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Begonnen von DerKeks, 25. Juni 2010, 04:47:17

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Wolleren

Selbst wenn man Singers Ethik ok findet (Tooticki hat ja immerhin eine philosophische Begründung dafür geliefert), ist Singer trotzdem noch sehr gut in unserem Wiki aufgehoben. Die Auswirkungen seines Räsonnierens bilden da die Relevanz.

Galadriel

Bisher steht im Singer-Artikel die Aussage, dass er "nur" schwer behinderten Säuglingen das Recht auf Leben abspricht. Im Wikipedia-Artikel ist in diesem Zusammenhang vom Beispiel der Anenzephalie die Rede, bei der das Kind aber ohnehin nicht überlebensfähig ist. Das ist in solchen Extremfällen m. E. noch eher nachvollziehbar als Singers Aussage aus dem Spiegelartikel, dass seiner Meinung nach jeder Säugling bis zum 28. Lebenstag von den Eltern getötet werden dürfte. Abhängig macht er dies von den vorhandenen oder nicht vorhandenen Gefühlen der Eltern für ihr Kind und vom Wohlstand der Gesellschaft, in der es lebt, bzw. ob andere Menschen den unerwünschten Säugling gerne aufnehmen würden. In armen Ländern, wo willige Adoptiveltern fehlen, spricht folglich aus seiner Sicht nichts gegen die Tötung eines ungewollten Säuglings.

Ich schlage vor, um die Auswirkungen seiner Argumentation noch etwas deutlicher zu machen, zusätzlich auch diese Aussage mit hineinzunehmen.

Ein Fehlschluss in Singers Begründungen ist beispielsweise, dass er die zu erwartende Weiterentwicklung eines Fötus bzw. eines Säuglings hin zu einem Menschen, der sich seiner selbst bewusst ist, außen vor lässt. Entsprechendes gilt z.B. für Wachkomapatienten, bei denen außerdem noch nicht ganz geklärt ist, inwieweit sie auch in ihrem derzeitigen Zustand wahrnehmen können, was mit ihnen geschieht.
Ergänzung: Er spricht von den Interessen der Tiere, was ist mit den Interessen dieser Menschen? Hat eine Ratte mehr Interesse daran zu überleben als ein zwei Wochen alter Säugling? Nur weil dieser sein Interesse noch nicht so artikulieren kann, dass Singer ihm Glauben schenkt?

Bezeichnend ist auch diese Aussage:
ZitatSinger: Aber da gibt es wesentliche Unterschiede zu dem, was ich sage. Viele der damals Ermordeten besaßen durchaus Selbstbewusstsein. Außerdem wurden damals die Eltern nicht informiert. Vor allem aber war die Motivation eine ganz andere. Damals wollte man degeneriertes Leben, nutzlose Menschen aussortieren. Ich plädiere nicht dafür, dass der Staat die Entscheidung fällt, sondern die Eltern ...

Der Staat darf also nicht zwischen nützlich und nutzlos unterscheiden, die Eltern hingegen sehr wohl? Die dürfen aussortieren, was sie für unwerten "Ballast" halten? Wo soll da der entscheidende Unterschied liegen?

Conni

Auch die Ansichten zu den Tierrechten sind fragwürdig.

Es ist ein wesentlicher Unterschied dazwischen, wenn man die Ratten (durchaus intelligente Wesen) in seinem Keller bekämpft oder wenn man seinen Nachbarn, der Ausländer ist, bedroht.

Weiterhin entstehen einige groteske Situationen:

Prinzipiell wird jede ökolog. Nische besiedelt und manche ist nicht unbedingt so beschaffen, dass die Tiere dort nicht leiden. Muss man dann als Mensch z.B. die leidende Stadttauben (der Körnerfresser Taube nimmt haufenweise ungeeignete Nahrung auf) noch füttern und zum Tierarzt bringen, obwohl die schon so haufenweise Schaden anrichten?

Weiterhin vermehrt sich eine Art in ihrem Lebensraum so lange, bis die Umweltkapazität erreicht ist. Die ist gekennzeichnet durch einen oder mehrere limitierende Faktor(en), oft ist das die Nahrung. Oft brechen auch Seuchen aus. Folge: die Geburtenrate sinkt, die Sterblichkeit steigt, die Population pendelt sich auf die Umweltkapzität ein, aber die Tiere leiden dabei. Das passiert in der Savanne ebenso wie in meinem Keller mit den Ratten. Was tun? Die Viecher füttern?

Fakt ist: Leben ohne Leid gibt es nicht. Auch die freie Natur ist voller Leiden, auch völlig ohne Menschen.


Tooticki

Ich verstehe zwar nicht, weshalb Singer der praktizierten Moral eine naturalistische Begründung unterschieben soll, wenn er sie auf die Achtung von Interessen zurückführt, aber wenn das jemand genauer formulieren kann, könntet ihr dieses Argument doch in den Kritik-Abschnitt im Artikel zu Singer aufnehmen. Das wäre dann m.E. eine tatsächliche Kritik, im Gegensatz zum Aneinanderreihen von Zitaten, bei denen man auf Empörung rechnen kann.

