Ich bin vor einer Weile auf einen Gedanken gekommen, vielleicht komplett abwegig:
Hypothese:
Durch das Zölibat wurde über Jahrhunderte dafür gesorgt, dass besonders religiöse Menschen keine Nachkommen bekamen. Sicher gab es Ausnahmen, und auch andere, wie z.B. die jüngeren Kinder von Adeligen wurden gerne der Kirche "geschenkt". Durch diesen evolutionären Druck wurden "weniger spirituelle" Menschen bei der Nachkommenschaft bevorzugt.
Wir müssen daher dem Zölibat dankbar sein, dass wir in einer im Grunde sekulären Gesellschaft leben. :)
Ich bestehe nicht darauf, dass das wahr/korrekt ist. Wäre aber neugierig, ob der Gedanke Sinn macht oder völlig abwegig ist.
Das Zölibat war m.E. eherr eine geniale Idee um den jeweiligen weltlichen Herrschern nicht mit kircheninternen Dynastien in die Quere zu kommen.
Nein, eher nicht. Zunächst aus dem Stegreif: der Zölibat ist um das Jahr 1000 eingeführt worden, da war die katholische Kirche vor dem Höhepunkt ihrer Macht. Innerkirchliche Dynastien hätten den Primat des Papstes bei der Neuvergabe von Bischofssitzen behindert. Das wären Erbsitze ohne reale Einflussmöglichkeit geworden. So wurden sie ausgehandelt, und der lokale Fürst musste Kompromisse machen, um seinen Zweitgeborenen mit einem Sitz zu versorgen. Außerdem stand die Kirche unter Dauerdruck, sich zu reformieren (dutzende Sekten, die die evangelische Armut einklagten). Die Kirche hätte als reines Machtinstrument, ohne jede Rücksicht auf ihre eigene Ideologie, nicht überlebt.
Aber ich glaube nicht wirklich, dass der Zölibat wesentlicher Grund für die Säkularisierung gewesen ist.
Es hat aber auch den Zweitgeborenen die Möglichkeit genommen ihre eigenen Kinder wieder ins erbfolgerennen zu bringen, das System stabilisiert die weltlichen Dynastien ohne die Macht der Kirche als "Glaubensdiktatur" zu gefährden. Ob das nun in einem bestimmten Jahr der Geschichte schon alles so durchdacht war oder sich dieses System in einer evolutionären Art und Weise stabilisiert hat, kann man natürlich diskutieren....
Belbo, hast Du schon mal was von Investiturstreit gehört?
Zitat von: Pelacani am 26. April 2015, 10:50:13
Belbo, hast Du schon mal was von Investiturstreit gehört?
Ja habe ich, warum?.
Nur so.
Zitat von: Pelacani am 26. April 2015, 11:14:58
Nur so.
.....ging's da denn um Die Priesterehe? :angel:
Es ging um die Besetzung der Bischofssitze von Rom aus. Ich habe noch keine Quelle gefunden, die bestätigt, dass der Zölibat eingeführt worden ist, um die weltliche Macht der Fürsten zu stabilisieren.
Ich denke das Problem ist Uralt, wahrscheinlich haben sich da schon der erste Häuptling mit dem ersten Medizinmann gestritten. Der Versuch Echnatons die Verhältnisse zu ändern ist ja z.B. Komplett gescheitert. Meine These ist eben die, dass sich mit einer zölibatären Priesterschaft das System weltliche Herrschaft versus klerikaler Machtanspruch stabilisieren lässt. Das in vielen geschichtlichen Situationen dieses Machtgeflecht zu den unterschiedlichsten politischen Reaktionen geführt hat bestreite ich ja gar nicht. Hast du den schon mal von der Säkularisierung gehört? :teufel
Jedenfalls: es kommt ganz auf den Standpunkt an. Zölibat ist kein Nachteil, sondern ein evolutionärer Vorteil:
ZitatPassend zur Weihnachtszeit gibt es heute drüben bei Abgefischt etwas religionswissenschaftliches: Michael Blume erläutert in seinem Gastbeitrag den Selektionsvorteil des Zölibats.
