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Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Thema gestartet von: sweeper am 07. November 2013, 08:58:40

Titel: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: sweeper am 07. November 2013, 08:58:40
Joseph Hecken (http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Hecken) hat ein einfaches Rezept für Zeitgenossen, die Monate auf eine Psychotherapie warten müssen:
abwarten und Bier trinken!

http://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/psychische-probleme-josef-hecken-empfiehlt-bier-statt-therapie-a-931850.html
Zitat...In einer Sitzung des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen sagte Hecken, man benötige nicht für jeden Bürger einen Psychotherapeuten, eine Flasche Bier tue es manchmal auch. Der Satz findet sich in einem Protokoll, das von der öffentlichen Sitzung angefertigt wurde und das SPIEGEL ONLINE vorliegt. Auf Anfrage dementiert Hecken die Äußerungen nicht. Vielmehr bezeichnet er sie als "unglücklich, weil missverständlich".

Hecken stößt sich dem inoffiziellen Protokoll zufolge an Forderungen nach mehr Kassensitzen für Psychotherapeuten. In diesem Zusammenhang soll der Satz gefallen sein, über den sich jetzt vor allem psychotherapeutisch arbeitende Psychologen erregen. Unter ihnen kursiert in Mailinglisten außer dem Protokoll ein Protestbrief an Hecken. Darin heißt es: "Sie bagatellisieren und ignorieren mit Ihrer Bierflaschen-Metapher die Not unserer Patienten und stigmatisieren subtil Menschen mit schweren psychischen Störungen."...

Ach so - WP hat außerdem:
ZitatAls Gesundheitsminister hatte Hecken im Jahr 2006 der niederländischen Kapitalgesellschaft DocMorris die Betriebserlaubnis für eine Filialapotheke in Saarbrücken erteilt, was im Widerspruch zu dem deutschen Apothekenrecht der ,,Inhabergeführten Apotheke" steht. Dabei war von besonderer Brisanz, dass DocMorris in Besitz der Celesio AG ist, einem Konzern der Franz Haniel & Cie. GmbH, die erhebliche Anteile der Metro AG besitzt - dem ehemaligen Arbeitgeber von Hecken. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU), Josef Hecken und der Celesio AG Vorstandsvorsitzende Oesterle hatten zuvor gemeinsam erklärt, dass der Apothekenmarkt in Deutschland ,,liberalisiert" werden müsse. Kurze Zeit später erteilte Hecken gegen geltendes Recht die Genehmigung für den Betrieb der DocMorris-Filiale. Der Europäische Gerichtshof entschied jedoch am 19. Mai 2009, dass die deutschen Regelungen des Apothekengesetzes nicht gegen europäisches Recht verstoßen, die Apotheke musste als DocMorris-Filiale unverzüglich schließen.

Vielleicht ist Hecken ja auch Shareholder bei einer größeren Brauerei?  ::)
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 07. November 2013, 10:24:29
Ja, die Verbände der Psychotherapeuten klagen heftig über die Unterversorgung; das ist ihr Beruf. Aber wenn es konkret wird und eine lokale Sonderzulassung ansteht, dann wird der potentielle Konkurrent weggebissen, Unterversorgung hin oder her (was kein Spezifikum der Psychotherapeuten ist).

Wenn man sich Patientenzahl und Behandlungsdauer bei den Psychotherapeuten so ansieht und mit den kolportierten Zahlen über Patienten mit somatoformen und psychischen Störungen beim Allgemeinmediziner vergleicht,  dann ist natürlich klar, dass keine Regelung auf der Welt jemals diesen ,,Bedarf" decken  kann. Aber es ist ebenso klar, dass das nicht unverklausuliert öffentlich breitgetreten werden kann.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Homeboy am 07. November 2013, 10:42:18
müsste da jetzt nicht die "Gesellschaft zur Bekämpfung von Alkoholkrankheit" oder sowas Protestnoten versenden?
außerdem, der ist doch von der bierbrauer-mafia geschmiert worden, muss er doch, schließlich ist er bei der cdu, und dort ist biertrinken aus gesundheitlichen gründen weder beitrittsvoraussetzung noch habitus...

aus gründen religiöser überzeugung verweise ich noch auf dieses legale pdf:
Anonym zu www.umstellung.info/wp-content/downloads/pdf-kochbuecher/brauerei-zoetler-kochen-backen-bier.pdf (http://anonym.to/?http://www.umstellung.info/wp-content/downloads/pdf-kochbuecher/brauerei-zoetler-kochen-backen-bier.pdf)
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Typee am 07. November 2013, 11:59:52
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 08:58:40
Vielleicht ist Hecken ja auch Shareholder bei einer größeren Brauerei?  ::)

