Eindruck ist, daß da Religion, Philosophie, und Naturwissenschaften immer noch so einen Klumpatsch darstellen, der leider von zu vielen Europäern (sogar religionsskeptischen) als "Weisheit" interpretiert wird.

Hm, ich glaube es geht in dem ganzen Bereich weder im Osten noch im Westen heutzutage um Religion, Glauben oder gar "Wahrheiten". Da geht es ums Geld. TCM ist längst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und die Chinesen wären schön blöd, wenn sie das "uralte Geheimwissen" nicht entsprechend teuer verkaufen würden. Und hier in Europa brauchen die meisten Arztpraxen ihre IGEL-Leistungen fürs Überleben ...
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Peiresc am 22. Juli 2016, 07:43:35
Zitat von: Eumel am 22. Juli 2016, 06:50:44
Und hier in Europa brauchen die meisten Arztpraxen ihre IGEL-Leistungen fürs Überleben ...

Das weiß man nicht.
https://forum.psiram.com/index.php?topic=10904.0
Außer bei Hautärzten, da ist es gerichtlich festgestellt
ZitatAndererseits sind die IGeL-Leistungen offenbar auch eine feste Größe, mit der gerechnet wird, so wie beim Stadtsäckel mit den Knöllchen. Es gab kürzlich ein bezeichnendes Gerichtsurteil auf die Klage eines Hautarztes, er würde im EBM benachteiligt. Er wurde mit der Begründung abgeschmettert, dass Hautärzte ja einen erheblichen Anteil ihrer Einnahmen an der KV vorbei hätten.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Typee am 22. Juli 2016, 08:48:18
Zitat von: RächerDerVerderbten am 21. Juli 2016, 20:00:17

Gabs im "Orient" oder in "Asien" eigentlich mal was Vergleichbares wie die europäische Aufklärung?

Mein Eindruck ist, daß da Religion, Philosophie, und Naturwissenschaften immer noch so einen Klumpatsch darstellen, der leider von zu vielen Europäern (sogar religionsskeptischen) als "Weisheit" interpretiert wird.

Das ist ganz schwer zu vergleichen.  Die "Aufklärung" im europäischen Sinne war eine spezifische reactio zu einer spezifischen actio. Sie fiel nicht vom Himmel, sondern fußte auf rationalen Elementen europäisch-antiker Kulturen und hat von daher ihre besondere Prägung. Und sie ihrerseits war eine Gegenbewegung zu dem Neuplatonismus, der eigentlich auch nur das alte "Abendland" und den vorderen Orient erfasst hatte und die Gedankenwelt des Mittelalters beherrschte.

Gerade in Asien waren die Umstände ganz anders. In den meisten großen asiatischen Kulturräumen - Indien, China, Japan - kannte man keine Schöpfergötter. Die das Kulturleben beherrschenden Religionen kannten wohl Götter, aber nicht als Schöpfergestalten, sondern, wo sie bekannt waren, einfach als Wesen höherer Art, etwa in der Weise, wie Menschen sich von Tieren unterscheiden (der Vergleich ist sehr ungenau, aber er macht verständlich, worum es geht). Folglich gab es auch nicht die Vorstellung von einem "göttlichen Funken", der im Menschen als Gottesgeschöpf fortlebe. Die Zielvorstellung der östlichen Religionen ist die Vervollkommenung unter einem ewigen Sittengesetz. Östliche Religionen sind in ihrem Kern, nicht nur in ihrer Äußerung, Sittenordnungen für die Lebenspraxis.