Das von mir ausgewählte Zitat war im Artikel übrigens nicht als wertungsfreie Wiedergabe von Singers Position gemeint, sondern als Kritikpunkt. Steht jedenfalls im Kritik-Abschnitt.

ZitatKümmern sich Ratten eigentlich um meine Interessen? Die Zuweisung von Rechten heißt auch, dass der andere Part meine Rechte ebenfalls achtet.

Nein, heißt es nicht. Ich hatte doch schon in meinem ersten Post was zu Reziprozität und asymetrischer Anerkennung geschrieben.

Zitatdie idee der menschenrechte ist ein produkt der aufklärung und eben gerade nicht von irgendwelchen religionen. sie drückt nicht den wert der menschen verglichen mit anderen lebenswesen aus, sondern den (gleichen) wert der menschen im verhältnis zu anderen und ihre stellung gegenüber dem staat. historisch gehört das zur entwicklung von republik, nation, demokratie , rechtsstaat und wohl auch kapitalismus und damit zur durchsetzung einer neuen gesellschaftsform, gerade in europa gegen die vorher dominante stellung der religion.

Die historische Herkunft war mir auch klar, die Aufklärung war aber keineswegs areligiös. Ebensowenig versteht es sich von selbst, Menschen oder anderen Lebewesen Wert und dann auch noch gleichen Wert zuzusprechen. Dafür gibt es eine Menge Erklärungen/Begründungen, z.B. die metaphysisch-aufklärerische, die aus der Teilhabe an der Vernunft eine Würde im Sinne eines absoluten Wertes ableitet (damit auch gegenüber anderen Lebewesen!) und die bis heute etwa in den Grundgesetzkommentaren verwendet wird. (Womit ich kein Problem habe.) Singer führt das Zusprechen moralischen Wertes eben auf die Achtung vor Interessen zurück, weist daraufhin, dass der Adressatenkreis kontinuierlich ausgeweitet wurde (Frauen, Juden, Afrikaner...), und dass nun die Ausweitung auf nichtmenschliche Lebewesen überfällig ist. Die These, Singer baue dabei einen Strohmann auf, ist natürlich eine akzeptable Kritik und sollte mit Begründung in den Artikel aufgenommen werden.

Zitater unterstellt den antropozentrischen ethiken eine begründung, welche nur in seiner fantasie existiert. er verlangt dann eine anwendung dieser erfundenen begründung auf tiere aus gleichbehandlungsgrundsätzen, wobei er alle nicht ganz unwesentlichen unterschiede zwische tieren und menschen ignoriert. er blendet völlig aus, dass ethik und moral gesellschaftliche regeln sind/sein wollen. sein "utilitarismus" ist eine karrikatur dessen, was sonst unter diesem begriff vertreten wird.

Ich meine zwar, diese Behauptungen sind falsch, aber vielleicht kannst du sie weiter ausformulieren und ebenfalls in den Kritik-Abschnitt stellen? Das wäre für die Leserschaft sicherlich hilfreich, um zu verstehen, weshalb Singers Ethik hier als irrational klassifiziert wird.

Zitatdie zugehörigkeit zur menschlichen gesellschaft scheint mir das einzig praktisch relevante kriterium zu sein, wenn es um die frage der anwendbarkeit der regeln dieser gesellschaft geht, zu denen auch ethik und moral gehören. ich wüsste nicht, was daran naturalistisch ist und mir ist auch unklar, wieso du gesellschaftzugehörigkeit und spezieszugehörigkeit durcheinander schmeisst.

Gesellschafts- und Spezieszugehörigkeit wollte ich nicht vermengen, da hatte ich mich missverständlich ausgedrückt.
Die Zugehörigkeit zur menschlichen Gesellschaft ist eine bloße Tatsache. Wenn man fordert, dass diese Tatsache ausschlaggebend für die moralische Berücksichtigung sein soll, wird von einer Tatsache (Sein) auf einen Wert (Sollen) geschlossen. Das bezeichnet man als naturalistischen Fehlschluss.
Aus dem Status von Moral als gesellschaftlichem Regelsystem folgt auch nicht, dass sie sich nur auf Menschen bezieht. (Menge der Moralsubjekte ist nicht nicht notwendig identisch mit der Menge der Moralobjekte.) Auch wer Tierrechte nicht akzeptiert (und ich halte den Gedanken des Innehabens von Rechten bei Tieren selbst für problematisch), kann annehmen, dass er moralische Verpflichtungen gegenüber bspw. Tieren hat. Umgekehrt ist es übrigens gar nicht einfach zu begründen, weshalb Menschen, die an gesellschaftlicher Praxis nicht teilnehmen können, trotzdem gleiche moralische Berücksichtigung erfahren sollen (Komatöse, Kleinkinder, Embryonen usw.). Das nur als Fußnote. Würde mich jedenfalls freuen, wenn die Kritik an Singer im Artikel konkretisert werden würde.

Conni

ZitatAuch wer Tierrechte nicht akzeptiert (und ich halte den Gedanken des Innehabens von Rechten bei Tieren selbst für problematisch), kann annehmen, dass er moralische Verpflichtungen gegenüber bspw. Tieren hat.

Natürlich hat man Verantwortung gegenüber den Tieren, mit denen man zu tun hat. (der Begriff moralische Verpflichtung geht mir zu weit, der ist zu anthropozentrisch). 

ZitatUmgekehrt ist es übrigens gar nicht einfach zu begründen, weshalb Menschen, die an gesellschaftlicher Praxis nicht teilnehmen können, trotzdem gleiche moralische Berücksichtigung erfahren sollen (Komatöse, Kleinkinder, Embryonen usw.). Das nur als Fußnote. Würde mich jedenfalls freuen, wenn die Kritik an Singer im Artikel konkretisert werden würde.

Wo ziehst Du da die Grenze? Ein Komatöser kann wieder aufwachen und Kleinkinder (sic!) werden erwachsen. Es sind Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, die sogar besonders verletzlich und schutzbedürftig sind.

Aber wieso es nicht einfach ist, eine moralische Berücksichtigung einens Kleinkindes zu fordern, musst Du mir mal genauer erklären, da fehlen mir momentan echt die Worte...

Ebenso könnte man auch die Nestlinge eines Graupapageien (Nesthocker)  gegenüber einem Altvogel als minderwertig betrachten.....Wieso werden eigentlich Vogelnester vor Zerstörung geschützt?

Einfach irre!


Tooticki

Nicht aufregen, ich habe doch nicht behauptet, gegen die gleiche Berücksichtigung von Menschen zu sein. Ich sagte nur, die Begründung ist nicht einfach. Die Frage ist ja gerade, ob die Zugehörigkeit zur menschlichen Gemeinschaft gleichen moralischen Status verleiht, weshalb sie das tun soll und wer zur Gemeinschaft gehört. Wo die Grenze gezogen wird, ist abhängig von der Moralbegründung. Wenn man als Moralkriterium auf dem empirischen Vorliegen von z.B. Interessen beharrt, kann man verbrauchende Embryonenforschung legitimieren, andererseits fallen dann sehr schnell Komatöse mit schlechter Genesungsaussicht ebenfalls aus dem Rahmen der moralischen Berücksichtigung raus. Wenn man hingegen sagt, es gehe nur um das Potential, bestimmte moralrelevante Eigenschaften auszubilden, hat man Neugeborene und Komatöse im moralischen Rahmen drin, muss aber vermutlich Abtreibung ausschließen, weil dann überhaupt keine Abstufung der Berücksichtigung von Menschen mehr möglich ist. (katholische Position: Menschen = von Menschen abstammende Organismen.) Und und und.
Das alles betrifft aber den Singer-Artikel nur indirekt. Mir ging es ja nur um den Vorschlag, theoriebezogene Kritik statt Zitate einzubauen, und dazu wollte ich nur zeigen, dass man eine Moraltheorie bitteschön theoretisch ernstzunehmen hat, auch wenn man sie nicht mag.

Galadriel

ZitatNatürlich hat man Verantwortung gegenüber den Tieren, mit denen man zu tun hat.

@ Conni, da würde ich schon noch einen Schritt weiter gehen und sagen, man hat auch die Verantwortung, das Artensterben einzudämmen etc., also nicht nur gegenüber den Tieren, mit denen man unmittelbar zu tun hat, sondern generell gegenüber der Fauna und auch der Flora insgesamt.

Ansonsten stimme ich Dir selbstverständlich zu.

@ Tooticki
Ein Kernproblem scheint mir, dass aufgrund von Singers Theorien viele Menschen vernünftigen Tierschutz unvernünftig überhöhen.
Dass man Tiere nicht unnötig leiden lassen sollte, unterschreiben wohl alle, die hier im Thread geschrieben haben. Davon aber ableiten zu wollen, dass man eine Rattenplage nicht bekämpfen darf, ist unvernünftig. Es sei denn, man wünscht sich die Pestepidemien zurück.

Und warum Vogelbabys oder Robbenbabys oder sonstige Tierbabys schützenswerter sein sollten als Menschenbabys begreife auch ich nicht.
Das einzige Argument, das mir hier noch logisch erschiene, wäre eines, das darauf abzielt, dass manche Tierarten vom Aussterben bedroht sind der Mensch aber nicht. Doch dem könnte man entgegenhalten, dass es eben so ist, dass manche Arten sterben und andere überleben, während weitere neu entstehen.

Aber dass einem die eigene Art näher steht als als andere Arten gehört ebenso zur Natur dazu. Tiere interessieren sich ebenfalls vor allem um den Erhalt der eigenen Art. Andere Arten schützen sie nur um das eigene Überleben dadurch zu sichern. Aber nicht aus rationaler Überlegung oder aus ethischen Gründen, sondern weil die Evolution dafür sorgt, dass in einigen Fällen diejenigen, die mit anderen Arten kooperierten, besser überlebt haben als diejenigen, die dies nicht taten. Der Mensch ist ebenso ein Tier und handelt von Prinzip her nicht anders. Er hat jedoch darüberhinaus die Möglichkeit, zu begreifen, dass Artenvielfalt erhaltenswert ist und dementsprechend zu handeln. Und er ist imstande, mitzufühlen und fremdes Leid, auch das anderer Tierarten zu erkennen. Darum sollte er sich bemühen, es zu vermeiden. Das bedeutet aber nicht, dass er jedes Tier auf dieser Erde vor jeglichem Leid bewahren müsste. Auch Menschen werden nicht vor jeglichem Leid bewahrt. Und ein Kleinkind, ein Säugling, ein Komatöser usw. können ebenfalls leiden, auch sie empfinden Schmerz. Und ihnen zu unterstellen, sie empfänden kein Glück, ist durch nichts zu belegen. Selbst Embryonen empfinden Schmerzen, haben also ebenfalls eigene Interessen.

http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.47.3227

Man muss also vernünftigerweise eine Balance herstellen zwischen den Interessen der Menschen und den Interessen der Tiere. Aber man kann nicht die Interessen von Tieren generell höher stellen als die von Menschen und man kann auch nicht jedes Interesse eines jeden Tieres auf die gleiche Stufe eines entsprechenden Interesses von Menschen stellen. Zumal die Interessen der Tiere diesen ebenfalls oft nur unterstellt werden.  Das Interesse eines Menschen, sich durch Kleidung zu wärmen ist schwerwiegender als das Interesse eines Schafes, nicht geschoren zu werden. Selbstverständlich sollte das Schaf dabei nicht gequält werden, auch ich bin für artgerechte Tierhaltung, aber ein Schaf überhaupt nicht halten zu dürfen ist absurd. Dem Schaf ist es prinzipiell egal ob es in der Natur herumstreunt mit der Gefahr, irgendwo in einen Abgrund zu stürzen und an einem Beinbruch zu verrecken oder ob es vom Schäfer beschützt auf einer Weide grast. Hauptsache, seine grundlegenden Bedürfnisse werden erfüllt.

Tooticki

@ Galadriel

ZitatEin Kernproblem scheint mir, dass aufgrund von Singers Theorien viele Menschen vernünftigen Tierschutz unvernünftig überhöhen.

Na ja, es ging eher darum, was warum als vernünftig zu bezeichnen ist. Ich bin auch kein Singer-Experte, aber soweit mir bekannt, folgt aus seinen Arbeiten nicht, dass man andere Arten grundsätzlich höher wertet als die eigene, und es folgt auch nicht, dass man eine Rattenplage nicht bekämpfen darf. Wen das näher interessiert, der kann ja Singers "Praktische Ethik" lesen, ist immerhin ein Klassiker der modernen Philosophie. Dass für Singer ein ausgewachsener Schimpanse wertvoller ist als ein menschlicher Embryo oder ein Neugeborenes, kommt daher, dass es ihm um das empirische Vorliegen moralrelevanter Eigenschaften (Empfindungsfähigkeit, Interessen) geht und nicht um die noch zu entwickelnden Anlagen. Der Schimpanse "kann" momentan mehr als der neugeborene Mensch und wäre deshalb nach Singer im Konfliktfall zu bevorzugen. Andererseits haben dann auch schon größere Kinder größeres moralisches Gewicht als ausgewachsene Schimpansen.
Kann man ja auch alles kritisieren, aber eben mit Argumenten und nicht mit Zitaten, die irgendwie kontraintuitiv erscheinen. Nur darum ging es mir, nicht um eine grundsätzliche Verteidigung Singers.

PS: Welche Verhaltensweisen von uns und von Tieren evolutionär begünstigt wurden, ist in moralischen Fragen übrigens unerheblich. Was Tiere machen, kann uns egal sein, weil wir uns hierbei in einem Raum von Gründen und Zwecken, nicht von Instinkten bewegen. Moralische Normen erfordern Argumente, und die bekommen wir nicht, indem wir das Verhalten von Tieren beobachten. Selbst wenn wir evolutionär auf das Vorbringen bestimmter Argumente getrimmt wären, bliebe die Frage bestehen, ob es sich um gute Argumente handelt.

Galadriel

ZitatIch bin auch kein Singer-Experte, aber soweit mir bekannt, folgt aus seinen Arbeiten nicht, dass man andere Arten grundsätzlich höher wertet als die eigene, und es folgt auch nicht, dass man eine Rattenplage nicht bekämpfen darf.

Die Tierrechtsverfechter scheinen diese Folgerungen aber durchaus daraus abzuleiten, denn sie berufen sich ja auf ihn.

ZitatWelche Verhaltensweisen von uns und von Tieren evolutionär begünstigt wurden, ist in moralischen Fragen übrigens unerheblich.

Nicht, wenn die Moral mit biologischen Aspekten begründet wird, was hier doch offenbar der Fall ist.

Auch ein Säugling hat, wie ich darlegte, moralrelevante Eigenschaften (Empfindungsfähigkeit, Interessen). Ich sehe keinen überzeugenden grund, sie ihm abzusprechen.

Sorry, aber auch ich finde deine Argumentationsweise widersprüchlich. Und mir fehlt leider die Zeit, Singers Werke im Original zu lesen. Sein Interview zeigt mir eigentlich schon deutlich genug, dass ein Artikel zu ihm berechtigt ist, denn ich finde seine Aussagen schon in diesem einen Interview durchaus irrational. Da brauche ich mich nicht noch durch ein ganzes Buch von ihm zu quälen, denn ich habe den Artikel ja nicht geschrieben und ich habe auch nicht vor, zu einem Singer-Experten zu werden.
Da Du ihn gelesen hast und zustimmst, dass Kritik an sienen Aussagen grundsätzlich durchaus angebracht ist - wie wäre es, wenn Du selbst eine Verbesserung der Kritik an ihm vorformulierst und hier zur Diskussion stellst?


rincewind

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 20:54:20
Dass für Singer ein ausgewachsener Schimpanse wertvoller ist als ein menschlicher Embryo oder ein Neugeborenes, kommt daher, dass es ihm um das empirische Vorliegen moralrelevanter Eigenschaften (Empfindungsfähigkeit, Interessen) geht und nicht um die noch zu entwickelnden Anlagen. Der Schimpanse "kann" momentan mehr als der neugeborene Mensch und wäre deshalb nach Singer im Konfliktfall zu bevorzugen.

ann mal konkret:
Wenn mir Herr Singer glaubhaft versichern könnte, dass er z.B. als Vater eines Säuglings z.B. einen ausgewachsenen Löwen (kann mehr, hat legitimes Interesse seinen Hunger zu stillen) sein Kind fressen lässt, obwohl er ihn z.B. erschießen könnte, dann nähme ich ihn ernst. So betrachte ich seine Äußerungen nicht als Philosophie, sondern Hirnwixerei, sorry.

pünktchen

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43Ich verstehe zwar nicht, weshalb Singer der praktizierten Moral eine naturalistische Begründung unterschieben soll, wenn er sie auf die Achtung von Interessen zurückführt,

weil er meint, interessen von menschen würden schlicht beachtet, weil sie existieren. damit unterstellt er eine naturalistische begründung, welche er auch bei tieren angewandt sehen möchte. ich vermute mal, weil den technischen kunstgriff des utilitaristischen kalküls mit seiner begründung verwechselt (und weil es ihm in den kram passt, s.o.).

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43
ZitatKümmern sich Ratten eigentlich um meine Interessen? Die Zuweisung von Rechten heißt auch, dass der andere Part meine Rechte ebenfalls achtet.

Nein, heißt es nicht. Ich hatte doch schon in meinem ersten Post was zu Reziprozität und asymetrischer Anerkennung geschrieben.

was falsch war, denn alle menschen müssen meine rechte achten. wenn sie dazu selbst geistig nicht in der lage sind, erledigt das ihr vormund für sie. du kannst aber nicht alle tiere unter vormundschaft stellen (das würde sich auch mit der idee der tierrechte beissen).

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43die Aufklärung war aber keineswegs areligiös.

allemal areligiöser als die ganze tierrechtsszene. wobei man auch die damals geltende gesetzeslage berücksichtigen muss, welche atheisten im allgemeinen nicht sonderlich freundlich gesinnt war.

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43Ebensowenig versteht es sich von selbst, Menschen oder anderen Lebewesen Wert und dann auch noch gleichen Wert zuzusprechen.

nein, natürlich nicht. man muss ihnen übrigens meines erachtens überhaupt keinen "wert" zuweisen, um die idee der menschenrechte zu begründen.

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43Dafür gibt es eine Menge Erklärungen/Begründungen, z.B. die metaphysisch-aufklärerische, die aus der Teilhabe an der Vernunft eine Würde im Sinne eines absoluten Wertes ableitet (damit auch gegenüber anderen Lebewesen!)

damit habe ich eben deshalb ein logisches problem: was soll das sein, diese würde, die unabhängig von den gesellschaftlichen zuständen existiert? für mich hat "würde" nur einen sinn, wenn man sie auf anspruch auf respekt durch seine mitmenschen versteht.

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43und die bis heute etwa in den Grundgesetzkommentaren verwendet wird. (Womit ich kein Problem habe.) Singer führt das Zusprechen moralischen Wertes eben auf die Achtung vor Interessen zurück,

er spricht meines erachtens nicht von "moralischen wert", sondern von moralischer berücksichtigung. das scheinen mir völlig verschiedenen konzepte zu sein.

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43weist daraufhin, dass der Adressatenkreis kontinuierlich ausgeweitet wurde (Frauen, Juden, Afrikaner...), und dass nun die Ausweitung auf nichtmenschliche Lebewesen überfällig ist.

das ist ein unzulässiges analogieargument, und zwar wieder ein nicht besonders originelles. weil man menschen inzwischen gleicher behandelt, muss man auch tiere gleicher behandeln? wo ist da bitte der zusammenhang?

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43Die Zugehörigkeit zur menschlichen Gesellschaft ist eine bloße Tatsache. Wenn man fordert, dass diese Tatsache ausschlaggebend für die moralische Berücksichtigung sein soll, wird von einer Tatsache (Sein) auf einen Wert (Sollen) geschlossen. Das bezeichnet man als naturalistischen Fehlschluss.

die zugehörigkeit zur menschlichen gesellschaft ist keine natürliche tatsache, sondern eine entscheidung deiner mitmenschen, dass sie dich mitspielen lassen. die forderung nach berücksichtigung deiner interessen ergibt sich daraus auch nicht direkt, sondern ist ein ergebnis des nachdenken über regeln zum gedeihlichen zusammenleben in dieser gesellschaft.

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43Aus dem Status von Moral als gesellschaftlichem Regelsystem folgt auch nicht, dass sie sich nur auf Menschen bezieht. (Menge der Moralsubjekte ist nicht nicht notwendig identisch mit der Menge der Moralobjekte.) Auch wer Tierrechte nicht akzeptiert (und ich halte den Gedanken des Innehabens von Rechten bei Tieren selbst für problematisch), kann annehmen, dass er moralische Verpflichtungen gegenüber bspw. Tieren hat.

das ist prinzipiell richtig, allerdings sind das wohl eher randerscheinungen der moral. ich würde auch vermuten, dass man alle moralischen verpflichtungen gegenüber nichtmenschen als indirekte moralische verpflichtung gegenüber menschen verstehen kann. kurz: gotteslästerung wird nicht bestraft, weil gott sauer ist, sondern weil die gläubigen sauer sind. tierquäler werden nicht wegen der tiere bestraft, sondern wegen der mitleidenden menschen etc..

Zitat von: Tooticki am 01. Juli 2010, 18:32:43Umgekehrt ist es übrigens gar nicht einfach zu begründen, weshalb Menschen, die an gesellschaftlicher Praxis nicht teilnehmen können, trotzdem gleiche moralische Berücksichtigung erfahren sollen (Komatöse, Kleinkinder, Embryonen usw.).

weil alle menschen mal embryos und kleinkinder waren und alle mal komatös sein könnten. oder anders gesagt: in ersteren schützen wir die zukunft unserer gesellschaft und unsere rentenbezüge, in letzteren unsere persönliche zukunft. tiere hingegen waren wir nie und werden wir auch nie sein.

Zitatmoralrelevanter Eigenschaften (Empfindungsfähigkeit, Interessen)

schon diese grundannahme hat er meiner erinnerung nach (lang, lang ist es her) nicht hinreichend begründet.

ganz allgemein scheint mir seine argumentationsweise immer auf das verhalten einzelner personen gegenüber einzelnen personen abzustellen, was mir die gesellschaftlichkeit ethischer regeln (und damit auch die notwendigkeit der praktikabilität) zu ignorieren scheint.

Conni

Zitat@ Conni, da würde ich schon noch einen Schritt weiter gehen und sagen, man hat auch die Verantwortung, das Artensterben einzudämmen etc., also nicht nur gegenüber den Tieren, mit denen man unmittelbar zu tun hat, sondern generell gegenüber der Fauna und auch der Flora insgesamt.

Das ist selbstverständlich und Bestandteil meiner Aussage.

Galadriel

@ Conni, das habe ich mir gedacht, aber da manche Leser einem ja gerne mal das Wort im Munde verdrehen, wollte ich es vorsichtshalber betonen, damit keine Missverständnisse aufkommen.  :)

Tooticki


@ pünktchen

Das gehört eigentlich schon nicht mehr zum Singer-Thema, aber weil du gefragt hast...

Zitatwas soll das sein, diese würde, die unabhängig von den gesellschaftlichen zuständen existiert? für mich hat "würde" nur einen sinn, wenn man sie auf anspruch auf respekt durch seine mitmenschen versteht.

Würde kann nicht im Anspruch auf Respekt bestehen, weil der Anspruch auf Respekt begründet werden muss. Das kann über eine Würde erfolgen, die, wie gesagt, seit spätestens der Aufklärung explizit in der Vernunftbegabung/im Personsein gesehen wird. Dass Vernunftbegabung als Grund für Respekt (bzw. Achtung) gilt, versteht sich allerdings nicht von selbst und ist nicht nur m.E. originär christlich motiviert. (Bei Interesse: Theo Kobusch: "Die Entdeckung der Person.") Insofern wird Würde zwar in sozialen Bezügen anerkannt, aber nicht verliehen und ist nicht mit der Achtung identisch.

Zitat
die zugehörigkeit zur menschlichen gesellschaft ist keine natürliche tatsache, sondern eine entscheidung deiner mitmenschen, dass sie dich mitspielen lassen. die forderung nach berücksichtigung deiner interessen ergibt sich daraus auch nicht direkt, sondern ist ein ergebnis des nachdenken über regeln zum gedeihlichen zusammenleben in dieser gesellschaft.
"Natürlich" ist diese Zugehörigkeit keine "natürliche" Tatsache, aber wer in welchem Maße mitspielen darf, setzt bereits einen moralischen normativen Begriff vom Menschen voraus, der sich z.B. auf eine Achtung vor Interessen oder vor einem Status als Vernunftwesen rekonstruieren lässt. Du setzt immer voraus, bei Moral gehe es nur um gedeihliches Zusammenleben von Menschen, und was gedeihlich sei, scheint für dich auch schon immer festzustehen und muss nur hinreichend reflektiert werden. Das sind in beiden Fällen unbegründete Vorannahmen.

Die asymetrische Anerkennung innerhalb der menschlichen Gesellschaft verstehst du als gerechtfertigt,
Zitatweil alle menschen mal embryos und kleinkinder waren und alle mal komatös sein könnten. oder anders gesagt: in ersteren schützen wir die zukunft unserer gesellschaft und unsere rentenbezüge, in letzteren unsere persönliche zukunft. tiere hingegen waren wir nie und werden wir auch nie sein.

Das ist ein sehr instrumentalistisches Moralverständnis. Letztlich geht es dann im Umgang mit anderen immer nur um mich. ("Hätte mir auch passieren können.") Ich hoffe, du weißt, dass eine solche Auffassung nicht weniger umstritten ist als ein metaphysisches Würdeverständnis oder Singers Moralrekonstruktion. Jedenfalls widerspricht die instrumentalistische Moralrekonstruktion dem tatsächlichen moralischen Erleben, denn wir meinen ja, es gebe tatsächliche Verpflichtungen gegenüber z.B. Mitmenschen, d.h. um ihrer selbst willen, und nicht nur weil ich selbst auf bestimmte Art und Weise behandelt werden möchte. Aus einem Wertbezug der Moral kommt man im instrumentalistischen Paradigma ebenfalls nicht heraus: Menschen haben dann nur instrumentellen Wert, wohingegen metaphysische Würdekonzeptionen und sogar noch Singer von einem Eigenwert ausgehen können.

Zur Auweitung des Adressatenkreises:
Zitatdas ist ein unzulässiges analogieargument, und zwar wieder ein nicht besonders originelles. weil man menschen inzwischen gleicher behandelt, muss man auch tiere gleicher behandeln? wo ist da bitte der zusammenhang?

Wenn die Analogie in den relevanten Punkten stimmt, ist sie auch als Argument gültig. Weil Singer Moral auf die Beachtung von Interessen zurückführt, kann er die Ausweitung der moralischen Berücksichtigung innerhalb der menschlichen Art befürworten und gleichzeitig die Ausweitung des moralischen Rahmens über diese hinaus fordern.

Singers interessenbezoge Moralbegründung aber sei naturalistisch,
Zitatweil er meint, interessen von menschen würden schlicht beachtet, weil sie existieren. damit unterstellt er eine naturalistische begründung, welche er auch bei tieren angewandt sehen möchte.

Singers genauer Argumentationsweg ist mir nicht gegenwärtig, grundsätzlich vertritt er aber eine Achtungsethik. Bei ihm bezieht sich die Achtung unmittelbar auf Interessen, während Würdekonzeptionen wie die des Grundgesetzes sich auf einen bestimmten Status von Menschen als Vernunftwesen beziehen und damit mittelbar begründen, weshalb allen gleichermaßen Raum zum Verfolgen ihrer Interessen zugestanden werden soll. Logisch zwingend scheinen mir beide Ansätze nicht zu sein, aber das würde ich von keiner Moralrekonstruktion erwarten. Ganz am Ende stehen immer Plausibilitätsargumente.

So, genug davon. Wie schon gesagt, vielleicht kannst du selbst deine Kritikpunkte in den Singerartikel einfügen. Bis jetzt besteht die dortige "Kritik" ja nur aus Zitaten, bei denen man auf Empörung rechnen kann, und das scheint mir für ein Wiki mit Seriositätsanspruch unwürdig zu sein. Ich selbst stehe leider für die Überarbeitung nicht zur Verfügung.

pünktchen

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09Würde kann nicht im Anspruch auf Respekt bestehen, weil der Anspruch auf Respekt begründet werden muss.

ich würde eher sagen, er muss erkämpft werden. metaphysische oder religiöse begründungen für den geltend gemachten anspruch halte ich in erster linie für im rahmen dieses kampfes produzierte propaganda. was nicht bedeuten muss, dass sie inhaltlich falsch sind. nur sollte man nicht ursache und wirkung verwechseln.

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09"Natürlich" ist diese Zugehörigkeit keine "natürliche" Tatsache, aber wer in welchem Maße mitspielen darf, setzt bereits einen moralischen normativen Begriff vom Menschen voraus, der sich z.B. auf eine Achtung vor Interessen oder vor einem Status als Vernunftwesen rekonstruieren lässt.

nein, es setzt in erster linie eine entscheidung derer voraus, die in der gesellschaft das sagen haben. wie sie diese entscheidung ideologisch begründen, ist auch hier zweitrangig.

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09Du setzt immer voraus, bei Moral gehe es nur um gedeihliches Zusammenleben von Menschen, und was gedeihlich sei, scheint für dich auch schon immer festzustehen und muss nur hinreichend reflektiert werden.

ja, ich sehe moral als gesellschaftliches ordnungsinstrument. was soll sie bitte sonst sein? selbstzweck?
und nein, welche moral da vorzuziehen ist, lässt sich nicht objektiv bestimmen und ist gegensatz entsprechend heftiger auseinandersetzungen.

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09Die asymetrische Anerkennung innerhalb der menschlichen Gesellschaft verstehst du als gerechtfertigt,
Zitatweil alle menschen mal embryos und kleinkinder waren und alle mal komatös sein könnten. oder anders gesagt: in ersteren schützen wir die zukunft unserer gesellschaft und unsere rentenbezüge, in letzteren unsere persönliche zukunft. tiere hingegen waren wir nie und werden wir auch nie sein.

Das ist ein sehr instrumentalistisches Moralverständnis. Letztlich geht es dann im Umgang mit anderen immer nur um mich.

nein, man kann sich natürlich weitergehende überlegungen machen. allerdings braucht man keine anspruchsvollere ethische begründung, wo reiner egoismus schon ausreicht. für die geforderte gleichbehandlung von tieren hingegen reicht der nicht und deshalb muss man sich da mehr einfallen lassen. u.a. daran scheitert auch die übertragung per analogieschluss, das klassische tierrechtlerargument, man dürfe tiere nicht schlechter als kleinkinder behandeln. ja wieso denn bitte nicht?

(nur damit wir nicht aneinander vorbeireden: ich spreche hier von ethik und nicht von moral, denn moral sind meines erachtens die geltenden gesellschaftlichen handlungsregeln, ethik ist hingegen die begründung der geltenden oder gewünschter alternativer regeln.)

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09Ich hoffe, du weißt, dass eine solche Auffassung nicht weniger umstritten ist als ein metaphysisches Würdeverständnis oder Singers Moralrekonstruktion. Jedenfalls widerspricht die instrumentalistische Moralrekonstruktion dem tatsächlichen moralischen Erleben, denn wir meinen ja, es gebe tatsächliche Verpflichtungen gegenüber z.B. Mitmenschen, d.h. um ihrer selbst willen, und nicht nur weil ich selbst auf bestimmte Art und Weise behandelt werden möchte.

mal abgesehen davon, dass ich die berufung auf das gesunde volksempfinden nicht für ein besonders schlagkräftiges philosophisches argument halte, kann ich dir auch insoweit nicht folgen. ich vermute doch stark, dass deutlich mehr leute ihre ethik nach einer allein menschen einbeziehenden goldenen regel richten als nach antispeziesistischer interessenabwägung oder komplexer überlegungen über die immanente würde vernunftbegabter kreaturen.

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09Aus einem Wertbezug der Moral kommt man im instrumentalistischen Paradigma ebenfalls nicht heraus: Menschen haben dann nur instrumentellen Wert, wohingegen metaphysische Würdekonzeptionen und sogar noch Singer von einem Eigenwert ausgehen können.

mit "wert" kann ich in dem zusammenhang genauso wenig anfangen wie mit "würde". beide begriffe implizieren etwas essentialistisches und erinnern mich ungut an die christliche seele. ich würde dir insoweit durchaus zustimmen: das ganze naturrechtsdenken ist recht christlich geprägt.

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09Wenn die Analogie in den relevanten Punkten stimmt, ist sie auch als Argument gültig.

sie stimmt aber nicht, siehe oben.

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09Weil Singer Moral auf die Beachtung von Interessen zurückführt, kann er die Ausweitung der moralischen Berücksichtigung innerhalb der menschlichen Art befürworten und gleichzeitig die Ausweitung des moralischen Rahmens über diese hinaus fordern.

und dazu braucht er keine analogie. wenn seine ethik die beachtung von interessen verlangt und tiere interessen haben, dann müssen die eben berücksichtigt werden. die geltende moral sieht das aber anders und wird sich solange nicht an singers ethik anpassen, solange er nicht eine mehrheit von seinen ansichten überzeugen kann (und da sehe ich schwarz).

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09Bei ihm bezieht sich die Achtung unmittelbar auf Interessen, während Würdekonzeptionen wie die des Grundgesetzes sich auf einen bestimmten Status von Menschen als Vernunftwesen beziehen und damit mittelbar begründen, weshalb allen gleichermaßen Raum zum Verfolgen ihrer Interessen zugestanden werden soll. Logisch zwingend scheinen mir beide Ansätze nicht zu sein, aber das würde ich von keiner Moralrekonstruktion erwarten. Ganz am Ende stehen immer Plausibilitätsargumente.

ich finde es doch deutlich plausibler, vom subjekt auszugehen, als von seinen interessen, denn ohne subjeekt auch keine interessen.

Zitat von: Tooticki am 02. Juli 2010, 13:30:09So, genug davon. Wie schon gesagt, vielleicht kannst du selbst deine Kritikpunkte in den Singerartikel einfügen. Bis jetzt besteht die dortige "Kritik" ja nur aus Zitaten, bei denen man auf Empörung rechnen kann, und das scheint mir für ein Wiki mit Seriositätsanspruch unwürdig zu sein. Ich selbst stehe leider für die Überarbeitung nicht zur Verfügung.

der artikel ist noch recht neu und scheint mir am wikipediaartikel angelehnt zu sein. öffentlich kritisiert wurde singer tatsächlich im wesentlichen wegen seiner standpunkte zur euthanasie. was übrigens wieder dafür spricht, dass die theoretische begründung die leute nicht so wahnsinnig interessiert.

meines erachtens reicht es völlig aus, auf ein paar konsequenzen und widersprüchlichkeiten von/in seiner ethik hinzuweisen. inwieweit man seinen begründungsschritten folgen mag, hängt sicherlich sehr vom eigenen weltbild ab. meines erachtens liefert er schon keine begründung dafür, wieso man nicht speziesist sein sollte und damit hängt seine ganze ethik in der luft. die praktischen konsequenzen seiner ethik machen sie auch nicht sympathischer.