Leider aber hat sich dieser Beitrag im mörderischen survival of the fittest der Blog-Beiträge evolutionär nicht durchsetzen können: er scheint verschwunden zu sein, was gewisse Zweifel daran zulässt, ob Blume recht hatte. :police:
Blume selbst hatten wir hier schon:
https://forum.psiram.com/index.php?topic=13034.0
https://forum.psiram.com/index.php?topic=13470.0
@ Belbo: Aha.
@Dunkelzahn
Ich habe überlegt, aber mir ist keine Art von Statistik eingefallen, die geeignet wäre, einen solchen Zusammenhang zu nahezulegen oder auszuschließen.
Mit Sicherheit hatte der Zölibat über die Jahrhunderte und Regionen unterschiedliche Bedeutung. Man darf nicht aus heutiger Zeit zurückschließen. Wer heute zölibatärer Priester wird, nun ja, das lässt schon den Verdacht auf mindestens statistisch auffällige Häufungen bestimmter Persönichkeitszzüge zu. Das muss so in der Vergangenheit keineswegs der Fall gewesen sein. Für Arme aber Strebsame z. B. war das die einzige Möglichkeit, zu Bildung und Ansehen zu kommen.
Das Zölibat ist eher eine Theorie denn gelebte Praxis (gewesen).
Ein paar Zahlen:
Geistliche: Bis zu 20% der Bevölkerung, meist viel weniger
http://www.univie.ac.at/monastische_aufklaerung/cms/upload/Didaktische_Materialien/Kirchliche_Orden_im_Mittelalter_und_der_Frhen_Neuzeit.pdf
Es gibt die Hypothese eines "Gottes-Gens" und es gibt auch Studien, die den Einfluss genetischer Präposition für "gläubig" bei ca. 40% ansetzen.
https://en.wikipedia.org/wiki/God_gene
http://www.newscientist.com/article/dn7147-genes-contribute-to-religious-inclination.html
Zitat
Die Durchsetzung des priesterlichen Zölibats wurde nicht nur von der kirchlichen Obrigkeit betrieben, vielmehr verlangte auch das Volk oftmals vorbildliche, unverheiratete Priester. Der von Laien eingeforderte Anspruch an die Kleriker ist im Kontext innerkirchlicher Reformbestrebungen zu sehen, die sich gegen Missstände wie Machtmissbrauch, Ämterkauf und Vetternwirtschaft in der Kirche wendeten. Kritik an der Nichtbeachtung des Zölibats durch die Priester der lateinischen Kirche spielte dementsprechend auch bei den mittelalterlichen Ketzerbewegungen eine Rolle, die donatistische Irrtümer (z. B. die Lombardischen Armen) oder einen leibfeindlichen Dualismus (z. B. die Katharer) vertraten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Z%C3%B6libat#Mittelalter
Da kommt schon ein recht kräftiger selektiver Druck auf die Eigenschaft "gläubig" zusammen. Ich möchte weiters die These äussern, das besonders Gläubige sich eher an die Gebote hielten als Menschen, die "einfach so" zu Priestern wurden. z.B. junge Adelige, die in die Rolle gezwungen wurden. ;)
@Belbo: Die Zielsetzung des Zölibats ist für meine Überlegungen irrelevant. Der Wunsch, damit evolutionären Druck auszuüben hat mit Sicherheit keine Rolle bei der Implementierung gespielt.