"Aufklärung" als Paradigmenwechsel in einem besonderen asiatischen Sinn, der sich einer oder mehreren geschichtlichen Epochen zuordnen ließe, hat es in unserem Sinne wohl nie gegeben, durchaus aber immer wieder Anpassungen der sittlichen Anforderungen. Wenn etwas bestimmten Erkenntnismethoden (der "Epistemologie") im Wege stand, waren es dort keine Göttermythen, sondern anerkannte sittliche und rituelle Traditionen.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Eumel am 22. Juli 2016, 09:19:42
Zitat von: Typee am 22. Juli 2016, 08:48:18
Zitat von: RächerDerVerderbten am 21. Juli 2016, 20:00:17

Folglich gab es auch nicht die Vorstellung von einem "göttlichen Funken", der im Menschen als Gottesgeschöpf fortlebe. Die Zielvorstellung der östlichen Religionen ist die Vervollkommenung unter einem ewigen Sittengesetz. Östliche Religionen sind in ihrem Kern, nicht nur in ihrer Äußerung, Sittenordnungen für die Lebenspraxis.


Diesen Satz finde ich sehr interessant! Ich bin leider nicht vom Fach und kann hier daher nur subjektive Eindrücke schildern. Für mich sind die meisten "asiatischen Gesundheitsmethoden" (soweit ich damit zu tun hatte) einfach auch nur das: Anweisungen für eine gesunde Lebensführung, Bewegung, beim Yoga z.B. Körpergefühl, Koordination, auch gesunde Ernährung etc. Das kann man alles brauchen, wenn man einigermaßen gesund älter werden möchte und es ist erst mal nicht falsch. Und Akupunktur - naja, wenn man keine andere Schmerztherapie hat, ist es schon mal ganz gut, wenn es zur Abwechslung "woanders weh tut".

Die asiatischen Leute, die ich getroffen habe, waren alle keine Esoteriker, obwohl sie Begriffe wie "Energie" verwendet haben und damit etwas anderes meinten als das, was man in der wissenschaftlichen Physik darunter versteht. Es könnte aber einfach auch ein "Übersetzungsproblem" sein, wenn in diesem Kontext eher psychische und physische Abläufe so bezeichnet werden. Ich habe mich da sehr schwer getan zu verstehen, was gemeint ist.

Schwierig wird es, wenn das alles von "westlichen Esoterikern" auf der Basis der hier vorherrschenden religiösen Auffassungen und Vorstellungen interpretiert wird. Da wird aus "Energie" dann schnell etwas Mystisches, Religiöses, Göttliches ... Und u.a. da es sich so besser verkauft, wirken diese Vorstellungen natürlich auch wieder in die Ursprungsländer zurück. Oder anders ausgedrückt: Das ist alles nicht mehr, was es mal war und die esoterischen Entwicklungen haben vor allem mit "Osten" und "Asien" nicht mehr viel zu tun - auch wenn die Bezeichnungen der Methoden noch aus diesem Kontext kommt.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Typee am 22. Juli 2016, 09:42:52
Eumel, da ist viel Richtiges dran.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Typee am 22. Juli 2016, 12:42:36
Zitat von: Eumel am 22. Juli 2016, 09:19:42



Die asiatischen Leute, die ich getroffen habe, waren alle keine Esoteriker, obwohl sie Begriffe wie "Energie" verwendet haben und damit etwas anderes meinten als das, was man in der wissenschaftlichen Physik darunter versteht. Es könnte aber einfach auch ein "Übersetzungsproblem" sein, wenn in diesem Kontext eher psychische und physische Abläufe so bezeichnet werden. Ich habe mich da sehr schwer getan zu verstehen, was gemeint ist.

Schwierig wird es, wenn das alles von "westlichen Esoterikern" auf der Basis der hier vorherrschenden religiösen Auffassungen und Vorstellungen interpretiert wird. Da wird aus "Energie" dann schnell etwas Mystisches, Religiöses, Göttliches ... Und u.a. da es sich so besser verkauft, wirken diese Vorstellungen natürlich auch wieder in die Ursprungsländer zurück. Oder anders ausgedrückt: Das ist alles nicht mehr, was es mal war und die esoterischen Entwicklungen haben vor allem mit "Osten" und "Asien" nicht mehr viel zu tun - auch wenn die Bezeichnungen der Methoden noch aus diesem Kontext kommt.

Der westliche Durchschnittsesoteriker bezieht seine Vorstellungen selten oder nie aus ernsthaften Quellen, und durch das Internet ist das nicht besser geworden. Man verlässt sich eben auf Typen, die quasi als "Übersetzer" hausieren gehen und von denen jeder sein eigenes, mehr oder minder kommerzielles Süppchen kocht. Daher kommen die vielen unterschiedlichen und widersprüchlichen Schattierungen dieser Instant-Lehren, wie sie in der westlichen Esoterik gepflegt werden. Eine luzide Betrachtung aus westlicher Perspektive wie Max Webers Religionssoziologie ist in diesen Kreisen praktisch ungelesen. Und Du kannst davon ausgehen, dass sich da niemand die Mühe macht, z.B. die Lehre des Buddha Gautama anhand der relativ authentischsten Texte (ohnehin alle erst lange nach seinem Tode niedergeschrieben) zu studieren und zu verarbeiten - es ist ein zähes Geschäft, das kann ich Dir verraten!

Ein ernstes Verstehen, worum es in den alten Religionen Asiens geht, setzt auch voraus, dass man sich in einen Polytheismus, oder genauer: in einen Polydeismus versetzen kann. Das ist aber etwas, was man eigentlich kaum erlernen kann, wenn man nicht darin großgeworden ist. Es ist wie eine Fremdsprache mit Begriffen für Dinge, die in unserer Umwelt nicht existieren. So entstehen solche Missverständnisse wie jene, die unsere Innenarchitekten Feng Shui nennen. Oder eben "Energie".

Diese "Energie" lässt sich in einem Synonym nicht erschöpfend übersetzen, denn sie entfaltet ihren Sinn erst in einem spezifischen Vorstellungszusammenhang. Natürlich ist nicht eine physikalische Größe gemeint, die man in Joule ausdrückt; aber auch nicht das, was wir als Spannkraft, Lebenskraft oder sonst wie bezeichnen. Man sollte aber auch nicht meinen, es sei einfach nur ein westlich-missverstandenes, rein weltliches Ding mit einem vieldeutigen Namen. Es ist im asiatischen Raum, wo es gebräuchlich ist, durchaus etwas Okkultes. Aber eben nur von einer ganz fremden Seite her zugänglich.

Akupunktur hat in archaischen Zeiten niemand so betrieben, wie das der deutsche Heilpraktiker heute macht. Von wegen Goldnädelchen! Alte bildliche Darstellungen zeigen Werkzeuge, die etwa einer mittleren Hutnadel entsprachen. Ich stelle mir vor, dass die Lehre der Heilkraft der Nadeln aus mehreren Quellen schöpft: die erste ist die einfache physische Ablenkungswirkung einer konkurrierenden Schmerzempfindung; die zweite ist die kulturelle Bedeutung eines unerhörten Eingriffs: da sticht jemand durch die Haut, das muss etwas Bedeutendes sein - eine Variante des Placebo; und die dritte ist die Ritualisierung und Kodifizierung, mit der die Heilkundigenkaste ihr Tun gegen inkompetente Nachahmer absicherte -  so stelle ich mir den Ursprung der diversen "Meridiansysteme" vor.
Titel: Re: Akupunkturmeridiane
Beitrag von: Peiresc am 22. Juli 2016, 16:55:42
Zitat von: Typee am 22. Juli 2016, 12:42:36
Akupunktur hat in archaischen Zeiten niemand so betrieben, wie das der deutsche Heilpraktiker heute macht. Von wegen Goldnädelchen!

Dazu passend:
Zitat[...] Die Nadeln haben neun verschiedene Formen und werden häufig glühend verwendet, und manchmal werden sie für Tage im Körper belassen. Da sie über kein praktisches Wissen über Anatomie verfügen, schieben die Ärzte häufig Nadeln in große Blutgefäße oder wichtige Organe, was mitunter unmittelbare Todesfälle zur Folge hatte. Ein kleines Kind, das ins Krankenrevier gebracht wurde [...]
https://blog.psiram.com/2014/11/tradition-tradition-heute-traditionelle-chinesische-medizin-tcm/