Beim Gemischtwarenkonzern der Familie Haniel gibt es nichts, was es nicht gibt. Würde mich nicht wundern, wenn da auch irgendeine Brauerei an Bord wäre. :prosit
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: sweeper am 07. November 2013, 12:11:27
Zitat von: bayle am 07. November 2013, 10:24:29
Ja, die Verbände der Psychotherapeuten klagen heftig über die Unterversorgung; das ist ihr Beruf. Aber wenn es konkret wird und eine lokale Sonderzulassung ansteht, dann wird der potentielle Konkurrent weggebissen, Unterversorgung hin oder her (was kein Spezifikum der Psychotherapeuten ist).

Wenn man sich Patientenzahl und Behandlungsdauer bei den Psychotherapeuten so ansieht und mit den kolportierten Zahlen über Patienten mit somatoformen und psychischen Störungen beim Allgemeinmediziner vergleicht,  dann ist natürlich klar, dass keine Regelung auf der Welt jemals diesen ,,Bedarf" decken  kann. Aber es ist ebenso klar, dass das nicht unverklausuliert öffentlich breitgetreten werden kann.

Mag alles sein - aber dann sollen sich die Barmer und weitere Vertreter des BGA bitte nicht scheinheilig darüber beklagen, dass im Fall von ADHS angeblich zu viele Medikamente und zu wenig Psychotherapie verschrieben werden.
Oder wie kürzlich das IQWiG beanstanden, dass ein Medikament, welches für Kinder zugelassen ist, für Erwachsene angeblich nicht im Vergleich und/oder Ergänzung zu Psychotherapie getestet wurde.

Und der Verweis aufs Bierchen aus dem Munde des GBA- Vorsitzenden ist ja wohl in jedem Fall der verkehrte Weg und ein Griff ins Klo.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 07. November 2013, 12:20:22
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 12:11:27
Mag alles sein
Ja. Ist so.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: sweeper am 07. November 2013, 12:22:16
Zitat von: bayle am 07. November 2013, 12:20:22
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 12:11:27
Mag alles sein
Ja. Ist so.

Haben Strohmänner grad Saison?
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 07. November 2013, 12:26:19
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 12:22:16
Zitat von: bayle am 07. November 2013, 12:20:22
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 12:11:27
Mag alles sein
Ja. Ist so.
Haben Strohmänner grad Saison?
Die flapsige, mindestens unglückliche Bemerkung des GBA-Vorsitzenden hat einen ernsten Hintergrund, der mit dem Verdacht einer Brauerei-Beteiligung nicht wegdiskutiert werden kann. Was meinst Du mit Strohmann?
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Groucho am 07. November 2013, 12:33:10
Zitat von: bayle am 07. November 2013, 12:26:19
Die flapsige, mindestens unglückliche Bemerkung des GBA-Vorsitzenden hat einen ernsten Hintergrund, der mit dem Verdacht einer Brauerei-Beteiligung nicht wegdiskutiert werden kann. Was meinst Du mit Strohmann?

Ich würde das ja als resignierenden Zynismus interpretieren.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: sweeper am 07. November 2013, 12:34:01
ZitatWas meinst Du mit Strohmann?

Fakt ist, dass es eine reale Versorgungslücke gibt - was man u.a. auch daran erkennen kann, dass die Wartezeit auf eine dringend indizierte ambulante Pychotherapie (z.B. im Anschluss an eine Reha-Maßnahme) durchaus 6 Monate oder länger betragen kann.

Der erste Strohmann besteht darin, dass der GBA-Vorsitzende diese Versorhgungslücke letztlich als Bagatelle abtut (und noch dazu zu Selbst"medikation" per Alkohol aufruft) , der zweite besteht darin, dass du ihm auch noch darin Schützenhilfe erteilst, indem du das real existierende Versorgungsproblem auf einen Verteilungshickhack zwischen psychologischen Psychotherapeuten (die zumindest im stationären Bereich auch noch deutlich schlechter bezahlt werden als Ärzte...) und den Krankenkassen oder wem auch immer reduzierst.
Finde ich unseriös.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 07. November 2013, 12:48:53
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 12:34:01
das real existierende Versorgungsproblem
Niemand weiß, wie groß es wirklich ist. Die wahre Morbidität der Bevölkerung ist unbekannt, und sie ist - gerade in solchen Bereichen - natürlich nicht unabhängig vom Angebot. Die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens ist keine Bagatelle.

Ich halte es für unseriös, einen Topic nach dem anderen anzureißen.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Typee am 07. November 2013, 12:55:41
Zitat von: Groucho am 07. November 2013, 12:33:10
Zitat von: bayle am 07. November 2013, 12:26:19
Die flapsige, mindestens unglückliche Bemerkung des GBA-Vorsitzenden hat einen ernsten Hintergrund, der mit dem Verdacht einer Brauerei-Beteiligung nicht wegdiskutiert werden kann. Was meinst Du mit Strohmann?

Ich würde das ja als resignierenden Zynismus interpretieren.

So ähnlich wie Herrn Hoppes sozialverträgliches Frühversterben?
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Groucho am 07. November 2013, 13:01:52
Zitat von: Typee am 07. November 2013, 12:55:41
So ähnlich wie Herrn Hoppes sozialverträgliches Frühversterben?

War das nicht der Vilmar?

http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialvertr%C3%A4gliches_Fr%C3%BChableben (http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialvertr%C3%A4gliches_Fr%C3%BChableben)

Auch das habe ich als Ironie aufgefasst, bzw. zynische Zuspitzung. Kann mich auch irren. Das wäre dann schlecht.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: sweeper am 07. November 2013, 13:07:27
Zitat von: bayle am 07. November 2013, 12:48:53
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 12:34:01
das real existierende Versorgungsproblem
Niemand weiß, wie groß es wirklich ist. Die wahre Morbidität der Bevölkerung ist unbekannt, und sie ist - gerade in solchen Bereichen - natürlich nicht unabhängig vom Angebot. Die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens ist keine Bagatelle.

Ich halte es für unseriös, einen Topic nach dem anderen anzureißen.

Nuja, das Topic wurde ja indirekt von dem Herrn selbst angerissen bzw in dem entsprechenden Artikel thematisiert.

Im übrigen hilft es nichts, sich hier auf angeblich "fehlende Zahlen" zurückzuziehen - ich habe ja schon angedeutet, in welchen Bereichen sich deutlich zeigt, wo in der Praxis Versorgungslücken sind ( der ADHS-Bereich ist einer davon, wo scheinheilig immer wieder - gerade auch von Krankenkassen-Funktionären "mehr Psychotherapie statt Medikamente" gefordert wird im Wissen darum, dass Medikamente a) kostengünstiger sind und b) geeignete Psychotherapeuten in der Fläche Mangelware...).
Dass das keiner von denen, die die Gelder verteilen müssen, gern hören mag, ist auch verständlich.

Dass Alkoholismus bzw problematischer Alkoholkonsum in Deutschland ein Riesenproblem darstellen, dazu gibt es einschlägige Zahlen (u.a. über den Pro-Kopf-Verbrauch). Die daraus folgenden Gesundheitsprobleme sind ebenfalls ein erheblicher Kostenfaktor.
Wenn Herr Hecken das ignoriert und stattdessen zu Selbstmedikation mit mehr Bierchen aufruft, hat er m.M.n. seinen Job verfehlt bzw wurde wieder mal der Bock zum Gärtner gemacht.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 07. November 2013, 13:09:52
Das mit dem Bier, das ist doch der Strohmann. Sweeper, Du warst irreführend. Der eingangs verlinkte SPON-Artikel schildert auch den eigentlichen Konflikt:
ZitatWie viele Ärzte und Psychologen sich mit einer Kassenzulassung niederlassen dürfen, legt die Bedarfsplanung fest, über die auch im G-BA entschieden wird. Aus dem inoffiziellen Protokoll der Sitzung beim GKV-Spitzenverband wird deutlich, dass Hecken es für einen Fehler hält, dass Kassensitze, die nicht mit Ärzten besetzt werden können, ab 2014 auch an psychologische Psychotherapeuten gehen können. Aus seiner Sicht sollte demnach keine Psychotherapie ohne vorherige ärztliche Überweisung möglich sein.
Wie häufig, stürzen sich die Konfliktpartner lustvoll auf Halbsätze, die man umdeuten könnte; insofern ist der Vergleich mit dem sozialverträglichen Frühableben völlig gerechtfertigt. Natürlich sind das Verteilungskämpfe. Wie auch anders. Solche Dinge können in einer Demokratie nur im Rahmen von Auseinandersetzungen geklärt werden.

Herrn Vilmar hatten wir auch schon.
http://forum.psiram.com/index.php?topic=10461.0
Wie Sie sehen, meine Damen und Herren, mein Zoff mit Sweeper ist uralt. :teufel
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: sweeper am 07. November 2013, 13:11:29
ZitatWie Sie sehen, meine Damen und Herren, mein Zoff mit Sweeper ist uralt
Wenn du gern für die Tribüne schreibst - bitte.
Mir geht es um die Sache - bzw um die Patienten, die ich dabei konkret vor Augen habe.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 07. November 2013, 13:21:32
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 13:11:29
Mir geht es um die Sache - bzw um die Patienten, die ich dabei konkret vor Augen habe.
Mir auch. Dann sind wir uns ja total einig.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Hildegard am 07. November 2013, 13:35:50
Zitat von: Typee am 07. November 2013, 11:59:52
Zitat von: sweeper am 07. November 2013, 08:58:40
Vielleicht ist Hecken ja auch Shareholder bei einer größeren Brauerei?  ::)

Beim Gemischtwarenkonzern der Familie Haniel gibt es nichts, was es nicht gibt. Würde mich nicht wundern, wenn da auch irgendeine Brauerei an Bord wäre. :prosit
(http://cdn02.trixum.de/upload2/8600/8451/4/486edcbd9709319cfb62ae5e8e812fb4a.jpg)
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: editor am 07. November 2013, 14:17:07
GBA = Gemeinsamer Bier Ausschuss ?

Wundert sich noch wer?
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Frau Kuchen am 07. November 2013, 21:24:06
Wer mal so richtig kotzen will, muss einfach die Kommentare der Spiegel-Leser lesen.  :muel
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Groucho am 07. November 2013, 21:38:56
Zitat von: Frau Kuchen am 07. November 2013, 21:24:06
Wer mal so richtig kotzen will, muss einfach die Kommentare der Spiegel-Leser lesen.  :muel

Ich hol mir da regelmäßig mein masochistisches Päckchen ab. Aber so ist das halt, wenn man soziologische Forschung betreibt. Darwin soll ja auf der Beagle auch dauernd seekrank gewesen sein  8)
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Joseph Kuhn am 08. November 2013, 20:32:19
Wie immer schadet es nicht, sich die Datenlage anzusehen. Die Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen ist nicht gut. Es mag sein, dass ab und zu auch Leute mit kleinen Wehwehchen eine Therapie haben wollen, aber das Gesamtbild sieht anders aus. Nachzulesen in den Ergebnissen der aktuellen DEGS-Studie des RKI, oder ganz kurz im Blog: http://scienceblogs.de/gesundheits-check/2013/11/08/bier-statt-psychotherapie-prost-herr-hecken/.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 08. November 2013, 20:38:54
Zitat von: Joseph Kuhn am 08. November 2013, 20:32:19
Wie immer schadet es nicht, sich die Datenlage anzusehen. Die Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen ist nicht gut. Es mag sein, dass ab und zu auch Leute mit kleinen Wehwehchen eine Therapie haben wollen, aber das Gesamtbild sieht anders aus. Nachzulesen in den Ergebnissen der aktuellen DEGS-Studie des RKI, oder ganz kurz im Blog: http://scienceblogs.de/gesundheits-check/2013/11/08/bier-statt-psychotherapie-prost-herr-hecken/.
Wenn wir weiter darüber diskutieren wollen, sollten wir konkreter werden - was im einzelnen nicht gut ist, und vor allem, wie es verbessert werden könnte.

edit:
Bei:
http://www.degs-studie.de/deutsch/ergebnisse/degs1/degs1-basispublikation.html
Finde ich neben vielen anderen Teilbereichen der somatischen Medizin (über denen vermutlich ebenso nicht 24 h am Tag die Sonne glänzt) Teilstudien zu Depression, chron. Stress, Schlafstörung, aber nicht eine Zusammenfassung "psychische Störung" allgemein. Vielleicht habe ich das auch nur übersehen; wo sollte ich mit dem Lesen beginnen?
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Joseph Kuhn am 08. November 2013, 21:03:31
"wo sollte ich mit dem Lesen beginnen?"

Ja, die DEGS-Sachen sind nicht ganz übersichtlich. Hier z.B.:
http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Degs/degs_w1/Symposium/degs_psychische_stoerungen.pdf?__blob=publicationFile

Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 08. November 2013, 21:13:13
Zitat von: Joseph Kuhn am 08. November 2013, 21:03:31
"wo sollte ich mit dem Lesen beginnen?"

Ja, die DEGS-Sachen sind nicht ganz übersichtlich. Hier z.B.:
http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Degs/degs_w1/Symposium/degs_psychische_stoerungen.pdf?__blob=publicationFile
Es liegt mir nichts daran, Krawall zu schlagen ;), aber formal sind das zunächst reine Prävalenzzahlen, die noch keine Rückschlüsse darauf zulassen, ob die Versorgung schlecht ist. Allerdings sollten sie Anlass geben, das zu prüfen, ja.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Joseph Kuhn am 08. November 2013, 23:34:49
Zitat von: bayle am 08. November 2013, 21:13:13
Es liegt mir nichts daran, Krawall zu schlagen ;), aber formal sind das zunächst reine Prävalenzzahlen, die noch keine Rückschlüsse darauf zulassen, ob die Versorgung schlecht ist.

Warum Krawall schlagen? Ich denke, es geht darum, eine Sachlage zu diskutieren. Folie 15 des verlinkten Vortrags zeigt nicht "reine Prävalenzzahlen", sondern die Versorgung der prävalenten Fälle. DEGS ist nur die aktuellste Studie. Es gibt nicht sehr viele, aber doch einige Studien zur Versorgungssituation bei psychischen Störungen, sie gehen fast alle in die gleiche Richtung: Menschen mit psychischen Störungen werden nicht, nicht rechtzeitig oder fachlich nicht adäquat versorgt. Das meiste davon lässt sich durch schlichtes googlen finden. Dass man zum Thema nicht "datenlos" diskutieren muss, wollte ich mitteilen, mehr nicht.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: gesine2 am 09. November 2013, 06:26:31
Zitatformal
moin bayle (https://forum.psiram.com/index.php?topic=12109.msg153220#msg153220), formal hattest Du auch gefragt, wo Du anfangen könntest zu lesen. Insbesondere unter Berücksichtigung der Seiten/slides 15,16 und 18 halte ich das pdf für eine valide Einstiegslektüre.

/Edit/ ooops - der thread hatte ja noch eine Seite^^
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 09. November 2013, 07:46:50
Nur einmal ein paar völlig unsystematische Gedanken zu Prävalenz und Bedarf, wie sie vielleicht dem Herrn Hecken vorgeschwebt haben; der Einfachheit halber halte ich mich an den von Joseph Kuhn verlinkten Vortrag
http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Degs/degs_w1/Symposium/degs_psychische_stoerungen.pdf?__blob=publicationFile  [1]
und an einen weiteren, der eine Spur ausführlicher, aber noch übersichtlich ist:
http://www.psychologie.tu-dresden.de/i2/klinische/mitarbeiter/publikationen/jacobi-p/Wittchen-HH-290903.pdf [2]

In [1] heißt es am Ende:
ZitatIm 12-Monatszeitraum vor der Untersuchung litten 33,3% der Bevölkerung unter einer oder mehren psychischen Störungen

Und in [2] heißt es (die letzten Folien):
Zitat31% der Bevölkerung hat aktuell psychische Störungen,
Das Lebenszeitrisiko beträgt 48%
Markante Defizite in der Versorgung: Nur 36% erhalten üerhaupt irgendeine Intervention (mind. 1 Kontakt), Nur weniger als 10% eine ,,grob adäquate" Intervention (> 3 Kontakte; Kessler et al, Health Affairs 2002)
Wie beeinträchtigend und behindernd (und kostenintensiv) sind psychische Störungen?
41% aller Arbeitsunfähigkeits-Tage der Bevölkerung (letzte 4 Wochen) können auf psychische Störungen zurück geführt werden!
18% aller ambulanten Arztbesuche (ohne psychiatr./psychoth. Sektor) lassen sich auf psychische Störungen zurückführen
Die durch psychische Störung verursachte gesundheitsökonomische Hauptlast besteht in hohen indirekten Kosten (Arbeitsausfalltage und Fehl-Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Dienste)

Nehmen wir diese Zahlen einmal hin und unterstellen für unsere Milchmädchenrechnung als Voraussetzung: Alle psychischen Störungen sind behandlungsbedürftig und müssen (ambulant) psychotherapeutisch behandelt werden (was beides nicht stimmt).

Aktuell arbeiten rund 21.600 niedergelassene Psychotherapeuten in Deutschland.
http://www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/mogelpackung.html
Ein Psychotherapeut kann höchstens 35 Sitzungen je Woche behandeln, mehr ist realistischerweise kaum drin – die große Mehrzahl arbeitet weniger -  [Best D: Hohe Berufszufriedenheit, Altersarmut inbegriffen. Psychotherapie Aktuell 3/13, S. 6ff, speziell S. 14], bei 10 Wochen/Quartal sind das 1400 Stunden/Jahr. Eine Richtlinien-Psychotherapie umfasst 5 probatorische Sitzungen und 25 Therapiesitzungen. Im Jahr kann also ein Therapeut maximal 1400:30 = 50 Patienten regulär ausbehandeln.

30% von 80 Mio Einwohnern sind 24 Mio Einwohner. Um alle nach Richtlinie zu behandeln, bräuchte man dann ca. eine halbe Million Psychotherapeuten. Ein Psychotherapeut kostet derzeit vielleicht 120.000 EUR/Jahr, d. hieße also 50 Mrd EUR/Jahr allein für Psychotherapie.

Natürlich müsste man die Einsparungen der indirekten Kosten (Arbeitsausfall, ,,Fehlinanspruchnahme") abziehen, allerdings gibt [2] dafür keine deutschen Zahlen. Der Knackpunkt wäre aber schon, dass zunächst gezeigt werden müsste, dass sich diese Kosten wirklich einsparen lassen. Psychische Prozesse benötigen ihre Zeit. Die Zahl der Arztkontakte wird sich kaum vermindern, schon weil Psychologische Psychotherapeuten nicht krankschreiben können (und sie sollten froh darüber sein).

Wie gesagt: das ist eine Milchmädchenrechnung, und für jeden Einzelpunkt lassen sich ernstzunehmende Einwände formulieren. Was ich eigentlich sagen will ist: bevor man zu Bewertungen und v. a. zu praktischen Schlussfolgerungen gelangt, muss die Materie schon noch deutlich tiefer durchdrungen werden.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: Joseph Kuhn am 09. November 2013, 09:15:06
Zitat von: bayle am 09. November 2013, 07:46:50
Wie gesagt: das ist eine Milchmädchenrechnung (...). Was ich eigentlich sagen will ist: bevor man zu Bewertungen und v. a. zu praktischen Schlussfolgerungen gelangt, muss die Materie schon noch deutlich tiefer durchdrungen werden.

Genau. Bedarfsplanung sollte keine Milchmädchenrechnung sein - und eben auch keine Bierdeckelrechnung.
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: MrSpock am 11. November 2013, 10:10:56
Kein Alkohol ist auch keine Lösung!
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: bayle am 20. Dezember 2013, 09:09:29
Ganz der Politiker:

Zitat
Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken, war nach seiner Äußerung, man brauche nicht für jeden eine Psychotherapie, denn eine Flasche warmes Bier tue es manchmal auch, vielfach angriffen worden. ,,Ich wollte auf das Problem einer belastbaren Abgrenzung zwischen behandlungsbedürftigen Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen hinweisen", erklärte Hecken nun. Er nutzte den DGPPN-Kongress, ,,um mich zu entschuldigen und meine fachlich nicht fundierte Bemerkung zurechtzurücken". Ihm stelle sich die Frage, wie man mit Lebenskrisen oder fortgesetzten Überforderungen umgeht: ,,Werden Menschen manchmal nicht viel zu früh für krank erklärt, obschon sie eine Lebenskrise auch allein oder mit Hilfe ihres sozialen Umfeldes bewältigen können?" Es gehe ihm nicht um eine Ressourcendiskussion und auch nicht um eine Bagatellisierung, versicherte Hecken. Doch man müsse darauf achten, dass nicht bei einer Vielzahl von neuen leichteren Störungen, wie sie das DSM-5 zum Teil kategorisiere, die zur Verfügung stehenden Ressourcen grundlos eingesetzt würden. ,,Dies umso mehr, als das DSM-5 präjudizierende Wirkung für die kommende neue ICD-11 haben wird", gab Hecken zu bedenken.

Ziele des Koalitionsvertrags zügig umsetzen

Liege indes eine behandlungsbedürftige Erkrankung vor, müssten ausreichende Behandlungsoptionen zeitnah zur Verfügung stehen, forderte der G-BA-Vorsitzende weiter. Alle im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ziele, wie die Verringerung der Wartezeiten, zeitnahe Kurzzeittherapie sowie die Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie durch den G-BA, sollten deshalb zügig umgesetzt werden. Zur Reduzierung der Wartezeiten habe der G-BA außer der Bedarfsplanung kein Instrument zur Steuerung, erläuterte Hecken. ,,Obwohl bundesweit mehr als 28 000 Personen für den Bereich Psychotherapie zur Verfügung stehen – bei 52 000 Hausärzten zum Vergleich –, haben wir in ländlichen Regionen Versorgungslücken." Alle neuen Praxissitze für Psychotherapeuten, aber auch für Nervenärzte sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten seien deshalb für diese Regionen vorgesehen. Hecken wies darauf hin, dass ab 1. Januar 2014 wahrscheinlich knapp 300 Sitze übergangsweise für Psychologische Psychotherapeuten freigegeben würden, die von ärztlichen Psychotherapeuten nicht besetzt werden konnten. Eine Entscheidung stehe noch vor Weihnachten im G-BA an.
http://www.aerzteblatt.de/archiv/151735/Psychische-Erkrankungen-Besonders-hohe-Krankheitslast
Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: sweeper am 20. Dezember 2013, 10:35:18
Der Mann hat leider keine Ahnung von psychischen Erkrankungen, davon dann aber sehr viel.

Je früher Menschen mit berufsbedingten seelischen Belastungserscheinungen (und das werden immer mehr) eine wirksame Psychotherapie bekommen, desto langfristig hilfreicher.
Wenn sie erst in einer Erschöpfungssituation angekommen sind, dauert alles viel länger, und die Gefahr von psychosomatischen Erkrankungen steigt. Das kann meist auch keine 5-wöchige Rehamaßnahme(RV, anderer Topf) wieder flicken, wenn die Leute in einem chronischen Überforderungszustand in der Rehaklinik aufschlagen und es dort um ihre weitere berufliche Perspektive bzw Teilzeit, Frührente (mit oft gravierenden finanziellen Konsequenzen) geht.  >:(
ZitatZur Reduzierung der Wartezeiten habe der G-BA außer der Bedarfsplanung kein Instrument zur Steuerung, erläuterte Hecken.
Stattdessen passiert dann dezeit verstärkt Folgendes:
Zitathttp://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kassen-setzen-externe-berater-auf-psychisch-kranke-an-a-928315.html
... Der Umgang von Krankenkassen mit psychisch Kranken hat in den vergangenen Wochen für Aufregung gesorgt. Betroffene klagen über Sachbearbeiter, die massiven Druck ausüben, Telefonterror und Einschüchterung betreiben. Der Hintergrund ist klar: Es geht ums Geld. Die Kassen versuchen, die deutlich steigenden Krankengeldkosten zu verringern. Wer länger krankgeschrieben ist, hat Anspruch auf diese Leistung der Krankenkassen, deren Höhe sich am zuletzt erhaltenen Gehalt orientiert. Gerade psychische Erkrankungen gehen oft mit längerer Arbeitsunfähigkeit einher. Schätzungen zufolge sind in Deutschland jährlich 2,2 Millionen Menschen wegen psychischer Krankheiten arbeitsunfähig. In den vergangenen 15 Jahren nahm die Zahl der Fälle demnach um fast 150 Prozent zu.

Rein in den Job - raus aus dem Krankengeld

Fast alle Kassen haben deshalb Krankengeld-Fallmanager eingestellt, zumeist sind ganze Abteilungen für diese besonders teuren Versicherten zuständig. Daneben hat sich eine ganze Branche von Dienstleistern etabliert, die den Kassen versprechen: Wir bringen psychisch Kranke zurück in den Job - und damit raus aus dem Krankengeld.

Wie geschieht das nun? Setzt auch Ge.on die Versicherten unter Druck, nur subtiler, als das beim Telefonterror einiger Kassen geschieht? Jacobs-Finkelmeier weist das vehement zurück. "Wir wollen, dass Patienten alles bekommen, was sie brauchen, um gesund zu werden." Dafür arbeiteten ihre Mitarbeiter - Psychologen, Sozialpädagogen und Ärzte - eng mit dem behandelnden Arzt zusammen. "Der Eindruck der medizinischen Laien ist: Man muss bei psychisch Kranken Druck machen, dann läuft das schon wieder", sagt die Firmenchefin. Doch damit werde "nur das Gegenteil erreicht".

Neben der Kooperation mit den Ärzten setze Ge.on darauf, mit dem Versicherten direkt an seinen Problemen zu arbeiten. Zum Beispiel könne der Berater helfen, Konflikte am Arbeitsplatz zu lösen und das Gespräch mit Kollegen oder Vorgesetzten zu suchen. *


"Patienten werden in die Mangel genommen"

Klingt nett, doch Patientenschützer und Ärzte sind skeptisch, was die Arbeit von Dienstleistern wie Ge.on angeht. Ein Mediziner aus München, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will, erzählt: "Patienten berichten, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen." Sein Eindruck sei: "Die Menschen werden gleichsam vom Ge.on Case Manager und vom Kassenmitarbeiter in die Mangel genommen."

* Das ist die letztlich die Funktion eines Psychotherapeuten, die hier von einer Beraterfirma "kostengünstig" übernommen wird: Konflikt-und Abgrenzungsfähigkeit des Patienten stärken und auf weitere - auch innerbetriebliche - Hilfestellungen hinzuweisen etc

und weiter:

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kassen-sparen-an-psychisch-kranken-a-919326.html
Zitat...Die Kassen nehmen vermehrt direkt Kontakt zu den Versicherten auf. Und setzen sie massiv unter Druck. Ein Beispiel: Eine Patientin ist bei einer BKK versichert, im Rahmen ihres Krankengeldbezugs wird sie angerufen von einem Sachbearbeiter, einem sogenannten Berater. Und der fragt dann erst mal nach den Symptomen: 'Wie geht es Ihnen? Was haben Sie denn?' Das passiert häufiger. Die Patienten sind dann erst mal verunsichert, haben Angst um ihr Geld: 'Warum ruft mich jetzt ein Sachbearbeiter meiner Kasse an und will so etwas wissen?' Die werden richtig ausgefragt: 'Was sind denn Ihre Beschwerden? Wie lange sind Sie denn noch krank?'

Das ist ganz klar ein Verstoß gegen das Sozialgesetzbuch. Es ist klar geregelt, was die Kassen erfragen dürfen, und alle detaillierten Krankheitsangaben müssen vom Medizinischen Dienst erhoben werden. Doch das passiert häufiger anders. Ein Patient von mir wurde sogar von seinem Sachbearbeiter bedrängt: 'Lassen Sie sich doch verrenten, Sie können doch eh nicht mehr arbeiten.' Der ist 52 Jahre alt und war danach entsetzt und erneut stark depressiv...


Titel: Re: GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie
Beitrag von: pelacani am 18. September 2014, 19:59:44
ZitatDie epidemiologische Forschung zu psychischen Erkrankungen in Deutschland ist außer Rand und Band. Die proklamierte Zunahme psychischer Erkrankungen ist ungefiltert in die öffentliche und wissenschaftliche Meinungsbildung eingedrungen, ohne dass bislang belastbare Nachweise für die Richtigkeit dieser Behauptungen vorgelegt wurden.
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Das Auswertungsrationale der KK führt zu der irreführenden Annahme einer Zunahme von Neuerkrankungen. Dabei sind die ausgewerteten Arbeitsunfähigkeit(AU)-Fälle und deren Zunahme keine Krankheitsfälle im Sinne von Neuerkrankungen, sondern lediglich Krankheitsereignisse oder gar Mehrfachereignisse bei identischen Versicherten innerhalb eines Jahres. Gerade bei psychischen Erkrankungen muss von einem multiplen Krankheitsgeschehen ausgegangen werden. Ohne eine Mitnahme personenbezogener Identifikationen von Krankheitsereignissen kommt es seit Jahren durch Mehrfachzählungen zu dem irreführenden Bild einer nur scheinbaren Explosion der Neuerkrankungen.

Die Anzahl der Neuerkrankungen ist offensichtlich nach Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts weitgehend konstant. Eher lassen sich ein Rückgang von kurz dauernden AU-Fällen und eine gleichzeitige Zunahme länger dauernder Krankheitsfälle verzeichnen. Eine solche Entwicklung würde auch das Anwachsen der AU-Tage insgesamt erklären. Aufgrund der administrativen Konventionen und der Qualität der KK-Daten sind Angaben zu den Neuerkrankungen so nicht haltbar, irreführend und falsch.
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[Manfred Zielke: Epidemiologische Forschung zu psychischen Erkrankungen. Fehleinschätzungen auf Basis von Krankheitsartenstatistiken der Krankenkassen. Psychotherapeut 2014 • 59:399–406
DOI 10.1007/s00278-014-1064-2 ]