Dieses "Gottesgen" scheint mir auf etwas wackligen Füssen zu stehen und wenn Religiosität nicht vererbbar ist bricht ja die gesamte Theorie zusammen.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/genetik-ein-gen-als-quelle-des-glaubens-1196300.html
Schwärzung von mir
ZitatAuch der Rezensent der Fachzeitschrift ,,Scientific American" ist der Ansicht, Hamer habe sich und der Wissenschaft keinen guten Dienst mit seinem populärwissenschaftlichen Werk erwiesen. Er wirft dem Verhaltensgenetiker, der sich selbst als ,,Hardcore-Wissenschaftler" bezeichnet, vor, voreilige Schlüsse zu ziehen und mehr zu spekulieren, als tatsächlich zu beweisen. Das gelte vor allem für Hamers Annahme, daß Glaube womöglich sogar ein evolutionärer Vorteil sei. Bei den Kritikern weckt das Gottes-Gen-Projekt zudem Erinnerungen an die ,,Schwulen-Gene", die Hamer 1993 entdeckt haben wollte. Auch damit erregte der Biochemiker erhebliches Aufsehen. Am Ende behielten freilich die Skeptiker recht, denn Hamers vermeintlich sensationelle Entdeckung sexualitätsbestimmender Gene hielt wissenschaftlicher Nachprüfung nicht stand.
Zumal ja dann im Umkehrschluss, in nichtzölibatären bzw. nichtreligiösen Gemeinschaften ein höheres Mass an Glaubensbereitschaft zu beobachten sein müsste, mir fällt da auf anhieb kein Beispiel ein.
Zitat von: Dunkelzahn am 27. April 2015, 11:16:15
Geistliche: Bis zu 20% der Bevölkerung, meist viel weniger
http://www.univie.ac.at/monastische_aufklaerung/cms/upload/Didaktische_Materialien/Kirchliche_Orden_im_Mittelalter_und_der_Frhen_Neuzeit.pdf
Das spricht sogar gegen Deine These. Im Byzanz der Spätantike waren diese Zahlen eher noch höher, und das hat keineswegs über die Jahrhunderte zu einem geringeren Fanatismus geführt.
ZitatGod gene
Eine griffige Vereinfachung, um Gelder zu aquirieren
Zitathttp://www.newscientist.com/article/dn7147-genes-contribute-to-religious-inclination.html
Was die referierte Studie angeht, als allererster Eindruck: die höhere Konkordanz eineiiger Zwillinge gegenüber zweieiigen gibt es für so gut wie alle psychischen Phänomene, die jemals untersucht worden sind – behaupte ich jetzt einfach mal. Viel Staat kann man damit nicht machen, v. a. sicher nicht direkt Selektionsvor- oder nachteile ableiten. Es gab mal eine empirische Arbeit, die versucht hat zu belegen, dass sich das Christentum durchgesetzt habe, weil die christliche Barmherzigkeit zu einer höheren Überlebenschance christlicher Kinder geführt habe.
Zitatreligious inclination
Da wäre für mich als erstes interessant, was darunter genau verstanden worden ist. Natürlich kann man sich vorstellen, dass bestimmte kognitive Modi oder Verarbeitungsweisen genetischen Einflüssen unterliegen, aber für Inhalte: da würde ich zweifeln.
ZitatDa kommt schon ein recht kräftiger selektiver Druck auf die Eigenschaft "gläubig" zusammen.
Es gibt mit großer Sicherheit keine
Entität ,,gläubig", und schon gar nicht als Konstanz über die Jahrtausende. Darunter muss man immer wieder etwas anderes verstehen.
edit, und aus dem Wikipedia-Zitat:
ZitatKritik an der Nichtbeachtung des Zölibats durch die Priester der lateinischen Kirche spielte dementsprechend auch bei den mittelalterlichen Ketzerbewegungen eine Rolle, die donatistische Irrtümer (z. B. die Lombardischen Armen) oder einen leibfeindlichen Dualismus (z. B. die Katharer) vertraten.
Das mit den "Irrtümern" ist dem Autor durchgeschlüpft, es verrät seine Ausgangsbasis. :grins2: