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Die Genderdebatte

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Begonnen von Scipio 2.0, 07. Juli 2022, 12:59:49

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Typee

Zitat von: zimtspinne am Gestern um 11:54:16
Zitat von: Typee am Gestern um 10:11:26
Zitat von: zimtspinne am 22. Mai 2024, 14:37:57Was genau meinst du mit "Sonstige", Typee?

 Und bedenken, dass es auch so etwas wie eine leere Menge gibt.
Nonbinaere Materie?

Du kannst vielleicht Fragen fragen...

Ich sach ma: so lange es keinen erkennbaren Sinn für die Antwort gibt, lässt mich die Frage kalt.
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Typee

Aber wenn dich die Frage so beschäftigt, dann schau doch mal in den Zirkus der Teilchenphysik. Wie viele Arten von Neutrinos gibt es, wie viele Quarks, welche Flavours oder Colours können sie haben, wie viele spins sind zugelassen...

Da kannst du wunderbar unter Binaritätsgesichtspunkten Hirnschmalz verbraten, und der Nährwert bleibt trotzdem ganz unbinär null.
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

zimtspinne

Wollte eigentlich nur wissen, ob du Team postmodern bist - es gibt sicher auch einen oder sogar viele Voßße in den Rechtswissenschaften, die intersektionale Ansätze verfolgen, sich der CRT widmen oder sogar das gesamte postmoderne Konzept mit Haut und Haaren gefressen haben (wenn ich an den Artikel der Doktorandin im Verfassungsblog zum Selbstbestimmungsgesetz denke).

Nichts für ungut, war nicht böse gemeint. ;)
Reality is transphobic.

zimtspinne

Aber mal ernsthaft. Die Rechtsordnung gehört doch zu den am klarsten und eindeutigsten formulierten Dingen des Alltagslebens: mit präzisen Definitionen, Formulierungen (oder wie man das auch immer juristisch bezeichnet) von Gesetzestexten, Rechtsvorschriften, Regelungen (oder wie man das auch immer juristisch bezeichnet).

Die Gesetzgebung, also sämtliche Gesetzesdefinitionen/Gesetzesbegriffe sollen präzise, eindeutig und widerspruchsfrei getextet werden, um möglichst wenig Raum für Interpretationen zu lassen. Ja, ich weiß, in der Rechtssprechung wimmelt es nur so vor Interpretationsspielräumen.... aber du weiß, was ich meine.

Soweit ich das verstanden habe, gibt es rechtlich etwas "drittes", das aber eben genau nicht drittes Geschlecht bedeutet und sich auch nicht auf die Millionen Phantasiegeschlechter bezieht, einschließlich Nichtbinarität. Sondern ganz konkret auf Intersexualalität. Nicht die gefühlte, sondern the real thing.

Genau deshalb müssen die selbstdefinierten und -vergebenen Geschlechtsidentitäten ja auch bei der Begegnung mit Krankenkassen und Fachärzten verschleiert und als Transsexualität getarnt werden.

Das rechtliche Geschlecht ist in D binär und nicht spektrös.
Und die "sexuelle Identität" als Selbstkonzept ins Grundgesetz zu verankern, ist den pseudoprogressiven Postmodernen bisher auch noch nicht gelungen.

NIcht viele Seiten vorher hatte ich Auszüge aus einem Text eines unwoken Rechtsgelehrten zum Thema evidenzbasierte Rechtswissenschaft in Bezug auf das Selbstbestimmungsgesetz gepostet. Also genau das Ziel für Geschlechterkram.

Dein "Sonstige" ist somit ein Schwarmmerl. Ungenießbares!  :laugh:
Reality is transphobic.

Typee

Zitat von: zimtspinne am Gestern um 19:13:40Wollte eigentlich nur wissen, ob du Team postmodern bist - es gibt sicher auch einen oder sogar viele Voßße in den Rechtswissenschaften, die intersektionale Ansätze verfolgen, sich der CRT widmen oder sogar das gesamte postmoderne Konzept mit Haut und Haaren gefressen haben (wenn ich an den Artikel der Doktorandin im Verfassungsblog zum Selbstbestimmungsgesetz denke).

Nichts für ungut, war nicht böse gemeint. ;)

Ja so! Nee, musste dich dran gewöhnen, dass ich mit dem Spezialsprech dieser Szen*innen manchmal meinen Schabernack treibe.
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Typee

ZitatAber mal ernsthaft. Die Rechtsordnung gehört doch zu den am klarsten und eindeutigsten formulierten Dingen des Alltagslebens: mit präzisen Definitionen, Formulierungen (oder wie man das auch immer juristisch bezeichnet) von Gesetzestexten, Rechtsvorschriften, Regelungen (oder wie man das auch immer juristisch bezeichnet).

Im Ernst? Dann mach dich mal vertraut mit Begriffen wie "Generalklausel", "Unbestimmten Rechtsbegriffen" (was seinerseits ein Rechtsbegriff ist), Analogien und Rechtsfortbildungen, objektiv und subjektiv teleologischen Auslegungsmethoden... am ehesten stimmt das noch im Strafrecht, da gibt es zumindest ein Analogieverbot: es gilt nicht nur "nulla poena sine lege", sondern die verschärfte Variante "nulla poena sine lege scripta.

Ansonsten musst du dir klar darüber sein, dass Rechtsnormen nicht nur präzise sein sollten, sondern auch eine ziemlich hohe Abstraktionsebene beanspruchen, anders geht es gar nicht - weil im Vorhinein niemand sagen kann, welche konkreten Fallgestaltungen damit einmal gelöst werden. Ein Kuriosum aus der deutschen Rechtsgeschichte war das preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794, in dem der Versuch unternommen wurde, jede antizipierbare Fallgestaltung einer eindeutigen Lösung zu unterwerfen. Es hatte über 22.000 Paragrafen und ist bei aller richtungsweisenden inhaltlichen Qualität formal gescheitert, vom französischen code civil wurde es ohnehin wenig später weggefegt. Das hochabstrakte BGB hält nun schon über 120 Jahre, allerdings um den Preis der Deutungsbedürftigkeit in vielen Punkten. Das macht es allerdings auch geschmeidiger bei der Anpassung an Veränderungen in den geregelten Lebensverhältnissen.


ZitatSoweit ich das verstanden habe, gibt es rechtlich etwas "drittes", das aber eben genau nicht drittes Geschlecht bedeutet und sich auch nicht auf die Millionen Phantasiegeschlechter bezieht, einschließlich Nichtbinarität. Sondern ganz konkret auf Intersexualalität. Nicht die gefühlte, sondern the real thing.

Genau deshalb müssen die selbstdefinierten und -vergebenen Geschlechtsidentitäten ja auch bei der Begegnung mit Krankenkassen und Fachärzten verschleiert und als Transsexualität getarnt werden.

Das rechtliche Geschlecht ist in D binär und nicht spektrös.

Da wäre ich mir nicht (mehr) so sicher. Vor 2013 gab es im Personenstandsrecht, insbesondere im Recht der persönlichen Ausweise, tatsächlich nur die Auswahlmöglichkeiten ,,männlich" oder ,,weiblich". Bei Menschen, die ,,weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können", kann seit 2013 der Eintrag offen gelassen oder nachträglich gestrichen werden und seit 2018 auch ,,divers" eingetragen werden (§ 22 Abs. 3 PStG). So, jetzt kommen wir an den Punkt, den du dir in folgenden frommen Wunsch gekleidet hast:

ZitatDie Gesetzgebung, also sämtliche Gesetzesdefinitionen/Gesetzesbegriffe sollen präzise, eindeutig und widerspruchsfrei getextet werden, um möglichst wenig Raum für Interpretationen zu lassen.

Jaja, das sollte sie. Was, wenn das nicht ganz so ist? Dann gilt ein Grundsatz (der in keinem Gesetz niedergeschrieben ist) der Konkordanz der Rechtsordnung. Will sagen: war nicht so gemeint, der Widerspruch, seht einfach zu, dass es einigermaßen zusammenpasst. Und wenn trotzdem ein Hemdenärmel aus dem überfüllten Koffer heraushängt, dann schneidet ihn notfalls ab: es werden Fragen nach der Rangordnung der Rechtsgüter hochgeworfen, es werden Gerechtigkeitserwägungen angestellt, die absolut keine kodifizierte Basis haben, man versucht sich an "Folgenanalysen", und wenn das alles nicht hilft, dann folgt die Lösung des Falles der Losung: wer ist hier das Schwein? 

Das alles ist ein ziemlich schlüpfriger Untergrund. Mindestens im Personenstandsrecht muss man seit 2018 mit dem rechtlichen Faktum einer Diversität leben. Sie ist eine pure Konstruktion, um rechtspolitischem Druck aus einer bestimmten Richtung nachzugeben. Als Konstruktion muss sie ernst genommen werden, weil sie gesellschaftlich wirksam ist, sie formt mindestens öffentliches Bewusstsein mit. Das ist aber eine ganz andere Frage, als die nach der realen biologischen Realität von mehr als einem Geschlecht. Nochmals so anschaulich wie möglich: in der Welt des Rechts werden keine Gene verhandelt, sondern Begriffe. Der Gesetzgeber kann auch mit verfassungsgebender Mehrheit keine realen Gameten erfinden.

Aber er kann etwas ganz anderes: er könnte welche fingieren. Ich hatte ja die "Fiktionen" im Recht schon erwähnt. Fiktionen sind tatsächliche Annahmen, die als richtig gelten, ohne dass die Möglichkeit besteht, sie zu widerlegen. Es soll einfach davon ausgegangen werden, dass es so sei wie fingiert. Es gibt nicht viele davon, ein Beispiel findet sich im § 1592 BGB: als Vater eines Kindes gilt der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat. Selbst wenn er einen Kuckuck großzieht: er gilt als Vater, ohne Adoptiv- oder Pflege- oder Stief-Zusatz. Er "gilt" ganz einfach. Anderes Beispiel: die absolute Fahruntüchtigkeit im Straßenverkehr. Wessen Blut zu einem Tausendstel aus Alkohol besteht, gilt als fahruntüchtig, punktum, und wenn ersiees noch viel besser auf Zack ist, als der Nachbar, der schon nach zwei Bierchen runde Füße bekommt.

Denken wir uns eine Definition der "Diversität", die als Voraussetzungen drei Kriterien a, b und c formuliert. Und denken wir uns einen Gesetzgeber, der diesen faulen Zauber mitzumachen bereit ist: dann erlangt ein drittes Geschlecht eine Realität in dem Kulturphänomen Recht - nicht auf einen wie immer gearteten Cyberraum beschränkt, sondern mitten in der gesellschaftlichen Realität, verbunden mit dem sanktionsfähigen Gebot, Lebensverhältnisse als etwas zu behandeln, was sie biologisch nicht sein können. Von Verfassungs wegen wäre das nicht einmal grundsätzlich verboten. Was soll's, das Grundgesetz selbst wurde ja auch mal im Hinblick "auf die Verantwortung vor Gott und den Menschen" beschlossen. Finde die Fiktion darin...
 
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Juliette

Danke für die auch für Laien interessanten und spannenden Erklärungen.

impostor

Auch von mir vielen Dank @typee, sehr interessant. Wollte auch schon fragen, ob nicht Gesetze sogar eher ziemlich abstrakt konstruiert sind, um viele konkrete Fälle abdecken zu können mit dem Preis einer gewissen Schwammigkeit und Interpretationsspielraum. Du warst aber schneller und fachkundiger.

Die Natur lässt ja gewisse Spielräume zu, in denen wir Ideen, Konstrukte, Fiktionen, Regelsysteme etc. erschaffen und ggf. wieder umwerfen können, und diese Freiheit namens Kultur sollten wir uns auch nehmen. Westliche Musiktheorie ist ein komplexes und mathematisch beschreibbares Regelsystem, ich bewege mich sehr gern darin, und doch ist es nur zweckmäßige Konvention mit ein paar neurobiologischen KOrrelaten. Zwölftonmusik wollte per definition Gleichberechtigung für alle zwölf Töne, aber sie war nicht zweckmäßig genug und hat sich nicht stark durchsetzen können. Trotzdem soll sie spielen und damit glücklich werden, wer Lust drauf hat, auch Nemo meinetwegen. So mancher Kulturverehrer hat bei meinem Umgang mit Kultur schon den ,,gebotenen Ernst" vermisst.

Dass Menschen von einem gewissen Lärmpegel Gehörschäden bekommen, ist hingegen physikalische Realität, die einen immer wieder einholt. Sich mit einem intakten Körper zutiefst unbehaglich zu fühlen und lieber einen beschädigten Körper zu haben, kann mir niemand als freie Kultur verkaufen, das hat Störungswert wie Körperschemastörungen, BIID usw. Als Kind hatte ich so viele KH-Aufenthalte und körperliche Schmerzen und werde nie verstehen, wie man Selbstverletzung auch noch feiern kann. Wenn es wirklich psychisch nicht anders geht, kann es sicher ein Behandlungsweg sein.

An diesem Identitätsgedöns stößt mich wahrscheinlich intuitiv ab, dass es kulturellen Freiraum unnötig mit selbstdefinierten Grenzen zupflastern will und damit sozusagen Kultur dogmatisch macht, während dazu inkompatible natürliche Grenzen ausgeblendet werden. Kultur sollte doch eher stolz auf ihre Freiheit sein, sich immer wieder neu erfinden zu dürfen. Vor dem Gesetz, das auch Kultur ist, sollte deine Musik eigentlich keine Rolle spielen. Es sollte uns aber dort schützen, wo natürliche Grenzen ins Spiel kommen (Lärmschutz). Die Analogien zu Genderthemen darf sich jeder selber denken.

zimtspinne

@ Typee

von mir natürlich auch noch vielen dank für deine robusten Ausführungen!
Hatte dazu spontan einen Gedanken, der Berührungspunkte mit einem Gedanken meines Vorposters hatte.
Nach den vollendeten Formulierungen fühle ich mich aber genötigt verpflichtet, meinen Gedanken gut auszuformulieren und momentan kann ich ihn noch nicht mal richtig in in geschriebene Sprache übertragen. Ein Zwischenschritt -gesprochene Sprache- wäre hier gut.

Aus aktuellem Anlass nachträglich noch Herzlichen Glückwunsch an unser GG!
(trotz allem  :-* )

Reality is transphobic.